Die Halswirbelsäule (HWS) ist der beweglichste Abschnitt der Wirbelsäule [15]. Sie ermöglicht dem Menschen ein sehr großes Blickfeld, mit dem er seine Umwelt gut wahrnehmen und mit ihr kommunizieren kann.

Etwa 1/4–1/3 aller Wirbelsäulenverletzungen fallen in den Bereich der HWS, davon betreffen etwa 80% den subaxialen Abschnitt von C3–C7 [7]. Während degenerative Veränderungen der HWS nicht immer zu Beschwerden führen, sind Verletzungen im Bereich derselben schmerzhaft und können lange Verläufe aufweisen, mit entsprechend langen Zeiten der Rehabilitation und des Arbeitsausfalls. Wenn es bei instabilen Verletzungen zu neurologischen Ausfällen kommt, ist aufgrund der Lokalisation wichtiger neurologischer Funktionen im Bereich des Halsmarks häufig mit schweren Beeinträchtigungen, Invalidität und sogar dem Tod zu rechnen. Epidemiologische Studien ergaben eine Rate von etwa 40% neurologischer Läsionen bei osteoligamentären Verletzungen der unteren HWS [6].

Der adäquaten Behandlung der HWS-Verletzungen kommt demnach neben der unmittelbar medizinischen auch eine wesentliche gesamtwirtschaftliche und gesundheitsökonomische Bedeutung zu. Im Folgenden sollen die aktuellen Möglichkeiten der effektiven Therapie von Frakturen und ligamentären Verletzungen der Halswirbelsäule inklusive der hierfür notwendigen Diagnostik dargestellt und erläutert werden.

Ätiologie

Die meisten Verletzungen der HWS kommen über ein indirektes Trauma zustande. Aufgrund der Masse des Kopfs kann die Halsmuskulatur die auftretenden Kräfte bei plötzlicher Abbremsung oder Beschleunigung des Kopfs in Relation zum Thorax nicht mehr kompensieren, sodass knöcherne oder ligamentäre Strukturen die Energie absorbieren und entsprechend deformiert werden. Als weiterer Mechanismus kommt eine axiale Kompression (z. B. ein Schlag auf den Kopf) in Frage. Je nach Geschwindigkeit, Ansatzpunkt und Richtung der einwirkenden Kraft wird die Versagenslast der einzelnen Strukturen überschritten, und es kommt zu typischen Verletzungsmustern. In einer Studie der AG Wirbelsäulenchirurgie der DGU waren Verkehrsunfälle in über der Hälfte der Fälle die Ursache einer Verletzung der HWS, gefolgt von Stürzen aus größerer Höhe. Ein begleitendes Schädel-Hirn-Trauma war in 27,5% der Patienten vorhanden [6].

Direkte Verletzungen der Halswirbelsäule kommen selten vor, da sie von einem dichten Weichteilmantel umgeben ist.

Die meisten heute gebräuchlichen Klassifikationen greifen diesen Zusammenhang zwischen Unfallmechanismus und Verletzungsart auf und leiten dann daraus Empfehlungen für Therapie und Prognose ab.

Klassifikationen

AO-Klassifikation der HWS-Verletzungen

Sie basiert auf der 1994 von Magerl et al. [8] vorgestellten umfassenden Einteilung von Verletzungen der thorakolumbalen Wirbelsäule. Analog zur AO-Klassifikation der Frakturen langer Röhrenknochen ist sie 3-gliedrig mit jeweils 3 Untergruppen und 3 Subgruppen. Eine weitere Unterteilung in Sub-Sub-Gruppen ist in der klinischen Praxis unüblich und eher wissenschaftlichen Zwecken vorbehalten.

Der grundsätzliche Verletzungsmechanismus wird durch den ersten Buchstaben kodiert:

  • A steht für einen Kompressionsmechanismus.

  • B bedeutet einen Distraktionsmechanismus.

  • C steht für einen Rotationsmechanismus.

Die Subgruppen richten sich nach Details der Verletzung, die bildmorphologisch zu erkennen sind. Die Schwere der Verletzung nimmt mit dem Klassifikationsgrad von A1 nach C3 zu. Die Korrelation der Klassifikation zum Grad der neurologischen Schädigung ist an der HWS im Gegensatz zur thorakolumbalen Wirbelsäule eher schwach, jedoch ist die Klassifikation ein guter Anhalt zur Indikationsstellung für oder gegen eine operative Therapie [1].

Typ A

Bei den reinen Typ-A-Verletzungen, bei welchen also ausschließlich ein Kompressionsmechanismus vorliegt, wird unterschieden, inwieweit der Wirbelkörper teilweise oder komplett geschädigt ist. Ist lediglich die Endplatte des Wirbelkörpers impaktiert, wird die Fraktur als A1 klassifiziert. Liegt eine Spaltbildung vor, ist also die Kontinuität des Wirbelkörpers unterbrochen, spricht man von einer A2-Fraktur. Die Subgruppierung der A2-Frakturen richtet sich nach der Richtung der Spaltbildung (sagittal, frontal). Auch die so genannte „Pincer“-Fraktur, eine Spaltfraktur mit in den Frakturspalt protrudierten Bandscheibenanteilen, fällt in die Gruppe der A2-Frakturen. Bei A1- und A2-Frakturen ist der posteriore Anteil der Wirbelsäule (die so genannte „hintere Säule“) in der Regel nicht betroffen.

Die Gruppe der Berstungsfrakturen (A3) ist gekennzeichnet durch eine Mitbeteiligung der Wirbelkörperhinterkante und konsekutive Einengung des Spinalkanals. Je nach Ausmaß der Wirbelkörperschädigung klassifiziert man die Verletzung als A3.1 (inkomplette Berstung), A3.2 (Berstungsspaltbruch) oder A3.3 (komplette Berstung des Wirbelkörpers). Häufig bei der A3-Fraktur ist eine Mitbeteiligung des posterioren Wirbelbogens im Sinne eines vertikalen Spalts, die nicht als B-Verletzung (überwiegend horizontale Spaltbildung) missdeutet werden sollte.

Typ B

Kommt während des Unfalls eine distrahierende Kraft zum Tragen, muss die Verletzung als B-Verletzung eingeteilt werden. Dies kann entweder durch einen Flexions-Distraktions-Mechanismus der Fall sein oder durch einen Extensions-Distraktions-Mechanismus. Eine rein axiale Distraktion ist sehr selten.

Im ersten Fall, der Flexions-Distraktions-Verletzung, sind von der B-Komponente der Läsion hauptsächlich die posterioren Strukturen betroffen. Je nachdem, ob eher ligamentäre (Lig. interspinosum, Lig. Nuchae usw.) oder eher knöcherne Strukturen (Dornfortsätze, Wirbelbögen) verletzt sind, spricht man von B1- (Abb. 1) oder B2-Verletzungen. Zeichen der dorsalen Distraktion im Röntgenbild sind z. B. Sprünge im Abstand zwischen den Dornfortsätzen oder Dornfortsatzfrakturen.

Abb. 1
figure 1

Nachweis einer rein ligamentären Verletzung (B1) zwischen C5 und C6 in der passiv durchgeführten Bildwandleruntersuchung

Ist eher von einem Extensions-Distraktions-Mechanismus auszugehen, wie er beispielsweise bei einem frontalen Schlag ins Gesicht vorkommen könnte, wird die Verletzung als B3 klassifiziert.

Typ C

Typische radiologische Zeichen einer C-Verletzung, also einer Verletzung mit rotatorischer Krafteinwirkung, sind beispielsweise unilaterale Verletzungen der Facettengelenke oder Transversalfortsätze, eine Verschiebung eines Wirbelkörpers in der Frontalebene oder laterale Abrissfrakturen an den Wirbelkörperendplatten. Je nach vorherrschender zweiter Kraftkomponente (Kompression oder Distraktion) werden C-Verletzungen als C1 oder C2 klassifiziert. Die Subgruppe richtet sich dann nach der Eingruppierung der begleitenden A- oder B-Verletzung (C+A1 entspricht C1.1, C+A2 entspricht C1.2 usw.).

Andere Klassifikationen

Im angloamerikanischen Raum weit verbreitet ist die Klassifikation von Allen et al. [2]. Auch sie basiert auf mechanischen Gesichtspunkten. Als grundlegende Verletzungsmechanismen werden unterschieden:

  • Flexion-Kompression,

  • reine Kompression,

  • Flexion-Distraktion,

  • Extension-Kompression,

  • Extension-Distraktion und

  • Lateralflexion.

Jeder dieser Verletzungsmechanismen kann in verschiedenen Schweregraden ausgeprägt sein, die in der Originalarbeit z. T. mit der Schwere der neurologischen Schädigung korrelieren. Vergleicht man diese Einteilung mit der AO-Klassifikation, fällt auf, dass dort kein Korrelat zur Extension-Kompression und zur Lateralflexion vorkommt, während bei Allen et al. [2] Rotationsverletzung nicht als eigenständige Gruppe erscheinen, lediglich die unilateralen Facettenluxationen treten als Subgruppe der Flexions-Distraktions-Verletzungen auf.

Diagnostik einer Halswirbelsäulenverletzung

Die Diagnose wird bei entsprechendem Unfallmechanismus und/oder Symptomatik über ein bildgebendes Verfahren gestellt.

Wann eine bildgebende Untersuchung überhaupt indiziert ist, wurde bereits in mehreren groß angelegten Studien untersucht. In der so genannten „NEXUS“-Studie, einer groß angelegten prospektiven Multizenterstudie mit über 30.000 Patienten, konnten 5 klinische Kriterien identifiziert werden, die eine signifikante HWS-Verletzung unwahrscheinlich machen und bei deren Vorliegen keine weitere Bildgebung empfohlen wird [5]:

  • Kein Druckschmerz entlang der Mittellinie

  • Kein fokal neurologisches Defizit

  • Normale Vigilanz

  • Keine Intoxikation

  • Kein Distraktionsmechanismus

In der so genannten „Canadian C-spine rule“-Studie konnten anhand klinischer Kriterien eine im Vergleich zu den NEXUS-Kriterien höhere Sensitivität (99,4% vs. NEXUS 93%) und eine ebenfalls höhere Spezifität (45,1% vs. NEXUS 12%) erreicht werden, weshalb diese Modifikation der NEXUS-Kriterien von einigen Autoren bevorzugt wird [11]. Wesentliche Bedeutung kommt hier der Anamnese, dem Vorhandensein von Druckschmerz entlang der Mittellinie und dem schmerzfreien Bewegungsausmaß von 45° in jede Richtung zu.

Die entscheidenden Fragen, die anhand der Bildgebung beantwortet werden sollen, sind:

  1. 1.

    Liegt eine signifikante Einengung des Spinalkanals oder anderer neurologischer Strukturen vor?

  2. 2.

    Ist die Verletzung als stabil oder instabil zu werten?

  3. 3.

    Besteht eine signifikante Deformität?

Neben dem klinisch-neurologischen Status beeinflusst die Beantwortung dieser Fragen maßgeblich die Entscheidung zwischen konservativer und operativer Therapie.

Bildgebung

Röntgen

Am Beginn des diagnostischen Algorithmus steht in unserer Klinik das seitliche Röntgenbild der HWS, meist ergänzt durch die a.-p. Aufnahme. Insbesondere im seitlichen Bild ist auf eine komplette Darstellung bis einschließlich der Oberkante von T1 zu achten, da der zervikothorakale Übergang eine hohe Verletzungsinzidenz aufweist.

Computertomographie

Bei pathologischem oder zweifelhaftem Röntgenbefund oder trotz negativem Röntgenbefund vorliegender massiver Klinik wird eine anschließende CT empfohlen, die genauere Aussagen über den Frakturverlauf, Dislokationen und eine Verlegung des Spinalkanals ermöglicht [14]. Mit der in den letzten Jahren immer verbreiteteren Verfügbarkeit von Mehrzeilen-Spiral-CT ist die Wertigkeit des konventionellen Röntgens mehr und mehr angezweifelt worden, da für die CT neben der verbesserten Bildgebung im kritischen zervikothorakalen Übergang auch eine hohe Sensitivität und Spezifität nachgewiesen werden konnten [3]. Weiterhin konstatierten verschiedene US-amerikanische Studien sogar einen Kostenvorteil für die Spiral-CT, was jedoch nicht ohne Weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar sein dürfte [4].

Abklärung bei unauffälligem radiologischem Befund

Bei unauffälligem konventionellem Röntgen und CT bieten sich zur weiteren Abklärung funktionelle Untersuchungsmethoden der Halswirbelsäule an. Hier werden 3 Techniken unterschieden:

  • Bei der aktiven Funktionsuntersuchung wird ein statisches Röntgenbild in maximaler Funktionsstellung (Flexion/Extension, ggf. seitliche Neigung) aufgenommen. Nachteil dieser Methode ist die große Abhängigkeit vom Patienten, der diese Bewegungen selbstständig durchführen muss. Schmerz- oder compliancebedingt ist eine mangelhafte Ausführung der Aufnahmen häufig.

  • Bessere Kontrolle bietet die passive Funktionsuntersuchung, bei der die Bewegung durch den ärztlichen Untersucher passiv durchgeführt wird.

  • Die passive Funktionsaufnahme unter dynamischer Durchleuchtung ist ein Standarddiagnostikum zur Evaluation potenziell instabiler Halswirbelsäulenverletzungen und ergänzt das konventionelle Röntgen und CT in zweifelhaften Fällen (Abb. 1).

MRT im akuten Wirbelsäulentrauma

Ihre Rolle wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Befürworter der MRT im Rahmen der Notfalldiagnostik führen die unübertroffene Darstellung von Weichteilstrukturen ins Feld. Dies ist an der HWS insbesondere zur Beurteilung des Myelons und bei Verdacht auf eine diskoligamentäre Verletzung von Vorteil. In manchen Institutionen wird daher routinemäßig bei jeder in Röntgen oder CT erkannten Verletzung der HWS eine MRT zur Beurteilung des Weichteilschadens durchgeführt [12].

Auch Dislokationen von Bandscheibenmaterial können auf der MRT sehr gut erkannt werden. Insbesondere vor der geschlossenen Reposition von HWS-Luxationen empfiehlt sie sich, um möglicherweise disloziertes Bandscheibenmaterial zu erkennen, welches durch die Reposition in den Spinalkanal geschoben werden könnte und entsprechende Schäden am Myelon verursachen könnte.

Obwohl knöcherne Verletzungen indirekt durch ein Knochenmarködem mitunter gut zur Darstellung kommen, ist die Darstellung von Knochen dem konventionellen Röntgen und der CT nach wie vor unterlegen. Die Darstellung der posterioren knöchernen Strukturen scheint hierbei das größte Problem zu sein.

Als weitere Nachteile der MRT werden die Akquisitionsdauer der Untersuchung sowie der technische Aufwand angeführt: Gerade bei HWS-Verletzungen hat man es häufig mit instabilen Patienten zu tun, die ein umfangreiches Monitoring benötigen. Das im MRT vorhandene starke Magnetfeld erfordert dafür spezielle Monitoringinstrumente, die weder die Bildgebung stören noch vom Magnetfeld selbst beeinträchtigt werden.

Eine weitere Spezialität der MRT ist die Möglichkeit der Gefäßdarstellung im Rahmen einer MR-Angiographie. Insbesondere Gefäßdissektionen und intramurale Hämatome können gut sichtbar gemacht werden.

Aus unserer Sicht besteht die Indikation zur Durchführung einer MRT-Untersuchung in einem durch die vorgeschalteten bildgebenden Verfahren (Röntgen, CT) unerklärlichen neurologischen Defizit, welches einer weiteren Abklärung zur Planung ggf. erweiterter operativer Schritte bedarf.

Therapie

Ist eine Verletzung der HWS diagnostiziert, muss die Entscheidung über die weitere Behandlung gefällt werden. Eine wesentliche Weichenstellung betrifft die Frage, ob eine konservative Therapie ausreicht oder eine Operation indiziert ist (Tab. 1).

Tab. 1 Schema zur Entscheidung konservative vs. operative Therapie anhand der AO-Klassifikation
Tab. 2 Wahl des Zugangswegs in Abhängigkeit von der AO-Klassifikation
Tab. 3 Ausdehnung der Stabilisierung in Abhängigkeit von der AO-Klassifikation

Die wichtigsten Ziele der Therapie sind:

  • Schmerzfreiheit,

  • normale neurologische Funktion,

  • Stabilität der HWS und

  • Prophylaxe von Fehlstellungen.

Obwohl es bisher keinen allgemein anerkannten wissenschaftlichen Beweis gibt, dass die zügige Dekompression des Spinalkanals ein verbessertes neurologisches Outcome liefert [13], sind die akute traumatische Querschnittlähmung oder eine akute radikuläre Ausfallserscheinung gemeinhin als Operationsindikation anerkannt. Bezüglich der Instabilität als Operationsindikation wurde weder ein allgemeingültiger Konsens gefunden, ab welchem Grad eine Indikation besteht, noch, wie diese bestimmt werden sollte. Wir verwenden in unserer Klinik verschiedene röntgenologische Kriterien zur Definition der Instabilität. Zunächst gilt jede B- und C-Verletzung als instabil und wird einer operativen Stabilisierung zugeführt. Panjabi et al. [9, 10] formulierten weitere radiologische Instabilitätskriterien, die von vielen Autoren anerkannt werden:

  • a.-p. Translation >3,5 mm im seitlichen Röntgenbild,

  • segmentale Kyphose >11° Differenz zu den angrenzenden Segmenten,

  • Facettensubluxation >50% der Gelenkfläche.

Die Zunahme von interspinöser Distanz und/oder Bandscheibenraumhöhe sind als Zeichen der B-Verletzung weitere Kriterien einer instabilen, operationspflichtigen Situation.

Hoch kontrovers diskutiert wird die Frage, ab welchem Grad Fehlstellung einer reinen A1- oder A2-Verletzung eine operative Korrektur in Betracht gezogen werden sollte. In unserer Klinik wird ein Kyphosewinkel >15° als Operationsindikation gewertet, weil ab diesem Winkel ein weiteres Nachgeben der Fraktur bei konservativer Therapie zu erwarten ist.

Therapeutische Strategien

Konservative Therapie

Sie beinhaltet neben der medikamentösen Analgesie verschiedene Verfahren zur temporären Ruhigstellung sowie diverse Methoden der physikalischen Therapie.

Bei A1- und A2-Frakturen mit weniger als 15° segmentaler Kyphose wird in unserer Klinik eine Ruhigstellung in einer semirigiden Nackenorthese (so genannte „Philadelphia“-Krawatte) für 6 Wochen verordnet.

Bei instabilen Verletzungen, die aufgrund des Gesamtzustands des Patienten oder aus anderen Gründen eine Operation unmöglich machen oder bei welchen der Zeitpunkt aufgeschoben werden muss, ist die Therapie in der Halo-Weste möglich, die eine deutlich geringere Restbeweglichkeit als die herkömmlichen Zervikalorthesen bietet.

Operative Therapie

Ihre Ziele sind analog der Indikationsstellung zu sehen:

  1. 1.

    Dekompression neurologischer Strukturen

  2. 2.

    Wiederherstellung von Stabilität

  3. 3.

    Korrektur von Fehlstellungen

Die Wiederherstellung der Stabilität nach einer operativen Dekompression und Stellungskorrektur beinhaltet in den meisten Fällen eine Spondylodese eines oder mehrerer Bewegungssegmente.

Folgende Prinzipien sollten bei Wahl der adäquaten operativen Strategie beachtet werden:

  • Es sollten nur so viele Bewegungssegmente wie unbedingt notwendig in die Spondylodese miteinbezogen werden. Eine Versteifung im Bereich der Halswirbelsäule bedeutet eine Einschränkung der Beweglichkeit in diesem Bereich, was ab einem gewissen Ausmaß die Lebensqualität des Patienten deutlich beeinträchtigen kann.

  • Die verletzten Bewegungssegmente bedürfen zur schnellen und endgültigen Ausheilung einer sicheren Ruhigstellung. Eine dauerhafte Versteifung eines Bewegungssegments ist in den meisten Fällen unumgänglich. Die operative Versorgung sollte daher maximale Stabilität zum Ziel haben.

Zugangswege

Zur Halswirbelsäule sind der anterolaterale und der dorsale Zugang etabliert (Tab. 2). Als Standard zur Versorgung von Halswirbelsäulenverletzungen sehen wir den anterolateralen Zugang an. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Die Operation kann in Rückenlage erfolgen, was Zeit spart und insbesondere für kritische polytraumatisierte Patienten schonender ist. Der Zugang erfolgt anatomisch entlang vorgegebener Verschiebeschichten, was deutlich weichteilschonender ist. Die Dekompression von Myelon und Nervenwurzeln ist gut von ventral möglich ebenso wie eine suffiziente Stabilisierung instabiler Verletzungen.

Der dorsale Zugang ist speziellen Indikationen (ältere, verhakte Facettenluxationsfrakturen) vorbehalten, die von einem anterioren Zugang schlecht angegangen werden können.

In seltenen Fällen ist ein kombiniertes dorsoventrales Vorgehen erforderlich. Insbesondere bei Situationen, in welchen ein langer Hebelarm durch steife Nachbarsegmente auf eine verminderte Knochenqualität trifft (z. B. bei Morbus Bechterew), sind eine rein ventrale oder rein dorsale Stabilisierung u. U. nicht ausreichend und ein kombiniertes Vorgehen indiziert.

Dekompression und Stabilisierung

Zur ausreichenden Dekompression des Myelons kann in manchen Fällen eine Diskektomie ausreichend sein, in vielen Fällen ist jedoch eine Korporektomie u. U. mehrerer Segmente erforderlich. Bei der Dekompression nach lateral ist insbesondere auch daran zu denken, dass die A. vertebralis im Foramen transversarium durch Fragmente verletzt sein kann und bei der Dekompression starke Blutungen resultieren können.

Der durch Diskektomie oder Korporektomie entstandene Defekt der ventralen Säule sollte durch Implantation eines stabilen Beckenkammspans oder eines Platzhalterimplantats (so genannte Cages) mechanisch abgestützt werden (Abb. 2).

Zur sicheren Stabilisierung der verletzten Bewegungssegmente stehen mittlerweile etliche speziell für diesen Zweck entwickelte Implantate zur Verfügung. Von ventral sind dies im Wesentlichen Schrauben-Platten-Systeme. Mit der Entwicklung winkelstabiler Plattensysteme konnte die Verwendung dieser Implantate deutlich erleichtert werden: Die winkelstabile Schraubenverankerung ermöglicht die monokortikale Applikation der Schrauben, was das Risiko für das direkt dorsal der Schraubenspitzen liegende Myelon deutlich minimiert hat.

Die Ausdehnung der Stabilisierung sollte sich, wie erwähnt, auf die ohnehin verletzten Bewegungssegmente beschränken (Tab. 3), im Allgemeinen ist die monosegmentale Stabilisierung (Abb. 2, Abb. 3) ausreichend. Bisegmental werden regelmäßig A3- und C1-Verletzungen mit A3-Komponente behandelt.

Zur posterioren Stabilisierung sind die Schrauben-Platten-Systeme weitgehend von Schrauben-Stab-Systemen verdrängt worden. Auch hier geht der Trend zur winkelstabilen Verbindung zwischen Schraube und Längsverbindung. Die Schraubenfixation kann standardmäßig in den Massae laterales oder alternativ analog zur Brust- und Lendenwirbelsäule im Pedikel erfolgen. Die Schraubenplatzierung im Pedikel hat jedoch noch weitgehend experimentellen Charakter und bleibt aufgrund der äußerst engen Platzverhältnisse im zervikalen Pedikel einer Anwendung in Kombination mit chirurgischen Navigationssystemen vorbehalten.

Abb. 2
figure 2

Klinisches Beispiel 1, a kraniale Berstungsfraktur C6 (A3.1) mit Dislokation des Hinterkantenfragments in den Spinalkanal, b postoperative Röntgenkontrolle nach monosegmentaler Stabilisierung C5/6 mit ventraler Platte und Beckenkammspan

Abb. 3
figure 3

Klinisches Beispiel 2, a–d Hyperflexionsfraktur C6 mit vorwiegend knöcherner Beteiligung (B2), im a.-p. Bild erkennbarer horizontaler Spalt im Dornfortsatz C6 (a), in der Funktionsaufnahme (d) deutliches Klaffen, e–g postoperative Bildgebung nach monosegmentaler interkorporeller Spondylodese C5/C6, Frakturspalt im Dornfortsatz C6 kaum noch erkennbar (e, Pfeil).

Nachbehandlung

Mit der operativen Versorgung wird eine mobilisationsstabile Situation angestrebt. Die Mobilisation des Patienten beginnt am ersten postoperativen Tag. Für 6 Wochen sollte zur Unterstützung der knöchernen Fusion jegliche die Halswirbelsäule mobilisierende Krankengymnastik unterbleiben. Röntgenkontrollen sind nach 6 und 12 Wochen sowie nach 12 Monaten empfehlenswert.

Fazit für die Praxis

Im diagnostischen Algorithmus haben das konventionelle Röntgen sowie die Spiral-CT aktuell die größte Bedeutung. In unklaren Fällen ist eine funktionelle Untersuchung, am besten durch den Untersucher passiv geführt, anzuschließen. Eine MRT ist nur in Ausnahmefällen notwendig.

Die genaue Klassifikation der Verletzung ist für das weitere Vorgehen elementar. Aus ihr lassen sich klare Empfehlungen für konservatives/operatives Vorgehen sowie die operative Strategie ableiten.

Die operative Therapie ist heutzutage weitgehend standardisiert. Eine anteriore mono- oder bisegmentale Spondylodese nach erfolgter Dekompression ist in den meisten Fällen die Therapie der Wahl.