I suppose it is tempting, if the only tool you have is a hammer, to treat everything as if it were a nail. (Abraham H. Maslow, 1966 [7]; oft auch Mark Twain zugeschrieben)

In dieser Ausgabe von Der Schmerz werden die Ergebnisse einer vermutlich repräsentativen Umfrage von im Krankenhaus tätigen und niedergelassenen Schmerztherapeuten, überwiegend Anästhesisten, vorgestellt [9]. Erfragt wurden u. a. die Häufigkeit der Anwendung, die Indikationsstellung für invasive Interventionen und die beobachteten Komplikationen. Zudem wurde nach der Effektivität gefragt. Nicht ermittelt wurde allerdings, mit welchem validierten Erhebungsinstrument außer einer Schmerzskala die angeblich überwiegend gute Wirksamkeit erfasst wird.

Intervention um der Intervention Willen

Das Bemerkenswerte ist zunächst, dass sich interventionelle Verfahren auch 2014 – trotz des seit Jahrzehnten beklagten Mangels an Daten zur Wirksamkeit [3] und zum langfristigen Nutzen – offenkundig einer hohen Beliebtheit bei jenen Schmerztherapeuten erfreuen, die wie Anästhesisten (aber auch Orthopäden, Neurochirurgen und Radiologen) über spezielle Kenntnisse und ausreichende Erfahrungen mit diesen Techniken verfügen. Immerhin behandeln fast 80 % der Befragten ein Viertel der Patienten invasiv, zumeist sogar mehrfach – 30 % der Befragten sogar, wenn die erste Blockade analgetisch unwirksam blieb. Bemerkenswert ist zudem, dass neben Sympathikusblockaden auch die im Operationssaal und in der postoperativen Akutschmerztherapie üblichen Verfahren der Regionalanästhesie, beispielsweise die Periduralanästhesie, bei der Behandlung chronischer Schmerzen beliebt sind; offenbar sogar intrathekale Injektionen, wie die Angaben zum postspinalen Kopfschmerz als häufigste Komplikation anzeigen. Die favorisierte Indikation ist Rückenschmerz – wofür es keinerlei Evidenz gibt. Diesbezüglich ist zu hoffen, dass die Mehrzahl der Patienten eine radikuläre Komponente aufwies, allerdings fehlen derartige Angaben zur Diagnostik in der Befragung. Bei neuropathischen Schmerzen, dazu zählt hier vermutlich für die Befragten auch das komplexe regionale Schmerzsyndrom, mag ein sympathisch unterhaltener Schmerz mit persistierender Allodynie vorgelegen haben, bei dem im Rahmen eine multimodalen Therapie, aber sicher nicht isoliert, Interventionen am Sympathikus indiziert sein können.

Ungeachtet der unstrittigen Bedeutung des afferenten nozipeptiven Inputs für Veränderungen des zentralen Nervensystems ist die therapeutische Sinnlosigkeit von „Blockadeserien“ am Rückenmark oder an peripheren Nerven seit den 1980er-Jahren belegt [1]. Durch eine passagere „Löschung“ des nozizeptiven Inputs mag zwar kurzfristig ein hervorragender Effekt erzielbar sein [4], Serien von Blockaden führen aber leider nicht zu einer bleibenden Reduktion der Schmerzintensität. Der in diesem Kontext immer wieder bemühte Mythos, man wolle „das Schmerzgedächtnis löschen“, klingt zwar nachvollziehbar, ist im Kern aber ein pseudowissenschaftliches Rechtfertigungskonstrukt mit einem neurobiologischen Schlagwort, das inzwischen eine ähnliche exkulpierende Funktion hat wie die „gate control theory“, die bis in die Werbung für Magnetfeldtherapie und Akupunkturzentren hinein scheinbar alles erklärt, v. a. aber alle beruhigt, weil sie uns der Notwendigkeit enthebt, einen präzisen und belegbaren Wirkbeweis zu erbringen. Warum soll eine „Löschung“ über die Nadel erfolgreich sein, wenn es zahlreiche Belege gibt, dass Patienten nach operativer Durchtrennung oder Neuromresektion geradezu regelhaft nach mehrmonatiger Schmerzfreiheit wieder den gleichen Schmerz entwickeln?

Eine weitere, auch von einigen Operateuren gerne strapazierte Hilfskonstruktion – oft zusammen mit der hier nur als Unwort zu bezeichnenden Behauptung einer Ultima Ratio – ist der Begriff der „Therapieresistenz“. Die eigenen langjährigen Erfahrungen in einer Schmerzklinik mit hohem Anteil an Patienten mit dieser „Therapieresistenz“ zeigen, dass sich ein komplettes Versagen von ansonsten in der Regel als wirksam belegten Medikamenten, verhaltenstherapeutischen Interventionen und multimodalen Therapieansätzen fast immer auf zwei Ursachen zurückführen lässt:

  • auf eine unzureichende somatische Diagnostik und

  • das Übersehen gravierender psychosozialer Aspekte.

Diese sind iatrogene Katalysatoren einer Chronifizierung, ein Prozess, der mit Nadeln und Neurostimulatoren nicht umgekehrt werden kann. Oft vermischen sich beide Aspekte, weil sich die Psychopathologie der Betroffenen mit dem Hilfswillen der Behandelnden komplementär ergänzen kann.

Ein Beispiel

Wir sahen vor wenigen Wochen den bestürzenden Fall einer sehr jungen, geistig durch frühkindlichen Hirnschaden eingeschränkten Frau, bei der nach Versagen oraler Medikationen in schon abstrusen Dosierungen unreflektiert zur intrathekalen Opioid- und dann sogar zur Ziconotid-Applikation übergegangen worden war. Seitdem „lebte“ sie im Rollstuhl, das gesamte Bein war nicht berührbar. Es hatte keine neurologische Diagnostik und keine psychologische Exploration gegeben, die z. B. den zeitnahen Tod eines Familienmitglieds und das Scheitern eines ersten Versuchs des Aufbaus einer selbstständigen Existenz außerhalb des Elternhauses als biografische Stressoren gezeigt hätte. Nach erfolgreichem komplettem Medikamentenentzug, verhaltenstherapeutischer Intervention und schrittweisem Aufbau einer intensiven Physiotherapie wurde die junge Frau schmerzfrei. Nach Explantation der Pumpe konnte sie normal berührbar und körperlich wieder aktivierbar ohne Gehstütze entlassen werden. In der Narkose zur Explantation der überflüssigen Pumpe erfolgte auch eine Neurographie, die einen unauffälligen Befund erbrachte.

Dieser Fall beschreibt die leider oft typischen therapeutischen Fehlreaktionen im Falle einer Therapieresistenz, z. B. unter Opioiden. Denn von Einzelfällen abgesehen resultiert sie oft aus einer opioidinduzierten Hyperalgesie oder einer Insensitivität der Schmerzen für Opioide. Die Behandlung dieser Pseudotherapieresistenz kann nicht etwa der Wechsel zu einem invasiven Verfahren sein, sondern nur der kontrollierte Entzug mit nachfolgender Rekonstruktion einer rationalen Schmerztherapie [5].

Anästhesiologische Schmerztherapie in der Abwärtsspirale?

Man setzt sich aber zu Recht dem Vorwurf „universitärer Arroganz“ aus, wenn man die invasive Schmerztherapie (mit den oben bereits genannten Ausnahmen) ausschließlich als Resultat ärztlicher Hilflosigkeit interpretiert. Denn es gibt einige Konstellationen, in denen eine interventionelle Therapie, eingebettet in eine physio- oder ergotherapeutische Langzeittherapie, dem Patienten den Weg zur Arbeitsfähigkeit verkürzen und erleichtern kann. Allerdings fehlen dafür die Belege. Bedauerlicherweise waren die interventionellen Verfahren in den letzten Jahren kaum noch Objekt wissenschaftlicher Forschung. Anästhesisten sind weltweit immer noch die größte Berufsgruppe in den meisten Schmerzgesellschaften, im krassen Gegensatz zu ihrer sogar rückläufigen Beteiligung an Publikationen oder wissenschaftlichen Konsortien. Dies ist umso bedauerlicher, als sich in den letzten Jahren durch die moderne Bildgebung und zentrale Elektrophysiologie unzählige Möglichkeiten ergeben haben, die zentralnervösen Wirkeffekte von Interventionen anders als früher nicht nur durch bloße Patientenbefragungen und Schmerzskalen zu analysieren, wie kürzlich erstmalig für Sympathikusblockaden publiziert wurde [8]. Hier rächt sich erneut, wie vom Autor dieser Zeilen schon 1998 folgenlos bejammert [6], dass in der universitären klinisch-anästhesiologischen Forschung die Schmerzmedizin bedeutungslos geblieben (oder geworden?) ist bzw. dass sie sich nur auf den Akutschmerz reduziert. In Deutschland bleiben die vielfältigen Möglichkeiten weitgehend ungenutzt, beispielsweise das operative Trauma als Modell zu nutzen, um Chronifizierungsmechanismen über eine zentralnervöse (Mal-)Adaptation zu überprüfen, oder die Relevanz des peripheren Inputs durch Einsatz von Ultraschall im Rahmen der heute hochpräzisen Blockadeverfahren zu analysieren [4]. Dementsprechend ist die Ausbildung vieler schmerzmedizinischer Kollegen ausschließlich empirisch-pragmatisch, was nicht falsch sein muss, aber die beschriebenen Handlungsweisen fördert.

Der Paradigmenwechsel, der sich in den letzten Jahren begrifflich im Wechsel von „Schmerztherapeuten“ zu „Schmerzmedizinern“ vollzogen hat, bedeutet, wie Bonica 1954 in einer Rede auf dem Österreichischen Anästhesiekongress betonte, dass es „wesentlich für den Anaesthesisten [sei], Diagnosen zu stellen, zu sichern oder abzulehnen, auch dann wenn er als Berater hinzugezogen wird“, und dass es „die erste und vielleicht einer der wichtigste [Erfordernisse] ist, daß er [der Anästhesist] Verantwortung übernehmen und Verpflichtungen erfüllen muß wie ein Arzt, statt einfach wie ein Techniker zu handeln, der ein Experte im Einstechen von Nadeln ist“ [2].

Dieser bereits vor 60 Jahren (!) formulierte Anspruch, dass die Diagnostik auch in der Schmerztherapie unverzichtbare Voraussetzung sein soll, wird nicht allerorts erfüllt. Dabei könnten interventionell tätige Kollegen durchaus einen wichtigen Beitrag leisten, neben den Sympathikusinterventionen auch durch die wichtige prognostisch-diagnostische Nervenblockade, die durch die Möglichkeiten der ultraschallgeführten Injektion inzwischen mit einer hohen Präzision möglich ist. Wenn aber interventionell tätige Schmerzmediziner lediglich überholte Konzepte der 1970er- bis 1980er-Jahre perpetuieren, wird die Abwärtsspirale für die anästhesiologische Schmerztherapie kaum ein Ende finden.

C. Maier