Zusammenfassung
Hintergrund
Die meisten Menschen mit Demenz werden zu Hause von Angehörigen begleitet. Die Zahl der Menschen mit Demenz wird aktuellen Prognosen zufolge in den nächsten Jahren weitersteigen. Im Vergleich zu anderen Gruppen pflegender Angehöriger ist ihre Belastung aufgrund von Veränderungen, die mit der Demenz typischerweise einhergehen, deutlich höher. Darüber, wie sie ihre Unterstützungsarrangements gestalten, was sie als hilfreich oder hinderlich ansehen, ist noch relativ wenig bekannt.
Ziele der Arbeit
Ziel der Arbeit ist es, einen Einblick in die Gestaltung von Unterstützungsarrangements aus der Perspektive der Hauptbezugsperson zu geben. Es soll gezeigt werden, in welchen Lebensbereichen die Hauptbezugspersonen die größten Einschnitte erleben und welche Strategien sie anwenden, um diese zu bewältigen.
Material und Methoden
Dazu wurden 14 Interviews mit Hauptbezugspersonen von Menschen mit Demenz geführt. Diese wurden mittels der Grounded Theory in einer Forschungsgruppe ausgewertet.
Ergebnisse
Alle Lebensbereiche sind von der Fürsorgeübernahme für einen demenziell veränderten Menschen betroffen, und Angehörige erleben die Einschnitte subjektiv unterschiedlich. In allen Interviews wird die Aufrechterhaltung einer Balance zwischen Selbstfürsorge und Fremdfürsorge als größte Herausforderung erlebt, die auch nicht immer gelingt, für die Gesundheit der Hauptbezugspersonen und die Tragfähigkeit der Unterstützungsarrangements aber von enormer Bedeutung ist. Gleichzeitig werden Hinweise gegeben, unter welchen Bedingungen professionelle Angebote in Anspruch genommen werden und so zu einer Tragfähigkeit der Arrangements beitragen.
Diskussion
Nichttragfähige Unterstützungsarrangements können nicht nur als fehlende Adaptionsfähigkeit der Hauptbezugspersonen an den progredienten Verlauf der Demenz interpretiert werden. Die Herstellung von tragfähigen Arrangements ist vielschichtig und multikausal.
Abstract
Background
Most people with dementia live in private homes and are supported by their relatives. Current figures estimate that the number of people with dementia will continue to increase over the next years. In comparison to other groups of people that care for their relatives, those taking care of people with dementia face a substantially higher burden due to changes that are typically associated with dementia. Relatively little is known on how relatives of people with dementia manage their support arrangements, which strategies they follow and which structures are perceived as helpful or obstructive in their daily routine.
Objective
The aim of this study was to provide insights into the structure of support arrangements from the perspective of the main caregiver. The results show in which areas of life the main caregivers experience the greatest cuts and which strategies they use to overcome these problems.
Material and methods
In this context 14 in-depth interviews were carried out with relatives who were the main caregivers of people with dementia. The interviews were evaluated in a research group using the techniques of grounded theory.
Results
All aspects of life were affected by the decision to take care of people with dementia. To what extent the caregivers are affected by these decisions subjectively differs from individual to individual. All interviewees reported that the biggest challenge was to find a balance between taking care of others and self-care; however, such a balance does not always succeed for the caregivers’ health and sustainability of support arrangements but nevertheless is of enormous importance. At the same time there is evidence of the circumstances under which caregivers make use of professional help and thus contribute to the sustainability of the support arrangements.
Conclusion
The findings show that unsustainable support arrangements cannot only be seen as a lack of adaptability on the part of the caregivers to the progression of dementia. The realization of sustainable arrangements is multidimensional and multicausal.
Notes
Vergleiche zur Begrifflichkeit der pflegenden Angehörigen die kritische Diskussion im Beitrag von Vukoman und Rüßler im vorliegenden Heft.
Zum Zeitpunkt der Untersuchung gab es noch Pflegestufen.
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Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Frewer-Graumann, S. „Es ändert sich alles“ – der Alltag mit Demenz aus der Perspektive der Angehörigen. Z Gerontol Geriat 53, 3–9 (2020). https://doi.org/10.1007/s00391-019-01643-y
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00391-019-01643-y
Schlüsselwörter
- Alzheimer-Krankheit
- Selbstfürsorge
- Pflegende Angehörige
- Coping-Verhalten
- Häusliche Unterstützungsarrangements