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Sollen Psychoanalytiker Psychotherapeuten ausbilden?

Überlegungen zur Frage der tiefenpsychologisch fundierten Ausbildung

Should psychoanalysts train psychotherapists?

Considerations about education in depth psychological psychotherapy

  • Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
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Forum der Psychoanalyse Aims and scope

Zusammenfassung

Im Zusammenhang mit radikalen Veränderungen im Bereich psychotherapeutischer Ausbildung nach Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes, erörtert der Autor eine Reihe von Gesichtspunkten: In fachlicher Hinsicht wäre zu fragen, inwieweit Psychoanalytiker, die ja vor dem Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes „Monopolisten“ der Ausbildung für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie waren, sich auch zukünftig verantwortlich fühlen sollten für die Anwendung und Fortentwicklung dieser Therapiemethode. In fachpolitischer Perspektive wird erkennbar, dass andere therapeutische Richtungen die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie längst für sich reklamieren und durchaus bestreiten, dass die Psychoanalyse das unverzichtbare Fundament für die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bildet. Hinzu kommt, dass auch die psychoanalytischen Fachgesellschaften selbst in dieser Frage durchaus nicht einig sind. Als weiteren Gesichtspunkt diskutiert der Autor marktstrategische Implikationen: In einer Zeit nachlassenden Interesses an der psychoanalytischen Ausbildung im Standardverfahren ist es für die Ausbildungsinstitute überlegenswert, ob sie eine Ausbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie mit einem vergleichsweise weniger aufwändigen und teuren Curriculum anbieten wollen. In jedem Falle lautet aber die Kernfrage: Sollen Psychoanalytiker Psychotherapeuten ausbilden und Verantwortung für eine eigenständige tiefenpsychologisch fundierte Ausbildung übernehmen oder nicht? Die Veränderungen nach dem Psychotherapeutengesetz werden als ein die „Krise der Psychoanalyse“ in Deutschland modifizierender Aspekt verstanden. Der Autor plädiert für eine eigenständige tiefenpsychologisch fundierte Ausbildung durch Psychoanalytiker mit dem Ziel, einen Beitrag zur Aufrechterhaltung eines psychoanalysefreundlichen Umfelds etwa in klinischen Einrichtungen zu leisten und sieht sich darin in Übereinstimmung mit Überlegungen der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) zur Lösung der „Krise der Psychoanalyse“. Abschließend werden einige der wichtigsten, ungeklärten Fragen im Zusammenhang einer eigenständigen, tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapieausbildung erörtert und mögliche Lösungen diskutiert. Ziel ist, die Diskussion innerhalb der psychoanalytischen Fachgesellschaften zu beleben und deren berufspolitische Positionen in Einklang zu bringen mit der veränderten tiefenpsychologisch fundierten Ausbildungspraxis an psychoanalytischen Instituten.

Abstract

With respect to the radical changes in psychotherapeutic education as a consequence of the Law for Psychotherapy that has been put into force, the author elaborates on political, medical and strategic aspects. It is of special interest whether psychoanalysts having had the “monopoly” of training in depth psychological therapy should further take responsibility for the training in and the development of this method. Meanwhile, other therapeutic schools are claiming depth psychological psychotherapy for themselves and they deny the essential role of psychoanalysis as a foundation of it. In addition, the psychoanalytic institutes themselves do not agree on this issue. A further aspect of the question is that of marketing strategies: in order to survive, it is for psychoanalytic institutes at a time of lessening interest in standard psychoanalytic training important to offer training in depth psychological therapy with its comparatively less expensive and less extensive curriculum. But the essential question remains: should psychoanalysts train psychotherapists and take responsibility for an independent depth psychological therapy, or not? The author calls for a separate profound education in depth psychology taught by psychoanalysts in order to maintain a positive atmosphere for psychoanalysis e.g. in clinical institutions. He agrees with the IPV that this would help to solve “the crisis of the psycho analysis”. Finally, some of the most important, unsolved questions referring to a separate and profound education in depth psychology are presented and possible solutions are offered. It is of crucial importance to take up again the discussion within the psychoanalytical associations and to adjust their medical as well as political attitude to the new ways depth psychology is taught at psychoanalytical institutes.

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Notes

  1. Die IPV hat für das Jahr 2004 unter dem Titel „Developing psychoanalytic practice and training. Confronting the crisis in psychoanalysis“ 300.000 $ (davon allein 100.000 $ für Europa) zur Verfügung gestellt, um Projekte zu fördern, die darauf abzielen, die verschiedenen Gründe für die „Krise der Psychoanalyse“ zu erforschen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten.

  2. Entsprechend der durch das Inkrafttreten des PsychThG radikal veränderten Ausbildungssituation bezieht sich diese Frage—ungeachtet der im ärztlichen Weiterbildungssystem traditionell bestehenden separaten Weiterbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie—auf die Ausbildung psychologischer Psychotherapeuten.

  3. Eine andere internationale Bestrebung ist, unter dem Begriff „psychodynamische Psychotherapie“ ein separates Verfahren zu etablieren; tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie würde darin aufgehen, und der Bezug zur Psychoanalyse ginge verloren.

  4. Auch im System ärztlicher Ausbildung ist die tiefenpsychologisch fundierte Therapie nicht „aus einem Guss“; aber die im Ausbildungssystem psychologischer Psychotherapeuten entstandenen Unterschiede gehen darüber weit hinaus.

  5. In diesem Zusammenhang stehen auch Probleme der Psychotherapiegutachter mit nicht psychoanalytisch ausgebildeten tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeuten. So haben Rudolf u. Jakobsen (2002) Berichte im Rahmen des Gutachterverfahrens von tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeuten, die nicht über eine psychoanalytische Ausbildung verfügen, gegenüber psychoanalytisch ausgebildeten Therapeuten untersucht und eine höhere Fehler- und Ablehnungsquote bei „nur“ in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie ausgebildeten Therapeuten gefunden.

  6. Natürlich sind alle tiefenpsychologisch fundierten Therapeuten, die im Gutachterverfahren tätig sind, bemüht, die notwendigen Kriterien im „Bericht an den Gutachter“ zu erfüllen. Was dann aber tatsächlich im Behandlungszimmer geschieht, ist eine ganz andere Frage.

  7. Wenn die psychoanalytischen Fachgesellschaften ihre Grundposition, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sei ein von der Psychoanalyse abgeleitetes Verfahren, jetzt erweitern und die Auffassung vertreten, dass es eben zwei Varianten von tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie gibt—die psychoanalytische einerseits und die aller anderen Anbieter andererseits—so zeigt dies nichts anderes als die Wirkmächtigkeit äußerer Realität.

  8. Die Zunahme supportiver Elemente ist dabei nicht die eigentliche Gefahr für die Patienten, sondern führt in vielen Fällen schlicht zu verschwendeter Zeit. Die Gefahr liegt dagegen vor allem darin, dass nicht psychoanalytisch ausgebildete tiefenpsychologisch fundierte Therapeuten ein oberflächlich angelesenes Wissen um eine psychoanalytische Haltung einsetzen und ihre 50- bis 80-h-Therapie durch Passivität und Unfokussiertheit zur Einleitung regressiver Prozesse missbrauchen, die sie weder steuern noch abschließen können. Nur eine fokussierende und zugleich aktive Haltung ist für das tiefenpsychologisch fundierte Setting die angemessene Einstellung (vgl. dazu Rudolf et al. 2001).

  9. Die Definition der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie in den Psychotherapierichtlinien ist historisch ein Kompromiss (Rüger 2002) zwischen Positionen der DGPT und der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (AÄGP).

  10. Eine gewisse Berechtigung erfährt diese Position durch die in Deutschland mögliche „Kassenbehandlung“; sie könnte hierzulande die „Krise der Psychoanalyse“ in ihrem ganzen Ausmaß entweder verzögern oder sogar abfedern.

  11. Die „anderen Anbieter“ teilen sich derzeit den tiefenpsychologisch fundierten Ausbildungsmarkt beinahe konkurrenzlos; dies verstärkt die zahlenmäßige Überrepräsentierung dieser Anbieter (zusammen mit den Verhaltenstherapeuten).

  12. Der Kontext selbst ist ständigen sozialen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen unterworfen. Deshalb ist ein kontinuierlicher Abgleich zwischen kontextuellen Rahmenbedingungen und psychoanalytischer Praxis erforderlich. Die „Krise der Psychoanalyse“ verweist auf dramatische Weise auf dieses Erfordernis.

  13. Die wohl eher unrealistische Alternative wäre, die kostentreibende Erhöhung der inhaltlichen Anforderungen durch Honorarsenkung bei der Lehrtherapie/Lehranalyse zu kompensieren.

  14. An der Aufrechterhaltung eines psychoanalysefreundlichen Umfelds sind in Institutionen tätige Psychoanalytiker wesentlich beteiligt. Diese Gruppe ist der Aufmerksamkeit der Fachgesellschaften in den letzten Jahren—der (vielfach notwendigen) Konzentration auf die Belange der niedergelassenen Psychoanalytiker wegen—fast vollständig entgangen. Auch eine verstärkte Beschäftigung der Fachgesellschaften mit den „Anwendungen der Psychoanalyse“ ist im Hinblick auf ein psychoanalysefreundliches Umfeld von erheblicher Bedeutung.

  15. Das Bestehen auf Selbsterfahrung mit und in der zu erlernenden Methode ist auch ein Argument gegen „integrative Therapien“, die glauben, selektiv „nur das Beste aus jedem Verfahren“ vermitteln zu können.

  16. In einer reformierten integrierten tiefenpsychologisch fundierten Ausbildung könnte umgekehrt verfahren werden: Wie bei der Gruppentherapieausbildung üblich, könnte zum Ende der psychoanalytischen Ausbildung eine kurze Phase tiefenpsychologisch fundierter Lehrtherapie eingeführt werden, um ein Mindestmaß an Selbsterfahrung mir der speziellen Methodik sicherzustellen.

  17. Ein Beispiel: Die Gesamtkosten (Gebühr für das Bewerbungsgespräch, Aufnahmegebühr, Semestergebühren, Einschreibegebühr, Prüfungs- und Zertifizierungsgebühren, Kosten für Supervision und Selbsterfahrung) einer tiefenpsychologisch fundierten berufsbegleitenden Ausbildung werden mit 23.101 Euro, für eine VT-Ausbildung mit 16.975 Euro angeben (Quelle: www.bap-berlin.de). Praxiskosten, Fahrtkosten und ggf. Steuerersparnisse sind nicht eingerechnet.—Da hilft es wenig, wenn die psychoanalytischen Institute (zu Recht) Einnahmen der Kandidaten durch Ausbildungsbehandlungen gegenrechnen.

  18. Wie sie schon in der Ausbildung zum Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie praktiziert wird.

  19. Der Gedanke, die psychoanalytische Ausbildung als konsekutiven Studiengang zu organisieren, geht auf Jürgen Körner zurück, der eine DPG-Arbeitsgruppe zur tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie leitet. Die Arbeitsgruppe hat verschiedene Aspekte eingehend und kontrovers diskutiert, ohne bisher in allen Fragen zu einem abschließenden Votum gekommen zu sein.

  20. Diese Geringschätzung kann sich m. E. nicht wirklich auf die Bemerkung Freuds berufen, der zufolge es „in der Massenanwendung unserer Therapie“ wahrscheinlich notwendig sein werde, „das reine Gold der Analyse reichlich mit dem Kupfer der direkten Suggestion“ zu legieren (Freud 1919, S. 193).

  21. 42. IPV-Kongress 2002 in Nizza: „Die Anwendungen der Psychoanalyse“; 43. IPV-Kongress 2004 in New Orleans: „Arbeit an den Grenzen“.

  22. Das, was Beland das Aneignungstabu nennt, thematisiert die Frage, ob wir uns das zu Eigen machen dürfen, was wir selbst zerstört haben. Beland vermutet für die deutschen Psychoanalytiker ein unbewusstes Aneignungstabu, sich die Psychoanalyse wirklich und mit einem lebendigen und berechtigten Interesse, zu eigen zu machen, sie kreativ zu betreiben. Das Ausmaß der abgewehrten Schuld führe dazu, dass deutsche Psychoanalytiker sich unbewusst der Legimitation berauben, überhaupt Psychoanalytiker zu sein; dies führt zu einer Beschädigung der professionellen Identität und zu Abwehroperationen.

  23. Um die Konkurrenzfähigkeit im deregulierten Ausbildungsmarkt zu verbessern und schon bestehende behandlungstechnisch-methodische Möglichkeiten besser auszuschöpfen, ist m. E. die Einführung einer separaten tiefenpsychologisch fundierten Ausbildung nur eine von weiteren dingend notwendigen inhaltlichen und curricularen Veränderungen in unserem psychoanalytischen Aus- und Weiterbildungssystem. Besonders wichtig erscheint mir das Langzeitbehandlungsspektrum durch eine innere Differenzierung der psychoanalytischen Ausbildung zu erweitern: „Modifizierte Verfahren“, etwa Kernbergs „übertragungsfokussierte Psychotherapie“ (Clarkin et al. 2003), sollten dezidiert gelehrt werden, um im weiten Feld ichstruktureller Störungen, die für das Standardverfahren oft nicht zugänglich sind, für bestimmte Patienten weiter gehende Behandlungsziele realisieren zu können, als dies mit der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie möglich ist. Dies erscheint auch im Zusammenhang der breiten Diskussion um „störungspezifische“ Indikationen dringlich.

  24. Vergleiche hierzu: Internationale Psychoanalyse (2003) 2:14–33. Neun Autoren untersuchen die „Krise der Psychoanalyse“ aus unterschiedlichen Perspektiven.

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Eith, T. Sollen Psychoanalytiker Psychotherapeuten ausbilden?. Forum Psychoanal 20, 208–225 (2004). https://doi.org/10.1007/s00451-004-0199-0

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