Zusammenfassung
Der Selbstbestimmungdes Patienten kommt in der modernen Debatte über das Gesundheitswesen eine zentrale Bedeutung zu. Selbstbestimmung ist aber ein voraussetzungsvoller Begriff, der für Patientengruppen wie Demenzbetroffene, deren Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit nachlässt oder nicht mehr gegeben ist, eine Reihe von Fragen aufwirft. Auf der Grundlage der jeweiligen Symptomentwicklung der Demenzerkrankung und eigener Erfahrungen im Umgang mit Demenzbetroffenen wirdde rEntwicklungdes Willens in den verschiedenen Stadien der Demenz nachgegangen. Dabei wird den Dimensionen der Differenziertheit der Denkinhalte, der Beurteilungsbasis und der Entscheidungskonstanz eine besondere Bedeutung zugemessen und für eine Graduierung der Selbstbestimmungsmöglichkeiten im Umgang mit Demenzbetroffenen plädiert. Wegen der Schwererkennbarkeit der oft verschlüsselten Willensbekundungen Demenzbetroffener wird der Willenswahrnehmung und dem Training der genauen Beobachtung, Einfühlung und Sensibilität im Umgang mit den Betroffenen großes Gewicht beigemessen. Als Ziel wird die jeweils weitestgehende Selbstbestimmung, im Verlaufe der Erkrankung auch Teilselbstbestimmung und schließlich Mitwirkung bei der individuellen Wohlbestimmung im Sinne eines Grundrechtsschutzes vertreten.
Abstract
Definition of the problem
The self-determination of the patient is of central importance in the current debate about the healthcare system. However, self-determination is a concept based on certain prerequisites that raises a number of questions for patients like people with dementia whose abilities of decision-making and giving consent are declining or no longer exist.
Arguments:
Based on the development of the symptoms of the dementia and the personal experience with the people concerned, the development of thewill power during the differentstages of thedementia is analysed. The focus here is placed on dimensions like the differentiation of thinking, the basis of assessment, and the decision constancy. What is pleaded for is grading the possibilities of self-determination while dealing with the people concerned. Since a person with dementia often expresses his willin a coded manner, the recognition of such a will and the training in close observation, empathy and sensitivity are given high priority.
Conclusion:
The objective is self-determination to the greatest possible extent, in the course of the dementia a partial self-determination and finally participation in the determination of one's wellbeing in the sense of protecting basic rights.
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Wunder, M. Demenz und Selbstbestimmung. Ethik Med 20, 17–25 (2008). https://doi.org/10.1007/s00481-007-0529-z
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