Liebe Leserinnen und Leser,

wenn wir uns heute über die Qualität in der Notfallmedizin unterhalten, müssen wir erst einmal definieren, was wir unter „Notfallmedizin“ genau verstehen. Hört die Notfallmedizin mit Erreichen der Zielklinik auf, ist der Weg vom Notfallort bis zur Klinik, sozusagen „door-to-door“ das erreichbare Ziel für die in der Notfallmedizin Tätigen?

Halten wir uns vor Augen, dass – vom interdisziplinären Ansatz her – überhaupt nur die Hälfte aller Krankenhäuser in Deutschland eine Notaufnahme hat. Nehmen wir hinzu, dass der Rettungsdienst nicht synonym zu verwenden ist mit der präklinischen Notfallmedizin, auch wenn dies häufig gleichgesetzt wird. Die präklinische Notfallmedizin befasst sich mit den medizinischen Aspekten Erstdiagnose, Primärbehandlung, in den meisten Notfällen Herstellung derTransportfähigkeit, Transport, in jüngster Zeit ergänzt durch akut indizierte Verlegungen von Notfallpatienten.

Der Rettungsdienst dagegen geht primär von einem logistischen Ansatz aus: Was benötige ich zur Versorgung des Notfallpatienten? Hierbei sind die Qualifikation des Personals, Ausstattung der Rettungsmittel nach DIN-Vorschrift, Standortwahl etc. zu berücksichtigen; hinzu kommt die medizinische Tätigkeit im Rettungsdienst, d. h. die Versorgung des Notfallpatienten. Dementsprechend ist auf der Basis eines Qualitätsmanagements in der Notfallmedizin Qualität als Treffsicherheit der Erstdiagnose vom Ansatz der Logistik im Rettungsdienstes als Alarmierungs-/Eintreffzeit zu unterscheiden.

Selbstverständlich ergänzen sich beide Bereiche. Sie sind auch nicht wirklich voneinander zu trennen, stellen vielmehr wichtige Entitäten im Hinblick auf die Behandlungsqualität dar. Nicht zuletzt ist das die Patienten notfallmedizinisch versorgende Personal Teil des Rettungsdienstes. Andererseits fragt man sich natürlich, ist ein Prozess wirklich ein Kreislauf nach Deming („plan – do – check – act“ [2]), und übertragen dann

  • P: Standortwahl,

  • D: Ausrücken des Rettungsdienstfahrzeugs,

  • C: Versorgung vor Ort und Transport in die Klinik,

  • A: Rückkehr zum Standort und Wiederherstellen der Einsatzbereitschaft,

oder ist es mehr?

Zur Frage, wo denn die Notfallmedizin „aufhört“, gib es mittlerweile klare Festlegungen: Natürlich nicht an der Tür zur Klinik, d. h. mit Eintreffen in der Notaufnahme bzw. mit Übernahme des Patienten. Allein die Festlegung dieses Zeitpunkts ist zwar rechtlich verbindlich geregelt (in Form der Übergabe des Patienten), in der Praxis aber doch etwas anders. Personalverknappung und Zunahme der Anzahl an Notfallpatienten überschwemmen zu bestimmten Zeiten manche Notaufnahmen regelrecht. Die Konsequenz ist dann, dass sich die Notaufnahme bzw. das Krankenhaus „bei der Leitstelle abmeldet“. Wo fährt der Rettungsdienst den Patienten dann hin? Die Hilferufe der Leitstellen mehren sich, dass zu bestimmten Zeiten Patienten mit intensivmedizinischem Behandlungsbedarf oder mit bestimmten Krankheitsbildern (jüngstes Stichwort: EHEC) nicht aufgenommen werden können. In den Leitstellen werden Dokumentationslisten geführt, und bis zu einem Dutzend Anrufe in verschiedenen Krankenhäusern zwecks Nachfrage einer Behandlungsoption sind mittlerweile keine Einzelfälle mehr.

Die Notaufnahmen selbst werden mittlerweile interdisziplinär besetzt: Unabhängig vom Leiter und dessen spezifischem Fachgebiet sind immer mehrere Disziplinen direkt vertreten oder kurzfristig konsultierbar, da im Hause anwesend und in der Routineversorgung eingebunden – zumindest in der Kernarbeitszeit in größeren Krankenhäusern. Der Behandlungspfad für Patienten wird dementsprechend mehr und mehr für die häufigsten Krankheitsbilder innerklinisch anhand von Algorithmen oder Checklisten vordefiniert: Der Patient mit akutem Brustschmerz benötigt ein 12-Kanal-EKG (falls noch nicht präklinisch angefertigt), der polytraumatisierte Patient eine Mehrschicht-Computertomographie, der Patient mit Verdacht auf Schlaganfall ein Schädel-CT nativ. Derartige Behandlungsoptionen sind in den großen Notfallzentren „Standard“, gleichwohl zeigt sich, dass der zeitliche Ablauf mit Erkennen der Dringlichkeit der Behandlung (Triage), Festlegung der erforderlichen Diagnostik/Therapie, Terminierung z. B. bildgebender Verfahren anhand Verfügbarkeit und Befundung, aus der die definitive therapeutische Konsequenz gezogen wird, logistisch eine Herausforderung darstellt.

Beide Strömungen – Probleme der Zuweisung einer geeigneten und aufnahmebereiten Klinik; zeitsensitiver Behandlungsablauf nach Klinikaufnahme – führen dazu, dass wir die im Eckpunktepapier zur notfallmedizinischen Versorgung der Bevölkerung in Klinik und Präklinik [2] definierten Zeitintervalle entweder neu definieren müssten – was wir aber medizinisch nicht sollten und politisch-organisatorisch auch nicht wollen –, oder die Begrifflichkeiten überdenken müssen: Der im Rahmen der interventionellen Kardiologie eingeführte Begriff der „door-to-needle-time“ sollte in der modernen, Präklinik und Notaufnahme integrierenden Konzeption der Notfallmedizin generell seinen festen Platz haben. Allerdings sollte mit „door“die Haustür des Patienten gemeint sein...

Die „contact-to-needle-time“ sollte einen festen Platz in der Notfallmedizin haben

Defizite an der Schnittstelle zur Zielklinik sind aus Sicht des Rettungsdienstes die Zeitverzögerung bei der Übernahme des Patienten, insbesondere auch bei der Fortführung präklinisch begonnener Therapiekonzepte, die fehlende fächerübergreifende Notaufnahme, die bereits präklinisch die häufig gar nicht zu leistende Zuordnung eines Patienten zu einem bestimmten Fachgebiet erzwingt, und die Tatsache, dass Verlaufs- und Erfolgskontrollen für den Rettungsdienst häufig mit der Übergabe des Patienten enden. So zitiert aus den 9. Leinsweiler Gesprächen im Jahre 2004 [4]. Sieben Jahre später könnte man geneigt sein, erneut zu titeln: „Defizite in der Notfallversorgung – gute Konzepte schlecht umgesetzt?“

So erlangt die in der Traumatologie seit den 1960er Jahren zitierte „golden hour“ eine zentrale Bedeutung: Das Kardinalproblem liegt heute am Ende der Rettungskette, in den Krankenhäusern aller Versorgungsstufen [3]. Enorme Herausforderungen werden an das deutsche Gesundheitswesen und insbesondere an die notfall- bzw. akutmedizinische Versorgung – als die zeitkritische Versorgungsstufe – gestellt.

Was sind die Kernaufgaben in der Notaufnahme? Hierzu zählen:

  • Triage

  • ABCDE-Stabilisation

  • Erstdiagnose

  • Akutbehandlung

  • Entlassungs-/Verlegungsplanung

Transfers der Patienten zur weiterführenden Diagnostik, innerklinisch aber auch als Weiterverlegung außer Haus, müssen sinnvoll koordiniert und immer mit Blick auf die Effizienz gewählt und in der Rückschau im Hinblick auf ein Optimierungspotenzial aufgearbeitet werden. Welche Qualitätskriterien sind hier anzulegen?

Deming schrieb in seinem Buch „Out of the crisis“ [3]:

This book teaches the transformation that is required for survival, a transformation that can only be accomplished by man. A company can not buy its way into quality – it must be led into quality by top management.

Dieses im Jahr 1982 erstmals erschienene Werk sprach, wie Sie, liebe Leserinnen und Leser, natürlich wissen, nicht das Gesundheitswesen an, sondern die amerikanische Automobilindustrie. Gleichwohl sind durchaus eine Reihe von Parallelen zu sehen – über die Tatsache hinaus, dass der von Deming beschriebene PDCA-Zyklus bis heute die Grundlage der Lehrmaterialien für Qualitätsmanagement, auch im Gesundheitswesen, darstellt.

Die präklinische Notfallmedizin steht ebenso vor Herausforderungen wie die Organisation und medizinische Versorgung in der Notaufnahme. Beide Bereiche sollten „verlinkt“ werden und hinsichtlich des Beginns und der Weiterführung der Therapie durchlässig werden. Dies wird derzeit noch u.a. durch gesetzliche Vorgaben (Datenschutz) eingeschränkt, wenngleich der weiterbehandelnde Arzt über die zuvor durchgeführte Therapie – und vice versa – durchaus berechtigt ist, Informationen zu seinem Patienten zu erhalten.

Die Herausforderung besteht eher in der Schaffung einer logistischen Grundlage, wie Notfallpatienten schnell und zuverlässig zu einer definitiven Behandlung gelangen.

H.-R. Arntz

U. Kreimeier