FormalPara Infobox AWMF – Registernummer: 060-007

Klassifikation: S2k

https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/060-007.html

Besonderer Hinweis:

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissenstand zur Zeit der Drucklegung der Leitlinie entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet.

Die Benutzer selbst bleiben verantwortlich für jede diagnostische und therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

Übergeordnete Prinzipien

Übergeordnetes Prinzip A (starker Konsens)

Die Versorgung der an Großgefäßvaskulitiden Erkrankten soll auf einer gemeinsamen Entscheidung zwischen den Erkrankten und Behandelnden unter Berücksichtigung von Wirksamkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit beruhen.

Übergeordnetes Prinzip B (starker Konsens)

An Großgefäßvaskulitiden Erkrankte sollten Zugang zu Informationen über ihre Erkrankung, insbesondere zu den Auswirkungen der Großgefäßvaskulitiden, ihren wichtigsten Warnsymptomen und ihrer Behandlung (einschließlich behandlungsbedingter Komplikationen) erhalten sowie auf die Möglichkeit zur Teilnahme an Selbsthilfegruppen aufmerksam gemacht werden.

Übergeordnetes Prinzip C (starker Konsens)

Ziele der Behandlung sind die Verhinderung akuter und später Komplikationen durch die Großgefäßvaskulitiden bzw. durch die Toxizität der medikamentösen Therapie, die Reduktion der Mortalität sowie der Erhalt und die Verbesserung der Lebensqualität an Großgefäßvaskulitiden Erkrankter.

Übergeordnetes Prinzip D (starker Konsens)

An Großgefäßvaskulitiden Erkrankte sollen auf durch die Behandlung beeinflusste (einschließlich kardiovaskulärer) Komorbiditäten untersucht werden. Um das kardiovaskuläre Risiko und behandlungsbedingte Komplikationen zu verringern, sollten Lebensstilberatung und Maßnahmen der Prävention und medikamentösen Prophylaxe angeboten werden.

Spezifische Empfehlungen

1. Zeitpunkt von Diagnosestellung und Therapiebeginn

Empfehlung 1a (starker Konsens)

Bei Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis sollte umgehend eine Vorstellung bei einem auf die interdisziplinäre Diagnostik und Therapie von Großgefäßvaskulitiden spezialisierten Team erfolgen. Auch bei Verdacht auf eine Takayasu-Arteriitis sollten Diagnostik und Therapie durch ein spezialisiertes Team erfolgen, bei drohender ischämischer Komplikation ebenfalls umgehend.

Empfehlung 1b (starker Konsens)

Bei begründetem Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis soll umgehend eine Glukokortikoidtherapie begonnen werden. Nicht sofort zur Verfügung stehende Diagnostik soll den Beginn einer Glukokortikoidtherapie bei Verdacht auf Riesenzellarteriitis nicht verzögern. Bestätigt sich der Verdacht auf das Vorliegen einer Riesenzellarteriitis nach abgeschlossener sorgfältiger Abklärung nicht, soll die begonnene Glukokortikoidtherapie unter Überwachung rasch beendet werden.

2. Diagnostik

Empfehlung 2a (starker Konsens)

Die Basisdiagnostik bei Verdacht auf eine Großgefäßvaskulitis soll eine gezielte Anamnese und eine gründliche klinische Untersuchung insbesondere der arteriellen Gefäße einschließen. Zudem soll eine Labordiagnostik einschließlich C‑reaktiven Proteins und Blutsenkungsgeschwindigkeit erfolgen.

Empfehlung 2b (starker Konsens)

Die klinische Verdachtsdiagnose einer Großgefäßvaskulitis soll zeitnah durch bildgebende Verfahren oder histopathologisch gesichert werden. Insbesondere, wenn bereits eine Glukokortikoidtherapie begonnen wurde (z. B. bei begründetem Verdacht auf Riesenzellarteriitis), sollte die Diagnostik wegen unter Therapie abnehmender Sensitivität rasch vervollständigt werden.

Empfehlung 2c (starker Konsens)

Grundsätzlich sollten bei der Auswahl der diagnostischen Verfahren die klinische Fragestellung (z. B. zu untersuchendes Gefäßareal) sowie standortspezifische Faktoren wie Verfügbarkeit und Untersuchererfahrung berücksichtigt werden.

Empfehlung 2d (starker Konsens)

Bei unklaren oder negativen Befunden in Bildgebung oder Histologie und fortbestehendem klinischem Verdacht sollte ein weiteres diagnostisches Verfahren eingesetzt werden.

Bildgebende Verfahren

Empfehlung 2e (starker Konsens)

Bei Verdacht auf eine prädominant kranielle Riesenzellarteriitis sollte die Ultraschalluntersuchung der Arteriae temporales und axillares die bildgebende Modalität der ersten Wahl darstellen. Alternativ kann die hochauflösende MRT eingesetzt werden. Bei Verdacht auf eine prädominant extrakranielle Beteiligung sollte die MRT/MR-Angiographie, PET-CT oder CT eingesetzt werden.

Empfehlung 2f (starker Konsens)

Zur Beurteilung einer zusätzlichen aortalen Beteiligung bei prädominant kranieller Riesenzellarteriitis kann die MRT, CT oder PET-CT eingesetzt werden.

Empfehlung 2g (starker Konsens)

Bei Verdacht auf Takayasu-Arteriitis sollte die MR-Angiographie als Methode der ersten Wahl eingesetzt werden. Alternativ kann eine PET/PET-CT, Sonographie oder CT-Angiographie durchgeführt werden.

Histopathologie

Empfehlung 2h (starker Konsens)

Bei Verdacht auf eine kranielle Riesenzellarteriitis soll eine Temporalarterienbiopsie erfolgen, wenn eine aussagekräftige Bildgebung nicht zur Verfügung steht. Die Probenlänge einer Temporalarterienbiopsie sollte mindestens 1 cm betragen.

3. Glukokortikoidtherapie

Therapiealgorithmus bei Riesenzellarteriitis s. Abb. 1 und bei Takayasu-Arteriitis s. Abb. 2

Empfehlung 3a (Konsens)

Bei Erstdiagnose einer aktiven Riesenzellarteriitis ohne Sehstörungen oder einer aktiven Takayasu-Arteriitis soll eine Glukokortikoidtherapie begonnen werden. Die Dosis sollte initial 40–60 mg Prednisolonäquivalent täglich betragen.

Empfehlung 3b (Konsens)

Nach Erreichen einer Remission soll die Glukokortikoiddosis bei einer Glukokortikoidmonotherapie schrittweise reduziert werden. Es sollten etwa 10–15 mg (Riesenzellarteriitis)/15–20 mg (Takayasu-Arteriitis) Prednisolonäquivalent täglich nach 3 Monaten sowie ≤ 5 mg (Riesenzellarteriitis)/≤ 10 mg (Takayasu-Arteriitis) täglich nach 1 Jahr erreicht werden.

Empfehlung 3c (Konsens)

Die Glukokortikoidreduktion sollte unter klinischen und laborchemischen Kontrollen individuell festgelegt werden. Als Ziel sollte die individuell niedrigste effektive Glukokortikoiddosierung angestrebt werden einschließlich eines individuell gesteuerten vollständigen Ausschleichens der Glukokortikoide bei nach 1 Jahr anhaltender Remission.

Empfehlung 3d (Konsens)

Bei akutem Visusverlust oder einer Amaurosis fugax im Rahmen einer aktiven Riesenzellarteriitis (oder eines begründeten Riesenzellarteriitisverdachtes) sollte eine sofortige höher dosierte Glukokortikoidpulstherapie mit 500–1000 mg Methylprednisolon intravenös täglich über 3 bis 5 Tage erfolgen.

4. Glukokortikoid-einsparende Therapie bei Riesenzellarteriitis

Empfehlung 4a (Konsens)

Bei bestimmten an Riesenzellarteriitis Erkrankten (insbesondere refraktäre oder rezidivierende Erkrankung, Vorhandensein von oder erhöhtes Risiko für Glukokortikoid-assoziierte Folgeschäden) sollte nach individueller Abwägung eine Glukokortikoid-einsparende Therapie mit Tocilizumab durchgeführt werden. Methotrexat kann als Alternative eingesetzt werden.

Empfehlung 4b (Konsens)

Unter einer Therapie mit Tocilizumab bei Riesenzellarteriitis sollte eine schnellere Reduktion der Glukokortikoiddosis verglichen mit der Glukokortikoidmonotherapie erfolgen. Auch unter Therapie mit Methotrexat bei Riesenzellarteriitis sollte eine raschere Glukokortikoiddosisreduktion angestrebt werden.

Empfehlung 4c (Konsens)

Bei anhaltender Remission bei der Riesenzellarteriitis sollte eine Deeskalation oder Beendigung der Glukokortikoid-einsparenden Therapie erwogen werden.

5. Glukokortikoid-einsparende Therapie bei Takayasu-Arteriitis

Empfehlung 5 (Konsens)

An einer Takayasu-Arteriitis Erkrankte sollten zusätzlich zu Glukokortikoiden mit konventionellen Immunsuppressiva behandelt werden. Bei refraktären, rezidivierenden oder Glukokortikoid-abhängigen Verläufen sollten Tumornekrosefaktor-alpha-Inhibitoren oder Tocilizumab erwogen werden.

6. Rezidivbehandlung

Definition der Aktivitätsstadien der Großgefäßvaskulitiden nach EULAR-Empfehlungen von 2018 s. Tab. 1

Empfehlung 6 (starker Konsens)

Bei einem schweren Rezidiv einer Großgefäßvaskulitis soll erneut eine Glukokortikoidtherapie begonnen bzw. eine bestehende Glukokortikoidtherapie intensiviert werden (Initialdosierung wie bei einer neu diagnostizierten Großgefäßvaskulitis). Bei einem leichten Rezidiv sollte die Glukokortikoiddosis auf mindestens die letzte wirksame Dosis erhöht werden. Eine Glukokortikoid-sparende Therapie sollte bei rezidivierender Erkrankung begonnen oder angepasst werden.

7. Thrombozytenaggregationshemmer, Antikoagulanzien und Statine

Empfehlung 7 (Konsens)

Thrombozytenaggregationshemmer, Antikoagulanzien oder Statine sollten nicht routinemäßig zur Behandlung von Großgefäßvaskulitiden angewendet werden, sofern keine andere Indikation dafür besteht.

8. Verlaufskontrollen

Empfehlung 8 (starker Konsens)

An Großgefäßvaskulitiden Erkrankte sollen regelmäßig klinisch und laborchemisch überwacht werden.

9. Versorgung vaskulärer Komplikationen

Empfehlung 9 (Konsens)

An Großgefäßvaskulitiden Erkrankte mit Gefäßkomplikationen sollten von einem interdisziplinären Gefäßteam betreut werden. Erforderliche endovaskuläre und operative Gefäßeingriffe sollten, wann immer möglich, in Remission der Vaskulitis erfolgen. Die Entscheidung für spezifische Verfahren sollte individuell und nach interdisziplinärer Abstimmung getroffen werden. Bei gefäßchirurgischen Eingriffen sollte Gewebe zur histopathologischen Untersuchung gewonnen werden. Nach arteriellen Rekonstruktionen sollte eine lebenslange Nachsorge erfolgen.

Tab. 1 Definition von Aktivitätsstadien der GGV nach EULAR-Empfehlungen von 2018 [1]
Abb. 1
figure 1

Therapiealgorithmus bei Riesenzellarteriitis. Schematische Darstellung der Empfehlungen zur medikamentösen Therapie bei RZA. 1Beginn einer GC-Therapie umgehend bei begründetem Verdacht auf RZA und rasche Komplettierung der Diagnostik (vgl. Empfehlung 1b). GC Glukokortikoide, i.v. intravenös, mg Milligramm, RZA Riesenzellarteriitis, tgl. täglich

Abb. 2
figure 2

Therapiealgorithmus bei Takayasu-Arteriitis. Schematische Darstellung der Empfehlungen zur medikamentösen Therapie bei TAK. GC Glukokortikoide, mg Milligramm, TAK Takayasu-Arteriitis, tgl. täglich, aTNF Tumornekrosefaktor-alpha-Antagonist