Einleitung

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Vermeidung der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen bei Triageentscheidungen hat der Gesetzgeber die Aufgabe, nun Klarheit zu schaffen [1]. Den Beschwerdeführern ist die gemeinsame Empfehlung der Fachgesellschaften [2] zur Umsetzung der Ex-post-Triage in deutschen Krankenhäusern nicht konkret genug [3].

Am Universitätsklinikum Augsburg (UKA) wurden in den ersten vier Pandemiewellen insgesamt 3006 Patienten mit SARS-CoV-2-Erkrankung behandelt, davon 1005 Patienten auf Intensivstationen (ICU). Durch den Ärztlichen Leiter Krankenhauskoordinierung (ÄLKK) in Augsburg [4] wurden zur Vermeidung einer Ex-post-Triage in den 16 unterstellten Krankenhäusern in diesem Zeitraum insgesamt 466 Intensivpatientenverlegungen koordiniert, davon 12 mit der Luftwaffe [5]. Am 25.11.2021 und 08.12.2021 war die allzeitige Höchstbelegung mit 70 SARS-CoV-2-Patienten auf den Intensivstationen im Zuständigkeitsbereich des ÄLKK Augsburg erreicht, mit nur noch einem freien SARS-CoV-2-Intensivbett für 918.000 Einwohner.

In der juristisch-ethischen Diskussion um die aktuell abseits eines First-come-first-served(FCFS)- oder Zufallsprinzips strafbare Ex-post-Triage [3] liegen bislang keine empirischen Nützlichkeitsnachweise vor, ob eine Ex-post-Triage Menschenleben retten kann und worin sich unterschiedliche Triagepolitiken unterscheiden. Eine Simulationsbetrachtung zum Zeitpunkt 01.12.2021 wird nachfolgend für das UKA hierzu vorgelegt.

Material und Methoden

Am 01.12.2021 war mit 34 SARS-CoV-2-Intensivpatienten die lokale Höchstbelegung am UKA erreicht, weitere 26 Intensivbetten waren mit sonstigen Notfallpatienten belegt. Diese Maximalbelegung der Intensivstation am UKA zum 01.12.2021 mit 60 Patienten sowie die ersten 20 nachrückenden Patienten auf die Intensivstation stellten die Grundlage für die Simulationsstudie dar. Per Patient lagen dabei folgende Merkmale vor: Alter, SAPS-Score, TISS-Score, „length of stay“ auf der Intensivstation, Hauptdiagnose, Nebendiagnose sowie der Entlassgrund, i.e. entlassen oder verstorben.

Ziel der Simulationsstudie war die Quantifizierung der Letalität auf ICU für insgesamt 10 verschiedene Ex-post-Triage-Politiken (siehe Tab. 1). Unter anderem lag etwa ein lokales Ex-post-Triage-Konzept (UKA-Score, siehe ID 8 und ID 9 in Tab. 1 und Flowchart als elektronisches Zusatzmaterial) in Umsetzung von [2] seit der ersten Pandemiewelle aktualisiert vor [6]. Ex-post-Triage ist dabei definiert als die Triage von Bestands- sowie prospektiven Intensivpatienten bei vollständiger Auslastung der Intensivressourcen (siehe Box am Anfang des Beitrags).

Tab. 1 Beschreibung der 10 untersuchten Ex-post-Triage-Politiken

Mithilfe einer Monte-Carlo-Simulationstechnik wurden 100 verschiedene Belegungen der ICU mit 60 Patienten sowie jeweils eine Warteschlange 10 nachrückender Patienten durch zufälliges Ziehen aus dem Datensatz mit Zurücklegen erzeugt. Unter der Annahme, dass aus praktischen Gründen eine Ex-post-Triage von maximal 6 Patienten (10 % der Bestandsbetten) durchführbar ist, wurden für jedes der 100 Szenarien die Letalitätsraten auf der Intensivstation per Triagepolitik berechnet. Die Verteilung der Letalitätsraten per Ex-post-Triage-Politik wurden in Boxplots visualisiert sowie Signifikanztests zum paarweisen Vergleich der Ex-post-Triage-Politiken durchgeführt.

Ergebnisse

Ohne die Durchführung einer Ex-post-Triage (Politik 0) lag die Letalität auf der Intensivstation bei durchschnittlich 31 % über alle 100 Simulationsläufe. Die zufällige sowie die FCFS-Ex-post-Triage (Politik 1 bzw. 2) erzielte im Modell eine ähnliche Performanz bzgl. der durchschnittlichen Letalität auf der Intensivstation. Die altersbasierte sowie die ICU-LOS-basierte Ex-post-Triage führten zu einer mittleren Letalität auf der Intensivstation von etwa 29 %. TISS-Score-basierte, SAPS-Score-basierte und Anzahl-Nebendiagnosen-basierte Ex-post-Triage führten zu mittleren Letalitätsraten auf der Intensivstation von 28 %, 27 % bzw. 26 %. Mit 25 % lagen die mittleren Letalitätsraten auf ICU bei den UKA-Score-basierten Ansätzen (Politiken 8 und 9) am niedrigsten und im Modell 6 Prozentpunkte unter denen der Politik 0, i.e. keine Ex-post-Triage (siehe Abb. 1). Zufällige, FCFS-, alters- oder ICU-LOS-basierte Ex-post-Triage unterschieden sich, anders als SAPS-, TISS-, Nebendiagnosen- und UKA-Score-basierte Ex-post-Triage, im Modell ferner nicht signifikant von dieser Politik 0.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Letalität auf ICU für die 10 definierten Ex-post-Triage-Politiken (MW Mittelwert) sowie p-Werte des F‑Tests und der paarweisen Post-hoc-Vergleiche der Politiken auf einem 5 %-Signifikanzniveau

Eine Validierung der Ergebnisse mit allen UKA-Intensivpatienten der 4. Coronawelle in Deutschland, umfangreiche Sensitivitätsanalysen sowie eine Untersuchung konsekutiver Ex-post-Triage-Zeitpunkte liegen ebenfalls vor und bestätigen die hier vorliegenden Daten.

Diskussion

Die Ergebnisse der Simulationsanalyse zeigen, dass durch geeignete Ex-post-Triage-Politiken die Letalität auf ICU signifikant um bis zu 6 Prozentpunkte verringert werden kann. Dabei erscheinen scorebasierte Ansätze im Allgemeinen besser geeignet zu sein als zufällige, LOS-basierte oder FCFS-Politiken [3]. Im Modell erzielt der lokale Ex-post-Triage-Ansatz des Universitätsklinikums Augsburg die niedrigsten Letalitätsraten auf der Intensivstation.

Limitationen

Da lediglich der SAPS-Score und nicht der SOFA-Score, wie in [6] definiert, vorlag, wurden die Definitionen der Punktwerte des UKA-Scores entsprechend den Maximalwerten der Scores adaptiert. Die Ergebnisse in unserem retrospektiven Design basieren auf einem Datensatz mit 80 Intensivpatienten.

Schlussfolgerung

Diese Daten zeigen erstmals, dass eine geeignete Ex-post-Triage-Politik dazu dienen kann, die Letalität auf den Intensivstationen bei Ressourcenknappheit zu senken. Die Autoren wünschen sich, dass diese Ergebnisse helfen, die Chancen einer Ex-post-Triage im Sinne einer höheren Überlebenswahrscheinlichkeit im aktuellen Gesetzgebungsverfahren objektiver zu bewerten und die gesamtgesellschaftliche Diskussion in der Sache zu unterstützen.