Einleitung

Angesichts des prognostizierten Anstiegs der Zahl Pflegebedürftiger [14] und einer abnehmenden Zahl potenziell Pflegender [1] wächst die Bedeutung von informeller Pflege. Dabei rückt die gesundheitliche Lage informell Pflegender, das sind hier Personen, die andere unentgeltlich pflegerisch versorgen oder mit praktischer Hilfe unterstützen, in den Fokus.

Verschiedene AutorInnen zeigten, dass informell Pflegende u. a. eine schlechtere mentale bzw. psychische Gesundheit und ein geringeres Wohlbefinden haben [7, 16, 17]. Dagegen umfassen die bisherigen Ergebnisse zur physischen Gesundheit sowohl positive (z. B. [15]) als auch negative (z. B. [12]) Gesundheitsunterschiede zwischen Pflegenden und Nichtpflegenden. Die einschlägigen Studien unterscheiden sich in Bezug auf i. die Art der untersuchten Pflegebeziehung (innerhalb vs. außerhalb des Haushalts), ii. das verwendete methodische Design (Querschnitt vs. Längsschnitt) und iii. die verwendeten Gesundheitsindikatoren zur Operationalisierung des Konzepts „Gesundheit“ (z. B. mentale Gesundheit vs. subjektive Gesundheit vs. konkrete Befunde vs. Skalen der funktionalen Gesundheit).

Es ist schwer abzuschätzen, inwieweit die widersprüchlichen Ergebnisse auf differente methodische Ansätze oder tatsächliche Unterschiede zurückgehen. Deswegen wurde in der vorgestellten Studie analysiert, inwiefern die inkonsistenten Ergebnisse durch Unterschiede im Studiendesign, z. B. die verwendeten Indikatoren oder Analysemethoden, erklärt werden können.

Forschungsstand

Querschnittsstudien

In einer Metaanalyse verglichen Pinquart und Sörensen [12] die Gesundheit Pflegender, die sich um ihre (Schwieger‑)Eltern oder PartnerInnen kümmerten, mit der Nichtpflegender. Dabei fanden sie, u. a. dass Pflegende mehr depressive Symptome und eine schlechtere subjektive Gesundheit hatten als Nichtpflegende – insbesondere bei der Pflege von PartnerInnen. Carretero et al. [5], die Studien der Jahre 1990–2000 aus verschiedenen Ländern zusammenfassten, bestätigten diese Zusammenhänge: Informell Pflegende waren depressiver und ängstlicher, hatten eine schlechtere subjektive Gesundheit, hatten häufiger psychosomatische Beschwerden oder Probleme mit dem Herz-Kreislauf-System sowie den Aktivitäten des täglichen Lebens. Ebenso zeigten Wagner und Brandt [16], dass Pflegende in Europa, die sich um ihre PartnerInnen kümmerten, eine schlechtere mentale Gesundheit hatten als Nichtpflegende. Dagegen fassten Vlachanthoni et al. [15] für Großbritannien zusammen, dass Pflegende seltener Langzeiterkrankungen berichteten und ein geringeres Mortalitätsrisiko hatten als Nichtpflegende. Aber die Autoren machten auch deutlich, dass manche Studien keine Gesundheitsunterschiede zwischen Pflegenden und Nichtpflegenden feststellen oder fanden, dass Pflegende weniger gesund sind.

Während sich hinsichtlich der mentalen Gesundheit ein konsistent negatives Bild zeigt, sind Ergebnisse dieser Querschnittstudien widersprüchlich darin, ob Pflegende physisch weniger gesund sind als Nichtpflegende. Da sie nur einen Zeitpunkt betrachteten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse durch Selbstelektion (in die informelle Pflege) verzerrt sind. Ein Grund hierfür könnte sein, dass eine schlechte Gesundheit die Pflegeübernahme verhindert. Wichtig sind deswegen Studien, die Gesundheitsveränderungen durch die Pflegeübernahme betrachten.

Längsschnittstudien

Jenkins Rahrig et al. [10] untersuchten mithilfe zweier Wellen der US-amerikanischen Health and Retirement Study (HRS) die Auswirkung informeller Pflege von PartnerInnen auf die körperliche Gesundheit Pflegender, wobei sie keine Verschlechterung der subjektiven Gesundheit oder des funktionalen Status feststellen konnten. Auch Hiel et al. [9] fanden auf Basis des Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE, Wellen 1, 2 und 4) keinen Zusammenhang zwischen informeller Pflegeübernahme und der selbst berichteten Gesundheit, jedoch fanden sie negative Auswirkungen auf Rückenprobleme und die mentale Gesundheit. Allerdings unterschieden die Autoren nicht nach dem Ort der Pflegeübernahme. Coe und Van Houtven [7] untersuchten auf Basis von 7 Wellen des HRS (1992–2004) Personen, die ihre Mutter, die nicht im selben Haushalt lebte, pflegten. Verheiratete pflegende Frauen waren dabei eher depressiv und bei schlechter subjektiver Gesundheit als verheiratete Frauen, die mit der informellen Pflege aufhörten. Auch pflegende verheiratete Männer hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, depressiv zu sein, als verheiratete Männer, die mit der Pflege aufhörten und fühlten sich eher ungesund als Letztere. Für pflegende alleinstehende Männer zeigte sich eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine Herzerkrankung anzugeben, im Vergleich zu alleinstehenden Männern, die nicht mehr informell pflegen.

Kaschowitz und Brandt [11] konnten anhand von SHARE-Daten (Wellen 1, 2, 4–6) eine große Relevanz des Pflegeorts feststellen, da Pflegende innerhalb ihres Haushalts ihre körperliche und mentale Gesundheit als negativer einschätzten als Nichtpflegende, während Pflegende außerhalb des Haushalts ihre Gesundheit als positiver einschätzten als Nichtpflegende. Zwar et al. [17] fanden auf Basis von 3 Wellen des Deutschen Alterssurvey (DEAS, 2008, 2011 und 2014), dass die Übernahme von Pflege keine Auswirkung auf die physische Gesundheit (Anzahl chronischer Krankheiten und Lungenfunktion) hatte, allerdings führte sie zu einer schlechteren subjektiven Gesundheit und ging mit mehr depressiven Symptomen einher.

Die Längsschnittergebnisse zeigten übereinstimmend, dass informelle Pflege für die meisten Pflegenden zu einer schlechteren mentalen Gesundheit führt, während die Ergebnisse in Bezug auf die physische Gesundheit nicht eindeutig sind: Für manche Gesundheitsindikatoren fanden sich keine Veränderungen der Gesundheit [9, 10]. Für andere Maße und manche Befragtengruppen zeigte sich dagegen, dass die Pflegeübernahme zu einer Verschlechterung der physischen Gesundheit führt [7, 10, 17].

Unklar bleibt, ob diese Diskrepanz auf die jeweils verwendeten Indikatoren zurückgeführt oder ob sie darüber erklärt werden kann, dass unterschiedliche Pflegeformen (in unterschiedlichen Kontexten) untersucht wurden. Weiterhin kann auch die (Alters‑)Komposition der jeweiligen Stichproben relevant sein, die sich potenziell zwischen verschiedenen Studien unterscheiden kann. Um diesen Fragen nachzugehen, wurde in der vorliegenden Studie der Zusammenhang zwischen informeller Pflege innerhalb oder außerhalb des Haushalts anhand verschiedener Gesundheitsindikatoren auf Basis der Daten des SHARE untersucht und verglichen.

Daten und Methoden

Daten

Die vorliegende Untersuchung basiert auf den SHARE-Daten (Wellen 1,2, 4–6, [2]). Welle 3 konnte aufgrund ihres retrospektiven Designs (SHARELIFE) nicht analysiert werden. Die Untersuchung SHARE beinhaltet Informationen zu informeller Pflege sowie eine Reihe von Messungen physischer und mentaler Gesundheit. Die hier verwendete Version des Datensatzes beinhaltet Befragte aus den 10 europäischen Ländern (Österreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Spanien, Schweden sowie die Schweiz), die mit Ausnahme der Niederlande (Teilnahme bis Welle 5), zu allen Zeitpunkten teilgenommen haben. Insgesamt gibt es 163.768 Beobachtungen von 71.141 Personen (32.213 Männer, 38.928 Frauen). Aufgrund des Längsschnittdesigns kann der Einfluss von Pflege(aufnahme) auf die Entwicklung der Gesundheit analysiert werden.

Abhängige Variablen

Die folgenden 8 Maße, die zur Operationalisierung des Konzeptes „Gesundheit“ verwendet werden, wurden betrachtet und verglichen:

  • ob Personen eine mindestens gute oder schlechte selbst berichtete Gesundheit (SRH) hatten,

  • ob sie mindestens eine Einschränkung aufwiesen, bei

    • Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL),

    • instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL),

  • ob sie eine Langzeiterkrankung (CHRON) hatten,

  • ob sie einen Herzinfarkt bzw. eine diagnostizierte Herzerkrankung (HA) hatten,

  • ob sie unter chronischen Schmerzen (PAIN) litten,

  • ob sie langfristig in ihren üblichen Aktivitäten eingeschränkt waren (GALI) und

  • ob sie depressionsgefährdet (DEP) waren, d. h. 4 oder mehr depressive Symptome auf der EURO-D-Skala aufwiesen [6].

Für die Regressionsanalysen und zur Vergleichbarkeit der Modelle und Koeffizienten wurden alle Variablen 0/1 dichotomisiert und lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle in Quer- und Längsschnitt geschätzt („linear probability model“ [LPM], „fixed-effects model“ [FEM]).

Erklärende Variablen

Im Fokus der Untersuchung steht die erbrachte informelle Pflege innerhalb oder außerhalb des Haushalts. Erstere bezieht sich auf die tägliche oder fast tägliche pflegerische Versorgung einer im selben Haushalt lebenden Person in den letzten 12 Monaten. Letztere umfasst sowohl pflegerische als auch praktische Hilfe, die ebenfalls (fast) täglich in den letzten 12 Monaten an jemanden geleistet wurde, der nicht im selben Haushalt lebte. In den Wellen 4 und 5 wurden nur „family respondents“ (meist die erste befragte Person im Haushalt) nach einer Pflegetätigkeit außerhalb des Haushalts gefragt, was in der Schätzung der Längsschnittmodelle berücksichtigt wurde.

Als Kontrollvariablen galten das Alter (Jahre), das Geschlecht, die Bildung (4 Stufen [International Standard Classification of Education, ISCED]), der Erwerbsstatus (nicht erwerbstätig/erwerbstätig), die relative Einkommensposition (unterteilt in 10 Dezile), die Haushaltsgröße, ob ein Partner im Haushalt lebt, das Land der Befragung und die Befragungswelle.

Methode

Beim Vorliegen von dichotom abhängigen Variablen werden häufig „Logit“‑/„Probit“-Modelle geschätzt. Die Schätzung von LPM wird kritisiert, da i) Werte, die nicht zwischen 0 und 1 liegen, vorhergesagt werden könnten und ii) die Homoskedastizitätsannahme verletzt ist, was beides zu ineffizienten Ergebnissen führt [3, 8]). Geht es darum, einen (kausalen) Zusammenhang zwischen abhängiger und unabhängigen Variable(n) aufzudecken und nicht darum, auf Basis der Ergebnisse Vorhersagen zu machen, kann dennoch das LPM verwendet werden [8], und das Problem der Heteroskedastizität kann durch die Verwendung robuster Standardfehler behandelt werden.

Zudem zeigen sich im Vergleich der Ergebnisse eines LPM und der auf Basis eines Logit-Modells berechneten durchschnittlichen marginalen Effekte typischerweise keine Unterschiede [8, 13]Footnote 1. Der Vorteil des LPM ist, dass die marginalen Effekte direkt ablesbar sind und nicht erst nach der Schätzung berechnet werden müssen. Zudem sind Längsschnittmodelle in Form linearer Wahrscheinlichkeitsmodelle einfacher umzusetzen [8]. Da Längsschnittmodelle unabdingbar sind, um die Selektion in informeller Pflege und unbeobachtete zeitkonstante Merkmale zu berücksichtigen, wurden lineare „Fixed-effects“-Längsschnittmodelle geschätzt [4].

Ergebnisse

Deskriptive Statistiken

Informell Pflegende innerhalb des Haushalts waren älter als informell Pflegende außerhalb des Haushalts (64,89 vs. 60,83 Jahre). Der Anteil der Frauen betrug in der ersten Gruppe 59,5 % und in der zweiten Gruppe 62 %. Informell Pflegende innerhalb des Haushalts hatten, in Bezug auf alle untersuchten Gesundheitsindikatoren, signifikant häufiger eine schlechte Gesundheit als Nichtpflegende (Tab. 1). Sie gaben häufiger an, eine schlechte Gesundheit zu haben als Nichtpflegende (42 % vs. 30 %). Pflegende hatten auch häufiger Probleme mit (I)ADL, dauerhaften Erkrankungen, Herzerkrankungen, Schmerzen und Einschränkungen in ihren Aktivitäten und haben eine größere Wahrscheinlichkeit, depressionsgefährdet zu sein.

Tab. 1 Informelle Pflege und Gesundheitsbewertung (in %)

Ein anderes Bild zeigte sich für Pflegende außerhalb des eigenen Haushalts (Tab. 1). Sie gaben signifikant seltener als Nichtpflegende an, eine schlechte Gesundheit zu haben. Sie hatten seltener Probleme mit (I)ADL, mit Einschränkungen aufgrund ihrer Gesundheit und hatten seltener chronische Erkrankungen oder diagnostizierte Herzprobleme. Keine signifikanten Unterschiede bestanden zwischen Pflegenden und Nichtpflegenden in Bezug auf die Schmerzen sowie die mentale Gesundheit.

Der Vergleich der beiden Gruppen von Pflegenden zeigt, dass informell Pflegende außerhalb des Haushalts eine signifikant bessere Gesundheit hatten als Personen, die innerhalb des Haushalts pflegten. Dies traf auf alle betrachteten Gesundheitsindikatoren zu. Die deskriptiven Ergebnisse decken sich mit früheren Befunden, die den Gesundheitsunterschied zwischen Pflegenden innerhalb und außerhalb des Haushalts aufzeigen [11]. Eine Erklärung für die Gesundheitsunterschiede könnte sein, dass es sich bei Pflege innerhalb des Haushalts um PartnerInnenpflege handelt, die von älteren und damit weniger gesunden Personen ausgeübt wird, verglichen mit der Pflege einer Person außerhalb des eigenen Haushalts [11], also z. B. der (Schwieger‑)Eltern. Aus diesem Grund wird das Alter zusammen mit anderen potenziell relevanten Aspekten in den folgenden Analysen kontrolliert.

Regressionsergebnisse

Die Ergebnisse zum Zusammenhang von informeller Pflege und den verschiedenen Gesundheitsindikatoren – basierend auf der ersten Welle von SHARE, um Verzerrungen durch Panelmortalität auszuschließen –, zeigt Tab. 2.

Tab. 2 Informelle Pflege und Gesundheit im Querschnitt („linear probability model“)

Der Koeffizient von 0,034 für SRH lässt sich so interpretieren, dass Pflegende innerhalb des Haushalts eine um 3,4 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit hatten, ein schlechte Gesundheit anzugeben, als Nichtpflegende (Tab. 2a). Unter Kontrolle weiterer Einflussfaktoren im Rahmen dieser Modelle zeigte sich, dass diese Gruppe informell Pflegender signifikant häufiger eine oder mehr Einschränkungen der IADL berichtet, dass sie eine um 4,1 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit hatte, allgemein eingeschränkt zu sein, sowie eine 6,2 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit hatte, unter chronischen Schmerzen zu leiden. Es bestand kein signifikanter Zusammenhang zwischen informeller Pflege innerhalb des Haushalts und Herzerkrankungen, Langzeiterkrankungen sowie ADL-Einschränkungen, aber informell Pflegende hatten eine höhere Wahrscheinlichkeit, depressionsgefährdet zu sein.

Pflegende außerhalb des Haushalts hatten, im Vergleich zu Nichtpflegenden, eine um 3,9 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, eine schlechte Gesundheit zu haben (Tab. 2b). Sie gaben auch signifikant seltener an, spezifische ([I]ADL) oder allgemeine (GALI) funktionale Probleme zu haben, und hatten eine um 1,9 Prozentpunkte geringere Wahrscheinlichkeit, eine Herzerkrankung zu berichten. Allerdings berichteten Pflegende außerhalb des Haushalts signifikant häufiger 4 oder mehr depressive Symptome oder chronische Schmerzen. Es bestand kein signifikanter Zusammenhang zu den Langzeiterkrankungen.

Tab. 3 beinhaltet die Ergebnisse der geschätzten Längsschnittmodelle. Diese bestätigen den bereits im Querschnitt festgestellten negativen Zusammenhang zwischen informeller Pflege und Gesundheit. Die Aufnahme informeller Pflege innerhalb des Haushalts hatte einen signifikant positiven Zusammenhang mit einer Änderung der Gesundheit von gut zu schlecht (Tab. 3a). Eine Pflegeübernahme scheint also die selbst berichtete Gesundheit zu verschlechtern. Zudem zeigte sich, dass eine Pflegeübernahme die Wahrscheinlichkeit um 4,1 bzw. 4,6 Prozentpunkte erhöhte eine oder mehr (I)ADL-Einschränkungen zu berichten bzw. um 3,7 Prozentpunkte erhöhte von Einschränkungen in den alltäglichen Aktivitäten zu berichten. Die Pflegeübernahme innerhalb des Haushalts erhöhte auch die Wahrscheinlichkeit, von Langzeiterkrankungen und von Schmerzen zu berichten. Zudem erhöhte eine Änderung im Pflegestatus die Wahrscheinlichkeit des Depressionsrisikos um 6,2 Prozentpunkte.

Tab. 3 Informelle Pflege und Gesundheit im Längsschnitt („fixed-effects model“)

Für die Pflegeübernahme außerhalb des Haushalts bestätigten die Längsschnittergebnisse teilweise die Querschnittsbefunde (Tab. 3b). So zeigte sich, dass die Pflegeübernahme die Wahrscheinlichkeit, eine schlechte Gesundheit anzugeben, um nur 0,9 Prozentpunkte senkte. Damit war zwar die Richtung des Zusammenhangs die gleiche wie im LPM, allerdings war der Koeffizient deutlich kleiner. Die Ergebnisse zeigten weiter, dass auch die Pflegeübernahme außerhalb des Haushalts die Wahrscheinlichkeit erhöhte, Schmerzen zu berichten und ein hohes Depressionsrisiko zu haben. Für die anderen Indikatoren zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang.

Diskussion

Die bisherigen Forschungsergebnisse zur Gesundheit informell Pflegender lieferten widersprüchliche Ergebnisse. Ziel dieser Untersuchung war es, durch die Verwendung verschiedener Analysemethoden und Indikatoren aufzudecken, inwieweit es tatsächliche Gesundheitsunterschiede zwischen Pflegenden und Nichtpflegenden gibt oder, ob unterschiedliche Untersuchungsdesigns ursächlich für festgestellte Differenzen sind. Es wurden 8 Gesundheitsindikatoren verwendet sowie Quer- und Längsschnittmodelle auf Basis der SHARE-Studiendaten geschätzt. Die Ergebnisse zeigten, dass Pflegende innerhalb des Haushalts weniger gesund waren als Nichtpflegende – unabhängig vom betrachteten Gesundheitsindikator. Für Pflegende außerhalb des Haushalts stellte sich ein differenzierteres Bild dar. Abhängig vom Indikator lässt sich ihnen sowohl eine bessere als auch eine schlechtere Gesundheit attestieren. Der ausgewählte Indikator spielt hier also eine wichtige Rolle zur Abschätzung gesundheitlicher Folgen informeller Pflege. Zudem gilt, dass sich v. a. bei diesem Pflegetypus im Querschnitt festgestellte positive Folgen informeller Pflege bei der Betrachtung von Veränderungen nicht mehr zeigen. Die bisherigen diversen Forschungsergebnisse lassen sich also auch auf die Verwendung unterschiedlicher Gesundheitsindikatoren und Methoden zurückführen. Zusammengenommen führen also sowohl die unzureichende Operationalisierung des Konzeptes Gesundheit als auch die Verwendung ungeeigneter (querschnittlicher) Methoden zu verzerrten Ergebnissen, welche die (negativen) Gesundheitsfolgen informeller Pflege verdecken.

Einschränkend ist zu sagen, dass die betrachteten Indikatoren unterschiedlich gut geeignet sind, Gesundheit zu erfassen. So zeigte sich, dass geringere Einschränkungen mithilfe der (I)ADL-Skala schlechter erfasst werden als mithilfe eines eher allgemeinen Indikators funktionaler Einschränkungen. Weniger geeignet scheint auch die Frage nach den Herzerkrankungen Pflegender zu sein, da diese vermutlich eher durch Aspekte wie Ernährung, Veranlagung etc. beeinflusst werden. Hinzu kommt, dass die SHARE-Studie nur alle 2 Jahre stattfindet, was die Aufdeckung kurzfristiger gesundheitlicher Veränderungen erschwert. Erwähnenswert in diesem Kontext ist auch, dass die erklärte Varianz im Fall der Querschnittsmodelle deutlich höher war als bei den Längsschnittanalysen. Dies deutet darauf hin, dass die Gesundheit der Befragten primär durch (quasi-)zeitunveränderliche Eigenschaften, z. B. ihre Bildung, beeinflusst wird.

Die vorgestellte Untersuchung macht deutlich, dass es sich lohnt, bei der Betrachtung der Gesundheit informell Pflegender auf mehrere Indikatoren zurückzugreifen. Zudem ist es wichtig, unterschiedliche Pflegesettings zu berücksichtigen oder nach der Art der Hilfeleistung zu unterscheiden. So lassen sich Gesundheitsunterschiede zwischen Pflegenden innerhalb und außerhalb des eigenen Haushalts auf den Altersunterschied von durchschnittlich 4 Jahren zurückführen und auch darauf, dass Pflegende innerhalb des Haushalts sich nicht (nur) räumlich weniger von der Pflegetätigkeit abgrenzen können. Indem beispielsweise in weiteren Untersuchungen erwerbstätige Pflegenden oder der soziale Status Pflegender in den Blick genommen wird, könnte dies noch stärker berücksichtigt werden, um gesundheitliche Folgen für diese Personengruppen zu analysieren.

Fazit für die Praxis

  • Informelle Pflege belastet die Gesundheit Pflegender. Dies zeigt sich anhand verschiedener, nicht jedoch aller Gesundheitsindikatoren. Eine unzureichende Operationalisierung der Gesundheit birgt die Gefahr, dies nicht widerzuspiegeln.

  • Unterstützungsmaßnahmen zur Verbesserung der gesundheitlichen Lage Pflegender sollten spezifische gesundheitliche Probleme adressieren.

  • Wissenschaftliche Untersuchungen, die nur auf einen Gesundheitsindikator fokussieren, können gesundheitliche Folgen informeller Pflege unterschätzen.