Das Schultergelenk ist eines der komplexesten Gelenke des Bewegungsapparats des Menschen. Die obere Extremität ist durch einen großen Bewegungsumfang gekennzeichnet, der erst durch das Zusammenspiel dreier Hauptgelenke,

  • dem Glenohumeralgelenk,

  • dem Akromioklavikulargelenk und

  • dem Sternoklavikulargelenk

und zweier Nebengelenke,

  • dem subakromialen Nebengelenk und

  • dem skapulothorakalen Nebengelenk

ermöglicht wird (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Knöcherne Konfiguration des Schultergürtels

Im Skapulothorakalgelenk sind 3 Bewegungsebenen möglich. Die horizontale Verschiebung wird als Protraktion/Retraktion bezeichnet und erlaubt Bewegungsausmaße bis 10 cm. Die als Elevation/Depression benannte Hebung und Senkung der Skapula beträgt etwa 8 cm, und die Rotation um eine axiale Achse ist maximal 70° [9].

Der skapulohumerale Rhythmus gibt das Bewegungsverhältnis zwischen dem Glenohumeralgelenk und der Skapulabewegung wieder. Er unterscheidet sich nach neueren Untersuchungen in den ersten 30° der Abduktion stark individuell, ab 30° liegt das Verhältnis konstant bei 1,5:1–2:1 [29].

Die Hauptbewegung findet im Glenohumeralgelenk statt. Neben einer Rotation werden eine Translation und eine Rollbewegung ausgeführt und dabei der Kontaktpunkt zwischen Humeruskopf und Pfanne unterschiedlich bewegt. So wird bei der Rotation nur der Kontaktpunkt am Humeruskopf verändert, bei der Translation nur der an der Pfanne und bei der Rollbewegung die an Pfanne und Kopf zu gleichen Teilen [29].

Sterno- und Akromioklavikulargelenk stabilisieren diese Bewegungskette durch Koppelung der vom Arm auf das Sternum und zurück übertragenen Kräfte [14].

Anatomie und Kinematik

Die funktionelle Anatomie des Glenohumeralgelenks wird durch statische und dynamische Strukturen bestimmt.

Statische (knöcherne) Stabilisatoren

Hier sind der Humeruskopf mit der Schulterpfanne zu nennen, die ein Kugelgelenk bilden. Es liegt ein Größenmissverhältnis der Gelenkflächen vor. Der Humeruskopf ist im Durchschnitt 24 cm2 groß. Die Pfanne ist fast 4-mal kleiner und hat nur 6–7 cm2 Fläche [11, 13, 17, 21, 25, 27].

Knöcherne Läsionen der Gelenkpfanne führen nach traumatischer Schulterluxation oft zu rezidivierenden Luxationen. Diese erfordern eine knöcherne Rekonstruktion des Glenoids [6, 9, 14, 21].

Der Humeruskopf ist gegenüber der Schaftachse in einem Winkel von etwa 130–150° geneigt. Die Retroversion beträgt im Mittel 30° [25, 26]. Hierbei besteht aber eine erhebliche anatomische Varianz von −6,5–47,5° (Mittelwert 17,9°) [1, 3, 26].

Eine wichtige kraniale Begrenzung des Gelenks stellt der Fornix humeri dar, der vom Akromion, dem Processus coracoideus und dem Lig. coracoacromiale gebildet wird (Abb. 2). Er sichert den Humeruskopf gegen eine Verschiebung nach kranial, aber auch nach dorsal und ventral [14].

Abb. 2
figure 2

Fornix humeri mit Akromion, Korakoid und korakoakromialem Ligament

Bei Verdickungen des Bands oder knöchernen Ausziehungen bzw. Anbauten am Akromion können Einengungen und nachfolgend Bewegungseinschränkungen entstehen, die durch eine Schwellung der Bursa subdeltoidea noch verstärkt werden.

Statische (passive) Stabilisatoren

Als solche tragen Labrum und Kapsel-Band-Apparat wesentlich zur Vermeidung von Instabilitäten oder Luxationen bei. Zusammen mit der muskulären Führung durch die Rotatorenmanschette als aktivem Stabilisator unterliegen sie einer differenzierten neuromuskulären Steuerung [9].

Labrum

Es ist eine 4 mm breite, aus dichten Bündeln von Kollagenfasern bestehende, breitbasig der Cavitas glenoidalis aufsitzende Struktur (Abb. 3). Aus dem Oberrand gehen Fasern in die Ursprungssehne des Caput longum des M. biceps brachii über. Es dient als Widerlager gegen die bei größeren Gelenkdrücken auftretenden Querdehnungen des Gelenkknorpels [14]. Das Labrum umfasst ringförmig die Gelenkpfanne, deren Randzone um etwa 50% erhöht wird [9].

Abb. 3
figure 3

Labrum glenoidale in der Aufsicht

Es bestehen viele anatomische Formvarianten, wie das „sublabral hole“, eine lose Verbindung des anterior superioren Labrums zum Gelenkknorpel mit Bildung eines Recessus. Davon abzugrenzen ist der Bufford-Komplex, ein strangförmig verdicktes mittleres glenohumerales Ligament, welches weit kranial ansetzt und darunter ein Labrum ausspart [25, 29].

Gelenkkapsel

Sie entspringt in der Nähe des Pfannenrands und inseriert, die beiden oberen Facetten des Tuberculum majus und minus umschließend, an der Knochen- und Knorpelgrenze des Humeruskopfs. Zusätzlich ist die Kapsel mit Ausnahme des Recessus axillaris mit der Muskelsehnenplatte der Rotatorenmanschette verwachsen. Sie besteht aus 3 Lagen kollagener Fasern und wirkt insbesondere bei der Abduktion über 90° als passiver Stabilisator [14].

Glenohumerale Ligamente

Sie sind prominente und grobfasrige Verdickungen der inneren Schicht der Gelenkkapsel mit großer anatomischer Varianz. Ihre entscheidende Rolle bei der Stabilisierung des Glenohumeralgelenks resultiert aus den in der Kapsel eingebetteten Propriorezeptoren. Diese steuern als Mechanorezeptoren die Aktivierung der Antagonisten und die Hemmung der Agonisten und wirken so der drohenden Luxation entgegen [29].

Die wichtigste stabilisierende Struktur ist der inferiore glenohumerale Ligamentkomplex (IGHLK) der sich aus dem Lig. glenohumerale anterius, dem Lig. glenohumerale posterius und dem axillaren Pouch zusammensetzt. Er inseriert knapp unterhalb der Gelenkfläche des Humerus am Collum anatomicum. Bei zunehmender Abduktion kommt es zur stärkeren Anspannung des IGHLK. In Abhängigkeit von der Rotation des Arms wird das Gelenk ventral oder posterior stabilisiert (Abb. 4) [7, 14, 25, 27].

Abb. 4
figure 4

Darstellung der glenohumeralen Ligamente

Aktive Stabilisatoren

Rotatorenmanschette

Ihre Muskeln stabilisieren das Glenohumeralgelenk im Sinne einer muskulären Kompressionskraft [16]. Dabei wird eine zentrierende Wirkung entfaltet, die im Zusammenhang mit der Formschlüssigkeit von Glenoid und Labrum und einem negativen intraartikularen Druck, auch als intraartikulares Vakuum bezeichnet, zum Tragen kommen.

Die Rotatorenmanschette setzt sich von dorsal nach ventral aus folgenden Muskeln zusammen:

  • M. teres minor, der als Außenrotator wirkt, aber auch bei der Retroflexion des Armes eingreift,

  • M. infraspinatus, der sich mit dem kranial anschließenden M. supraspinatus überkreuzt und wesentlich an der Außenrotation und Abduktion beteiligt ist,

  • M. supraspinatus, der die Starterfunktion in der Abduktion aus 0° übernimmt und

  • M. subscapularis, der als wichtigster Innenrotator am Tuberculum minus ansetzt.

Wichtigster Depressor und aktiver Stabilisator in der Abduktion und Außen- sowie Innenrotation sind der M. infraspinatus mit M. teres minor und M. subscapularis.

M. deltoideus

Er wirkt durch seine 3 Teile an allen Schulterbewegungen als Synergist mit.

M. biceps brachii

Auch er wird mit seinem Caput longum als aktiver Stabilisator betrachtet. Die intraartikulare Lage der Sehne ist geprägt durch die Insertion am oberen Labrum. Hier werden Ablösungen entsprechend einer Einteilung nach Snyder et al. [22] als SLAP-Läsionen beschrieben. Diese treten besonders oft beim Überkopfsportler als kontinuierliche Traktionsbelastung der langen Bizepssehne auf, können aber auch nach Sturz auf den ausgestreckten Arm in leicht abduzierter Position entstehen [8].

Rotatorenintervall

Es wird vom Lig. coracohumerale und Lig. glenohumerale superius gebildet und umschließt als ringbandähnliche Schlinge die Bizepssehne vor ihrem Eintritt in den knöchernen Kanal des Sulcus intertubercularis [9, 13].

Intervall- oder Pulley-Läsionen sind oft Vorläufer von Supraspinatussehnenläsionen.

Biomechanik

Die auf das Schultergelenk einwirkenden Kräfte sind sehr komplex und greifen in Abhängigkeit von der Position des Arms an. Nach Perry [19] wird die Beweglichkeit von 12 muskulären Einheiten gesteuert, die aus einer peripheren Gruppe aus vom Thorax ausgehenden Muskeln, aus einer Gruppe oberflächlicher Muskulatur mit Anteilen des Deltamuskels und aus der tiefen Schicht der Steuermuskeln der Rotatorenmanschette bestehen.

Die vorhandenen klinischen und experimentellen Untersuchungen zum Einfluss von Ausfällen der Muskulatur der Rotatorenmanschette zeigen, dass eine Läsion der Supraspinatussehne nicht zwangsläufig mit einem Humeruskopfhochstand einhergehen muss. Besonders bei intaktem M. pectoralis, M. latissimus dorsi und M. teres major werden die Kräfte so ausbalanciert, das keine verstärkte Druckbelastung des Fornix humeri entsteht. Eine biomechanisch kompensierte Situation scheint v. a. beim Erhalt des M. subscapularis ventral und des M. infraspinatus dorsal zu bestehen [9].

Gerade die Interaktion von statisch und dynamisch wirksamen Faktoren bestimmt das anfällige Gleichgewicht zwischen Mobilität und Stabilität.

Die zurzeit vorliegenden Kenntnisse der im Organismus vorhandenen Regelkreise zur propriozeptiven Steuerung des Schultergelenks sind noch gering [9].

Klassifikation

Die Einteilung von Schultergelenkerkrankungen wird hier für die beiden weichteilassoziierten Krankheitsbilder der Schulterinstabilität und der Rotatorenmanschettenläsion dargestellt.

Schulterinstabilität

Sie kann eingeteilt werden nach

  • Grad,

  • Häufigkeit,

  • Ätiologie und

  • Richtung der Instabilität [12].

Dabei sollte die Wahl des optimalen Therapieverfahrens von der Klassifikation abgeleitet werden können [17].

Grad der Instabilität

Hiermit kann die Luxation von der Subluxation und einer Minimalinstabilität abgegrenzt werden.

Häufigkeit

Sie beinhaltet akute und chronische Instabilitäten, wobei Letztere rezidivierend oder verhakt sein können.

Ätiologie

Hier unterscheidet man die traumatischen Luxationen von den atraumatischen, die willkürlich muskulär oder unwillkürlich positionsabhängig auftreten.

Repetitive Mikrotraumen, wie bei Überkopfsportlern und Werfern beobachtet, können bei eher laxer Konstitution eine klinisch manifeste Instabilität hervorrufen. Schließlich können neuromuskuläre Störungen ebenfalls zu Instabilitäten führen.

Richtung der Instabilität

Am häufigsten luxiert der Humeruskopf bei der unidirektionalen Instabilität nach ventral. Daneben finden sich posteriore und inferiore, aber auch bi- und multidirektionale Instabilitäten.

Einteilungen

Matsen et al. [15] beschrieben atraumatische und traumatische Instabilitäten und erfassten unter dem Akronym AMBRI und TUBS auch therapeutische Optionen. AMBRI bedeutet:

  • A: atraumatische Genese

  • M: multidirektionale Gelenklaxität

  • B: bilateral

  • R: Rehabilitation als therapeutisches Konzept

  • I: Verschluss der Intervalls und inferiorer Kapselshift bei Versagen der konservativen Therapie

TUBS setzt sich zusammen aus:

  • T: traumatisches Ereignis

  • U: unidirektional

  • B: Bankart-Läsion

  • S: chirurgische („surgical“) Therapie

Da hier die häufig anzutreffenden Mischformen nicht erfasst werden, ist heute die von Gerber [8] vorgeschlagene Einteilung am häufigsten anzutreffen (Tabelle 1). Er unterschied zwischen Instabilität und Hyperlaxität sowie zwischen traumatischer (unidirektional) und atraumatischer (multidirektional) Instabilität, wobei eine Kombination beider möglich ist. Immerhin weisen gut 1/3 aller traumatischen Erstluxationen eine begleitende Hyperlaxität auf.

Tabelle 1 Klassifikation der Schulterinstabilität nach Gerber [8]

Eine in neuerer Zeit angegebene Klassifikation nach Bayley [2] soll als weiteren Faktor die muskuläre Dysbalance erfassen. Hier werden neben der traumatisch-strukturellen Form eine atraumatisch-nichtstrukturelle und schließlich die 3. Gruppe der habituell-nichtstrukturellen Luxationen beschrieben. Mischformen sind auch hier möglich.

Rotatorenmanschette

Auch bei deren Ruptur spielt die Einteilung für die Planung des operativen Eingriffs eine entscheidende Rolle.

Aus pathophysiologischer Sicht unterscheiden sich 4 Gruppen (Tabelle 2) [17]. Neben der primären Degeneration der Sehnenfasern durch lokale Hypovaskularisation, Störung der Kollagenfaserarchitektur und chondroide Metaplasie finden sich als Outlet-Impingement bezeichnete Läsionen bei eingeengtem Subakromialraum verschiedener Genese. Schließlich ist die traumatische Ruptur wie nach Schulterluxation, aber auch nach Sport- und Verkehrsunfällen zu erwähnen. Weiterhin existiert ein inneres Impingement, welches als superior-posteriores Impingement bei maximaler Abduktion und Außenrotation durch Kontakt des inneren Ansatzbereichs von Supra- und Infraspinatussehne am dorsalen Glenoidrand auftritt [28].

Tabelle 2 Pathophysiologische Einteilung der Rotatorenmanschettenruptur

Weiterhin werden unterteilt und beschrieben:

  • komplette oder inkomplette (Partial-)Rupturen

  • Größe und Form der Ruptur

  • Anzahl der beteiligten Sehnen

  • Ausmaß der Sehnenretraktion

  • Sehnenqualität

Für die Partialrupturen hat sich die für die Arthroskopie am besten geeignete Einteilung nach Snyder et al. [23] bewährt. Sie bezeichneten artikularseitige Teilschäden als A-Läsionen, bursaseitige als B-Läsionen. Unter C-Läsionen verstanden sie komplette Rupturen, im Gegensatz zur Einteilung von Ellmann, der darunter die intratendinösen Läsionen erfasst. Bezüglich der Beschreibung richteten sich Snyder et al. nach einer von ihnen festgelegten arthroskopischen Morphologie (Tabelle 3).

Tabelle 3 Einteilung der Rotatorenmanschettenläsion nach Snyder [23]

Bei den kompletten Rupturen wird am häufigsten die Größeneinteilung nach Bateman [1] verwendet (Tabelle 4).

Tabelle 4 Einteilung der kompletten Ruptur nach Bateman [1]

Die makroskopische Einteilung nach Rowe zeigt 4 Formen, die für das operative Vorgehen und die Prognose bedeutsam sind (Tabelle 5, Abb. 5) [5, 20].

Tabelle 5 Makroskopische Einteilung nach Rowe [20]
Abb. 5
figure 5

Trianguläre Ruptur der Supraspinatussehne (Fotodokumentation)

Ein wichtiger prognostischer Faktor ist der Sehnenretraktionsgrad nach Patte [18] (Tabelle 6, Abb. 6).

Tabelle 6 Sehnenretraktionsgrad nach Patte [18]
Abb. 6
figure 6

Sehnenretraktion nach Patte

Vor allem zur präoperativen Planung ist der Grad der fettigen Degeneration nach Goutallier et al. [10] im CT oder nach Thomazeau et al. [24] im MRT zu beurteilen (Tabelle 7).

Tabelle 7 Prognostisch relevante Faktoren bei Rotatorenmanschettenläsionen [11]

Es lassen sich prä- und intraoperative Prognosefaktoren definieren, die sich aus den beschriebenen Einteilungen zusammensetzen und dem Operateur, aber auch dem Patienten bereits Hinweise auf das zu erwartende Ergebnis liefern können (Tabelle 7).

Fazit für die Praxis

Die Anatomie des Schultergelenks ist durch hohe Anforderungen an die Stabilität und die Motilität gekennzeichnet. Dabei wirken 3 Haupt- und 2 Nebengelenke als Gelenkkette und erlauben, den umfassenden Bewegungsumfang des Arms zu koordinieren. Die Muskeln der Rotatorenmanschette sind als aktive Stabilisatoren besonders an der Aufrechterhaltung des muskulären Gleichgewichts beteiligt. Daneben existieren knöcherne und ligamentäre passive Stabilisatoren, die der Gefahr einer Dislokation entgegenwirken. Besondere Bedeutung kommt den glenohumeralen Bändern und dabei dem inferioren glenohumeralen Ligamentkomplex zu, der sich bei zunehmender Abduktion wie eine Hängematte anspannt.

Die heute üblichen Einteilungen der Instabilität und Rotatorenmanschettenläsion sind durch prognostisch relevante Faktoren und pathophysiologische Grundlagen gekennzeichnet.