Hintergrund

Die oropharyngeale Dysphagie ist definiert als eine Funktionsstörung des Schluckakts bzw. eine Störung von Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sowie -transport. Diese allgemein gefasste Definition der Dysphagie erfordert keine bewusste Wahrnehmung des Betroffenen und umfasst damit auch das Phänomen der stillen Aspiration [13, 30].

Die Abgrenzung von alterstypischen Veränderungen zu pathologischen Befunden bereitet v. a. im Zusammenhang mit der Presbyphagie Probleme. Einerseits kann es zu komplexen Veränderungen des Schluckakts durch physiologische Alterungsprozesse mit Abnahme der Muskelmasse (Sarkopenie), Abnahme der Elastizität des Bindegewebes, Skelettveränderungen, Veränderungen der Sensorik und Sensibilität sowie der Modifikation der zentralen Steuerung des Schluckakts kommen (primäre Presbyphagie). Der primären Presbyphagie mit daraus resultierender leichter Dysphagie kommt oft kein Krankheitswert zu. Allerdings erhöht sich durch abnehmende Kompensationsreserve die Anfälligkeit für eine schwerere Dysphagie im Fall einer begleitenden Erkrankung. Andererseits hat die sekundäre Presbyphagie – d. h. Presbyphagie als direkte Folge einer Erkrankung im höheren Lebensalter – große Relevanz [18]. Die Bedeutung und die Häufigkeit dieser Veränderungen führen zur Einordnung der oropharyngealen Dysphagie als geriatrisches Syndrom [2].

Die oropharyngeale Dysphagie ist im höheren Lebensalter ein Prädiktor für schwerwiegende Komplikationen und erhöhte Mortalität [18]. Bei klinischer Beurteilung der oropharyngealen Dysphagie kommt es zu Fehleinschätzungen, da sich die Symptome meist untypisch und vieldeutig darstellen oder z. B. durch eine Störung der pharyngealen und laryngealen Sensibilität ganz ausbleiben können [23]. Besondere Schwierigkeiten bereitet das oft fehlende Problembewusstsein der Betroffenen [4, 23]. Häufig wird eine Schluckstörung als Ausdruck des physiologischen Alterungsprozesses angesehen, sodass keine Bemühungen zu Diagnostik und Behandlung folgen [29]. Etwa 40–60 % der Schluckstörungen werden klinisch nicht erkannt [1, 3, 9, 16, 19].

Ein standardisiertes Dysphagiemanagement bewirkt eine Senkung von Pneumonie- und Mortalitätsrate mit relativer Risikoreduktion von etwa 70–80 % und kann zudem zu einer relevanten Kostenreduktion führen [9, 12, 16, 19, 22, 24]. Trotzdem findet in vielen Einrichtungen kein standardisiertes Dysphagiescreening oder -management statt [9, 19].

Gängige Instrumente zum Dysphagiescreening

Das Ziel von Screeninginstrumenten ist die frühzeitige Identifikation von Risikopatienten. Die Mehrzahl der Risikopatienten sollte auf der Ebene der Grundversorgung durch geschulte Mitarbeiter im Gesundheitssystem entdeckt werden. Zum Dysphagiescreening wurden verschiedene Verfahren v. a. bei Schlaganfallpatienten validiert (Tab. 1). Perry und Love beschrieben 2001 eine durchschnittliche Sensitivität der gängigen Screeningverfahren zur Detektion eines Aspirationsrisikos >70 % (Spezifität von 69–92 %) [20]. Ramsey et al. wiesen 2003 auf eine Sensitivität von 42 bis 97 % bei einer Spezifität von 59 bis 91 % hin [21]. Das Scottish Intercollegiate Guidelines Network (SIGN) empfiehlt 2010 einen Wasserschlucktest, der Elemente verschiedener Screeningtests kombiniert, wie z. B. 2 von 6 Elementen nach Daniels [6], Burke Dysphagia Screening Test (BDST) nach de Pippo [7] und Gottlieb [11] und Standardised Swallowing Assessment (SSA) nach Ellul [10]. Durch Trapl wurde 2007 der Mehrkonsistenzentest GUSS an 50 akuten Schlaganfallpatienten mit einer Sensitivität von 100 % bei einer Spezifität von 50 bis 69 % validiert [28]. Clave hat 2008 den „Volume-Viscosity Swallow Test“ (VVST) mit mehreren Konsistenzen, mit einer Sensitivität von 84 % und Spezifität von 64 %, validiert [5]. Hierbei wurden 12 Gesunde (Median 40 Jahre) und 85 Patienten (Median 70 Jahre), davon 40 (Median 75 Jahre) mit v. a. zerebrovaskulären Erkrankungen sowie 24 (Median 60 Jahre) mit neurodegenerativen Erkrankungen, untersucht.

Tab. 1 Übersicht über Dysphagiescreeninginstrumente

Die oben genannten Ausführungen zeigen, dass die bisher in der Geriatrie verwendeten Dysphagiescreeningverfahren nicht für geriatrische Patienten validiert sind. Lediglich der VVST [5] untersuchte ein teilweise geriatrisches Patientenkollektiv, allerdings mit bereits bestehender Dysphagie.

Praxis des Dysphagiescreenings in der Geriatrie in Deutschland

Die AG Dysphagie der DGG hat sich 2011 gegründet, mit dem Ziel, den Erfahrungsaustausch zu fördern sowie geeignete Standards zum Management der Dysphagie zu entwickeln. Die Mitglieder der AG sind Ärzte, Logopäden, akademische Sprach- und Schlucktherapeuten und klinische Linguisten, die überwiegend in Akutkliniken, aber auch in ambulanten Dysphagiezentren tätig sind. Alle haben eine lange praktische Erfahrung in klinischer und apparativer Dysphagiediagnostik.

Durch die Arbeitsgruppe erfolgte 2014 eine Umfrage an deutschen geriatrischen Kliniken zur Praxis der Dysphagiediagnostik. Der Schwerpunkt lag auf der damals vorhandenen apparativen Schluckdiagnostik. Die 55 auswertbaren Rücksendungen zeigten ein inhomogenes Bild. Der Ablauf der Schluckdiagnostik war relativ einheitlich. Es erfolgte zunächst ein bisher nichtstandardisiertes Dysphagiescreening, im Anschluss ein ebenfalls nichteinheitliches Dysphagieassessment durch Logopäden, Sprachtherapeuten bzw. klinische Linguisten. Die Indikationsstellung zu apparativer bzw. bildgebender Diagnostik erfolgte meist geriatrietypisch im Team. In zwei Dritteln der Kliniken existierten klinikinterne Standards zur Dysphagiediagnostik.

Die Umfrage zeigte eine häufige Verwendung des Daniels-Test [6], des GUSS oder auch der Schlucküberprüfung nach Suiter und Leder [14]. Am häufigsten war die Anwendung selbst zusammengestellter und modifizierter Schluckassessments, die häufig mit Unzulänglichkeiten vorhandener Screeninginstrumente begründet wurden. Die Limitationen der vorhandenen Tests lassen sich beispielhaft am Daniels-Test [6] illustrieren, der aufgrund seiner guten Spezifität, Sensitivität und Sicherheit mit schrittweise zunehmenden Volumina des Wasserschlucks in geriatrischen Kliniken in Deutschland verbreitet ist. Aufgrund der Abmessung der definierten Volumina ist der Test aber umständlich und zum Screening wenig alltagstauglich. Der Würgreflex allein als Prädiktor ist relativ unzuverlässig [6]. Auch die anderen validierten Tests erweisen sich aus unterschiedlichen Gründen (aufwendige Zubereitung; notwendige Abmessung von Volumina und Zubereitung von Testkonsistenzen; schlechte Akzeptanz von Testkonsistenzen; notwendige technische Hilfsmittel) als wenig praktikabel in Klinik- und Praxisalltag.

Vorschlag für ein neues Dysphagiescreeninginstrument für geriatrische Patienten

Basierend auf den Erfahrungen der Mitglieder der AG Dysphagie, der vorliegenden Evidenz sowie der genannten Umfrage wurden Elemente für ein neues Instrument zum Dysphagiescreening zusammengestellt und konsentiert (Mitglieder der Konsensusgruppe Tab. 3). Für die Zusammenstellung standen Aspekte der Praktikabilität im Mittelpunkt. Voraussetzung war die Durchführbarkeit durch geschultes medizinisches Personal, das keine besondere Qualifikation in Bezug auf die Diagnostik und Therapie von Schluckstörungen braucht.

Der Test besteht aus 3 Elementen (Tab. 2):

Tab. 2 Elemente des neuen, konsentierten Dysphagiescreeninginstruments

1. Beurteilung des Allgemeinzustandes bzw. des Wachheitsgrades

In Anlehnung an den Schottischen Wasserschlucktest [1] und im Wissen, dass sicheres Schlucken nur beim wachen Patienten in aufrechter Sitzposition möglich ist, wurde der Schluckprüfung die Beurteilung von Vigilanz und Sitzfähigkeit vorangestellt. Sollte der Patient nicht ausreichend wach sein bzw. nicht für 15 min aufrecht sitzen können – wobei dazu Hilfen genutzt werden können – ist das Screening abzubrechen und die getestete Person als aspirationsgefährdet anzusehen.

2. Orale Inspektion

Der zweite Schritt prüft die anatomischen und funktionellen Voraussetzungen des Schluckens. Zunächst erfolgt eine Beurteilung des Speichelschluckens. Der Patient soll aktiv die Zunge bewegen – vergleichbar dem Dysphagieassessment nach Logemann [15] – und aktiv husten. Ein effektiver Hustenstoß ist Ausdruck von Muskelkraft und Voraussetzung für suffiziente Reinigungsmechanismen. Sollte eines oder mehrere dieser Manöver nicht möglich sein, ist das Screening als auffällig abzubrechen.

3. Wasserschlucktest

Als letzter Teil erfolgt ein Wasserschlucktest. Hierbei werden 2‑mal ein Teelöffel (ca. 5 ml) Wasser nichtangedickt angeboten. Um die Möglichkeit des „Einschluckens“ zu nutzen, soll auch bei klinischen Zeichen der Aspiration nach dem ersten Teelöffel ein zweiter angeboten werden. Bei unauffälligem Verlauf sind dann 2 Schluck (je ca. 30 ml) aus einem Trinkgefäß zu testen. Es sollen keine Schnabelbecher verwendet werden; Hilfestellungen zum Halten des Gefäßes oder Trinkhalme sind erlaubt. Dokumentiert werden Räuspern und Husten sowie eine Stimmveränderung jeweils direkt oder bis zu 1 min nach dem Schluck. Werden klinische Zeichen der Aspiration dokumentiert, ist das Screening als auffällig abzubrechen. Bewusst wird eine Beschränkung auf die wichtigsten Parameter vereinbart und die Zahl der Wasserschlucke begrenzt. Auch auf eine Mehrkonsistenzentestung wird verzichtet.

Wurde eine Frage im 1. oder 2. Teil des Screenings mit „nein“ oder im 3. Teil („Wasserschlucktest“) mit „ja“ beantwortet, wird dies als Zeichen für ein erhöhtes Risiko für eine Dysphagie gewertet und zunächst die Empfehlung zur oralen Nahrungskarenz gegeben. Sollten alle Fragen im 1. und 2. Teil des Screenings mit „ja“ und im 3. Teil mit „nein“ beantwortet worden sein, kann die orale Nahrungsaufnahme mit der bis dahin empfohlenen Kostform erfolgen.

Diskussion

Das präsentierte Screeninginstrument ist unseres Erachtens ein pragmatischer Vorschlag für ein einfaches, niederschwellig anzubietendes Dysphagiescreening in der Geriatrie. Das Instrument berücksichtigt vorhandene Nachteile bereits existierender Instrumente. Während der Testphase und Anwendungsbeobachtung durch die Mitglieder der AG Dysphagie zeigten sich eine gute Praktikabilität und Akzeptanz des Instruments. Um eine einheitliche Einweisung in die Anwendung des Instruments zu gewährleisten, hat die AG Dysphagie Schulungsmaterial und eine Präsentation zur Anwendung entwickelt. Mit diesem Material ist eine Einweisung von medizinischem Fachpersonal unkompliziert und mit vertretbarem zeitlichem Aufwand möglich. Das zu schulende Personal benötigt keine besondere Qualifikation in Bezug auf die Diagnostik und die Therapie von Schluckstörungen.

Wir empfehlen die Durchführung des Screenings für bestimmte Patientengruppen im Rahmen der Erhebung des geriatrischen Assessments bzw. im Rahmen der Aufnahme in die geriatrische Klinik oder bei Vorstellung in der Praxis. Unserer Einschätzung nach sollten alle Patienten über 70 Jahre mit folgenden Diagnosen auf eine evtl. vorliegende Dysphagie gescreent werden: Frailty-Syndrom, Exsikkose, Sarkopenie, Malnutrition, Gewichtsverlust; akute und chronische neurologische Erkrankungen wie Hirninfarkt, multiple Sklerose, Polyneuropathie und -myopathie; neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz, M. Parkinson; COPD, Pneumonie; Delir; Depression, Anpassungsstörung; Polypharmazie; onkologische sowie chirurgisch-orthopädische Erkrankungen in HWS- und Halsbereich. Auch in der ambulanten Praxis und im Pflegeheim kann das Tool erste Hinweise auf das Vorliegen einer Dysphagie liefern und eine entsprechende Diagnostik in Gang setzen.

Bevor eine breite Anwendung des Screenings empfohlen werden kann, muss das Instrument in einer Studie gegenüber einem Goldstandard validiert werden. Daher hat die AG Dysphagie eine diagnostische Studie initiiert, die das Instrument gegen die FEES-Untersuchung testet. Die Ergebnisse dieser Studie werden in Kürze gesondert publiziert.

Fazit für die Praxis

  • Bisher verfügbare Instrumente zum Screening auf oropharyngeale Dysphagie fokussieren neurologische Erkrankungen.

  • Die AG Dysphagie der DGG hat in einem Konsensverfahren ein neues Instrument zum Dysphagiescreening bei geriatrischen Patienten entwickelt und auf der Homepage der DGG zum Download zur Verfügung gestellt.

  • Das neue Instrument hat Vorteile gegenüber bisher verfügbaren Screenings und ist durch geschultes medizinisches Personal einfach anzuwenden.

  • Vor der Empfehlung für breiteren Einsatz in der Geriatrie müssen Studien das neue Instrument noch validieren.