Zusammenfassung
Neue Märkte des Körperstylings, der medizinischen Kosmetikindustrie und nicht zuletzt Eingriffe der Schönheitschirurgie verheißen persönliches Glück durch Selbstoptimierung: Jeder kann sich neu erfinden und die Kontingenz eines anatomisch und ästhetisch ungerecht empfundenen Schicksals überwinden. Schönheitsideale, Körpermoden und Bilder sexueller Lüste variieren kulturell und historisch. War Sexualität früher mit der Utopie verbunden, das Potenzial zu haben, die Gesellschaft von Zwängen zu befreien, fügen sich die Sexualitäten heute reibungslos in die Marktgesellschaft ein. Die Angebote zur Optimierung sexueller Lust über die ästhetische Präparierung des Körpers sind vielfältig. Dabei dient der Körper als Ausdrucksmittel und Maßstab persönlicher Platzierung in der Welt. Welche Folgen sich daraus für das sexuelle Selbstverständnis des Subjekts, für ästhetische Formen kultureller Teilhabe, für Vorstellungen von Normalität und Abweichung ergeben, ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen.
Abstract
New markets of body styling, of the medical cosmetic industry and last but not least interventions by cosmetic surgery, promise personal happiness by self-optimization: any personal outward appearance can be reinvented to overcome the contingency of a fate anatomically and aesthetically perceived as unjust. Ideals of beauty, body fashions and images of sexual desire are subject to cultural and historical variation. Whereas sexuality was previously associated with the utopia of having the potential to release society from constraints, sexuality has nowadays been smoothly assimilated into the market society. The options available for optimization of sexual desire by the aesthetic preparation of the body are multitudinous. Thereby the body serves as a means of expression and a yardstick of personal placement in the world. The consequences arising from this for the sexual self-concept of the subject, for the aesthetic forms of cultural participation, for perceptions of normality and deviations are the subject of these deliberations.
Notes
In der Kleider- und Bademode der 1950er-Jahre wurde die weibliche Brust betont, deren ambivalente Besetzung in der Bezeichnung „Atombusen“ aufgehoben ist. Die tödliche Sprengkraft findet sich auch in der Bezeichnung „Bikini“, indem diese auf ein explosives Geschehen rekurriert: Der Bikini-Atoll war in den 1940er und 1950er-Jahren Schauplatz von Kernwaffentests der USA.
Der Wunsch nach einer Rekonstruktion des Hymens bei islamischen Migrantinnen entspringt der Angst vor Schande und der Furcht vor Sanktionen seitens der Familie. Auch in islamischen Ländern werden daher operative Revirginationen durchgeführt.
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Interessenkonflikt
F. Lamott gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Diesen Beitrag widme ich in freundschaftlicher Verbundenheit Marita Keilson-Lauritz zu ihrem 80. Geburtstag, die sich als Literaturwissenschaftlerin um die Geschichte der Sexualität, besonders die Anfänge der Homosexuellenbewegung, verdient gemacht hat. Ihr verdanken wir auch die jüngst erschienenen Publikationen bislang unveröffentlichter autobiografischer Schriften ihres Mannes Hans Keilson, wie das Tagebuch 1944 und Sonette für Hanna. Unschätzbare Geschenke.
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Lamott, F. Retuschierte Körper. Forum Psychoanal 33, 41–55 (2017). https://doi.org/10.1007/s00451-017-0258-y
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