Die MdE-Bewertungen für Arthrodesen haben ähnlich wie diejenigen für Amputationen Eckwertcharakter. Eine in sich schlüssige Bewertung hat deshalb für das gesamte System der Rentenbegutachtung in der gesetzlichen Unfallversicherung große Bedeutung. Die nachfolgend diskutierten MdE-Empfehlungen beziehen sich auf fest durchbaute Arthrodesen in funktionell günstiger Stellung, wobei deren übliche Begleiterscheinungen in den Empfehlungen bereits enthalten sind. Im Interesse eines stimmigen „Koordinatensystems“ lässt sich bei den Arthrodesen die sonst bevorzugte Einschätzung der MdE in Zehnerschritten nicht in allen Fällen sinnvoll umsetzten, sodass bei einzelnen Arthrodesen eine feinere Abstufung mit Fünferschritten angezeigt ist.

Bewertungsempfehlungen in verschiedenen Rechtsgebieten

Die MdE hat als Bezugspunkt den allgemeinen Arbeitsmarkt, während sich die Einschätzung der Invalidität in der privaten Unfallversicherung bzw. des Impairments in den USA auf sämtliche Bereiche des Lebens bezieht. Es ist trotzdem aufschlussreich, zum Vergleich die Einschätzungsempfehlungen in der privaten Unfallversicherung [9] und in den USA [3] zu betrachten.

Arm

Der vollständige Armverlust im Schultergelenk wird in der gesetzlichen Unfallversicherung, in der privaten Unfallversicherung und in den USA jeweils unterschiedlich bewertet. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Einschätzung mit 80% am höchsten, in den USA mit 60% am niedrigsten. Die private Unfallversicherung liegt mit einer Bewertung von 70% in der Mitte.

Um eine Vergleichbarkeit zu erreichen, wurde in Abb. 1 der Wert für den Armverlust für alle Rechtsgebiete auf 1 gesetzt. Die Balken geben jeweils an, wie die verschiedenen Gelenkversteifungen relativ zum vollständigen Armverlust bewertet werden. Die blauen Säulen zeigen die Einschätzungsempfehlungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, der Pfeil gibt die Bandbreite der in den gängigen MdE-Tabellen [1, 4, 5, 6, 7, 10] angegebenen Empfehlungen wieder. Bei dieser Betrachtungsweise liegen die Einschätzungsempfehlungen in der gesetzlichen und privaten Unfallversicherung relativ nahe beieinander. In den USA sind die Einschätzungsempfehlungen für das Schulter- und das Ellenbogengelenk etwas niedriger.

Abb. 1
figure 1

Wichtung der Beeinträchtigung durch Gelenkversteifungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, der privaten Unfallversicherung und den USA, bezogen auf den Armverlust im Schultergelenk

Bein

Die entsprechende Darstellung für das Bein (Abb. 2) lässt deutliche Unterschiede in der Bewertung erkennen. Während der Beinverlust im Hüftgelenk in der gesetzlichen Unfallversicherung und in der privaten Unfallversicherung mit 80% bzw. 70% jeweils genauso hoch wie der Armverlust im Schultergelenk bewertet wird, ist die Bewertung in den USA mit 40% deutlich niedriger.

Abb. 2
figure 2

Wichtung der Beeeinträchtigung durch Gelenkversteifungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, der privaten Unfallversicherung und den USA, bezogen auf den Beinverlust im Hüftgelenk

Relativ zum vollständigen Beinverlust im Hüftgelenk wird in den USA die Versteifung des Hüftgelenks und insbesondere des Kniegelenks als erheblich schwerwiegender eingestuft als in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Arthrodese des Kniegelenks wird auch in den Einschätzungsempfehlungen für die private Unfallversicherung als schwerwiegender bewertet. Für die Arthrodese des oberen Sprunggelenks wird in der gesetzlichen Unfallversicherung überwiegend eine MdE von 20 v. H. empfohlen, dies entspricht der Spitze des Pfeils. In der privaten Unfallversicherung wird die funktionelle Einschränkung durch eine OSG-Arthrodese etwas geringer, in den USA deutlich geringer eingeschätzt. Die USG-Arthrodese wird in der privaten Unfallversicherung und in den USA gleich hoch gewichtet. Je nachdem, welche MdE-Tabelle man zugrunde legt, entspricht dies den Einschätzungsempfehlungen in der gesetzlichen Unfallversicherung oder liegt etwas darunter.

MdE-Einschätzungsempfehlungen

In Tabelle 1 ist zusammengefasst, in welcher Stellung eine Arthrodese der einzelnen Gelenke jeweils als günstig anzusehen ist. Tabelle 2 gibt eine Synopsis über die Bewertungsempfehlungen der gängigen MdE-Tabellen [1, 4, 5, 6, 7, 10].

Tabelle 1 Günstige Stellung (Funktionstellung) von Arthrodesen
Tabelle 2 Einschätzungsempfehlungen für Arthodesen in gängigen MdE-Tabellen (in v. H.)

Arthrodesen des Arms

Schulter

Für die Arthrodese des Schulterhauptgelenks mit gut beweglichem Schultergürtel wird in den MdE-Tabellen einheitlich eine MdE von 30 v. H. empfohlen, bei schlecht beweglichem Schultergürtel von 40 v. H.

Ellenbogen

Die Funktionsstellung des Ellenbogengelenks entspricht einer Flexion von 80–90° und einer Pronation von 20–40°. In 2 MdE-Tabellen [4, 7] findet sich die Angabe, dass eine Pronation von 70° einer günstigen Stellung entspräche. Dem kann nach Auffassung des Autors nicht gefolgt werden. Zu berücksichtigen ist, dass ein Mangel an Pronation durch das Schultergelenk ausgeglichen werden kann. Für einen Mangel an Supination ist dies nicht möglich.

Der Verlust der Scharnierbewegung im Ellenbogengelenk bei freier Umwendbewegung des Unterarms wird in den MdE-Tabellen mit 20–30 v. H. bewertet. Nach Auffassung des Autors ist hier ein mittlerer Wert von 25 v. H. am ehesten sachgerecht. Der Verlust sowohl der Scharnierbewegung im Ellenbogengelenk als auch der Umwendbewegung im Unterarm wird in den MdE-Tabellen mit 30–50 v. H. sehr unterschiedlich bewertet. Bemerkenswert ist dabei, dass zur Begründung der von Schürmann [10] angegebenen MdE-Empfehlung von 50 v. H. ausdrücklich die MdE-Tabelle von Bereiter-Hahn et al. [1] zitiert wird. Dort wird jedoch eine MdE von 30 v. H. und nicht von 50 v. H. empfohlen. Es liegt somit der Verdacht auf einen Übertragungsfehler nahe. Die MdE-Empfehlung von 50 v. H. erscheint zu hoch, wenn man bedenkt, dass die Handfunktion erhalten ist und dass die Bewegungseinschränkungen des betroffenen Arms bei vielen Tätigkeiten durch den anderen Arm kompensiert werden können. Der Autor hält hier wie Rompe [6] eine Einschätzung mit 35 v. H. für sachgerecht. Wenn nur die Umwendbewegung des Unterarms aufgehoben ist, wird in den MdE-Tabellen überwiegend eine MdE von 20 v. H. empfohlen, was auch aus Sicht des Autors angemessen ist.

Hand

Bei der Arthrodese des Handgelenks reichen die Bewertungsempfehlungen von 25–30 v. H. Da die Handgelenkbeweglichkeit für ein ökonomisches und feinmotorisches Arbeiten mit der Hand große Bedeutung hat, befürwortet der Autor für diese Arthrodese eine MdE-Einschätzung mit 30 v. H.

Arthrodesen des Beins

Hüfte

Die MdE für die Arthrodese des Hüftgelenks wird übereinstimmend mit 30 v. H. bewertet.

Knie

Eine Volleinsteifung im Kniegelenk bedeutet eine starke Beeinträchtigung beim Gehen und insbesondere beim Treppensteigen, nicht so ausgeprägt im Sitzen oder im Stehen. Gegenstände können nur aus dem Rücken heraus gehoben werden. Die Kompensationsmöglichkeiten sind geringer als bei der einseitigen Arthrodese der Hüfte. Das Ein- und Aussteigen in einen PKW bereitet größte Schwierigkeiten.

In den gängigen MdE-Tabellen wird die einseitige Arthrodese des Kniegelenks mit 30 v. H. bewertet, hier wäre aus Sicht des Autors eine höhere Einschätzung mit 35 v. H. angemessen. Auch Schröter [8] wies darauf hin, dass die Kniegelenkarthrodese in den gängigen MdE-Tabellen unterbewertet ist .

Sprunggelenk

Die Arthrodese des oberen Sprunggelenks wird überwiegend mit einer MdE von 20 v. H. bewertet. Von Schürmann [10] wurde allerdings mit 15 v. H. eine niedrigere Einschätzung angegeben. Aus rein funktioneller Sicht könnte man dieser Einschätzung für die ideale OSG-Arthrodese zustimmen, da die verloren gegangene Funktion des oberen Sprunggelenks in den Anschlussgelenken des Fußes z. T. kompensiert werden kann. Die technisch gut durchgeführte Arthrodese des oberen Sprunggelenks erlaubt häufig das Benutzen normaler Konfektionsschuhe. Mit einem Pufferabsatz und einer Abrollsohle kann oft eine annähernde Normalisierung des Gangbilds erreicht werden. Aus präventiven Gründen sollte allerdings bei Tätigkeiten, die zu einem großen Anteil im Gehen ausgeübt werden, ein überknöchelhoher orthopädischer Arbeitsschuh mit seitlicher Schaftverstärkung und Abrollsohle getragen werden. Da dies die vollständige Nutzung der vorhandenen Restfunktionalität verhindert, erscheint die übliche Einschätzung der MdE mit 20 v. H. aus Sicht des Autors weiterhin gerechtfertigt.

Bei einer Versteifung lediglich des unteren Sprunggelenks können Konfektionsschuhe mit umfassend gewalkter Einlage getragen werden, eine Abrollsohle ist nicht erforderlich. Hier ist nach Auffassung des Autors eine MdE von 10 v. H. angemessen.

Für die Arthrodese des oberen und unteren Sprunggelenks reichen die MdE-Vorschläge von 20 v. H.–30 v. H. Hier ist die Versorgung mit einem überknöchelhohen orthopädischen Schuh mit Schaftversteifung und Abrollsohle angezeigt. Die Versorgung ist also ähnlich, wie sie bei überwiegend gehenden Tätigkeiten aus präventiven Gründen auch bei der Arthrodese des OSG allein angezeigt ist. Die Einschränkungen sind im Vergleich zur Arthrodese des Hüft- und Kniegelenks deutlich geringer. Für die ideale Arthrodese des OSG und USG ist aus Sicht des Autors deshalb die Einschätzung mit einer MdE von 20 v. H. korrekt. In der Praxis liegen bei diesen Patienten jedoch häufig zusätzlich Anschlussarthrosen oder Fehlstellungen vor, sodass dann eine MdE von 30 v. H. gerechtfertigt ist.

Sprunggelenk und Fußgelenke

Bei der Versteifung des unteren Sprunggelenks in Kombination mit weiter vorne gelegenen Gelenken beziehen sich die MdE-Vorschläge in den gängigen Tabellen teilweise auf unterschiedliche Zustände. Die MdE wird aber jeweils gleichermaßen mit 25 v. H. angegeben.

Eine Versteifung des USG und des Vorfußes rechtfertigt eine MdE von 25 v. H., je nach Ausprägung der Einsteifung des Vorfußes im Einzelfall auch eine MdE von 30 v. H. Hier ist trotz Versorgung mit umfassend gewalkten Einlagen, steifer Sohle und Abrollsohle eine Kompensation der Funktionseinschränkungen nur deutlich eingeschränkt möglich. Ist neben dem unteren Sprunggelenk nur das vordere Sprunggelenk bzw. die Chopart-Gelenklinie versteift und sind die übrigen Fußgelenke gut beweglich, können die Funktionseinschränkungen durch die Schuhversorgung erheblich besser kompensiert werden. In diesen Fällen ist — auch unter Berücksichtigung präventiver Aspekte — nach Auffassung des Autors eine MdE von 20 v. H. angemessen.