Ein lose herabbaumelnder Arm, ein Nachziehen oder ständiges Stolpern über den gelähmten Fuß, das Gefühl, die gelähmte Extremität gehört nicht mehr zum eigenen Körper, und nicht einmal Verletzungen oder Verbrennungen werden bemerkt – das ist nicht nur eine Behinderung im täglichen Leben! Schwere berufliche Veränderungen, Ausgliederung aus dem Arbeitsleben, die Unterbrechung von sozialen Kontakten und die Behinderung bei alltäglichen Aufgaben wie der eigenen Körperpflege und selbstverständlicher täglicher Verrichtungen sind die Folgen schwerer Nervenverletzungen. Daher sollte selbst beim klinischen Verdacht einer solchen die frühzeitige Revision konsequent erfolgen.

Operative Behandlung von Nervenverletzungen

Folgende Voraussetzungen sind unbedingt erforderlich:

  1. 1.

    Es muss ein mikrochirurgisches ausgeruhtes Team zur Verfügung stehen.

  2. 2.

    Eine mikrochirurgische Ausrüstung muss vorhanden sein (Mikroskop, Lupenbrille, Mikroinstrumente, mikrochirurgisches Nahtmaterial).

  3. 3.

    Der Patient muss in einem Zustand sein, der einen mehrstündigen mikrochirurgischen zusätzlichen Eingriff erlaubt.

Primärversorgung

In der Regel der Fälle erfolgt die Versorgung glatter Schnittverletzungen bzw. glatter Durchtrennungen durch die primäre Nervenkoaptation. Diese muss unbedingt spannungsfrei in normaler Mittelstellung der benachbarten Gelenke durchgeführt werden. Die Nervenkoaptation unter Spannung ist in jedem Fall zu vermeiden.

1971 haben Berger u. Millesi [1] an histomorphologischen Untersuchungen nachgewiesen, dass die Nerventransplantation bessere Regenerationsergebnisse aufweist als die Nervenkoaptation unter Spannung, dass 2 Koaptationsstellen des Transplantats kein größeres Hindernis als eine darstellen, dass die interfaszikuläre Zuordnung überlegen ist gegenüber der einfachen peri-/epineuralen Naht und dass Transplantationen bis zu 4 cm Überbrückungslänge annähernd gleiche Regenerationsergebnisse aufweisen wie die primäre Naht [1, 2].

Nach den experimentellen und klinischen Forschungsergebnissen ist eine primäre Koaptation nicht indiziert, wenn

  1. 1.

    bei Neutralposition des Gelenks eine 10×0-Naht nicht in der Lage ist, die durchtrennten Nervenenden zu approximieren (Nervennaht unter Spannung),

  2. 2.

    eine Nervendefektverletzung vorliegt,

  3. 3.

    sich durch infizierte Wunden und

  4. 4.

    schwere primäre Verletzungen eine entsprechende Versorgung verbietet.

In allen diesen Fällen muss eine sekundäre Versorgung innerhalb der ersten 6–12 Wochen, spätestens bis 6 Monate nach dem Unfall angestrebt werden.

Sekundäre Therapie

Bei unzureichender primärer Nervenversorgung oder bei ausbleibender Nervenregeneration in den ersten 6 Monaten nach dem Unfallereignis kommen folgende sekundäre Behandlungsmaßnahmen des oder der verletzten Nerven in Betracht:

  1. 1.

    Neurolyse und Neueinbettung in ein gut durchblutetes Bett,

  2. 2.

    direkte Nervenkoaptation (sekundär sehr selten),

  3. 3.

    Nerventransplantation,

  4. 4.

    Nervenersatzoperation.

Die Nerventransplantation unterliegt den gleichen Regeln wie die primäre Nervenkoaptation, bei der die genaue interfaszikuläre Zuordnung des proximalen und distalen Nervenendes die besseren klinischen Resultate zeigt als die undifferenzierte Zwischenschaltung von „Kabeltransplantaten“.

Nervenersatzoperationen sind immer dort notwendig, wo bei schweren Verletzungen proximal der Verletzungsstelle der Ursprungsnerv aus einem größeren Nervenstamm oder aus dem Halsmark ausgerissen wurde. In diesem Fall ist es erforderlich, vollständige oder Anteile von funktionierenden Spendernerven mit einer weniger wichtigen Funktion an das distale Ende des ausgerissenen Nervs zu koaptieren (Abb. 1, 2). Auf diese Weise erfolgen die Aufgabe oder Schwächung einer Funktion zugunsten einer wichtigeren anderen Funktion. Mit derartigen Ersatzoperationen ist es möglich, bei schweren ausgedehnten Verletzungen wichtigste Hilfsfunktionen wiederherzustellen, um dem Patienten Verrichtungen im alltäglichen Leben zu erleichtern.

Abb. 1
figure 1

Direkte Transplantation der Wurzeln C5, C6 und C7 auf Truncus superior und medius des linken Plexus brachialis

Abb. 2
figure 2

Anschluss der gemeinsamen Nervengabel der Nn. musculocutaneus und medianus an die Interkostalnerven

Neben einer engmaschigen postoperativen Kontrolle durch den Operateur ist über einen Zeitraum von etwa 2 Jahren (Regenerationszeit bei langstreckigen Nervenverletzungen) eine fast tägliche Durchführung von Physio- und Ergotherapie erforderlich. Für das in Abb. 2 und 3 angeführte Beispiel bedeutet dies: Bei tiefer Inspiration oder Pressvorgang lernt der Patient, den Bizeps und die neu innervierte Unterarmmuskulatur anzuspannen. Beide Funktionen werden aber gleichzeitig innerviert (Abb. 3). Bei nachlassender Innervation öffnet sich die Hand passiv (Abb. 4). Bei Innervation der Interkostalnerven zum Bizeps und zur Unterarmmuskulatur können Gegenstände in die sich beugenden Finger geklemmt werden. Durch motorische Ersatzoperationen bzw. Sehnenumsetzungen kann dieser Vorgang besser mit der operierten Extremität allein durchgeführt werden (Abb. 5).

Abb. 3
figure 3

Erlernen des Anspannens von Bizeps und neu innervierter Unterarmmuskulatur durch die Atmung bzw Innervation der Intercostalmuskeln

Abb. 4
figure 4

Passives Öffnen der Hand

Abb. 5
figure 5

Umsetzung im Alltag

Fazit

Die Versorgung einfacher und komplexer Nervenverletzungen erfordert eine hohe Spezialisierung in der mikrochirurgischen rekonstruktiven plastischen Chirurgie mit einem breiten Spektrum an Erfahrung und Kenntnissen in der Chirurgie peripherer Nerven. Dazu kommen die Ausstattung und Möglichkeit einer intensiveren postoperativen Physio- und Ergotherapie mit ebenfalls spezialisierten Kenntnissen der Nervenregeneration.