Hintergrund und Fragestellung

Das deutsche Gesundheitswesen gilt im internationalen Vergleich als leistungsfähig und weitgehend frei zugänglich. Die Effizienz des stark in Anspruch genommenen Systems wird von Experten angesichts des Ressourcenaufwands jedoch als vergleichsweise niedrig eingeschätzt. Als wesentliche Schwachpunkte werden die fehlende Koordination, nicht abgestimmte Behandlungsoptionen sowie eine unzureichende Vernetzung von ambulanten, stationären und rehabilitativen Vorhaltungen kritisiert [18]. Besonders deutlich wird dies z. B. in vermeintlichen Notfallsituationen, für die in Deutschland theoretisch eine Vielzahl unterschiedlicher Ansprechpartner und Einrichtungen zur Verfügung stehen, in denen die Patienten aber häufig mit der Auswahl und Inanspruchnahme der adäquaten Versorgungsstruktur überfordert sind [14]. In der Folge verzeichnen insbesondere Notaufnahmen in deutschen Krankenhäusern eine steigende Nachfrage der vorgehaltenen Versorgungsstrukturen [24,25,26]. Auch in anderen Ländern berichten Studien und Untersuchungen von zunehmenden Patientenzahlen und dem Phänomen des „crowding“ in Notaufnahmen, dessen Ursache zumindest teilweise auf den zunehmenden Anstieg von Haus- und Facharztpatienten und nicht dringlichen Behandlungen zurückgeführt wird [1, 10, 19].

Annahmen zu den patientenseitigen Motiven für die zunehmende Inanspruchnahme der akutmedizinischen Behandlungsangebote in Notaufnahmen werden intensiv diskutiert und untersucht. So konnten z. B. die subjektive Behandlungsdringlichkeit aus Sicht der Patienten bzw. Angehörigen [26, 27] und die hohe medizinische Qualität und Verfügbarkeit des Leistungsangebots als Besuchsmotive identifiziert werden [21, 23]. Auch die Nichtverfügbarkeit niedergelassener Ärzte trotz vorherigem Kontaktversuch während der regulären Praxisöffnungszeiten und die Unkenntnis weiterer Versorgungsangebote (wie z. B. der vertragsärztliche Bereitschaftsdienst) bewegen Patienten zu einem Besuch der Notaufnahmen in Krankenhäusern [28].

Für den Behandlungskontext der pädiatrischen Notfallversorgung in Krankenhäusern wurden bis dato in Deutschland kaum Studien durchgeführt, die die genauen Motive und Besuchsgründe von Eltern bzw. Angehörigen untersuchen. Ausländische Untersuchungen des pädiatrischen Notversorgungskontextes – z. B. aus den USA [9, 29, 30], Spanien [4, 11, 15], England [17], Österreich [13] oder Belgien [2] – lassen vermuten, dass die (vorab genannten) Gründe für eine Überfüllung von Notaufnahmen in der Erwachsenenmedizin auch ursächlich für die stärkere Inanspruchnahme pädiatrischer Notaufnahmen in Deutschland sein könnten. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es daher, durch Befragung Gründe und Motive für die Vorstellung von Kindern (durch ihre Eltern oder Angehörigen) mit nichtdringlichem Behandlungsbedarf in einer pädiatrischen Notaufnahme zu erfahren.

Methodik und Stichprobenbildung

Eltern und andere Angehörige, die mit Kindern (als Patienten) die pädiatrische Notaufnahme eines im westlichen Bereichs der Berliner Innenstadt liegenden Klinikums der Maximalversorgung aufsuchten sowie minderjährige Patienten ohne Begleitung wurden dafür über einen Zeitraum von 4 Wochen mit Hilfe eines Fragebogens zu den Gründen ihrer Vorstellung in der pädiatrischen Notaufnahme standardisiert befragt.

Für die Befragung wurde ein bestehendes Instrument aus einer anderen Studie [28] in einem mehrstufigen, interdisziplinären Abstimmungsprozess (unter Einbeziehung von Pädiatern, Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern sowie Epidemiologen) auf den spezifischen Befragungskontext angepasst. Zur Wahrung der Anonymität wurde auf persönliche Angaben verzichtet, sodass keine Rückschlüsse auf einzelne Patienten möglich waren. Um der zunehmenden Anzahl nicht deutschsprachiger Eltern und Patienten gerecht zu werden, wurde das entwickelte Befragungsinstrument von Muttersprachlern aus dem eigenen Haus in 5 Sprachen übersetzt (Englisch, Serbisch-Kroatisch, Russisch, Türkisch und Farsi) und zur psychometrischen Validierung rückübersetzt.

Der Fragebogen wurde mit einem Informationsblatt im Rahmen der administrativen Aufnahme nach der Triagierung ausgehändigt und während der Wartezeit (d. h. vor der eigentlichen Behandlung durch einen Arzt) von den Probanden ausgefüllt. Das Informations- bzw. Erläuterungsblatt der Studie umfasste Angaben zum Befragungshintergrund, zu Datenschutz- und Genderaspekten sowie eine postalische, elektronische und telefonische Kontaktmöglichkeit für Rückfragen. Es wurden sowohl Patienten/Angehörige berücksichtigt, die per Krankentransport oder Notfallrettung eingeliefert worden waren, als auch Patienten/Angehörige, die eigenständig die pädiatrische Notaufnahme aufgesucht hatten. Zur Eingrenzung der Patientengruppe mit nichtdringlichem Behandlungsbedarf wurde das in der Notaufnahme etablierte „Manchester triage system“ (MTS) angewendet, mit Hilfe dessen Pflegende die Behandlungsdringlichkeit anhand von Beschwerdebildern und Vitalfunktionen zuordnen können [20, 31]. Das MTS umfasst 5 Stufen, denen maximale Systemzielzeiten bis zum Arztkontakt zugeordnet sind:

  • Rot (1): höchst dringlich, sofortige Arztvorstellung,

  • Orange (2): sehr dringlich, maximale Wartezeit 10 min,

  • Gelb (3): dringlich, maximale Wartezeit 60 min,

  • Grün (4): Standard, maximale Wartezeit 120 min,

  • Blau (5): nicht dringlich, maximale Wartezeit 240 min [16].

In einem ersten Schritt wurden Patienten mit MTS-Kategorie 1 von der Befragung ausgeschlossen, da diese definitionsgemäß höchstdringliche Notfälle sind und ohne Wartezeit (und ohne Möglichkeit zum Ausfüllen des Fragebogens) sofort dem behandelnden Arzt vorgestellt werden (müssen). Bei der verbliebenen Patientengruppe wurde in einem zweiten Schritt die Sprachfähigkeit des Angehörigen bzw. Patienten geprüft und auf eine Ausgabe des Fragebogens verzichtet, wenn eine Verständigung über die deutsche oder eine der 5 fremdsprachlichen Versionen nicht möglich war. Die subjektive Behandlungsdringlichkeit wurde durch die Parameter „empfundene Schmerzen“ und „bestehende Dauer der Beschwerden“ erfasst. Die allgemeine Volatilität des Patientenaufkommens in der Notaufnahme führte schließlich dazu, dass in Zeiten mit besonders hohem Besucheraufkommen auf die Ausgabe des Fragebogens zugunsten der schnelleren administrativen Aufnahme verzichtet wurde. Um zu überprüfen, ob sich die befragte Gruppe (Stichprobe) von der Gesamtheit der im betrachteten Zeitraum behandelten Patienten (n = 2288) unterscheidet, wurde die Altersverteilung beider Kollektive mithilfe eines χ2-Anpassungstests verglichen. Im Ergebnis zeigte sich, dass sich die befragte Gruppe von der Gesamtheit nicht signifikant unterscheidet (p = 0,387).

Postleitzahl, Fachdisziplin (Pädiatrie und Kinderchirurgie) sowie die Triagekategorie wurden vor Ausgabe der Fragebögen an die Probanden (wenn möglich durch die Pflegekräfte) auf dem Bogen dokumentiert; ausgefüllte Fragebögen konnten über einen Briefkasten an der administrativen Aufnahme zurückgegeben werden. Für die Datenauswertung wurden kategoriale Fragen deskriptiv-statistisch mit Hilfe von IBM SPSS (Version 24; Armonk, NY, USA)) verarbeitet und handschriftliche Freitextkommentare in eine Datenbank transkribiert und kategorisiert.

Ergebnisse

Insgesamt verzeichnete die pädiatrische Notaufnahme im 4‑wöchigen Betrachtungszeitraum 1881 Patientenkontakte (bzw. Patientenbesuche mit Eltern oder Angehörigen) in den MTS-Kategorien 2–5, von denen 810 mit den verschiedenen Sprachversionen des Fragebogens befragt werden konnten. Dies entspricht – bezogen auf die Grundgesamtheit – einer Stichprobengröße von 43 % für die hier vorgestellte Untersuchung. Gut 2/3 der beantworteten Fragebögen wurden der konservativen Behandlungseinheit der Notaufnahme zugeordnet, die übrigen Fälle kinderchirurgisch versorgt. Über 90 % der Kinder wurden von einem Elternteil, d. h. von der Mutter (67,1 %) oder dem Vater (24,3 %), in der Notaufnahme vorgestellt; die übrigen Kinder wurden von nahen Verwandten und Betreuern (z. B. Lehrer, Erzieher) in die Notaufnahme gebracht oder stellten sich dort selbst vor. Ausgewertet wurden Fragebögen, bei denen mindestens eine Frage beantwortet worden war. Dies führte in der Konsequenz zu unterschiedlichen Rückläufen je Frage.

Medizinische und subjektive Dringlichkeit

Die Klassifikation und Priorisierung der medizinischen Behandlungsdringlichkeit von Kindern in der pädiatrischen Notaufnahme erfolgt nach MTS (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Manchester Triage Verteilung der untersuchten Stichprobe (n = 810)

Über die Hälfte der vorgestellten Kinder hatten mit blauer oder grüner MTS-Klassifizierung normalen Behandlungsbedarf und sind keine klassischen Notfallpatienten mit hoher Behandlungsdringlichkeit. Einen dringenden Behandlungsbedarf (gelb) wiesen 24,8 % der Kinder auf; 3,8 % sogar einen sehr dringenden Behandlungsbedarf (orange). Bei gut 18 % der Probanden wurde die Triagekategorie im Rahmen der Fragebogenausgabe nicht vermerkt.

Im Befragungszeitraum ambulant behandelt wurden 85,1 % aller Patienten; 14,9 % aller vorgestellten Kinder wurden in Folge der Erstbehandlung in der Notaufnahme stationär im Haus zur weiteren Behandlung aufgenommen. Über die Hälfte der befragten Eltern bzw. Patienten (57,2 %) gaben an, dass die gesundheitlichen Beschwerden, die sie zum Aufsuchen der Notaufnahme bewegt hatten, weniger als 24 h bestanden hatten. Bei 17,4 % der Patienten lagen die Beschwerden bereits seit bis zu 2 Tagen vor, noch 13,9 % der Befragten gaben an, dass die körperlichen Beschwerden sogar länger als 2 und bis zu 7 Tagen bestanden hatten. Länger als 1 Woche oder gar länger als 1 Monat hatten Beschwerden immerhin noch bei 7,2 % bzw. 4,3 % der befragten Besucher bestanden. Schmerzen auf einer nummerischen Analogskala von 0–10 dokumentierten 645 von 810 befragten Eltern bzw. Patienten (79,9 %), wobei 17,8 % der Befragten die eigenen Schmerzen oder die ihrer Kinder als stark beurteilten (Ausprägungen von 8–10).

Geografische Einzugsweite der Notaufnahme

Anhand der bei 729 von 810 Probanden erfassten Postleitzahlen (PLZ) konnte eine durchschnittliche geografische Distanz zwischen Wohnort und der pädiatrischen Notaufnahme berechnet werden, die das Einzugsgebiet widerspiegelt. Über die Hälfte der Eltern bzw. Kinder (55,7 %) besuchten die Einrichtung aus einem Einzugsradius von maximal 5 km Entfernung. Gleichzeitig gaben 35,3 % der Befragten an, die Notaufnahme aufgrund der örtlichen Nähe (zum Wohnort) aufgesucht zu haben. Ein knappes Viertel (24,8 %) der Besucher reiste bereits aus bis zu 10 km Entfernung zur Notaufnahme an.

Eine Analyse der PLZ zeigt, dass die untersuchte Notaufnahme schwerpunktmäßig von Eltern und Patienten aus dem Nordwesten Berlins besucht wird (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Geografische Herkunft der befragten Probanden/Distanz zur untersuchten pädiatrischen Notaufnahme (n = 729)

Neben der untersuchten Notaufnahme sind in Abb. 2 zusätzlich kinderärztliche Erste-Hilfe-Stellen in Kooperationskrankenhäusern der KV (Kassenärztliche Vereinigung) sowie eine von der KV organisierte Erste-Hilfe-Stelle verzeichnet (Kreuze). Dunkle Flächen markieren die besucherstarken PLZ-Bereiche, hellere Flächen PLZ-Bereiche, aus denen weniger Patienten innerhalb des Befragungszeitraums zur untersuchten Notaufnahme anreisten.

Vorkontakt mit ambulanten Versorgungsstrukturen

Vor dem Besuch der pädiatrischen Notaufnahme hatten 49,6 % (339/684) der befragten Besucher versucht, einen niedergelassenen Hausarzt oder Kinderarzt zu kontaktieren. Dabei gaben 20,2 % der Befragten an, vom Arzt direkt in die Notaufnahme verwiesen worden zu sein, bei 22,7 % der Befragten blieb der Kontaktversuch mit dem niedergelassenen Arzt aufgrund geschlossener Praxen (Urlaub oder keine Sprechzeiten) erfolglos. Dies antizipierten bereits 10,4 % der Befragten, die angaben, den Hausarzt aufgrund vermutlich nicht kurzfristig verfügbarer Termine gar nicht erst kontaktiert zu haben. Das Auftreten der Notfallsituation außerhalb von Sprechzeiten des niedergelassenen Arztes (z. B. an Wochenenden) oder die subjektiv gefühlt hohe medizinische Dringlichkeit waren weitere explizit genannte Gründe, den Hausarzt oder Kinderarzt vor dem Besuch in der Notaufnahme nicht zu kontaktieren. Eine Übersicht zu den Kontakt- bzw. Nichtkontaktgründen zeigt Abb. 3.

Abb. 3
figure 3

Antworten auf die Frage „Haben Sie zuvor einen niedergelassenen Arzt (Hausarzt/Kinderarzt) wegen Ihrer Beschwerden/wegen der Beschwerden Ihres Kindes kontaktiert?“ (n = 684)

Der Fragebogen wurde von 46,2 % der Probanden an Tagen und zu Zeiten ausgefüllt, in denen Haus- und Kinderärzte typischerweise Sprechstunden anbieten (Montag bis Freitag von 8–19 Uhr exklusive Mittwochnachmittag).

Kenntnis alternativer Versorgungsstrukturen

Insbesondere außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten der niedergelassenen Ärzte sind bei Eltern Kenntnisse alternativer Versorgungsstrukturen erforderlich, um die eingangs geschilderten Herausforderungen des „crowding“ mit Nichtnotfallpatienten in der Notaufnahme zu reduzieren. Nur gut 1/3 der Probanden kennt alternative Versorgungsangebote, wobei lokale Notfalleinrichtungen deutlich bekannter sind als der bundesweite telefonische Notdienst/Bereitschaftsdienst der KV, den nur 7,4 % der Befragten kennen (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Kenntnis alternativer Versorgungsstrukturen (n = 810)

Von den Eltern, die den telefonischen KV-Notdienst kennen und auch tatsächlich angerufen hatten, wurden 73 % direkt und ohne Untersuchung, die übrigen 27 % erst nach körperlicher Untersuchung durch den KV-Notdienst in die Kindernotaufnahme verwiesen. Offensichtlich hatten jedoch viele Eltern trotz Kenntnis des telefonischen Bereitschaftsdienstes diesen nicht angerufen. Die Beweggründe hierfür wurden als offene Frage erhoben und umfassen u. a.:

  • Bequemlichkeitsmotive („Weil ich neben dem Krankenhaus wohne“),

  • Vorerfahrungen („Uns wurde bereits mehrfach gesagt, dass dort keine Kinderärzte tätig seien“; „Schlechte Erfahrung, Person am anderen Ende schien nicht qualifiziert, außerdem erschien uns eine Ferndiagnose nicht sinnvoll“; „Sind unhöflich und sagen man soll in die Erste Hilfe fahren“; „Damals einmal angerufen als er ein kleines Baby war, da hieß es, wegen so was bitte in die Rettungsstelle fahren“),

  • fehlende Diagnosemöglichkeiten („Kind ist gestürzt mit Verdacht auf Gehirnerschütterung, die Untersuchungsmöglichkeiten bei Ihnen sind größer“; „Weil dieser [KV-Notdienst] kein Sono und keine Blutuntersuchung machen kann“; „Weil im Krankenhaus mehr Möglichkeiten bestehen“) bis hin zu,

  • lange Wartezeiten („Es geht schneller in der Rettungsstelle als auf einen KV-Notdienst zu warten“; „Weil der KV-Arzt meistens mindestens drei Stunden braucht, um zu kommen, und im Krankenhaus sind wir besser aufgehoben“).

Spezifische Besuchsbeweggründe

Obwohl gut 1/3 der befragten Probanden alternative Versorgungsstrukturen kannte, erfolgte die bewusste Entscheidung zum Aufsuchen der hier untersuchten pädiatrischen Notaufnahme (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Antworten auf die Frage „Was hat Sie bewogen, gerade unsere Kinderrettungsstelle aufzusuchen?“ (n = 504)

Über 1/3 der Eltern bzw. Begleitpersonen suchte die Notaufnahme aufgrund der räumlichen Nähe auf; dies deckt sich mit den eingangs analysierten PLZ-Einzugsgebieten. Weitere 32 % der Befragten besuchten die Notaufnahme aufgrund guter vorheriger Vorerfahrungen. Auch gaben kumuliert 49 % der Befragten auf die Frage „Sind Sie in den letzten 12 Monaten mit ihrem Kind bereits in einer (Kinder‑)Rettungsstelle gewesen?“ (n = 732) an, eine solche einmal oder sogar mehrmals im vergangenen Jahr aufgesucht zu haben. Da die untersuchte Notaufnahme einer hochspezialisierten pädiatrischen Maximalversorgungsstruktur (mit zahlreichen Fachambulanzen, sozialpädagogischem Zentrum usw.) angehört, nutzten sie etwa 10 % der Probanden als schnellen Zugangsweg zur weiteren Dauerbehandlung. Hierbei handelt es sich vermutlich vornehmlich um chronisch kranke Kinder mit berechtigter Vorstellung in einem Haus der Maximalversorgung.

Diskussion

Individuelle Präferenzen

Eltern suchen eine Notaufnahme häufig aufgrund von Verunsicherung und Besorgnis auf [13]. Die Angst, dass eine vermutlich schwerwiegende Erkrankung oder Beschwerde des eigenen Kindes vorliegen könnte, führt naturgemäß zum Aufsuchen einer geografisch nahen, immer besetzten und zudem medizinisch gut ausgestatteten Behandlungseinrichtung. Dies deckt sich mit anderen Untersuchungen, die z. B. die subjektive Notfalleinschätzung/Behandlungsdringlichkeit von erwachsenen Patienten [26, 27] und die hohe medizinische Qualität und Verfügbarkeit des Leistungsangebots als Besuchsmotive identifizieren konnten. Erkennbar sind hier bequemlichkeitsorientierte Präferenzmuster, die in einer anderen Studie [23] treffend mit den Anglizismen „doc to go“, „high-tech statt Hausarzt“ und „all inclusive“ umschrieben werden und nicht zwangsläufig mit dem objektiven (Nicht‑)Dringlichkeitsgrad der wahrgenommenen Beschwerden übereinstimmen. Da fast die Hälfte der Eltern (49 %) bereits zum zweiten Mal binnen 12 Monaten in einer Notaufnahme vorstellig wurde, wird die hier untersuchte Notaufnahme vermutlich von einigen Patienten als bequemer Hausarztersatz verstanden und genutzt.

Fehlende Verfügbarkeit/Erreichbarkeit ambulanter Versorgungsmöglichkeiten

Diese Präferenzen bzw. Anspruchshaltungen treffen auf eine lokal suboptimal ausgestaltete niedergelassene Versorgungsstruktur, trotz eines nominellen ambulanten pädiatrischen Versorgungsgrads von 147,9 % aus Sicht der KV [12]: Fast 1/4 aller Befragten konnte den niedergelassenen Arzt aufgrund geschlossener Praxen nicht erreichen. Dies deckt sich mit Erkenntnissen anderer Untersuchungen zu erwachsenen Patienten, die nichtgeöffnete (Hausarzt‑)Praxen als manifeste Barriere für die Nutzung niedergelassener Versorgungsstrukturen erkannten [3, 8, 21]. Zwar erklären Nachtzeiten und Wochenenden mit ohnehin reduzierter Versorgungskapazität dies partiell, viele der in diesen Zeiten in der Notaufnahme vorstelligen Kinder bedürfen jedoch keiner Notfallversorgung in einem Krankenhaus der Maximalversorgung und verstärken so möglicherweise den eingangs erläuterten Effekt des „crowding“. Verglichen mit der Ersteinschätzung vor Ort und der nach der Behandlung resultierenden stationären Aufnahmequote von lediglich 14,9 % scheinen die niedergelassenen Haus- bzw. Kinderärzte ihrer Lotsenfunktion im Gesundheitswesen nur bedingt gerecht zu werden. Ebenfalls könnte eine möglicherweise nicht stringent genug umgesetzte Vertretungspflicht in den Praxen mitursächlich für die fehlende Erreichbarkeit niedergelassener (Kinder‑)Ärzte sein.

Fehlende Kenntnis alternativer Notfallversorgungsstrukturen

Unabhängig von der tatsächlichen Behandlungsnotwendigkeit in einer Notfallversorgungseinrichtung sind die etablierten Versorgungsstrukturen des ambulanten, kassenärztlichen Versorgungsbereichs wenig bekannt; auch lokale, vertraglich gesteuerte KV-Kooperationseinrichtungen sind den meisten Eltern nicht geläufig. Dies könnte – in Kombination mit den teils frustranen Kontaktversuchen zum niedergelassenen Arzt – mitverantwortlich für eine erhöhte Vorstellung nichtkritischer Patienten in der Notaufnahme sein.

Limitationen

Trotz Ergebnisanalogie zu anderen Untersuchungen ist die durchgeführte Studie mit Limitationen verbunden und in ihrer Aussagekraft nicht zwingend generalisierbar. Die gravierendste Einschränkung liegt im Befragungsszenario der Studie begründet: Mit wenigen Ausnahmen wurden nicht die minderjährigen Patienten selbst, sondern deren Begleiter befragt, was zu einem Informationsbias (insbesondere in Bezug auf subjektive Parameter wie empfundene Schmerzen und Dauer der Beschwerden) führen kann. Insgesamt beantworteten 43 % der Besucher den Fragebogen im Untersuchungszeitraum; Patienten mit sofortigem bzw. sehr dringendem Behandlungsbedarf waren a priori von der Studie ausgeschlossen. Die Antworten der nicht teilnehmenden Patienten/Angehörigen hätten mitunter anders ausfallen können, was die Gefahr eines Selektionsbias in sich trägt. Auch das spezifische, nominell überversorgte pädiatrische Versorgungsnetz in einem großstädtischen Ballungszentrum ist nicht repräsentativ für die deutsche Gesundheitsversorgungslandschaft; in regionalen (z. B. ländlichen) Gebieten mit Krankenhäusern anderer Versorgungsstufen könnten die Präferenzen und Motivationen von Eltern bzw. Patienten unterschiedlich ausgeprägt sein. Auch die Wahl anderer Befragungszeiträume könnte zu divergenten Ergebnissen führen. Schlussendlich führt der Einschluss von via Rettungswagen eingelieferten Patienten (in den MTS-Kategorien orange bis blau) zu einem leichten Vergleichsbias in Bezug zu anderen Studien, die Rettungsdienstpatienten a priori ausgeschlossen hatten. Dieser Bias umfasst aber maximal das Teilkollektiv orange triagierter Patienten (n = 31; 3,8 % aller befragten Probanden).

Fazit für die Praxis

Im Ergebnis zeigt die durchgeführte Studie zur Inanspruchnahme einer pädiatrischen Notaufnahme trotz unterschiedlicher Methodik und der damit verbundenen beschränkten Vergleichbarkeit Ergebnisparallelen zu anderen Studien im Erwachsenenkontext [21, 23, 28]:

  • Die beobachtete unangebrachte Inanspruchnahme, teils aufgrund eigener, nutzenoptimierender Präferenzen, wird durch die restriktionsfreie Arztwahl begünstigt und nicht durch entsprechend effektive Steuerungsmechanismen ambulanter Notfalleinrichtungen durch die KV verringert.

  • Weder die personelle noch die finanzielle Ausstattung der untersuchten pädiatrischen Notaufnahme sind auf die zunehmenden, nichtdringlichen Patientenströme adäquat vorbereitet; Erwartungshaltungen von Eltern und Patienten (z. B. in Bezug auf Wartezeiten in der Notaufnahme) werden so in zunehmendem Maße enttäuscht.

  • Einerseits bedarf es deshalb einer konsequenteren Wahrnehmung des Versorgungsauftrags niedergelassener (Kinder‑)Ärzte, andererseits neuer und adäquater (Notfall‑)Versorgungsstrukturen und Steuerungsmöglichkeiten für solche Patienten, die absehbar keiner stationären Weiterbehandlung im Krankenhaus bedürfen.

  • Die derzeit in Deutschland intensiv diskutierten und teilweise bereits eingeführten Instrumente wie z. B. die Eröffnung von Portalpraxen in Krankenhäusern [6] oder der Aufbau integrierter Leitstellen/Notfallzentren [22], weisen in die richtige Richtung. Kürzlich vorgelegte Modelle des Sachverständigenrates für Gesundheit, des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen und der Allgemeinen Ortskrankenkassen zur verbesserten Zusammenarbeit von niedergelassenen Ärzten und Klinikärzten im Rahmen der ambulanten Notfallversorgung unterscheiden sich insbesondere durch den unterschiedlich aufgefassten Sicherstellungsauftrag.

  • Das für das Frühjahr 2018 vom Sachverständigenrat angekündigte Gutachten zur Notfallversorgung [5] wird die kontrovers geführte Debatte sicherlich weiter fokussieren und hoffentlich dazu führen, dass die starren Sektorengrenzen zum Wohle patientenorientierter Notfallversorgungsstrukturen aufgebrochen und neu sortiert werden [7].