Die geografische Atrophie (GA) stellt die Spätform der nichtexsudativen Form der altersbedingten Makuladegeneration (AMD), der häufigsten Erblindungsursache in entwickelten Ländern, dar. Immer mehr Menschen sind aufgrund der stetig alternden Gesellschaft davon betroffen [11]. Die GA ist eine degenerative progressive Erkrankung und ist gekennzeichnet durch den zunehmenden Verlust der Integrität und Funktion des retinalen Pigmentepithels (RPE), der Photorezeptor(PR)-Schichten sowie der Choriokapillaris. Im Bereich der atrophen Areale kommt es zu einer deutlich reduzierten Sensitivität der Netzhaut im Bereich des zentralen Gesichtsfelds [7], welche häufig zu Schwierigkeiten beim Lesen und Erkennen von Gesichtern führt. Zu Beginn der Erkrankung finden sich die atrophen Areale häufig parafoveal, welche mit der Zeit in Richtung der Fovea, dem Ort des schärfsten Sehens, wachsen. Die Atrophie kann jedoch auch zentral im Bereich der Fovea beginnen und dementsprechend schnell zu einem zentralen Sehverlust führen. Bisher gibt es in Europa keine zugelassene Therapie, daher besteht das Management der GA-Patienten aus Observanz des GA-Wachstums mit eventueller Behandlung einer sekundären Neovaskularisation.

Bildgebung

Zum Monitoring der GA stehen unterschiedliche Bildgebungsmodalitäten zur Verfügung. Die Standardmethode zur Messung des GA-Wachstums in klinischen Studien stellt bisher die Fundusautofluoreszenz (FAF) dar, mit der die GA als 2‑D-Fläche der Bereiche mit verminderter Autofluoreszenz gemessen werden kann. Die FAF beschränkt sich somit auf die 2‑dimensionale Bildgebung des RPE [2]. Im klinischen Alltag ist die optische Kohärenztomographie (OCT) bereits weit etabliert, da sie als 3‑D-Bildgebung detailliertere Einblicke in die Krankheitsprozesse in allen Netzhautschichten liefert [1]. Die GA ist in der OCT charakterisiert durch einen progressiven Verlust des RPE und v. a. der PR-Schichten, welche auf konventioneller FAF-Ebene nicht beurteilbar sind. Weiter findet sich eine typische „Hypertransmission“ im Sinne einer Verstärkung des Signals in die Choroidea als Folge des Verlusts der Melanosomen im darüber liegenden RPE. Eine entsprechende OCT-Nomenklatur für die retinale Atrophie wurde von der CAM(Classification of Atrophy Meetings)-Gruppe entwickelt. Diese unterscheidet iRORA (inkomplette RPE und äußere Netzhautatrophie) und cRORA (komplette RPE und äußere Netzhautatrophie). Folgende Kriterien werden zur Definition herangezogen: 1) eine Hypertransmission, 2) ein Verlust des RPE sowie 3) eine Unregelmäßigkeit in den PR-Schichten. Ist die Ausdehnung von 1) und 2) größer als 250 µm, liegt laut Definition cRORA vor, sind diese Bereiche kleiner als 250 µm, liegt iRORA vor [9]. Die OCT kann als hochauflösendes Verfahren sehr feine und dementsprechend auch sehr frühe atrophe Veränderungen darstellen und bietet daher wesentliche Vorteile im Monitoring der GA verglichen zur FAF.

Therapieansätze

Bisher gibt es im Gegensatz zur neovaskulären AMD keine zugelassene Therapie für die GA in Europa. Da funktionelle Parameter wie der bestkorrigierte zentrale Visus bei GA nicht mit der Krankheitsaktivität korrelieren, wird als zugelassener Endpunkt für klinische Studien die Reduktion des anatomischen Wachstums der GA-Läsion herangezogen. Aktuell vielversprechende Therapieansätze liegen in der Hemmung des Komplementsystems, dessen Dysregulation bei der Entstehung der GA eine wesentliche Rolle spielt.

Monitoring der GA mithilfe von künstlicher Intelligenz

Durch die technischen Verbesserungen der OCT-Geräte und die steigenden Patientenzahlen werden immer größere Datenmengen produziert, die manuell im klinischen Alltag kaum noch ausgewertet werden können. Die künstliche Intelligenz (KI) ist in der Lage, die OCT-Aufnahmen automatisch, schnell und objektiv zu verarbeiten, und kann somit die Ophthalmologen im klinischen Alltag erheblich entlasten. Dabei unterscheidet sich die GA wesentlich von ihrer exsudativen Variante, bei der Flüssigkeit in und unter der Netzhaut vom klinischen Experten visuell erkannt werden kann. Bei der GA findet der Progressionsprozess auf subklinischer Ebene statt, und eine Alteration von neurosensorischen Komponenten der äußeren Netzhautschichten kann nicht durch den diagnostischen Blick erfasst werden. Eine Dauerbehandlung und damit einhergehende regelmäßige Kontrolle der Patienten mit GA zusätzlich zu den täglichen Patientenzahlen der neovaskulären AMD in der klinischen Praxis werden ohne Unterstützung durch entsprechende KI-Systeme kaum durchführbar sein. Ähnlich wie bei der neovaskulären AMD wird es essenziell sein, aktive von nichtaktiven Läsionen zu unterscheiden, um dadurch Patienten zu identifizieren, die besonders von einer Therapie profitieren, und ein personalisiertes Therapieregime zu ermöglichen. Einige solcher KI-Modelle wurden bereits an der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der Medizinischen Universität Wien entwickelt.

Entwicklung und Ergebnisse

OCT-Volumen von Patienten mit GA im Rahmen von AMD wurden sowohl anhand einer Patientenpopulation aus der klinischen Routine der Medizinischen Universität Wien (MUW) als auch aus einem randomisierten prospektiven Phase-2-Studienset (FILLY) analysiert. Die FILLY-Studie hat Pegcetacoplan, einen Komplementfaktor-C3-Inhibitor, untersucht und konnte eine signifikante Reduktion des GA-Wachstums bei behandelten Patienten zeigen [4]. Die GA-Wachstumsrate wurde in der FILLY-Studie auf FAF-Ebene manuell ausgewertet. Die OCT-Volumen der FILLY-Studie haben wir für unsere Arbeit in einer zeitintensiven „Human Expert“-Annotation des RPE und PR-Verlusts ausgemessen und mit der automatischen Auswertung der eigens entwickelten Algorithmen verglichen. Die GA wurde durch einen vollständigen Verlust des RPE mit darüberliegendem Verlust der PR, abgebildet durch den Verlust der „ellipsoid zone“, ohne Längenbeschränkung definiert. Die Auswertung der FILLY-Daten wurde von der zuständigen Ethikkommission als Amendement des ursprünglichen Post-hoc-Bildanalyseprotokolls mit der EK-Nr.: 1246/2016 genehmigt.

Entwicklung und Validierung der KI-Modelle

Um einen automatischen Algorithmus basierend auf KI zu entwickeln, braucht es Trainingsdaten, anhand derer der Algorithmus „lernen“ kann. Dazu wurden in unserer Arbeit der RPE und PR-Verlust auf OCT-Volumen von 100 Patienten der MUW und 113 Patienten aus der FILLY-Studie manuell segmentiert, was insgesamt 11.074 B‑Scans entspricht. Die mittlere GA-Fläche zu Studienbeginn betrug 2,44 (2,28–2,58) mm (MUW) und 2,61 (2,48–2,73) mm (FILLY). Die mittlere GA-Wachstumsrate pro Jahr betrug 0,32 (0,28–0,36) mm (MUW) bzw. 0,23 (0,20–0,27) mm (FILLY). Es zeigte sich eine hohe Übereinstimmung der GA-Messung auf OCT verglichen zur FAF (Korrelationskoeffizient = 0,97) (Abb. 1; [5]). Die manuelle Auswertung der OCT-Volumen aus der FILLY-Studie ergab außerdem ein signifikant langsameres Wachstum des RPE-Verlusts bei behandelten Patienten verglichen zu unbehandelten Patienten (p = 0,014), was mit den primären Ergebnissen der zugrunde liegenden FILLY-Studie, gemessen auf FAF, übereinstimmt. Besonders hervorzuheben ist, dass auch und v. a. der PR-Verlust bei behandelten Patienten signifikant langsamer voranschritt als bei unbehandelten Patienten (p = 0,017). Sowohl im spontanen Verlauf als auch unter Therapie bestand konsistent ein größerer Ausfall auf Ebene der PR im Vergleich zum RPE-Defekt (p < 0,001). Daraus ist zu schließen, dass der primäre Erkrankungsprozess zunächst auf PR-Ebene stattfindet und der Ausfall des RPE diesem lediglich folgt [5]. Die OCT bietet durch die Darstellung der verschiedenen Netzhautschichten, insbesondere der PR-Schichten, relevante Vorteile und detaillierte Einblicke in die Krankheitsprozesse und mögliche Therapieeffekte der GA verglichen zur FAF.

Abb. 1
figure 1

Übereinstimmung der geografischen Atrophieflächen gemessen auf Fundusautofluoreszenz und optischer Kohärenztomographie. Beispiel von GA-Läsionen auf Fundusautofluoreszenz (links), OCT-en-face-Bild (Mitte) und OCT-B-Scan (rechts). Die blauen Flächen repräsentieren den manuell annotierten RPE-Verlust

Auf Basis der manuellen Trainingsdaten wurden 2 komplementäre KI-basierte Algorithmen entwickelt und validiert – sowohl zur automatischen Segmentierung des RPE als auch der PR-Schichten [3, 6]. Die Übereinstimmung zwischen manueller und automatischer Segmentierung wurde anhand des Dice Similarity Coefficient (DSC) untersucht. Der DSC ist ein Wert für die Übereinstimmung zwischen 2 Segmentierungen. Ein Wert von 1 bedeutet eine perfekte Übereinstimmung zwischen den Segmentierungen, ein Wert von 0 bedeutet keine Übereinstimmung [12].

Automatische Segmentierung von RPE und PR-Schichten

Die KI-Modelle wurden sowohl intern als auch auf externen Datensätzen, d. h. auf zuvor ungesehenen OCT-Daten, validiert. Der Vergleich mit der zeit- und ressourcenintensiven manuellen Segmentierung zeigte eine optimale Übereinstimmung mit dem schnellen Algorithmus sowohl für die RPE als auch PR-Schichten (DSC für RPE-Verlust > 0,9, DSC für PR-Verlust > 0,8) [8]. Die OCT-Volumen der FILLY-Studie wurden automatisch mithilfe der entwickelten Algorithmen ausgewertet und die Behandlungseffekte von Pegcetacoplan auf den RPE-Verlust und PR-Verlust untersucht. Unter Therapie war sowohl der weitere Ausfall des RPE als auch der PR-Schichten reduziert, insbesondere in Richtung der Fovea. Auch die weitere Ausdünnung der PR-Schichten war unter Therapie signifikant geringer (p = 0,0014). Die PR/RPE-Verlust-Ratio zu Studienbeginn erwies sich als ein signifikanter Prädiktor für das Voranschreiten des GA-Wachstums. Patienten mit einer hohen PR/RPE-Verlust-Ratio, d. h. mit einem deutlich größeren PR-Ausfall als einem RPE-Ausfall zu Studienbeginn, hatten ein höheres Risiko für ein schnelles GA-Wachstum (p = 0,006) (Abb. 2; [8]). Diese Patienten hatten entsprechend auch ein besseres Therapieansprechen im Vergleich zu Patienten mit einer geringen PR/RPE-Verlust-Ratio, was eine wichtige Erkenntnis bezüglich zukünftiger personalisierter Therapie darstellt.

Abb. 2
figure 2

Beispiel von 2 Läsionen mit geografischer Atrophie und unterschiedlichen PR/RPE-Verlust-Ratios. a zeigt eine Läsion mit kleiner PR/RPE-Verlust-Ratio und b eine Läsion mit großer PR/RPE-Verlust-Ratio zu Baseline. c,d zeigen die jeweiligen Läsionen zu Monat 12 mit deutlich schnellerem Wachstum bei Läsion (d)

Automatische Vorhersage des lokalen Wachstums

Für die lokale Progressionsrate wurde jeder GA-Randpunkt einzeln ausgewertet.

Neben dem kompletten Verlust der PR findet sich im Randbereich der GA-Läsion eine Verdünnung der PR mit individueller Variabilität. Mithilfe der automatischen Algorithmen konnte gezeigt werden, dass im Krankheitsverlauf die lokale Progressionsrate in Arealen mit geringerem Abstand zur Fovea und dünneren PR-Schichten größer war. Mittels automatisierten OCT-Befunds und unter Berücksichtigung dieser subklinischen Parameter wurde für jede GA-Läsion eine individuelle „Heat Map“ der Aktivität für die lokalen Wachstumsraten erstellt (Abb. 3; [10]). Sie liefert ein genaues Bild der zu erwartenden Ausdehnung des Läsionswachstums bereits vor der Indikationsstellung zur Behandlung und unterscheidet damit zu erwartende Responder von Non-Respondern.

Abb. 3
figure 3

Beispiel einer „Heat Map“ des Randbereichs einer geografischen Atrophieläsion zur Beurteilung fokaler Aktivitätsherde, die zu einer unregelmäßigen Ausdehnung der Läsion führen. Hellere Areale im Randbereich der GA weisen eine hohe Aktivität und schnelleres Wachstum auf, dunklere Bereiche weisen eine niedrigere Aktivität und langsameres Wachstum auf. a GA Segmentierung, b lokale Progressionsrate

Ausblick und Zusammenfassung

Zusammenfassend konnten wir zeigen, dass die OCT-Bildgebung mit automatischer, KI-unterstützter Analyse eine optimale Methode zum Monitoring der GA darstellt. Sie erlaubt eine hochpräzise Diagnostik, eine gezielte Patientenauswahl sowie die objektive Bemessung des Therapieerfolgs im Verlauf. Wesentlich dafür ist die genaue Messung sowohl des RPE- als auch PR-Verlusts, welcher mithilfe automatischer Algorithmen objektiv, präzise und ressourcenschonend quantifizierbar ist. In Zukunft wird für ein effizientes Management der GA und die Indikation von Therapiemöglichkeiten v. a. die Erkennung der Krankheitsaktivität einen wichtigen Faktor darstellen, da bei der GA keine Funktionsgewinne auftreten im Gegensatz zur exsudativen AMD und die Therapie invasiv und lebenslang erfolgen muss. Für ein zuverlässiges Monitoring sind auf Grundlage dieser subklinischen Parameter KI-Algorithmen nicht mehr wegzudenken. Sie sind wesentlich für eine Integration der neuen und so lang erwarteten Therapieoption in eine klinische Praxis, die bereits von der Anti-VEGF-Therapie dicht besetzt ist und einen erheblichen Einfluss auf sozioökonomische Ressourcen haben wird.

Fazit für die Praxis

  • Für die geografische Atrophie wird in Kürze die erste Therapie mittels intravitrealer Injektionen in der Zulassung erwartet.

  • Patienten mit geografischer Atrophie sollten bereits jetzt mit der geeigneten Bildgebung kontrolliert werden.

  • Die optische Kohärenztomographie bietet eine optimale Bildgebung, da sie subklinische Parameter sowie Vorstufen, insbesondere einen Photorezeptorverlust, erkennen kann.

  • Mithilfe von künstlicher Intelligenz können die Läsionsgröße, Wachstumsraten sowie Risikofaktoren und Therapieansprechen automatisch und zuverlässig ausgewertet werden.