Zusammenfassung
Hintergrund und Fragestellung
Arbeitsmarktmobilität und demografischer Wandel erhöhen die Zahl derer, die sich aus der Ferne um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern. Der Aspekt der geografischen Distanz zwischen Familienmitgliedern wird damit auch bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege immer wichtiger. Für Betriebe stellt sich deshalb die Frage, ob ihr Portfolio als fortschrittlicher Arbeitgeber ausreicht, um auch „Distance Caregivers“ gut zu unterstützen.
Methoden
In fünf Partnerbetrieben (3 Wirtschaftsunternehmen und 2 Träger aus der Gesundheitsversorgung) wurden jeweils 4–6 leitfadengestützte Experteninterviews durchgeführt (Personalmanagement, Geschäftsleitung, Führungskraft, Betriebsrat bzw. Mitarbeitendenvertretung; Pflegedienstleitung; N = 24). Die Interviews wurden aufgezeichnet, regelgeleitet transkribiert und mittels deduktiver und induktiver Kategorienbildung qualitativ-inhaltsanalytisch ausgewertet.
Ergebnisse
Die befragten Betriebe hatten bereits zahlreiche Vereinbarkeitsmaßnahmen etabliert, die Bedeutung von „Distance Caregiving“ allerdings bisher nicht explizit im Fokus. Es zeigte sich zudem, dass „Pflege“ ein Tabuthema darstellte, was auf einen hohen Sensibilisierungsbedarf aller Beteiligten (Geschäftsleitung, Führungskräfte, Mitarbeitende) hinweist. Für „Distance Caregivers“ sind dabei eine Kultur des Vertrauens, transparente Informationen und gute Kommunikationsformen besonders wichtig.
Schlussfolgerungen
Um eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu erreichen, brauchen pflegende Mitarbeitende und Führungskräfte eine pflegesensible Betriebskultur, die es ermöglicht, bisher tabuisierte Aspekte anzusprechen. Darüber hinaus bedarf es betrieblicher Portfolios für „Distance Caregiving“, die Mitarbeitende und Führungspersonen datengestützt, umsichtig und zeitnah unterstützen.
Abstract
Background and objective
Labor market mobility and demographic change contribute to higher numbers of people providing care for their family members from a distance. Concerning the reconciliation of work and care the geographic distance between family members becomes more and more important. For progressive employers, this raises the question to what extent their portfolio is sufficient to support distance caregivers.
Methods
Using an interview guideline, 4–6 expert interviews were conducted in 5 partner companies (human resources department, management, executive, works council or employee representative, directors in nursing services; N = 24). The interviews were recorded, transcribed applying standardized procedures, and evaluated using content analysis by means of deductive and inductive categorization.
Results
The participating companies had already established numerous reconciliation measures but did not yet focus on distance caregiving. As caregiving issues generally touch on taboo subjects, there is an enhanced need for sensitization and information for all parties involved (management, executives, employees). For distance caregivers, a culture of trust, transparent information and good communication are particularly important.
Conclusion
To achieve good reconciliation of work and care, working caregivers and executives need a corporate culture which is sensitive to care issues and able to address previously tabooed aspects. In addition, company portfolios for distance caregiving are needed to provide data-driven, thoughtful and timely support for employees and managers.
Notes
Die Autorinnen verweisen auf den einführenden Beitrag von Franke et al. im vorliegenden Heft und nutzen die englischen Begriffe „Distance Caregiving“ bzw. „Distance Caregiver“.
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Kramer, B., Engler, S. & Bischofberger, I. „Distance Caregiving“ – empirische Einblicke aus betrieblicher Perspektive. Z Gerontol Geriat 52, 546–551 (2019). https://doi.org/10.1007/s00391-019-01608-1
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00391-019-01608-1
Schlüsselwörter
- Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
- Pflege bei räumlicher Distanz
- Pflegende Mitarbeitende
- Arbeitgeber
- Betriebe