Einleitung

Im Zuge der Ökonomisierung des Gesundheitswesens sind Kliniken aufgefordert, unternehmerische Strukturen zu implementieren, um nicht zuletzt den ökonomischen Herausforderungen besser zu begegnen und wettbewerbsfähig zu sein. Ein Schlagwort, das sowohl in unternehmerischen Kontexten als auch im Gesundheitswesen in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, ist „Diversität“. Diversität wird als ein Schlüssel gesehen, um in Anbetracht einer globalisierten Welt wettbewerbsfähig zu bleiben. Systematisch und strategisch eingesetztes Diversitätsmanagement wird dabei als ein Instrument betrachtet, um z. B. „die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit zu sichern“ (Pfannstiel 2014, S. 384). In unternehmerischen Kontexten ebenso wie im Managementbereich sozialer Organisationen bezieht sich „Diversität“ auf die Verschiedenheit von Angestellten und/oder Patient*innen bzw. Kund*innen hinsichtlich unterschiedlicher Eigenschaften wie z. B. Geschlecht, Alter, Nationalität, Ethnizität, Religion oder Lebensstil, aber auch hinsichtlich verschiedener Funktionen und Fähigkeiten (Kastner 2019, S. 237).

Diversitätsmanagement wird in Unternehmen wie in Organisationen des Gesundheitswesens auf der Ebene der Personalabteilungen verortet und dient dazu, den Umgang mit verschiedenen „Diversitätsdimensionen“ bei Mitarbeiter*innen, Kund*innen oder Patient*innen zu gestalten. Durch das Management von personaler Vielfalt sollen eine höhere Effizienz und Effektivität bei Arbeitsabläufen erreicht und Chancengleichheit gefördert werden (Gomez und Bernet 2019; Matuko und Heister 2011). Ziel dieser Maßnahmen ist, die Wettbewerbsfähigkeit auch von Organisationen im Gesundheitswesen zu steigern. Dieser eher unternehmerischen Perspektive auf den Umgang mit Diversität stehen Überlegungen und Konzepte gegenüber, die die ethischen Aspekte von Vielfalt im Hinblick auf Gerechtigkeitsfragen in den Mittelpunkt stellen (Alexiadou 2018).

Die Etablierung eines Diversitätsmanagements und die Auswahl und Evaluierung von Maßnahmen zum Umgang mit und Gestaltung von Vielfalt gehen aus organisationsethischer Sicht mit strukturellen und ethischen Herausforderungen einher. Diese Herausforderungen, so die hier vertretene These, ergeben sich aus den im Diversitätsmanagement selbst angelegten, zum Teil konkurrierenden Zieldimensionen von Effizienz und Gerechtigkeit. Wenn „Effizienz“ mit „Gewinnorientierung“ gleichgesetzt wird, dann wird Effizienz auf rein finanziell motivierte Kosten‑/Nutzen-Analysen reduziert. In einer finanziell orientierten Kosten‑/Nutzen-Analyse haben es dann aber solche Maßnahmen schwer sich durchzusetzen, deren finanzieller Aufwand hoch oder deren finanzieller Nutzen kaum zu beziffern ist. Gerade solche Maßnahmen, die vor allem auch mittel- und langfristig soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Integration fördern, sind jedoch genau dies: teuer, bei schwer in Zahlen zu fassendem Nutzen (Vera 2020; Goode und Landefeld 2018; Knipper und Bilgin 2009).

Organisationen, Unternehmen wie Kliniken, müssen angesichts des Fachkräftemangels und des demographischen Wandels zunehmend auf die Vielfalt von Mitarbeiter*innen, Kund*innen und Patient*innen reagieren. Konzepte zum Diversitätsmanagement sind daher auch im Gesundheitswesen angekommen. Werden sie allerdings missverstanden, indem sie auf rein ökonomische Zieldimensionen reduziert werden, dann etabliert sich eine Art „Schein-Diversitätsmanagement“, das den Wert von Vielfalt an sich und die Zieldimension der sozialen Gerechtigkeit schnell aus den Augen verliert. Maßnahmen zum Umgang mit und zur Anerkennung von Vielfalt, werden dann gar nicht oder nur eingeschränkt umgesetzt und es verbleibt bei unstrukturierten Einzelmaßnahmen (Goode und Landefeld 2018). Diese Tendenz verstärkt sich umso mehr, je angespannter die generelle finanzielle Situation im Gesundheitssektor ist. Solche Einzelmaßnahmen sind aber weder in der Lage, die Chancen von Vielfalt noch die konkreten Herausforderungen im Arbeitsalltag tatsächlich zu ergreifen oder anzugehen. Natürlich sind die Umsetzungsmöglichkeiten immer auch vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Situation der Organisation zu sehen und es ist abzuwägen, welche Mittel die Organisation für ein Diversitätsmanagement aufbringen kann. Bei einer solchen Abwägung ist „Effizienz“ ein wichtiger Maßstab dafür, den Einsatz von Mitteln im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen zu bewerten. Allerdings bleibt die Frage bestehen, um welchen Nutzen es geht – um Kostenersparnis oder um Gerechtigkeit?

Der Beitrag argumentiert entsprechend für eine Stärkung der Gerechtigkeitsperspektive im Diversitätsmanagement. Nach einigen kurzen Bemerkungen zu Konzepten von „Diversität“ und einem Überblick über Ansätze zum Diversitätsmanagement in Organisationen des Gesundheitswesens wird mit einer organisationsethischen Perspektive zunächst ein Blick auf die Strukturen geworfen, in und mit denen Diversitätsmanagement in Kliniken implementiert und umgesetzt werden soll. Dabei wird deutlich, dass nur eine Gesamtstrategie dazu führt, über Einzelmaßnahmen hinauszuweisen. Der zweite Blick richtet sich auf die bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen abzuwägenden Werte. Es wird hier veranschaulicht, dass Abwägungen, die von Wirtschaftlichkeit geleitet sind, dann in einer rein finanziellen Kosten‑/Nutzen-Orientierung verbleiben, wenn der Grundwert der Gerechtigkeit nicht die Abwägungsüberlegungen leitet. Im Fazit werden schließlich die aus diesen Überlegungen folgenden Ansprüche an ein Diversitätsmanagement zusammengefasst, das Gerechtigkeitsaspekte in den Vordergrund stellt und Effizienz als Mittel zum Zweck ernst nimmt.Footnote 1

Diversitätskonzepte

„Diversität“ ist divers. Diskutiert wird das Konzept entsprechend vielfältig in den Politik‑, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (Hofmann 2012; Vertovec 2012; Young 1990), natürlich dem Bereich der Gender- and Diversity-Studies (Hanappi-Egger 2012; Vertovec 2015), aber auch in der Philosophie, und hier besonders in der politischen Philosophie und in der Unternehmensethik (Reinhardt 2020). Grundsätzlich geht es in den verschiedenen Denkrichtungen um die normative Forderung der Anerkennung von Vielfalt und um die damit verbundenen Forderungen nach Gleichstellung und Inklusion (Sander und Hartmann 2016).

Die nähere Bestimmung des Begriffs der Diversität ist mit einem interessanten Problem verknüpft. Je genauer man versucht, „Diversität“ zu definieren, desto weniger wird man ihr gerecht (Pasztor 2016). Der Literatur lassen sich zwei prominente Antworten auf dieses Problem entnehmen. Entweder wird versucht, „Diversität“ so weit zu fassen, dass die vielfältigen Charakteristika und ihre Bezüge zueinander berücksichtigt sind (Thomas 1995, S. 246). Solche Definitionen sind dann allerdings so offen, dass sie schon fast belanglos werden. Oder aber, man erkennt an, dass das Erstellen einer Definition oder die Benennung von Dimensionen oder Kategorien von Diversität an sich schon einen verengenden Blick auf die Thematik zur Folge haben, und gibt den Versuch einer Definition auf (Sepehri 2002, S. 76).

In unternehmerischen Kontexten folgt man der ersten Variante, indem man versucht, mit Hilfe von verschiedenen Modellen die vielfältigen Aspekte von Diversität zusammenzutragen und zu systematisieren. Breit angewendet und für verschiedene organisationale Kontexte angepasst wird das von Gardenswartz und Rowe (2003) vorgeschlagene Modell der vier Dimensionen von Diversität („4 Layers of Diversity“). Auch den Überlegungen zum Diversitätsmanagement im Gesundheitswesen liegt vielfach das Modell von Gardenswartz und Rowe zugrunde (vgl. z. B. Pfannstiel 2014; Schmidt und Walter 2014; Vedder 2013).

Das Modell ist nach den vier Dimensionen „Persönlichkeit“ sowie interne, externe und organisationale Dimension aufgeschlüsselt, die jeweils verschiedene Eigenschaften enthalten. In der internen Dimension sind das z. B. Alter, Geschlecht oder Ethnizität. Selbst wenn man diese Einteilung und die genannten Eigenschaften so übernimmt, ergibt sich aus der Verwendung eines solchen Modells eine weitere Aufgabe. „Diversität“ spricht viele dieser Dimensionen gleichzeitig an und es bleibt vor allem in konkreten Situationen häufig unklar, welche Dimensionen (Persönlichkeit, interne, externe, etc.) und welche Eigenschaften von Diversität (Geschlecht, Ethnie, etc.) gerade relevant sind und welche nicht (Daniels et al. 2017, S. 92).

Am Patient*innenbett kann die Einschätzung, ob der kulturelle Hintergrund einer Patientin von Relevanz ist oder sein sollte, durchaus unterschiedlich ausfallen. Vor allem die Frage, was von Relevanz sein sollte, verweist darauf, dass es sich bei der Einschätzung von Relevanz um eine Bewertung handelt. Damit ist, neben den oben schon angesprochenen Gerechtigkeitsaspekten, eine zweite normative Komponente angesprochen. Welche unterschiedlichen Dimensionen von Diversität wann relevant sind, muss in verschiedenen Situationen entsprechend abgewogen werden. Ebenso abgewogen werden müssen darüber hinaus die Maßnahmen zur Förderung bzw. Unterstützung der in den jeweiligen Diversitätsdimensionen verorteten Eigenschaften.

Für den klinischen Bereich wird momentan vor allem die „innere“ Dimension aus dem Modell der vier Dimensionen mit den Eigenschaften Ethnie, Geschlecht und Alter als besonders im Arbeitsalltag relevant diskutiert (Köllen 2014; Vedder 2013). Dabei stehen die Ethnie bzw. der kulturelle Hintergrund hier im Zentrum, da dieses Thema gerade im Zusammenhang der veränderten Personalstrukturen, Fachkräftemangel und der Einstellung von meist jungen ausländischen Kräften von wesentlicher Bedeutung sowohl für das Personalmanagement als auch im Hinblick auf die Patient*innen-Diversität ist (Wolfsgruber 2015; David 2011). Die Komplexität der Zusammenhänge zwischen den Dimensionen „Ethnizität“, „Geschlecht“, „Alter“, „sexuelle Orientierung“, „Religion“, etc. sind im Kontext des Diversitätsmanagement allerdings schwer getrennt voneinander zu betrachten, was auf die oben angesprochene Mehrdimensionalität verweist (Steger 2019; Köllen 2014; Vedder 2013). Zudem wird innerhalb dieser speziellen Debatte vornehmlich auf demographische Merkmale fokussiert. Der Bereich der Persönlichkeit (im Modell Gardenswartz und Rowe im Zentrum angelegt), spielt im Vergleich zu den in- und externen Dimensionen in weiten Teilen der Literatur zum Diversitätsmanagement im Krankenhaus eine noch eher untergeordnete Rolle. Dabei sind vor allem im Rahmen des Personalmanagements psychologische Merkmale im Rahmen der jeweiligen Persönlichkeit (z. B. Wertekonstellationen, Interessen, kultureller Hintergrund) für die Zusammensetzung von Teams und deren erfolgreiche Arbeit oft ausschlaggebender als demografische Merkmale (Kanning 2016; Bell et al. 2011). In der angesprochenen Debatte wird unter dem Begriff der „Ethnizität“ das weitere Verständnis eines kulturellen Hintergrundes mitgedacht, es zeigt sich aber auch, dass die Relevanz verschiedener Dimensionen je nach Kontext (z. B. im Team oder am Krankenbett) weiter und spezifischer zu diskutieren ist. So konnten z. B. verschiedenste Studien zeigen, dass für die Bildung von funktionsfähigen bzw. effizienten Teams und für die Förderung von Kreativität und Innovation die gezielte diverse Zusammenstellung von psychologischen Merkmalen innerhalb eines Teams eine zentralere Rolle spielt als Diversität hinsichtlich demographischer Merkmale (Wegge 2014; Bell et al. 2011; Christian et al. 2006).

Der vorliegende Beitrag fokussiert vornehmlich auf die demographischen Diversitätsdimensionen, da sie der untersuchten Debatte zugrunde liegen. Eine grundsätzlichere Kritik an diesem Diversitätsverständnis als zu wenig flexibel und/oder nicht angemessen bzw. nicht zielführend scheint in Anbetracht vieler Einwände durchaus geboten zu sein (Reinhardt 2020; van Laak und Weinert 2016; Bell et al. 2011; Appiah 2006; Sepehri 2002). Diese Diskussion geht allerdings über die in diesem Beitrag verfolgte Argumentation hinaus und muss an anderer Stelle geführt werden.

Der folgende kurze Blick in die Geschichte von Chancengleichheitsmaßnahmen skizziert die Entwicklung des Diversitätsmanagements im Gesundheitswesen. Anschließend werden die im klinischen Kontext diskutierten Modelle und Konzepte umrissen.

Diversitätsmanagement im Gesundheitswesen

Viele Maßnahmen, die zum Umgang mit Vielfalt eingesetzt werden, haben ihren Ursprung in der Zeit nach dem Civil Rights Act (1964) in den USA, der Diskriminierung am Arbeitsplatz explizit untersagt. Fördermaßnahmen zugunsten benachteiligter Gruppen und Programme zur Chancengleichheit bei Beschäftigung wurden allgemein als die angemessene Lösung für Diskriminierungsprobleme erachtet und folgerichtig in den frühen 1970er-Jahren im großen Stil etabliert, z. B. in Form von „Human Resource Management“ (HRM)-Abteilungen oder „Diversity Offices“, die von nun an das Management ergänzten. In den 1980er und 1990er-Jahren wurde Diversität sowohl in Unternehmen als auch in Organisationen des Gesundheitswesens immer mehr zum Thema (Steger 2019; Schröder 2019; Pfannstiel 2014). Beschleunigt wurde diese Entwicklung in Deutschland nochmal erheblich durch die im Jahr 2000 verabschiedeten EU-Gleichbehandlungsrichtlinien sowie das Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG, 18.08.2006), das Teile der EU-Richtlinien umsetzt (Schmidt und Walter 2014).

Entsprechend finden sich in der Literatur der letzten 20 Jahre zahlreiche Beiträge von Arbeitsgruppen aus Forschung, Politik und Gesellschaft, die sich mit dem Thema „Diversität im Gesundheitswesen“ sowie Modellen zum „Diversitätsmanagement“ auseinandersetzen sowie verschiedenste Umsetzungsvorschläge und Handlungsanleitungen zusammenstellen und kritisch beleuchten (Weech-Maldonado et al. 2018; Schmidt und Walter 2014; van Keuk et al. 2011). Ebenso diskutiert werden diverse gemeinwohlorientierte Maßnahmen unter dem Begriff der „kulturellen Öffnung“ (David 2011; Serio 2006; Albrecht und Borde 2007), die deutlicher an Aspekten sozialer Gerechtigkeit orientiert sind. Zusammenstellungen von Best-Practice-Beispielen machen zudem deutlich, dass sich auch in der beruflichen Praxis, in Kliniken und Organisationen des Gesundheitswesens bereits verschiedene Maßnahmen finden lassen, die versuchen, der Vielfalt am Arbeitsplatz und am Patient*innenbett gerecht zu werden (Schmidt und Walter 2014, S. 483 f.). Dazu gehören z. B.: Diversitätsvereinbarungen, Handreichungen (z. B. Klingler et al. 2020), Dolmetscherdienste, Diversity-Trainings, Programme zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie etc. Darüber hinaus finden sich immer mehr Organisationen des Gesundheitswesens unter den Unterzeichnern der „Charta der Vielfalt – für Diversität in der Arbeitswelt“Footnote 2 (initiiert 2006) bzw. engagieren sich, wie z. B. der Verband der Universitätsklinika, im Rahmen des Deutschen Diversitäts-Tages (28.05.2020, „Wir sind Vielfalt“Footnote 3). Noch wenig zu finden sind Best-Practice Beispiele zu den Dimensionen „Alter“ und „sexuelle Orientierung“ (Plöderl und Winkler 2019; Prüll 2019; Boral et al. 2011). Neben den auch im Klinik-Kontext wichtigen Fragen der Gleichberechtigung hinsichtlich des Geschlechts (Beerheide 2017; Apedjinou 2011) wird, mit der steigenden Zahl an Mitarbeiter*innen und Patient*innen mit Migrationshintergrund, der Aspekt der „Ethnie“ aus dem Dimensionsmodell der Diversität zentraler. Dabei steht die Diversität der Patient*innen immer gemeinsam mit der Diversität der Angestellten im Fokus und die Doppelrolle von Maßnahmen wird entsprechend diskutiert. Für manche Fragestellungen ist es dabei sinnvoll, Patient*innen und Mitarbeiter*innen getrennt und/oder vergleichend zu betrachten. Andere Fragestellungen bedürfen einer umfassenderen, holistischen Perspektive (Pfannstiel 2014).

Diversitätsmanagement aus organisationsethischer Perspektive

Diversitätsmanagementmodelle, die für den klinischen Bereich entwickelt wurden, betonen folgerichtig, dass das Potenzial solcher Konzepte nur dann richtig zum Tragen kommen kann, wenn das Modell in der gesamten Organisation etabliert ist und empfohlene Maßnahmen systematisch aufeinander abgestimmt sind (Sander und Hartmann 2016; Rosken 2016; Pfannstiel 2014). Idealerweise wird die Implementierung sowie die Auswahl, Umsetzung und Betreuung von Maßnahmen zum Diversitätsmanagement von einem*r entsprechend ausgebildeten Diversitätsmanager*in übernommen. Eine aus dem Diversitätsmodell von Gardenswartz und Rowe entwickelte systematische Zusammenstellung von Maßnahmen und Instrumenten für den Klinikkontext findet sich bei Pfannstiel (2014), der so auch aufzeigt, dass das „Handwerkszeug“, wie oben erwähnt, bereits in großer Fülle vorhanden ist. Ebenso liegen Vorschläge für das genaue Verfahren bei der Implementierung eines Diversitätsmanagements bereit. Schmidt und Walter (2014) stellen Eckpunkte und Schritte einer solchen Implementierungsstrategie vor, die aus der Perspektive einer Organisationsethik nur wenig zu wünschen übriglässt. In diesem Modell wird z. B. sehr sorgfältig auf übergreifende Implementierung von Strukturen geachtet und klare Zuständigkeiten benannt. Allein bei der Zusammenstellung der verschiedenen Gremien sollte deutlich mehr Augenmerk auf die Partizipation der Beteiligten und die Vielfalt innerhalb der Gremien selbst gelegt werden. Dieser Entwurf kann dann als eine sehr hilfreiche Orientierung dienen, die sich zudem im praktischen Kontext jeweils spezifisch konkretisieren lässt.

Trotz der Fülle an Konzepten und Modellen sind umfassende und strukturierte Ansätze zum Umgang mit Vielfalt in den Krankenhäusern und anderen Organisationen des Gesundheitswesens immer noch sehr selten zu finden (Vera 2020; Goode und Landefeld 2018; Knipper und Bilgin 2009). Es werden zwar verschiedenste Einzelmaßnahmen (neben den juristisch obligatorischen Gleichstellungsmaßnahmen z. B. Diversity-Trainings für Führungskräfte) etabliert, dennoch bekommt man leicht den Eindruck, dass dabei eher auf Sichtbarkeit gesetzt wird als auf eine langfristig angelegte strukturelle Verbesserung. So finden sich zwar vereinzelt an deutschen Kliniken auch Angebote islamischer Seelsorge oder muslimische Gebetsräume. Allerdings halten Knipper und Bilgin fest, dass „die Einzelmaßnahme eher als symbolischer Akt zu bewerten“ sei, wenn zugleich „kaum Zugang zu Dolmetschern besteht oder das Personal unter Zeitbedingungen arbeiten muss, die eine individuelle Betreuung und empathische Kommunikation mit Patienten mit geringen Deutschkenntnissen ausschließen […]“ (Knipper und Bilgin 2009, S. 91). Ein weiteres Beispiel stellt der Umgang mit aus dem Ausland kommenden Pflegekräften dar. Diese werden genauso durch die Praxisanleiter*innen betreut wie deutschsprachige neue Kolleg*innen. Spezifischere Einführungen für ausländische Mitarbeiter*innen sind aber sehr selten, ebenso wie immer wieder geforderte Mentoring-Programme für Führungskräfte (Sibbel und Bliesener 2014). Die Integration der neuen Kolleg*innen, in fachlicher wie sozialer Hinsicht, verbleibt noch allzu oft auf den Stationen und hängt am persönlichen Engagement einzelner Teammitglieder. Hier werden also Strukturmaßnahmen auf Individuen umgelagert.

Einzelmaßnahmen zum Umgang mit Diversität sind sicher besser als nichts, sie können aber weder mittel- noch langfristig dazu beitragen, das Arbeitsumfeld der Mitarbeiter*innen und die Betreuung von Patient*innen zu verbessern und für beide Gruppen eine diskriminierungsfreie, gleichberechtigte und wertschätzende Umgebung zu schaffen. Gefragt sind Konzepte, die in die Organisationsstruktur von Kliniken und Einrichtungen integriert sind und systematisch auf verschiedenen Ebenen Vielfalt und Chancengleichheit fördern. Dabei sollten die jeweils relevanten Dimensionen von demographischer wie psychologischer Diversität in den unterschiedlichen Kontexten erhoben (Harrison und Sin 2006) und bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen entsprechend berücksichtigt werden (Bell et al. 2011). Dass sich solche Konzepte nicht durchsetzen, ist, neben den notorisch knappen Ressourcen, mit Blick auf die strukturelle Ebene zu erklären. Aus organisationsethischer Perspektive lassen sich zwei Ansatzpunkte aufzeigen. Der erste ist bereits angesprochen worden: die fehlende systematische und strukturell übergreifende Implementierung eines Diversitätsmanagements (Goode und Landefeld 2018; Rosken 2016; Pfannstiel 2014). Die zweite betrifft die Verankerung des Diversitätsmanagements in den Wertekatalog oder in die ethischen Leitlinien einer Organisation (Wieland 2011).

Beide Punkte werden in unternehmensethischen Überlegungen stark gemacht. Dort wird festgehalten, dass das gesamte Managementsystem einer Firma oder einer sozialen Organisation an grundlegenden Werten ausgerichtet sein sollte, die z. B. in einem Ethik-Kodex festgehalten und in zentralen Bereichen, wie dem Compliance Management, der Corporate Social Responsibility (CSR) und dem Human Ressource Management (HRM) umgesetzt werden sollten. Ein Beispiel für ein solches, erweitertes „Werte Management System“ findet sich bei Wieland (2011).

Hier werden Elemente der Werteorientierung systematisch in die Unternehmensstruktur implementiert, was sich, zumindest was das Compliance-Management und das HRM angeht, auf eine Klinik übertragen ließe. Allerding wird die Werteorientierung zwar in Form des Code of Conduct, verschiedener ISO-Normen und Leadership-Guidelines in den Bereichen Compliance Management, CSR und HRM verankert, es findet sich aber keine Zuständigkeit oder Struktur für die aktive Ausarbeitung, Gestaltung und Begleitung dieser Werteorientierung. Damit besteht wiederum die Gefahr, dass sie, jenseits von juristischen Vorgaben und den damit verbundenen Sorgfaltspflichten, ins Leere läuft (Ranisch und Brand 2016; Köllen 2014).

Zudem ist das Diversitätsmanagement ausschließlich innerhalb des Bereichs des HRM verortet, im Gegensatz zu z. B. den Elementen Aus- und Weiterbildung, Auswahlprozedere, Karriereplanung, Bezahlung und Boni (Wieland 2011, S. 250). Gerade in diesen Querschnittsbereichen haben Diversitätsfragen jedoch ein besonderes Gewicht. Ein Blick auf weitere, aus der Perspektive der Unternehmensethik einzufordernde Arbeitnehmer*innenrechte (Crane und Matten 2007, S. 293) zeigt ebenfalls, dass Diversitätsfragen als Querschnittsthema zu verstehen sind: Fragen der Privatheit, der Beteiligungsmöglichkeiten, der Gesundheit, der Redefreiheit verweisen alle auch auf Diversitätsaspekte. Zudem betrifft Diversität nicht nur die internen Stakeholder, wie Angestellte und Management, sondern auch die externen (Kund*innen und Zulieferer*innen, Shareholder) – oder Patient*innen. Diversität ist also nicht nur ein Querschnittsbereich, sondern auch ein Bereich, der über die Organisation selbst hinausgeht. Dieser Komplexität kann jedoch nur schwer begegnet werden, solange das Diversitäts-Management explizit allein im Bereich des HRM verortet bleibt. Um Vielfalt anzuerkennen und auch mittel- und langfristig Chancengleichheit und Inklusion zu ermöglichen, bedarf es eines weiteren Blicks über Personalangelegenheiten hinaus auf alle organisationalen Einheiten einer Einrichtung oder eines Unternehmens (Rosken 2016; Pfannstiel 2014). Dies gilt umso mehr in Einrichtungen des Gesundheitswesens, die neben der Mitarbeiter*innen-Diversität auch die Patient*innen-Diversität mit berücksichtigen müssen. An dieser Stelle ist ein auf Unternehmen bezogenes Werte Management System dann auch nicht mehr auf z. B. Kliniken zu übertragen.

Dies führt wiederum zu der Frage, wie das Diversitätsmanagement im Wertekatalog der Organisation verankert ist. Die Kriterien für die Auswahl der relevanten Diversitätsdimensionen wie auch die Implementierung und Evaluierung von Maßnahmen im Rahmen des Diversitätsmanagements sollen, so die organisationsethischen Überlegungen, durch Bezug auf die im Ethik-Kodex oder in Ethik-Leitlinien festgehaltenen Normen und Werte ausgestaltet werden (Wallner 2015). Das ist sicher prinzipiell eine gute Idee, allerdings sind diese Leitlinien sehr allgemein gehalten (und müssen das auch sein), so dass aus ihnen nicht direkt Kriterien für die Evaluation von Maßnahmen abgeleitet werden können. Zudem, und hier nähern wir uns dem eigentlichen Kernproblem, können die in Leitbildern festgehaltenen Werte konfligieren. Im Umgang mit Vielfalt betrifft das die im unternehmerisch motivierten Diversitätsmanagement angelegten Ziele der Wettbewerbsfähigkeit und der sozialen Gerechtigkeit.

Effizienz kontra Gerechtigkeit?

Den Konzepten zum Diversitätsmanagement, die im Kontext sozialer Organisationen diskutiert werden, liegen unter anderen die Werte „Gerechtigkeit“ und „Effizienz“ zu Grunde. „Gerechtigkeit“ bezieht sich in diesem Kontext auf Chancengleichheit und Zugangsgerechtigkeit, womit Zugang zu Leistungen des Gesundheitssystems bzw. Zugang zu und Teilnahme an arbeitsplatzbezogenen Prozessen gemeint ist. In einem weiteren Sinne rekurriert Gerechtigkeit aber auch auf die Anerkennung oder gar explizite Wertschätzung von Vielfalt. „Effizienz“ wird häufig mit „Wirtschaftlichkeit“ gleichgesetzt (Gomez und Bernet 2019; Matuko und Heister 2011). Effizienz im Sinne von Wirtschaftlichkeit hat, aufgrund steigender Kosten sowie des demographischen Wandels, als Wert im Gesundheitswesen eine hohe Relevanz. Entsprechend müssen auch Maßnahmen zur Implementierung eines Diversitätsmanagements bzw. Maßnahmen im Rahmen eines Diversitätsmanagements selbstverständlich in wirtschaftlicher Hinsicht für die Organisation verantwortbar sein. Wird Wirtschaftlichkeit jedoch auf Kostenminimierung oder Gewinnsteigerung enggeführt und gleichzeitig als zentral angesehen, dann können die Gerechtigkeitsaspekte schnell in den Hintergrund treten. Nimmt Gewinnorientierung eine leitende Funktion im Diversitätsmanagement ein, dann kann es sehr schnell dazu führen, dass Patient*innen und Mitarbeiter*innen aus einer Perspektive des Profits betrachtet werden (Pfannstiel 2014, S. 386; Vedder 2013; Matuko und Heister 2011).

In einer solchen Variante eines „Business Case for Diversity“ (Schmidt und Walter 2014; Mensi-Klarbach 2012) können Elemente von Chancengleichheit und Zugangsgerechtigkeit Sachzwängen eher zum Opfer fallen als in gemeinwohlorientierten Ansätzen zum Umgang mit Vielfalt (Schröder 2019; David 2011; Serio 2006). Zwar lässt sich durchaus argumentieren, dass beide Ansätze zur Gestaltung von und Umgang mit Diversität im Krankenhaus dieselben Dimensionen ansprechen und ähnliche Methoden vorsehen (Schröer 2007, S. 33), ein zentraler Punkt bleibt von diesen Gemeinsamkeiten aber unberührt: Man kann dieselben Dimensionen von Diversität, psychologische wie demographische, mit demselben Methodenkatalog angehen und dabei sogar ähnliche Ziele im Blick haben und dennoch zu einem anderen Ergebnis kommen.

Um das Personalproblem zu beheben, kann man z. B. Mitarbeiter*innen aus dem Ausland anwerben, sie mit einem Deutschkurs und einer Unterkunft im Wohnheim ausstatten und sie dann sich selbst bzw. engagierten Arbeitskolleg*innen überlassen. Damit hat man drei Maßnahmen günstig umgesetzt und das gesetzte Ziel mit wenig Aufwand effizient erreicht. Man nimmt dabei in Kauf, dass die neuen Mitarbeiter*innen schnell wieder abspringen und die angestammten Team-Mitglieder zudem durch die Integrationsaufgaben überfordert sind. Dieser Maßnahmenkatalog entspricht dem oben angedeuteten Verständnis von Effizienz als Kostenreduktion. Man kann aber auch Strukturen aufbauen, die neue Kolleg*innen bei der Wohnungssuche unterstützen, bei Behördengängen assistieren und ein der Praxisanleitung vorgelagertes Schulungs- und/oder Mentoring-Programm etablieren, das z. B. den Deutschkurs um einen am klinischen Arbeitsalltag orientierten Sprachkurs ergänzt. Solche Maßnahmen sind deutlich kosten-, da personalintensiver, sie entlasten jedoch die bestehenden Teams und können dazu beitragen, neue Kolleg*innen dauerhaft zu gewinnen. In Kauf genommen wird die dauerhafte Finanzierung der Maßnahmen mit entsprechendem personellen Aufwand. Dieser Katalog entspricht eher den Konzepten interkultureller Öffnung, bei denen Gerechtigkeits- und Anerkennungsaspekte im Vordergrund stehen.

Von der hohen Übereinstimmung beider Konzepte kann also nicht gesprochen werden, und es ist nicht selbstverständlich, eine Form des Diversitätsmanagements als Gesamtstrategie zu wählen, die eher dazu tendiert, ein verengtes Effizienz-Konzept zu Grunde zu legen. Wie das obige Beispiel zeigt, gibt es aus der Perspektive dieses Verständnisses von Diversitätsmanagement keinen Grund, sich über die genannten Maßnahmen hinaus zu engagieren und Einzelmaßnahmen in eine Gesamtstrategie zu implementieren. Erst wenn man Anerkennung von Vielfalt und Gerechtigkeit ernsthaft in eine Abwägung von Maßnahmen mit einbezieht, wird es möglich, solche Strategien zu entwickeln, die Lebensumstände und Arbeitsalltag für alle dauerhaft verbessern. Dabei gilt es nicht nur, die Anerkennung von Vielfalt deutlich mehr zu betonen, sondern die Gerechtigkeitsperspektive als grundlegend anzusehen. Diversität und Vielfalt im Sinne von Diskriminierungsfreiheit, Gleichstellung, Chancengleichheit sind entsprechend in Deutschland konkret im AGG rechtlich festgehalten. In den Organisationskontext übersetzt entsprechen eben jene Maßnahmen zur Chancengleichheit und Gleichbehandlung, die im Diversitätsmanagement angesiedelt sind, der Gerechtigkeit im Arbeits- und Versorgungskontext. Die Umsetzung dieser Richtlinien effizient zu gestalten, ist eine Aufgabe des Diversitätsmanagements, und dies geht darüber hinaus, Arbeitsabläufe effizienter zu gestalten.

Die Maßnahmen eines wohl verstandenen Diversitätsmanagements sollten also der Vielfalt im Sinne der sozialen Gerechtigkeit dienen und dabei selbstverständlich geltendes Recht umsetzen und einhalten. Dass solche Maßnahmen unter Umständen Arbeitsabläufe verbessern und dazu beitragen, dass Mitarbeiter*innen weniger krank und Patient*innen zufriedener sind, ist sehr erfreulich, kann aber – verstanden als Gewinnmaximierung – nicht zentrales Ziel vom Umgang mit Vielfalt sein. Liegt ein systematisches Konzept vor, welche einzelnen Maßnahmen gezielt welche relevanten psychologischen wie demographischen Diversitätsdimensionen ansprechen, wie diese strukturell zusammenhängen und wie sie verankert sein sollen, dann erhalten die Einzelmaßnahmen mehr Wirksamkeit und Gewicht und tragen auch auf lange Sicht zu einer wohlverstandenen Effizienz im Sinne der sozialen Gerechtigkeit bei. So ließe sich dann auch deutlicher zwischen solchen Maßnahmen unterscheiden, die Diskriminierungen aufgrund demographischer Merkmale weiter einschränken bzw. verhindern, solchen, die Schwierigkeiten bei Arbeitsprozessen aufgrund zu großer Unterschiede in den Teams bewältigen (wie z. B. Diversity-Trainings) und solchen, die Teamzusammenstellungen in verschiedenen Kontexten optimieren. Letztere fokussieren eher auf psychologischen Diversitätsdimensionen, wie Wissen, Kompetenzen, Interessen und Persönlichkeitsmerkmale (Wegge 2014; Bell et al. 2011; Christian et al. 2006).

Die mit solchen Konzepten verbundenen Abwägungsprozesse transparent und im Sinne des Wertekataloges der Organisation anzuleiten, zu moderieren und umzusetzen, geht allerdings weit über die Zuständigkeit und die Kompetenzen der Personalabteilungen hinaus. Daher ist eine zentral angelegte und strukturübergreifende Verortung des Diversitätsmanagements angeraten.

Fazit

Es sei hier nochmals ausdrücklich betont, dass in vielen Kliniken und Einrichtungen des Gesundheitswesens durchaus Maßnahmen zum Umgang mit Vielfalt ergriffen werden und auf den Stationen und im direkten Einsatz sehr viel Einsatz gezeigt wird, um allen Kolleg*innen und Patient*innen möglichst gerecht zu werden. Um diese Maßnahmen aber langfristig erfolgreich werden zu lassen und den persönlichen Einsatz von Mitarbeiter*innen und auch Patient*innen nicht auszunutzen und überzustrapazieren, bedarf es eines Gesamtkonzeptes hinsichtlich 1) der zu berücksichtigenden demographischen wie psychologischen Diversitätsdimensionen und ihrer jeweiligen Relevanz, das 2) mit allen Beteiligten und für alle Beteiligte entwickelt wird und 3) in allen organisationalen Strukturen Anwendung findet. So kann dazu beigetragen werden, dass Diversitätsmanagement die Aufgabe ernst nehmen kann, zur sozialen Gerechtigkeit beizutragen. Dazu sollte bei der Abwägung und Evaluation von Maßnahmen zum Umgang mit Vielfalt Kosten‑/Nutzen-Überlegungen in den Dienst der Gerechtigkeit gestellt werden, nicht umgekehrt. Effizienz hat ihre unbedingte Berechtigung in der Einschätzung von Maßnahmen, sie ist aber ein Mittel zum Zweck und kein Selbstzweck.