Zusammenfassung
Die Patellarsehnenruptur ist eine seltene Verletzung. Sie betrifft überwiegend Patienten unter 40 Jahren. Wird sie übersehen oder fehldiagnostiziert, geht dies u. U. mit weitreichenden Folgen für den Betroffenen einher. Die Klinik der Patellarsehnenruptur zeigt eine gut zu erfassenden Trias: Einschränkung der aktiven Kniestreckung, Patellahochstand und palpable Delle. Da oft ein zumindest partiell knöcherner Ausriss der Sehne vorliegt, klagen die Patienten meist über starke Schmerzen. Eine vollständige Ruptur der Patellarsehne muss immer operativ versorgt werden. Kontraindikationen sind ausgedehnte Begleitverletzungen und vitale Bedrohung des Patienten, in diesen Fällen wird der Eingriff auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Um Komplikationen zu vermeiden, sind eine frühzeitige Mobilisierung und Beübung des Patienten erforderlich. Bei korrekter Diagnose und Therapie werden überwiegend gute bis sehr gute Ergebnisse erzielt.
Abstract
Rupture of the patellar tendon is a rare injury which in most cases affects patients older than 40 years. If a rupture is overlooked or a false diagnosis is made there can be far-reaching consequences for the affected patient. Clinically, rupture of the patellar tendon shows an easily recognizable triad of limitation of active knee extension, elevated patella and a palpable depression. Because at least a partial osseus avulsion of the tendon is mostly present, patients often complain of severe pain. Complete rupture of the patellar tendon must always be treated surgically. Contraindications are extensive accompanying injuries and a life-threatening condition of the patient. In order to avoid complications early mobilization and exercise of the patient are necessary. If the diagnosis and therapy are correct good to very good results can mostly be achieved.
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Hintergrund
Epidemiologie
Die Patellarsehnenruptur ist eine seltene Verletzung, die jedoch die volle Aufmerksamkeit und Konzentration des Operateurs erfordert. Der Anteil an Läsionen der Patellarsehne bei Verletzungen des Kniestreckapparates wird mit 3–6% angegeben [22].
Eine Fehldiagnose oder ein Übersehen der Verletzung können weitreichende Folgen für den Verletzten haben. Leider wird die Häufigkeit einer Fehldiagnose in der Literatur mit bis zu 21% angegeben [21].
Auch eine fehlerhafte oder eine inkorrekte Versorgung können zu dauerhaften Schädigungen einerseits oder Rerupturen andererseits führen. Die optimale Versorgung der Patienten ist auch mit Blick auf die überwiegend Betroffenen entscheidend, da es sich im Wesentlichen um jüngere Patienten handelt, die im Alltag und in der Freizeit ein hohes Maß an Mobilität und Aktivität erwarten. Nach Wirth et al. [22] sind 80% der Patienten jünger als 40 Jahre.
Datenlage
Betrachtet man die Literatur der vergangenen Jahre, fällt auf, dass es keine prospektiven, randomisierten Studien über die Versorgung der Patellarsehnenruptur gibt. Die wenigen vorliegenden Studien von Rudig et al. [20], Kasten et al. [7] oder Ramseier et al. [19] sowie unsere eigenen Daten [9] umfassen nur geringe Fallzahlen und wurden ausschließlich retrospektiv erhoben. Hinzu kommen diverse Übersichtsarbeiten, u. a. von Dietz et al. [4], Ahrberg u. Josten [1] oder Lobenhoffer u. Thermann [11] sowie Mittlmeier u. Ewert [16], und Einzellfallbeschreibungen, die sich mit verschiedenen Ursachen der Patellarsehnenruptur auseinandersetzen [6, 10, 12, 13, 17, 18].
Insgesamt scheint in der Literatur weitestgehend Einigkeit über die Behandlung zu herrschen, sodass sich die Frage stellt, ob die Patellarsehnenruptur ein vernachlässigtes oder ein gelöstes Problem des unfallchirurgischen und orthopädischen Spektrums darstellt.
Anatomie
Die Patellarsehne ist die Fortsetzung der Quadrizepssehne unterhalb der als Sesambein eingebetteten Patella. Sie fixiert die Patella als zentrales Hypomochlion. Die Fasern der Sehne stammen aus der gemeinsamen Endsehne des M. quadriceps femoris mit seinen 4 Einzelmuskeln M. rectus femoris, M. vastus intermedius, M. vastus lateralis und M. vastus medialis. Die Sehne strahlt in die Patella ein, überkreuzt sie teilweise und verlässt die Kniescheibe am distalen Patellapol, um zur Tuberositas tibiae zu ziehen. Die Mehrzahl der Fasern stammt dabei von der platten Endsehne des M. rectus femoris. Weitere Fasern der Muskeln, v. a. der Mm. vasti medialis et lateralis, liegen seitlich der Patella, ziehen teilweise an ihr vorbei und bilden Anteile des Retinaculum patellae longitudinale mediale et laterale [5].
Die Sehne ist für eine kraftvolle Streckung im Kniegelenk unverzichtbar. Das Längenverhältnis zwischen Patella und Patellarsehne beträgt in der Regel im seitlichen Strahlengang 1:1 (Index nach Insall u. Salvati [7]) [9].
Patellarsehnenruptur
Pathogenese
Die Ruptur selber kann durch indirekte oder direkt einwirkende Kräfte verursacht werden. Dabei scheint der Einfluss degenerativer Veränderungen geringer als bei der Quadrizepssehnenruptur. Dennoch ist auch im Falle der Patellarsehnenruptur davon auszugehen, dass eine nicht vorgeschädigte Sehne nur im seltensten Falle reißt. Vor allem der Übergang vom unteren Patellapol zur Sehne scheint der anatomische Schwachpunkt zu sein, hier findet sich die Mehrzahl der Rupturen im Erwachsenenalter. Oft ist die Sehnenruptur mit einem knöchernen Sehnenausriss kombiniert. Distale Sehnenabrisse nahe der Tuberositas tibiae sind vorwiegend bei Kindern und Jugendlichen zu finden. Intraligamentäre Kontinuitätsunterbrechungen sind meist Folge einer direkten Gewalteinwirkung, insbesondere Schnitt- oder Rissverletzungen [9].
Hinsichtlich der degenerativen Vorschädigungen der Sehne scheinen v. a. systemische Vorerkrankungen eine Rolle zu spielen:
Daneben ist in der Literatur auch eine iatrogene Schwächung der Sehne durch operative Maßnahmen beschrieben. Hierbei stehen die Knieendoprothetik [10] und die Teilentnahme der Sehne als Transplantat [6] im Vordergrund.
Klinik und Diagnostik
Die Klinik der Patellarsehnenruptur zeigt eine gut zu erfassenden Trias, die jedoch nicht immer abschließende Sicherheit bringt und dem unerfahrenen Untersucher in einem nicht zu vernachlässigenden Prozentsatz von bis zu 21% [21] zu einer Fehldiagnose verleiten kann. Es imponieren eine Einschränkung der aktiven Kniestreckung, ein Patellahochstand sowie eine palpable Delle, die meist trotz Hämatombildung gut tastbar ist. Aufgrund des Verlustes, das Bein aktiv und kraftvoll strecken zu können, kommt es zu einer Belastungsunfähigkeit der betroffenen Extremität. Da in vielen Fällen ein zumindest partiell knöcherner Ausriss der Sehne vorliegt, klagen die Patienten meist über starke Schmerzen, anders als dies beispielsweise bei der Achillessehnenruptur der Fall ist.
Die Diagnostik sollte neben der klinischen Untersuchung immer die radiologische Untersuchung des Kniegelenks in 2 Ebenen umfassen, empfohlen wird zudem die Diagnosesicherung mittels Sonographie. Ergänzend kann, v. a. beim Verdacht auf begleitende Kniebinnenschäden, eine MRT-Untersuchung (MRT: Magnetresonanztomogramm) hilfreich sein. Auch das Erfassen von Partialrupturen gelingt am Sichersten mit ihrer Hilfe. Bei der Analyse der radiologischen Diagnostik ist die Erhebung des Insall-Salvati- [7] und des Blackburne-Peel-Index [2] hilfreich [4]. Ein Insall-Salvati-Index >1,2 im Zusammenhang mit der entsprechenden Klinik spricht für eine Ruptur. Beim alternativ verwendeten Blackburne-Peel-Index wird der Abstand des distalsten Gelenk bildenden Anteils der Patella zum Tibiaplateau ins Verhältnis zur Länge der Gelenkfläche der Patella gesetzt. Grundlage ist ein streng seitliches Röntgenbild in 30° Beugung. Ein Index >0,8 ist ein Hinweis auf eine Patellarsehnenruptur (Abb. 1).
Versorgung
Es besteht in der Literatur Einigkeit darüber, dass eine vollständige Ruptur der Patellarsehne immer operativ versorgt werden muss. Eine Kontraindikation hierfür besteht nur bei ausgedehnten Begleitverletzungen und vitaler Bedrohung des Patienten. In diesen Fällen ist jedoch nach entsprechender Stabilisierung des Patienten ebenfalls eine operative Versorgung empfohlen. Weichteildefekte oder andere kompromittierende Weichteilverhältnisse können ebenfalls eine verzögerte operative Versorgung notwendig machen.
Grundlage der operativen Therapie ist seit mehr als 50 Jahren die Technik, die bereits 1947 von McLaughlin [14] und 1956 von McLaughlin u. Francis [15] erstmals beschrieben wurde. In modifizierter Form wird die Naht der Sehne mittels versenkbaren Suturen und zusätzlicher Sicherungsdrahtcerclage heute noch durchgeführt. Bei der intraligamentären Naht der Sehne kommen U-, Einzelknopf- oder Bunnell-Nähte zur Anwendung, wobei sowohl resorbierbares als auch nicht resorbierbares Nahtmaterial verwendet wird. Entscheidend für das Outcome und eine niedrige Rerupturrate ist die Augmentation der Sehnennaht mittels patellotibialer Fixierung. Die Rerupturrate liegt in der Literatur bei ungefähr 6% [22].
Wir bevorzugen bei der Augmentation die rahmenförmige Cerclage nach McLaughlin u. Francis [15], die am Übergang vom mittleren zum unteren Patelladrittel transossär gebohrt wird (Abb. 2). Alternativ wird u. a. seitens der AO (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen) eine achterförmige Drahtcerclage empfohlen, die vom Quadrizepssehnenansatz bis zur Tuberositas tibiae reicht und dort um eine quer verlaufende transossäre Schraube gezogen wird ([19], Abb. 3). Wir setzen diese Technik nicht ein und schließen uns der Meinung einiger Autoren an [4], die in ihr die Gefahr der Kompromittierung der Blutversorgung für die Sehne sehen, ohne dass daraus eine höhere Stabilität resultiert. Zudem kann es durch die Schraubenplatzierung in der Tuberositas tibiae zu Schmerzen kommen.
Eine weitere, sich zunehmend durchsetzende Möglichkeit besteht in der Verwendung einer 2,0-PDS-Kordel (PDS: „polydioxanone suture“) anstelle eines Drahtes. Dies hat den Vorteil, dass diese Naht nicht in einem 2. Eingriff entfernt werden muss. Dem entgegen steht ein im Vergleich zur Drahtcerclage erhöhtes Auftreten von Fremdkörperreaktionen [7]. Des Weiteren ist die Augmentation mittels PDS-Kordel wegen der Elastizität des Materials weniger stabil [4].
Wichtigstes Ziel der operativen Versorgung muss die korrekte Höheneinstellung der Patella sein. Deren oberer Pol sollte sich im seitlichen Strahlengang auf die gedachte Verlängerungslinie der Femurdiaphyse projizieren. Intraoperativ sollte zur besseren Beurteilbarkeit der Höheneinstellung die Drahtschlinge beim 90° gebeugtem Knie fixiert werden (Abb. 4). Gegebenenfalls ist auch intraoperativ eine Röntgenaufnahme der gesunden Gegenseite erforderlich.
Resultieren aus einer fehlerhaften Höheneinstellung eine Patella alta oder Patella baja, drohen im Langzeitverlauf Komplikationen, bei denen die Retropatellararthrose mit Schmerz und Bewegungseinschränkung im Vordergrund steht. Daher stellt eine fehlerhafte Höheneinstellung u. E. einen Grund für eine operative Revision dar.
Bei sekundären Rekonstruktionen oder Rerupturen ist das Ergebnis insgesamt schlechter. Diese Eingriffe erfordern einen deutlichen Mehraufwand und ggf. die Verwendung von allogenen Transplantaten. Dabei kommen die Sehnen des M. gracilis oder des M. semitendinosus zur Anwendung, die intraoperativ abgesetzt, geschwenkt und transossär fixiert werden. In seltenen Fällen werden auch Quadrizeps- oder Achillessehnentransplantate verwendet, die von der kontralateralen Seite entnommen werden [3].
Nachbehandlung
Nachteil sämtlicher genannter Operationsverfahren ist die Notwendigkeit der postoperativen Ruhigstellung in einer Streckorthese bzw. einer Oberschenkeltutorschiene. Die frühfunktionelle Nachbehandlung wird dadurch erschwert. Dennoch sind bereits frühzeitig eine Mobilisierung und Beübung des Patienten erforderlich, um Komplikationen zu vermeiden.
Postoperative Komplikation umfassen typischerweise Hämatome (6% [22]) und oberflächliche Infektionen (5% [22]). Frühe Komplikationen der Ruhigstellung sind Thrombosen/Embolien (5–29%, im Mittel 10% [22]) sowie im weiteren Verlauf Muskelatrophien des Quadrizeps (14–56%, im Mittel 33% [22]) und Weichteilkompromittierung durch die Orthese. Beschrieben wurde zudem eine Flexionseinschränkung des Knies (21–33%, im Mittel 24% [22]). Eine Streckschwäche wurde nur mit einem relativ geringen Prozentsatz von 4% (1–9% [22]) angegeben.
In unserer Klinik wird der Patient in der Orthese in Streckstellung unter Vollbelastung mobilisiert, in den ersten 2 Wochen ist die Flexion auf 30° limitiert, im Anschluss je 2 Wochen auf 60° und abschließend auf 90°, bevor ab der 7. Woche ein Training ohne Schiene erfolgen kann.
Bei Verwendung einer Drahtcerclage ist eine Materialentfernung zwingend erforderlich und sollte nach 12 Wochen durchgeführt werden.
Fazit für die Praxis
Die Patellarsehnenruptur ist insgesamt eine seltene Verletzung. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind jüngere Patienten betroffen, die von einer idealen operativen Versorgung profitieren, da die überwiegenden Ergebnisse als gut bis sehr gut einzuordnen sind. Es besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass eine patellotibiale Augmentation immer erforderlich ist. Dabei hat sich die Technik nach McLaughlin als zuverlässiges Verfahren etabliert und bewährt. Neuere Verfahren mittels PDS-Kordel werden jedoch zunehmend häufiger eingesetzt, da hier die Notwendigkeit eines Zweiteingriffs entfällt. Wesentliches Kriterium der operativen Versorgung ist neben der Augmentation die korrekte Höheneinstellung der Patella.
Der Operateur ist bei der Versorgung einer Patellarsehnenruptur bei jedem Eingriff erneut zur Sorgfalt und Aufmerksamkeit gezwungen, um eine gut bewährte und etablierte Technik korrekt anzuwenden, um ein bestmögliches Ergebnis für den Patienten zu erzielen.
Literatur
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Heinrichs, G., Kiene, J., Hillbricht, S. et al. Patellarsehnenruptur. Trauma Berufskrankh 12 (Suppl 4), 453–456 (2010). https://doi.org/10.1007/s10039-010-1669-9
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