Ein besseres Verständnis der biologischen Frakturheilung und der Rolle der Vaskularität führten in den 1980er Jahren zur Weiterentwicklung der Osteosyntheseplatten zu winkelstabilen Implantaten.

Technologie der Winkelstabilität

Winkelstabilität bedeutet, dass Schrauben über Gewinde fest mit der Osteosyntheseplatte verbunden sind und mechanisch eine eigenstabile Konstruktion im Sinne eines Fixateur interne darstellen. Ein großer Vorteil besteht darin, dass die Platten nicht mehr über Kompressionskräfte auf den Knochen gepresst werden, sondern perfusionsschonend als „no-contact“-System ohne direkte ossäre Auflage stabilisieren. Die winkelstabilen Implantate gewährleisten somit ein der biologischen Situation eher entsprechendes Frakturmanagement, welches als innere extramedulläre Schienung die Frakturregion fixiert, zugleich jedoch Mikrobewegungen zulässt und somit unter Erhalt der Knochenfragmentvitalität die sekundäre Frakturheilung über Kallusbildung ermöglicht [13, 16].

Biomechanische Vorteile winkelstabiler Implantate

In biomechanischen Studien [2, 3, 4] konnten 2 wesentliche Vorteile winkelstabiler Implantate gegenüber konventionellen Platten nachgewiesen werden:

  1. 1.

    eine bessere Kraftverteilung auf alle Schrauben statt einer Konzentration auf eine Schraubenkomponente in konventionellen Plattensystemen und

  2. 2.

    die Konversion von Scherkräften am Implantat in Druckkräfte am Schrauben-Knochen-Interface mit dem Vorteil, dass kortikaler Knochen stabiler gegen Druck- als gegen Scherkräfte ist.

Seide et al. [11] zeigten in einem direkten Vergleich winkelstabiler vs. nichtwinkelstabiler Platten am proximalen Humerus eine um 74% höhere elastische Steifigkeit unter statischer Belastung in der Gruppe der winkelstabilen Implantate. Unter dynamischer Belastung kam es bei den nichtwinkelstabilen Platten zwischen 97.000 und 500.000 Zyklen zum Implantatversagen, während ein solches bei den winkelstabilen Platten bis zum Versuchsende (1 Mio. Zyklen) nicht zu verzeichnen war [11]. Die finale Deformation war bei den nichtwinkstabilen Platten etwa 3-mal so groß wie bei den winkelstabilen Implantaten (1 mm vs. 0,3 mm) [11]. Schlussfolgernd werden winkelstabilen Implantaten am proximalen Humerus aufgrund des optimalen Lasttransfers am Knochen-Implantat-Interface bessere Retentionseigenschaften zugeschrieben [11].

Diese biomechanische Überlegenheit winkelstabiler Platten konnte neben der Anwendung am proximalen Humerus [8] auch für das distale Femur [5], die proximale Tibia [9] und den Kalkaneus [12] nachgewiesen werden. Für distale Radiusfrakturen mit dorsaler Trümmerzone hingegen bestätigte sich ein solcher biomechanischer Vorteil winkelstabiler vs. nichtwinkelstabiler Platten nicht [14].

Klinische Vorteile winkelstabiler Implantate

Klinische prospektiv-randomisierte Studien zum direkten Vergleich der Ergebnisse nach winkelstabiler vs. nichtwinkelstabiler Osteosynthese finden sich in der Literatur nicht. Für proximale Tibia- (C-Frakturen) [7] und distale Radiusextensionsfrakturen [15] existieren Vergleichsstudien von winkelstabilen Platten mit einem nichtwinkelstabilen Alternativimplantat: Die winkelstabile Plattenosteosynthese bei bikondylären Tibiakopffrakturen ergab im Vergleich zu einer externen Fixation signifikant kürzere Frakturkonsolidierungszeiten (5,9 vs. 7,4 Monate) sowie eine verminderte Rate an Frakturheilungsstörungen (7 vs. 40%), Kniesteifigkeiten (4 vs. 13%) und Gesamtkomplikationen (27 vs. 48%) [7].

Bei distalen Radiusextensionsfrakturen des älteren Patienten (>60 Jahre) konnten für A3- und C2-Frakturen keine signifikanten Unterschiede in den subjektiven, funktionellen und radiologischen Resultaten nach volarer winkelstabiler Plattenosteosynthese vs. Kirschner-Draht-Stabilisierung eruiert werden [15]. Ein klarer Vorteil der winkelstabilen Plattenosteosynthese liegt hier jedoch in der gipsfreien frühfunktionellen Nachbehandlung mit schnellerer Reintegration in den Alltag [15].

Aufgrund der aktuellen Studienlage lassen sich die klinischen Vorteile winkelstabiler Platten bisher zwar nicht beweisen, dennoch sind sie jedem Traumatologen aus dem klinischen Alltag bekannt.

Abb. 1
figure 1

72 Jahre alte Patientin, a Unfallbilder – dislozierte distale Radiusfraktur (AO23-C2), b winkelstabile volare Platteosteosynthese.

Abb. 2
figure 2

63 Jahre alte Patientin, a Unfallbilder – dislozierte proximale Tibiafraktur (AO41-C2), b winkelstabile Platteosteosynthese an lateraler Tibia und Fixateur externe als additive mediale Abstützung

Insbesondere bei folgenden Indikationen stellen winkelstabile Plattensysteme heute das Implantat der Wahl dar [3, 4, 6, 17]:

  • Komplexe periartikuläre Frakturen (Abb. 1)

  • Meta- und diaphysäre Mehrfragmentfrakturen (Abb. 2)

  • Anwendung als Brückenplatte („bridging plate“) bei langstreckigen, mehrfragmentären Schaftfrakturen zur elastischen Fixation und sekundären Frakturheilung über Kallusbildung

  • Frakturen des osteoporotischen Knochens

  • Stabilisierung öffnender Osteotomien

  • Periprothetische Frakturen

Wesentliche Vorteile in der Anwendung bestehen in:

  • dem fehlenden Auslockern von Schrauben aus der Platte mit weniger sekundären Dislokationen,

  • einem besseren Handling für den Chirurgen am osteoporotischen Knochen und dem Erreichen von Übungsstabilität,

  • formkonfiguierten anatomischen Spezialplatten (kein Vorbiegen mehr) und

  • der Möglichkeit zur indirekten Reposition und minimalinvasiven perkutanen Anwendung.

Sonderfall – periprothetische Frakturen

Aufgrund der demografischen Entwicklung werden wir im klinischen Alltag künftig zunehmend mit der Herausforderung der Versorgung periprothetischer Frakturen konfrontiert werden. Auch in diesem Sektor sind winkelstabile Implantate unverzichtbar.

Eine prospektive Studie an 22 Patienten mit periprothetischen suprakondylären Femurfrakturen bei liegender Knieendoprothese im medianen Alter von 73 Jahren (50–95 Jahre) zeigte median 15 Monate (6–45 Monate) nach winkelstabiler Plattenosteosynthese [“locking compression plate“ (LCP)] in 86% der Fälle eine problemlose Frakturheilung mit in 91% nahezu anatomischer Stellung. Ihren präoperativen Aktivitätslevel wieder erreicht hatten 88% der Patienten. Insgesamt 3 Pseudarthrosen (2 Infektpseudarthrosen, eine atrophe Pseudarthrose) bei bestehenden Risikofaktoren wie einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus und Body-Mass-Indizes >30 wurden beschrieben [10].

Buttaro et al. [1] beobachteten durchschnittlich 22 Monate nach winkelstabiler Plattenosteosynthese (LCP) bei periprothetischen Frakturen und liegender Hüfttotalendoprothese (Vancouver-B1-Frakturen) keinen eindeutigen Vorteil winkelstabiler Systeme gegenüber herkömmlichen Plattensystemen. Sie berichteten von 3/14 Plattenbrüchen und 3/14 -ausrissen. Neue additive Implantate wie die Locking Attachment Plate® (Synthes, Bettlach, Schweiz) sollen zusätzlich stabilisieren und Plattenausrisse reduzieren.

Nachteile winkelstabiler Implantate

Folgende Schwächen winkelstabiler Plattensysteme sind beschrieben und aus den alltäglichen Erfahrungen im Umgang bekannt [13, 16]:

  • Sekundäre Schraubenperforationen bei „starrem“ Fixateur-interne-Konstrukt z. B. am proximalen Humerus (Abb. 3)

  • Kein „fühlbares Feedback“ über den Halt der Schraube im Knochen

  • Geschlossene Reposition und minimalinvasive Applikation sind z. T. schwierig durchzuführen.

  • Jede Distraktion/Resorption wird beibehalten, somit stellt sich die Frage, ob das Pseudarthroserisiko erhöht ist.

  • Problematische Materialentfernung (kaltverschweißte Schrauben)

  • Höhere Implantatkosten

Die Analyse der klinischen Daten und Komplikationen im Zusammenhang mit winkelstabilen Implantaten lässt 3 Versagensmechanismen erkennen [13]:

  1. 1.

    Verbiegen/Bruch der Platten

  2. 2.

    Implantatausrisse

  3. 3.

    Schraubenbrüche

Diese resultieren nicht selten aus Anwendungsfehlern. Vermeidungsansätze werden v. a. in der Verwendung längerer Platten und dem Belassen längerer Schwingstrecken bei Trümmerfrakturen gesehen. Das Einbringen von mehr peripheren Schrauben soll Implantatausrisse minimieren.

Zur Vermeidung von Schraubenbrüchen, nicht selten infolge von Frakturheilungsstörungen, wird empfohlen, freie Kompressionsschrauben vor Applikation der winkelstabilen Platten einzusetzen. Weiterhin muss auf ein richtiges Verblocken der Schraube im winkelstabilen Plattensystem geachtet werden [13].

Abb. 3
figure 3

96 Jahre alter Mann, a sekundäre Schraubenperforation nach winkelstabiler Plattenosteosynthese einer dislozierten 3-Segment-Fraktur, links postoperative Röntgenkontrolle, rechts Schraubenperforation 2 Monate postoperativ, b links arthroskopisches Bild vor und nach Schraubenentfernung, rechts postoperatives Röntgenbild nach Schraubenentfernung

Fazit für die Praxis

Die Entwicklung winkelstabiler Implantate basierte auf einem besseren Verständnis der biologischen Frakturheilung unter Berücksichtigung der Rolle der Vaskularität. Die biomechanischen Vorteile überwiegen. Hauptindikationsgebiete sind komplexe periartikuläre Frakturen, meta- und diaphysäre Trümmerfrakturen, Frakturen des osteoporotischen Knochens, die Fixation öffnender Osteotomien und periprothetische Frakturen. Die klinische Erfahrung liefert hier klare klinische Vorteile, die jedoch bisher noch nicht durch randomisierte Studien belegt wurden. Ein Implantatversagen resultiert nicht selten aus Anwendungsfehlern.