Hintergrund und Fragestellung

Der Ausbruch des SARS-CoV‑2 („severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“) und der von ihm verursachten Infektionskrankheit COVID-19 („coronavirus disease 2019“) in Wuhan, Provinz Hubei, China, begann im Dezember 2019. Am 11.03.2020 verkündete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine weltweite Pandemie, die eine außerordentliche globale Herausforderung für die medizinische Versorgung darstellt. Aktuelle Statistiken und Berichte hierzu finden sich in verschiedenen Ressourcen, z. B. beim Robert Koch-Institut [7].

Für die Betreuung von Patienten mit rheumatischen Erkrankungen während der SARS-CoV-2/COVID-19-Pandemie wurden Handlungsempfehlungen von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e. V. [1] herausgegeben. Obwohl die Rheumatologie nicht primär in die Versorgung von COVID-19-Patienten involviert ist, hat die Vorbereitung der Gesundheitssysteme auf die Aufnahme einer großen Zahl schwerkranker COVID-19-Patienten im März/April 2020 dennoch erhebliche Auswirkungen auf rheumatologische Abteilungen und Praxen: Anpassungen des Leistungsumfangs, an COVID-19 erkrankte rheumatologische Patienten, das Fernbleiben von Patienten, Quarantänemaßnahmen, Entzug von Ressourcen sowie Krankheiten oder Quarantäne des Personals haben unter anderem zu betrieblichen und medizinischen Veränderungen geführt.

In der gegenwärtigen Phase der Pandemie sind die genauen Auswirkungen auf die rheumatologische Versorgung noch unbekannt. Ziel dieser Online-Umfrage ist es, den aktuellen Stand zu Beginn der Pandemie in Deutschland zu erfassen.

Untersuchungsmethoden

Ein webbasierter Fragebogen wurde entworfen, mit dem die Auswirkungen der Pandemie auf die stationäre und ambulante rheumatologische Versorgung erfasst wurden. Es wurden Fragen zu folgenden Themen gestellt: Merkmale der rheumatologischen Abteilung, allgemeine Auswirkungen auf die Therapie von Patienten in der Rheumatologie, Anwendung von Empfehlungen, persönliche Schutzausrüstung (PSA) und organisatorische Anpassungen an die neuen Rahmenbedingungen.

Alle Fragen wurden auf Deutsch gestellt und in SurveyMonkey (https://www.surveymonkey.de/r/LJWT8H9) platziert. Die Liste der Fragen ist im elektronischen Zusatzmaterial dargestellt. Eine Einladung zur Teilnahme an dieser Umfrage wurde in Newslettern durch die Deutsche Gesellschaften für Rheumatologie (DGRh) und den Berufsverband Deutscher Rheumatologen (BDRh) verschickt. Die Umfrage war 14 Tage lang verfügbar und wurde am 03.05.2020 geschlossen. Alle Antworten wurden auf Vollständigkeit geprüft, in einer Excel-Tabelle gesammelt und mit einer deskriptiven Statistik ausgewertet. Die Freitextantworten wurden separat gesammelt und ausgewertet.

Da es sich um eine anonyme Befragung von Kollegen handelt und weder Patienten noch Patientendaten Bestandteil der Untersuchung waren, wurde kein Ethikvotum eingeholt.

Ergebnisse

Demografie

Es wurden 66 vollständige Antworten aufgezeichnet und standen zur Auswertung zur Verfügung. Bei den Befragten handelt sich um Fachärzte für Rheumatologie (91 %) oder rheumatologische Assistenzärzte (9 %). Insgesamt haben Rheumatologen aus 12 Bundesländern teilgenommen, die meisten aus Nordrhein-Westfalen (30 %), Niedersachen (17 %), Berlin (11 %), Bayern (11 %) und Baden-Württemberg (9 %); 9 % der Teilnehmer waren Chefärzte, 8 % leitende Ärzte in MVZ, 30 % angestellte Ärzte und 53 % niedergelassene Fachärzte; 61 % arbeiten in ambulanten und 39 % in stationären Einrichtungen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Tätigkeitsort der Teilnehmer (n = 66)

Stationäre/ambulante Versorgung

In allen Institutionen werden (auch) ambulante Patienten behandelt. In den ersten 4 Wochen der COVID-19-Krise ging der Anteil der ambulanten Patienten im Mittel um −40,6 % (Median: −36,0 %) und damit deutlich zurück; dieser Abfall war in den Kliniken mit −59,9 % im Mittel (Median: −70 %) ausgeprägter als in den rein ambulanten Einrichtungen mit einem Rückgang von im Mittel 27,6 % (29,5 % Median). Auch die Anzahl von ambulanten Infusionspatienten war mit −25,6 % im Mittel rückläufig.

Es berichteten 21 der 26 stationären Einrichtungen (81 %) von einer Änderung der stationären Belegung im Mittel um −54,9 %. Die Abb. 2 zeigt die Verwendung der frei gewordenen Kapazitäten.

Abb. 2
figure 2

Änderungen in der stationären Belegung (Mehrfachnennungen waren möglich; n = 26)

Alle Befragten gaben an, die Handlungsempfehlungen der DGRh zum Umgang mit COVID-19 [1] zu nutzen. Es wird eine Änderung der Patientenzahlen mit Einleitung oder Umstellung einer krankheitsmodifizierenden antirheumatischen (DMARD)-Therapie von im Mittel −24,9 % (Median −15 %) berichtet. Gleichzeitig zeigt sich eine Zunahme der gezielten Beratung zu Infektionsprophylaxe und Impfungen von im Mittel +42,8 % (Median 49,5 %).

Es gaben 65,9 % der Befragten an, dass es einen Engpass bei denen von ihnen verordneten Medikamenten gab oder gibt. Am häufigsten wurden hier die Antimalariamittel Hydroxychloroquin und Chloroquin (n = 30) sowie die beiden Pneumokokkenimpfstoffe (n = 6) genannt.

Persönliche Schutzausrüstung (PSA) und Mitarbeitergesundheit

Es berichten 51,5 % der Teilnehmer über einen Mangel an persönlicher Schutzausrüstung, dieser betrifft 65 % der ambulanten und 31 % der stationären Strukturen; 85 % der Institutionen haben einen PSA-Vorrat von weniger als 1 Monat. Die Abb. 3 zeigt die derzeit verwendeten Einkaufskanäle.

Abb. 3
figure 3

Bezug/Einkaufsquellen von PSA (Mehrfachnennungen waren möglich; n = 66)

In 85 % der Abteilungen ist bei keinem Mitarbeiter bis dato eine Infektion mit SARS-CoV‑2 bekannt, 15 % geben an, dass weniger als 20 % der Mitarbeiter von einer entsprechenden Infektion betroffen sind oder waren. Diese Infektionen traten in 27 % der Krankenhausabteilungen und 8 % der ambulanten Abteilungen auf.

Organisatorische Anpassungen

Kurzarbeit

Es gaben 14 % der Befragten an, dass Kurzarbeit beantragt wurde. In 8 % betraf diese Kurzarbeit weniger als 20 % der Belegschaft und in 6 % zwischen 20 und 70 % der Belegschaft. In keiner Abteilung waren mehr als 70 % der Mitarbeiter betroffen.

Versetzung von Personal

In 42 % der teilnehmenden Krankenhausabteilungen wurde Personal in andere Abteilungen (z. B. Pneumologie oder Intensivstation) versetzt: Hiervon waren meist <20 % der Mitarbeiter aus den jeweiligen Abteilungen betroffen.

Anpassung der Arbeitsweise

Es gaben 68 % der Befragten an, in den letzten Wochen vermehrt andere Ressourcen für den Patientenkontakt genutzt zu haben. Die verwendeten Methoden finden sich in Abb. 4.

Abb. 4
figure 4

Nutzung von neuen Kommunikationswegen und Arbeitsweisen, die vor COVID-19 nicht genutzt wurden (Mehrfachnennungen waren möglich; n = 66)

Weitere Maßnahmen der Teilnehmer

Als Antwort auf die offene Frage: „Haben Sie weitere/andere Ideen zum Umgang mit den Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Rheumatologie, die Sie uns mitteilen möchten?“, antworteten 27 % der Teilnehmer insbesondere mit organisatorischen Vorschlägen für

  • Patientenströme (Reduktion der Patientenzahlen, Aufklärung von Patienten über verschiedene Medien),

  • räumliche Veränderungen (Veränderungen der Wartebereiche, Plexiglasscheiben, Schließung der Cafeteria),

  • Personal (Trennung der Mitarbeiter in verschiedene Teams, Hygieneaufklärung von Personal, Tragen von Mund-Nasen-Schutz, psychologischer Beratungsdienst, Anpassung der Regelkommunikation sowie Aufbau von Minusstunden, die dann zu einem späteren Zeitpunkt mit Überstunden ausgeglichen werden) und

  • die eigene ärztliche Tätigkeit („Flucht in den Ruhestand“).

Diskussion

Die Auswirkungen der aktuellen Pandemie auf das Gesundheitssystem werden derzeit breit öffentlich und wissenschaftlich diskutiert. Politisch wurden die deutschen Krankenhäuser am 13.03. aufgefordert, ab dem 16.03. alle planbaren Aufnahmen, Operationen und Eingriffe, soweit dies medizinisch vertretbar ist, auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Die Kliniken sollten sich primär der Versorgung von aktuellen und zukünftigen COVID-19-Patienten zuwenden [5] und v. a. die intensivmedizinische Versorgung gewährleisten. Parallel wurde das öffentliche Leben in Deutschland stark eingeschränkt und ist weitgehend zum Erliegen gekommen. Dieser Zustand wird seit Ende April schrittweise aufgehoben, und Anfang Mai kehren die Kliniken teilweise in einen Regelbetrieb zurück [6].

In dieser nationalen Umfrage haben wir die Auswirkungen der ersten Pandemiephase in Deutschland auf die ambulanten und stationären rheumatologischen Einrichtungen sowie die Versorgung von rheumatologischen Patienten untersucht. Dies ist unseres Wissens die erste Studie in der inneren Medizin, die sich mit diesen Auswirkungen und deren Spezifizierung befasst.

Es wurden hierzu Daten von 66 Institutionen analysiert. Die genaue Zahl der rheumatologischen Abteilungen und Praxen ist uns nicht bekannt. Kopetsch [4] gibt anhand von Daten der Kassenärztlichen Vereinigung an, dass es im Jahr 2011 insgesamt 475 internistisch rheumatologische Facharztpraxen in Deutschland gab, aktuellere Daten sind öffentlich nicht zugänglich. Nimmt man jedoch die damals beschriebene Altersverteilung hinzu, ist davon auszugehen, dass die Anzahl an Praxen sich nicht deutlich erhöht haben wird. Zusätzlich gibt es mindestens 56 rheumatologische Akutkliniken bzw. Fachabteilungen [9], je nach Definition. In Summe gehen wir davon aus, dass die Zahl der niedergelassenen Praxen oder Abteilungen bei ca. 600 bis 700 Einrichtungen in Deutschland liegt. Ausgehend von dieser Annahme, repräsentiert die aktuelle Umfrage die Antworten von ca. 10 % aller rheumatologischen Kliniken und Abteilungen. Damit liegt die Rücklaufquote im Rahmen anderer Online-Umfragen [8].

Auswirkungen auf das medizinische Tagesgeschäft

Die stationäre Belegung ging in den ersten 4 Wochen der Pandemie um durchschnittlich 55 % zurück. Die Zahl der ambulanten rheumatologischen Patienten war mit einer Reduzierung um 41 % etwas weniger ausgeprägt, aber auch deutlich. Es zeigt sich hier, dass der Rückgang in Krankenhäusern wiederum stärker ausgeprägter war als in niedergelassenen Praxen. Dies ist wahrscheinlich auf die komplexere Krankenhauslogistik im Zusammenhang mit der Umsetzung umfangreicher Sicherheitsvorkehrungen und die Anpassungen in der stationären Versorgung von Patienten zurückzuführen. Allerdings wurden in der Abfrage Empfehlungen und Vorgaben von Krankenhausleitungen, Behörden oder anderen nicht erfasst. So ist eine Unterscheidung zwischen freiwilligen, auferlegten oder von den Patienten ausgehenden Änderungen nicht erfolgt.

Wir finden einen Rückgang an rheumatologischen Infusionstherapien um ca. ein Viertel in den letzten 4 Wochen. Dies ist wahrscheinlich einerseits durch Absagen seitens der Patienten (aus Angst potenzieller Ansteckung; Quarantänemaßnahmen etc.) und andererseits auch durch eine mit dem Behandler abgestimmte Verlängerung des Infusionsintervalls bei niedriger Krankheitsaktivität zu erklären. Letzteres entspräche einer Umsetzung der Handlungsempfehlungen der DGRh [1]. Diese beinhaltet unter anderem die Überprüfung und Anpassung der Dosierungen und Applikationsintervalle von Immunsuppressiva und Glukokortikoiden im Hinblick auf eine erhöhte Infektionsneigung [1]. Die Zahl der Patienten, bei denen eine DMARD-Therapie neu eingeleitet oder umgestellt wurde, ging ebenfalls um ein Viertel, wahrscheinlich aus Bedenken vor einer möglichen Erhöhung des Infektionsrisikos, zurück. Eine weitere Ursache werden die reduzierten stationären und ambulanten rheumatologischen Behandlungen sein, da eine Therapieänderung in der Regel den direkten Arzt-Patienten-Kontakt zur Indikationsstellung, Durchführung der vorbereitenden Diagnostik, umfassenden Aufklärung und der schriftlichen Einwilligung erfordert.

Bisher ist nicht bekannt, ob eine COVID-19-Erkrankung bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen vergleichsweise schwerer verläuft und die immunsuppressive Therapie ein zusätzliches Risiko darstellt. Daher wäre ein abwartendes Verhalten bezüglich einer Therapieeskalation nicht verwunderlich. Entsprechende Patientenregister, um diese Fragen zu klären, wurden bereits initiiert [2].

Die berichteten Engpässe rheumatologischer Medikamente betreffen vorwiegend Hydroxychloroquin, welches unter anderem als potenzielle Therapie im Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung untersucht wird. In dieser Umfrage wird aktuell zudem eine Knappheit der beiden Pneumokokkenimpfstoffe beschrieben, verbunden mit einem potenziell erhöhten Risiko nicht geimpfter rheumatologischer Patienten für einen schwereren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung unter immunsuppressiver Therapie.

Gesundheit der Mitarbeiter und organisatorische Anpassungen an die COVID-19-Krise

PSA: Die Reserven an persönlicher Schutzausrüstung sind relativ knapp. Die Vorräte reichen in den meisten Fällen für 14 bis 28 Tage mit großen Unterschieden zwischen den Abteilungen. Dies erklärt, warum Befragte teilweise ungewöhnliche, nichttraditionelle Bezugskanäle nutzen.

Bei der Infektion von Mitarbeitern mit SARS-CoV‑2 besteht in dieser Phase der Pandemie eine hohe Heterogenität, die sich auch in unserer Untersuchung zeigt.

Organisatorische Aspekte: Die COVID-19-Krise führte zu Anpassungen, die sich im ambulanten Setting vorwiegend in einer Zunahme der Kurzarbeit und im stationären Setting in geplantem Bettenlehrstand/-umwidmung und Personalverschiebungen widerspiegeln. Zudem werden von 68 % der Befragten vermehrt Methoden und Medien für den Online-Kontakt mit Patienten ausgebaut oder neu etabliert. Hier bietet die Pandemie die Möglichkeit, mehr Erfahrungen in der Patientenversorgung mit modernen Medien, wie z. B. Videosprechstunde oder Apps, zu sammeln, um möglicherweise in Zukunft mehr darauf zurückzugreifen, hierdurch womöglich die Versorgung zu optimieren und damit mehr Patienten den Zugang in die rheumatologische Versorgung zu ermöglichen. Es bleibt abzuwarten, ob die Versorgung über moderne Medien qualitativ und in den zeitlichen Abläufen der Face-to-face-Versorgung gleichgestellt werden kann.

Limitationen

Unsere Studie hat einige Limitationen.

  • Die Rücklaufquote von ca. 10 % liegt im Bereich anderer Online-Umfragen [8]. Da wir derzeit mit wahrscheinlich disruptiven Veränderungen zu tun haben, hätten wir eine höhere Rücklaufquote erwartet. Auf verschiedene Methoden, die die Rücklaufquote erhöhen könnten (wiederholtes Mailing, telefonisches Nachfassen etc. [3]) wurde bewusst verzichtet, da es in dieser Situation einer neu aufgetretenen Pandemie nur ein kurzes Zeitfenster für eine zeitnahe Umfrage gab. Da das Ziel dieser Studie darin besteht, die Situation, Fragen und Probleme darzustellen und keine repräsentativen Aussagen zu machen, halten wir die Rücklaufquote für akzeptabel.

  • Eine weitere Einschränkung, die sich ebenfalls durch die Dynamik einer Pandemie und den damit verbundenen dramatischen medizinischen und gesellschaftlichen Auswirkungen erklärt, besteht darin, dass sich die Umfrage nicht an die täglichen dynamischen Änderungen der Prioritäten anpassen kann. Dementsprechend dient die aktuelle Umfrage als eine erste Momentaufnahme.

Fazit für die Praxis

Die rheumatologischen Leistungen sind 4 Wochen, nachdem die Pandemie SARS-CoV‑2 Deutschland in großem Umfang erreicht hat, deutlich reduziert. Die Studie zeigt Einschnitte für die Patientenversorgung und impliziert erhebliche organisatorische und letztlich auch wirtschaftliche Auswirkungen auf die Leistungserbringer sowohl ambulant als auch stationär.

Da sich die Umfrage nicht an die täglichen dynamischen Veränderungen anpassen kann, dient sie als eine erste Momentaufnahme, die Folgestudien und Vergleiche mit anderen Ländern und Regionen erfordert.