Zusammenfassung
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, ob eine Behinderung immer als Form von Leid betrachtet werden muss. Mit Hilfe einer Unterscheidung zwischen absoluten und komparativen Einschränkungen des Wohls wird aufgezeigt, dass die bloße Tatsache einer vorliegenden medizinischen Schädigung nicht hinreicht, ein Urteil über das absolute Wohl einer Person zu treffen. Es werden verschiedene Argumente geprüft, warum Behinderung dennoch generell negativ bewertet werden sollte. Diese werden zurückgewiesen. Abschließend wird eine Überlegung eingeführt, wonach gleichwohl bestimmte Formen der Behinderung als objektive Beeinträchtigungen des Wohls zu gelten haben, nämlich dann, wenn basale Fähigkeiten betroffen sind.
Abstract
Definition of the problem: Most people are convinced that disability is always, or even by definition, a kind of harm. The aim of the article is to scrutinize this opinion. Arguments: It is argued that impairment, i.e. durable biological dysfunction, is not a sufficient ground for the ascription of harm. A distinction between absolute and comparative hence relative impairments of well-being is introduced. Several arguments in favour of the view that disability should be generally disvalued are discussed and rejected. Nevertheless, the idea of a non-subjective core of human well-being is supported, which is identified with basic capabilities. Conclusion: The plain identification of disability with harm is not plausible, although some disabilities constitute objective absolute harms.
Notes
Noch deutlicher wird die Aussage im Buchtitel "Behindertsein ist schön". Ernst Klee gab es 1974 heraus.
Ob der erwähnte Begriff der Schädigung tatsächlich ohne Rekurs auf Wertungen definiert werden kann, wird in der Medizinphilosophie kontrovers diskutiert (s. nur [3, 4, 19] und zur Kritik: [8, 15]).
Genau genommen müssen demnach zwei verschiedene Behauptungen unterschieden werden. Erstens: Eine medizinische Schädigung (impairment) ist nicht gleichbedeutend mit einer Einschränkung des individuellen Wohls. Zweitens: Der negative Aspekt einer Behinderung ist nicht in der Schädigung zu finden, sondern in den gesellschaftlichen Umständen begründet, die das Leben mit einer Schädigung erschweren. Dieser zweiten Deutung zu Folge, die häufig als soziales Modell von Behinderung bezeichnet wird, ist eine Behinderung keine intrinsische Eigenschaft einer Person, sondern eine von extrinsischen Faktoren abhängige Einschränkung. (Ausführlicher dazu: [20]).
Die eingeschränkte Interpretation menschlichen Wohlergehens führt auch zu den absurd anmutenden Behauptungen, wonach Lottomillionäre und Querschnittgelähmte nach einiger Zeit den gleichen Grad des Wohlergehens bzw. der Lebensqualität erreichen. Das Wohlbefinden mag durchaus das gleiche Ausmaß erreichen, doch ist damit bereits alles zum individuellen Wohlergehen gesagt?
Auch der Gesundheitsbegriff kann natürlich positiv bestimmt werden, dann spricht man aber in anderer Weise über Gesundheit als hier zugrunde gelegt ist. (S. [19], S. 101 ff.)
Die Fähigkeit zu praktischer Überlegung ist ein mögliches weiteres Element.
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Danksagung
Für Kritik, Hinweise und Hilfe danke ich den Teilnehmern der Tagung "Körperlichkeit und Normativität" in Dubrovnik 2001 und besonders Andreas Kuhlmann und Anton Leist.
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Schramme, T. Behinderung. Absolute oder relative Einschränkung des Wohlergehens?. Ethik Med 15, 180–190 (2003). https://doi.org/10.1007/s00481-003-0216-7
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