Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrages …

  • sind Sie in der Lage, das Infektionsrisiko eines Patienten mit rheumatischer Erkrankung abzuschätzen,

  • gelingt es Ihnen, individuelle Risikofaktoren für das Auftreten einer Infektion zu identifizieren,

  • können Sie den Einsatz von Antibiotika und Immunglobulinen zur Verminderung des Infektionsrisikos evaluieren,

  • ist es Ihnen möglich, den Impfstatus von Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen zu optimieren.

Einleitung

Infektionen bestimmen neben kardiovaskulären Erkrankungen die Morbidität und Mortalität von Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen in besonderer Weise. Dabei wird das Infektionsrisiko durch die Grunderkrankung selbst, vorhandene Komorbiditäten, das Alter sowie die immunsuppressive Therapie bestimmt. Sowohl durch eine geeignete Auswahl der Medikamente wie auch das sorgfältige Erfassen vorbestehender Infektionen, ggf. auch deren Prävention, und die Durchführung von Impfungen kann das Infektionsrisiko vermindert werden. Im Folgenden soll der Leser dieser Arbeit lernen, eine Risikoabschätzung aufgrund anamnestischer und klinischer Parameter durchführen zu können und Maßnahmen zur Verminderung des Infektionsrisikos zu ergreifen.

Allgemeine Maßnahmen

Die aktuellen Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie haben besonders deutlich gezeigt, wie wichtig allgemeine Schutzmaßnahmen wie das Einhalten eines Mindestabstandes, ausreichende Händehygiene und das Tragen von Mund-Nase-Masken sind. Der Begriff des „social distancing“ hat hierdurch eine besondere Bedeutung gewonnen. Aktuelle Studien zeigen, dass durch diese Maßnahmen die Ansteckung durch das COVID-19-Virus vermindert werden kann [1]. Diese Maßnahmen können auch zur Vermeidung vieler anderer Infektionen wesentlich beitragen.

Verminderung des Infektionsrisikos

Das Infektionsrisiko eines Patienten wird durch eine Vielzahl von Parametern bestimmt. Hierbei spielt die Grunderkrankung selbst eine wichtige Rolle. Auch wenn es schwierig ist, sichere Aussagen hierzu bei den einzelnen Erkrankungen zu treffen, ist davon auszugehen, dass es bei entzündlichen Gelenkerkrankungen (das Infektionsrisiko von Patienten mit rheumatoider Arthritis ist in etwas doppelt so hoch wie bei Gesunden [2]) geringer als bei Kollagenosen und Vaskulitiden ist. Das Risiko, eine schwere Infektion zu erleiden, wird außerdem durch die nachfolgend aufgeführten Parameter bestimmt.

Aktivität der Erkrankung

Sowohl für die rheumatoide Arthritis wie auch für die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA) konnte gezeigt werden, dass das Risiko schwerer Infektionen in Remission deutlich abnimmt [3]. Wird bei Patienten mit rheumatoider Arthritis nach Auftreten einer schweren Infektion die Therapie mit einem Biologikum beendet, weisen demnach Patienten mit rheumatoider Arthritis ein deutlich höheres Infektionsrisiko auf als diejenigen, die eine Fortführung der Behandlung erhielten.

Komorbiditäten (chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Diabetes, neurologische Erkrankungen u. a.)

Komorbiditäten bestimmen das Risiko schwerer Infektionen. Dies gilt in besonderer Weise für Patienten, die mehrere Komorbiditäten aufweisen wie Vorliegen einer Lungenerkrankung (z. B. COPD [chronisch obstruktive Lungenerkrankung]) und/oder eines Diabetes mellitus. Vor allem die Ausbildung von Bronchiektasien scheint hier ein besonderer Risikofaktor zu sein [4]. In zahlreichen Studien konnten weitere Begleiterkrankungen definiert werden, die sich bezüglich des Infektionsrisikos als ungünstig erweisen. Dies gilt z. B. für Patienten mit einer schweren Niereninsuffizienz. Hier ist auch der durch eine ausgeprägte Proteinurie mitbedingte Mangel an Immunglobulinen besonders zu beachten. Eine besonders wichtige „Komorbidität“ stellen eine abgelaufene schwere Infektion, besonders eine Sepsis, oder auch infizierte Osteosynthesen oder Prothesen, die häufig nicht vollständig sanierbar sind, dar. Generell ist nach einer durchgemachten schweren Infektion das Risiko für eine erneute Infektion im kommenden Jahr deutlich erhöht.

Alter

Der Begriff der Immunoseneszenz beschreibt die Veränderungen des Immunsystems mit zunehmendem Lebensalter und gilt als wichtigster Faktor für die zunehmende Infektionsneigung von Älteren [5]. Als deutlicher Hinweis auf die Immunoseneszenz ist die in zahlreichen Studien gezeigte Abschwächung der Immunantwort auf Impfungen zu werten. Dabei ist einschränkend anzumerken, dass diese Alterung des Immunsystems nicht bei allen Patienten in klinisch relevantem Umfang eintritt. Keinesfalls sollten diese Überlegungen dazu führen, dass älteren Patienten eine adäquate Basistherapie vorenthalten wird und sie durch repetitive Steroidtherapien einem besonders hohen Infektionsrisiko ausgesetzt werden.

Merke

Das Risiko einer schweren Infektion wird durch die Grunderkrankung selbst, deren Aktivität sowie von Komorbiditäten und dem Alter der Betroffenen bestimmt.

Immunsuppressive Therapie

Die Intensität der Immunsuppression bestimmt hier in besonderer Weise das Risiko für die Entstehung schwerer Infektionen: So ist eine Therapie mit Cyclophosphamid in der Regel mit einem deutlich höheren Infektionsrisiko assoziiert als eine Basistherapie mit Methotrexat. Dabei spielen sowohl die Schwere der Grunderkrankung (bei Patienten mit früher rheumatoider Arthritis deutlich geringer als bei Patienten mit Lupus-Nephritis) als auch die Therapie eine entscheidende Rolle. Das Risiko von „banalen“ Infektionen ist auch bei chronischen Gelenkerkrankungen um mindestens 50 % erhöht, hier hauptsächlich getrieben durch die Kortikosteroiddosis und Biologika, während sich eine Therapie mit Basistherapeutika wie Methotrexat oder anderen traditionellen DMARDs („disease-modifying anti-rheumatic drugs“) auf das Infektionsrisiko kaum auswirkt. Eine auf der Basis des deutschen RABBIT-Registers durchgeführte Analyse zeigt, dass v. a. eine hohe Kortikosteroiddosis und das Vorliegen von Komorbiditäten das Risiko, eine schwere Infektion zu erleiden, erhöhen (www.biologika-register.de, hier „Risikoscore“). Gelingt es, durch eine Biologikatherapie die Aktivität der Erkrankung gut zu kontrollieren und die Steroiddosis zu reduzieren, kann hierdurch das Infektionsrisiko sogar vermindert werden [6]. Dabei gilt es zu beachten, dass auch eine geringe Prednisolon-Dosis gerade bei älteren Patienten das Infektionsrisiko signifikant ansteigen lässt (verdoppelt nach 3 Jahren Low-dose-Therapie mit 5 mg Prednisolon [7]). Somit sollten Kortikosteroide gerade bei älteren Patienten – sofern überhaupt erforderlich – in der niedrigsten effektiven Dosis eingesetzt werden. Dies belegt nochmals, dass es in der Regel nicht sinnvoll ist, eine Basistherapie zugunsten einer Steroidtherapie zu vermeiden oder suboptimal zu dosieren.

Einzelne Therapien können das Risiko für spezielle Infektionen erhöhten. So steigt das ohnehin schon erhöhte Risiko für Herpes-zoster-Infektionen bei Patienten mit rheumatoider Arthritis unter eine Therapie mit JAK(Januskinase)-Inhibitoren an.

Merke

Das Erreichen einer stabilen Remission und das Vermeiden wiederholter oder dauerhafter Therapien mit Kortikosteroiden sind entscheidende Faktoren zur Minimierung des Infektionsrisikos.

Medikamentöse Prophylaxe

Antibiotikaprophylaxe

Eine prophylaktische Therapie zur Vermeidung schwerer Infektionen mit Antibiotika wird bei der Therapie rheumatologischer Erkrankungen im Allgemeinen nicht empfohlen, da die Entstehung von Resistenzen befürchtet wird. Aktuell wird ein derartiges Vorgehen in Situationen mit einer erhöhten Gefährdung für den Patienten wie bei einem schweren Immunglobulinmangel nach B‑Zell-Depletion oder besonders ausgeprägten Risikosituationen (z. B. Cotrimoxazol bei Patienten mit GPA nach Therapie mit Rituximab [8]) diskutiert. Generell gibt es zu diesem Vorgehen keine eindeutigen Empfehlungen, wobei bei besonderen Risikokonstellationen wie rezidivierenden schweren Infektionen, schwerer Lymphopenie (z. B. auch im Rahmen einer HIV[„human immunodeficiency virus“]-Infektion) oder passager (z. B. venöse oder arterielle Katheter) bzw. permanent (z. B. Prothesen) eingebrachtem Fremdmaterial eine Antibiotikaprophylaxe erwogen werden kann. Die infrage kommende Antibiotikatherapie sollte sich hierbei an dem zu erwartenden Keimspektrum oder – besser noch – einem Antibiogramm des nachgewiesenen Erregers orientieren.

Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie-Prophylaxe

Diagnostik

Die Diagnose einer Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (PJP) basiert neben klinischen Kriterien auf typischen pulmonalen Infiltraten und im Idealfall auf dem Erregernachweis aus der bronchoalveolären Lavage (BAL), der mikroskopisch erfolgt.

Prophylaxe

Da die manifeste Erkrankung mit einer hohen Letalität assoziiert ist, wird bei Patienten mit einem erhöhten Risiko (Infobox 1) eine prophylaktische Therapie mit Cotrimoxazol empfohlen [9]. Einschränkend ist anzumerken, dass aufgrund einer ungenügenden Studienlage lediglich für die PJP-Prophylaxe bei Therapie mit Patienten mit ANCA(antineutrophile zytoplasmatische Antikörper)-assoziierten Kleingefäßvaskulitiden mit Cyclophosphamid eine ausreichende Evidenz vorliegt. Weiterhin ist aufgrund der nicht unerheblichen möglichen Nebenwirkungen der antibiotischen Therapie zwischen Nutzen und Risiken abzuwägen. Von mehreren Autoren wird die Ausdehnung auf andere rheumatologische Erkrankungen in Abhängigkeit vom Vorliegen von Risikofaktoren (Infobox 1) und der Intensität der immunsuppressiven Therapie (besonders Höhe der Steroiddosis, Cyclophosphamid, Rituximab) diskutiert [9, 10]. Eine generelle Empfehlung ist aufgrund der begrenzten Datenlage nicht möglich. Eventuell kann eine Minimierung des Risikos von Nebenwirkungen der Therapie mit Cotrimoxazol durch eine niedrigere Dosis erreicht werden.

Infobox 1 Risikofaktoren für das Auftreten einer Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie (PJP). (Nach Winthrop et al. [9])

  • Lymphopenie, CD4-Verminderung

  • CYC-, RTX- oder Anti-TNF-Therapie

  • GC >60 mg

Diagnose und Therapie der latenten Tuberkulose

Diagnostik

Mit dem Vorliegen einer latenten Tuberkulose ist in Deutschland je nach Region bei 5–10 % der Patienten zu rechnen. Der Zusammenhang zwischen einer Therapie mit TNF(Tumor-Nekrose-Faktor)-Blockern – v. a. mit den Antikörpern gegen TNF‑α – und dem Auftreten bzw. der Reaktivierung einer latenten Tuberkulose ist bekannt. Durch geeignete Screeningmaßnahmen (Anamnese, Thoraxröntgenaufnahme, IGRA[Interferon-Gamma-Release-Assay]-Testung) gelingt es, die allermeisten Fälle einer latenten Tuberkulose zu identifizieren und vor Einleitung einer Therapie mit einem Biologikum eine antibiotische Therapie einzuleiten. Hierbei ist zu beachten, dass neben den beiden zur Verfügung stehenden IGRAs und Tb-Elispot-Test, die die Produktion von Interferon‑γ mittels eines ELISA („enzyme-linked immunosorbent assay“) messen, nach wie vor auch der Tuberkulinhauttest noch zur Verfügung steht, der allerdings bei gegen Tuberkulose Geimpften aufgrund seiner fehlenden Differenzierung zwischen Antwort auf den Impfstoff und eine Infektion nicht verwendet werden sollte.

Therapie

Hierdurch konnte das Risiko einer TB(Tuberkulose)-Reaktivierung stark vermindert werden. Als Substanzen zur prophylaktischen Therapie sind Isoniazid (5 mg/kgKG [Körpergewicht] täglich, maximal 300 mg über 9 Monate) und Rifampicin (10 mg/kgKG über 4 Monate, maximale Dosierung 600 mg täglich) in vergleichbarer Weise geeignet. Während in der Rheumatologie mehr Erfahrungen mit der Isoniazid-Prophylaxe vorliegen, zeigt eine aktuelle Studie, in der INH (Isoniazid) mit Rifampicin in dieser Indikation verglichen wurde, Vorteile für Rifampicin bezüglich des Auftretens von Nebenwirkungen (NW) und der Compliance auf. Die zunehmende Erfahrung im Einsatz von Biologika lässt vermuten, dass das Risiko einer TB-Reaktivierung unter Therapie mit Rituximab, Abatacept und Tocilizumab vermutlich deutlich geringer als unter Therapie mit TNFi (Tumor-Nekrose-Faktor alpha-Hemmer) liegt.

Besonders zu beachten ist, dass

  • unter immunsuppressiver Therapie es zu einem Versagen der IGRAs kommen kann, besonders dann, wenn eine Lymphopenie vorliegt,

  • nicht alle Erreger atypischer Mykobakteriosen im IGRA erfasst werden, sodass hier eine diagnostische Lücke existieren kann,

  • auch bei negativem TB-Screening das Risiko einer Neuinfektion durch Mykobakterien unter Therapie mit TNFi erhöht ist, was z. B. bei der Auswahl von Reisezielen in Regionen mit hoher TB-Inzidenz beachtet werden sollte,

  • Nebenwirkungen und Arzneimittelinteraktionen unter Therapie mit Tuberkulostatika häufig sind und besonders beachtet werden müssen (z. B. Verminderung des Wirkspiegels von Tofacitinib bei gleichzeitiger Gabe von Rifampicin).

Weitere Informationen zur Interpretation des Tuberkulose- und Hepatitisscreenings vor immunsuppressiver Therapie wurden kürzlich in einer CME-Fortbildung von B. Ehrenstein [11] ausführlich dargestellt, sodass wir an dieser Stelle auf diese Arbeit verweisen.

Prophylaxe von Hepatitiden

Diagnostik

Infektionen mit Hepatitiserregern sind mit einer sehr unterschiedlichen Prävalenz weltweit verbreitet. Die Diagnose beruht auf dem Nachweis spezifischer Antikörper, wobei es erforderlich ist, vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie zu prüfen, ob eine Hepatitis B oder C vorliegt. In den letzten Jahren wurde außerdem immer wieder von Hepatitis-E-Fällen berichtet, die ggf. in die Differenzialdiagnose mit einbezogen werden sollten.

Für die Diagnose einer Hepatitis B sollte die Bestimmung von Anti-HBs, Anti-HBc und HBs-Ag erfolgen. Bei Hinweisen auf eine aktive Hepatitis B (HBs-Ag positiv) ist zusätzlich die Bestimmung von HBV(Hepatitis-B-Virus)-DNA (Desoxyribonukleinsäure) erforderlich [11].

Prophylaxe

Hepatitis C.

Grundsätzlich ist in vielen Fällen eine erfolgreiche Behandlung möglich geworden, sodass es kaum noch erforderlich ist, Patienten bei bestehender aktiver Hepatitis C immunsuppressiv zu behandeln. Kleinere Studien und Fallberichte zeigen, dass dies für die Behandlung mit TNFi (möglichst kurz wirksame Substanzen sinnvoll), Tocilizumab, Abatacept und Rituximab in der Regel möglich ist, wenn eine immunsuppressive Therapie erforderlich ist. Ein kritisches Abwägung von Nutzen und Risiken und eine engmaschige Überwachung sind hier erforderlich. Somit ist eine die Immunsuppression begleitende virostatische Therapie nur noch selten erforderlich.

Hepatitis B.

Eine akute oder okkulte Hepatitis B stellt für viele Patienten nach wie vor eine erhebliche Bedrohung dar. Einzelfallberichte dokumentieren schwere Verläufe nach Aktivierung einer vorbestehenden Hepatitis B z. B. durch Rituximab oder eine Steroidtherapie. Gibt es Hinweise auf eine aktive Hepatitis B, ist eine immunsuppressive Therapie nur unter prophylaktischer Einnahme von Virostatika möglich, wobei hier auf die neueren Substanzen wie Entecavir oder Tenofovir zurückgegriffen werden sollte. Für einige Immunsuppressiva, wie z. B. Rituximab, wird auch bei einer okkulten Hepatitis B eine prophylaktische Therapie mit einem Virostatikum gefordert. Sollte die immunsuppressive Therapie beendet werden, ist es wichtig, die virostatische Therapie zumindest für weitere 4 Wochen fortzuführen, bevor diese beendet werden kann.

Merke

Vor Einleitung einer immunsuppressiven Therapie sind Screeninguntersuchungen auf Hepatitis B und C, ggf. auch Hepatitis E erforderlich.

Immunglobulinsubstitutionstherapie bei sekundärem Antikkörpermangelsyndrom

Ein durch B‑Zell-depletierende Therapien ausgelöster Immunglobulinmangel kann mit einem erhöhten Infektionsrisiko assoziiert sein. Vor allem Patienten mit einer intensiven immunsuppressiven Therapie, die eine Behandlung mit Cyclophosphamid und Rituximab erhalten haben, weisen gehäuft ein deutlich erniedrigtes Ig(Immunglobulin)G auf. So zeigt eine Studie von Puechal bei Patienten mit GPA nach 2‑jähriger Erhaltungstherapie mit Rituximab in 58 % eine signifikante Erniedrigung des IgG, bei 7 % war es zu einer schweren Verminderung mit einem IgG von unter 4 g/dl gekommen [12]. Eine internationale Expertengruppe stellte kürzlich eine Konsensusempfehlung für die Immunglobulinersatztherapie („immunglobulin replacement therapy“ [IGRT]) bei sekundärer Hypogammaglobulinämie unter B‑Zell-gerichteter Therapie (in der Regel Rituximab) bei rheumatologischen Erkrankungen vor [13]. Das Ausmaß der Hypogammaglobulinämie, das Auftreten von schweren Infektionen, der Nachweis einer gestörten Antikörperreaktionen auf Polysaccharidantigene und schlechtes Ansprechen auf eine Antibiotikaprophylaxe werden als Kriterien für die Einleitung einer Substitutionstherapie aufgeführt und können so einen Anhalt für die Therapieentscheidung in der Praxis liefern. Die Entscheidung, eine Immunglobulinsubstitutionstherapie zu beginnen, hängt demnach nicht nur vom Ausmaß des IgG-Mangels ab, wobei ab einem IgG unter 4 g/dl von einer schweren Immunglobulinverminderung auszugehen ist.

Merke

Die systematische Erfassung spezieller Risikokonstellationen, wie z. B. das Vorliegen chronischer Infektionen oder ein Immunglobulinmangel, ist erforderlich, um ggf. prophylaktische Maßnahmen ergreifen zu können.

Impfungen

Ein optimierter Impfstatus ist eine der wichtigsten Waffen gegen das erhöhte Infektionsrisiko des immunsupprimierten Rheumatikers. Die Tab. 1 gibt einen Überblick darüber, welche Impfungen im Einzelnen zu diesem optimierten Status zu rechnen sind. Grundlage dafür sind die jährlich aktualisierten Empfehlungen der STIKO (Ständige Impfkommission), die in der Regel auch den Zulassungsstatus der einzelnen Impfungen definieren [14]. Weitere Hilfe bieten die kürzlich aktualisierten Impfempfehlungen der EULAR (European League Against Rheumatism) [15]. Leider ist bisher in Deutschland in der Realität nur ein kleiner Teil der immunsupprimierten Patienten tatsächlich mit dem notwendigen Impfschutz versehen, wie mehrere Untersuchungen zeigen (Beispiele [16, 17]).

Tab. 1 Sinnvolle Impfungen für den immunsupprimierten Rheumapatienten (Einzelheiten s. Text)

Wann impfen?

Optimalerweise sollte der Impfstatus vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie aktualisiert und komplettiert werden [15]. Es wird dadurch gewährleistet, dass die Impfantwort nicht durch eine laufende derartige Therapie reduziert wird (s. unten). In der Realität werden jedoch viele Patienten bereits unter Therapie stehen, wenn erstmals Impfungen geplant werden bzw. regelmäßige Impfungen (z. B. Influenza) wieder anstehen – glücklicherweise ist auch unter laufender Gabe bei vielen Immunsuppressiva die Impfantwort ausreichend (s. unten). Vorzugsweise sollte nicht in Phasen hoher Krankheitsaktivität geimpft werden [15]. Es empfiehlt sich, den Impfstatus des einzelnen Patienten jährlich zu überprüfen. Ein Recall-System in der Patientendatenbank mit Verweis auf anstehende Impfungen bedeutet zwar initial mehr Arbeit, hat sich in unseren Zentren aber als auf die Dauer zeitsparend und sehr nützlich erwiesen.

Merke

Vorzugsweise sollte eine Optimierung des Impfstatus vor Beginn der immunsuppressiven Therapie erfolgen, unter fast allen Immunsuppressiva (abgesehen von Rituximab) kann aber auch während der Therapie geimpft werden.

Sinnvolle und kontraindizierte Impfungen

Lebendimpfstoffe sind unter laufender immunsuppressiver Therapie in der Regel kontraindiziert. Bei Lebendimpfung vor einer solchen Therapie sollte der Therapiebeginn frühestens nach 4 Wochen erfolgen. Ist bei laufender Immunsuppression eine Lebendimpfung geplant (z. B. Gelbfieberimpfung bei vorgesehener Reise), muss das Immunsuppressivum vorher ausreichend lange abgesetzt werden. Dies kann bei einzelnen Substanzen mit langer Wirkdauer (z. B. Rituximab, Leflunomid) große Probleme bereiten und ist nach Therapie mit Rituximab frühestens nach 12 Monaten möglich (ausführliche Übersicht bei [18]). In jüngster Zeit wird diskutiert, ob eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung unter bestimmten Bedingungen bei Immunsupprimierten möglich ist, in der Pädiatrie hat sich diese Maßnahme als unproblematisch erwiesen [19].

Die obligatorisch oder unter bestimmten Voraussetzungen sinnvollen Impfungen mit abgetöteten Vakzinen für den Rheumapatienten unter (oder vor) Immunsuppression sind in Infobox 2 zusammengefasst. Als immunsupprimiert gelten alle Patienten unter DMARD-Therapie mit Ausnahme von Hydroxychloroquin und Sulfasalazin, allerdings gilt nach Expertenkonsensus auch niedrig dosiertes Methotrexat als gering immunsuppressiv [18]. Für die Glukokortikoid(GC)-Therapie gilt laut EULAR Empfehlungen [15] eine Dosis ab 20 mg Prednisolon-Äquivalent ab einer Therapiedauer von 2 Wochen als immunsuppressiv.

Infobox 2 Grundregeln für die Impfung von immunsupprimierten Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen. (Mod. nach [15])

  • Impfstatus und Indikationen für Impfungen sollten jährlich evaluiert werden

  • Der Patient sollte über den Impfplan und die Indikationen dafür aufgeklärt werden, Impfungen sollten auf der Basis einer partizipativen Entscheidungsfindung erfolgen

  • Impfungen sollten möglichst in einer Phase guter Krankheitskontrolle erfolgen

  • Nach Möglichkeit sollten Impfungen vor Beginn der immunsuppressiven Therapie durchgeführt werden, dies gilt insbesondere bei geplanter B‑Zell-depletierender Therapie

  • Impfungen mit Totvakzinen können auch bei laufender DMARD- und GC-Therapie durchgeführt werden

  • Lebendimpfungen sollten unter immunsuppressiver Therapie (bis auf Ausnahmen, s. Text) nicht erfolgen

Die in den übergeordneten Prinzipien der EULAR-Empfehlungen klargestellten Grundregeln sind in Infobox 2 kurz zusammengefasst.

Können Impfungen beim Rheumatiker negative Auswirkungen haben?

Impfungen können mit unerwünschten Wirkungen verbunden sein, das gilt grundsätzlich für Nicht-Immunsupprimierte ebenso wie für Patienten unter Immunsuppression. Ein gesteigertes Risiko unter Immunsuppression wurde immer wieder diskutiert, konnte aber in Studien nie belegt werden [18, 20]. Nach derzeitigem Stand des Wissens sind somit Impfungen bei Rheumapatienten unbedenklich möglich, insbesondere wenn sie in einer Phase der guten Krankheitskontrolle durchgeführt werden.

Merke

Impfungen werden von Patienten unter Immunsuppression genauso gut vertragen wie bei Nicht-Immunsupprimierten.

Welche DMARD-Therapie hat relevante Auswirkungen auf die Impfantwort

Nach B‑Zell-depletierender Therapie mit Rituximab ist von einer anhaltend deutlich verringerten und vermutlich für einige Impfstoffe meist unzureichenden Impfantwort auszugehen. Wie lange dieser Zustand anhält, ist von Patient zu Patient verschieden. Hier ist besonders wichtig, den Impfstatus möglichst vor Therapiebeginn zu optimieren, was für alle empfohlenen Totvakzine gilt. Im Unterschied dazu wird in der Regel bei laufender Therapie mit den meisten anderen b(„biological“)DMARDs eine ausreichende Impfantwort auf die in Tab. 1 als obligatorisch eingestuften Impfungen entwickelt. Unter Abatacept scheint die Impfantwort geringer und bei einzelnen Patienten nicht ausreichend zu sein [21]. Unter den cs(„conventional synthetic“)DMARDs kann Methotrexat die Immunogenität der Influenza- wie auch Pneumokokkenimpfung in geringem Maße negativ beeinflussen [22]. Möglicherweise wirkt sich hier eine kurze, z. B. 2‑wöchige Therapiepause, die in der Regel die Stabilität der Krankheitseinstellung nicht gefährdet, positiv aus [23]. In der Gruppe der ts(„targeted systemic“)DMARDs ist die Impfantwort unter Tofacitinib auf Pneumokokken-Konjugat-Vakzin (PCV-13) und Tetanus-Toxoid-Vakzin – untersucht bei Psoriasispatienten – bei den meisten Patienten gut [24]. Eine entsprechende Untersuchung unter Baricitinib ergab eine gute Impfantwort auf PCV-13 bei 68 %, einen über 2fachen Anstieg des Antitetanustiters bei 74 % der Patienten [25].

Im Gegensatz zu den empfohlenen Standardimpfungen ist die Datenlage bei den nur unter bestimmten Bedingungen empfohlenen Impfungen deutlich schlechter – nach den wenigen existierenden Daten könnte z. B. die Impfantwort bei Hepatitis- und FSME(Frühsommer-Meningoenzephalitis)-Impfung unter dem empfohlenen Impfschema zu gering sein und zusätzliche Gaben erfordern [26, 27]. Unter Immunsuppression sollten daher die Impftiter nach diesen Impfungen überprüft und ggf. höhere Impfdosen verwendet werden [28].

Fazit für die Praxis

  • Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen weisen – insbesondere bei schlecht kontrollierter Grunderkrankung und laufender Immunsuppression – ein erhöhtes Infektionsrisiko auf.

  • Neben der Aktivität der Grunderkrankung erhöhen insbesondere allgemeine Risikofaktoren wie Alter und Komorbiditäten, schwere Infektionen in der Anamnese und dosisabhängig begleitende Glukokortikoidtherapie dieses Risiko.

  • Sorgfältiges Screening auf bestimmte Infektionen (z. B. Tuberkulose, Hepatitis B) vor Therapie, großzügiger Einsatz von Schutztherapien bzw. Antibiotika und ggf. Immunglobulinen in Situationen mit erhöhter Gefährdung, bestmögliche Behandlung von Komorbiditäten und ein optimierter Impfstatus gehören zu den wichtigsten Maßnahmen, um das individuelle Risiko zu reduzieren.

  • Der Impfstatus sollte regelmäßig überprüft und ggf. aktualisiert werden.