Zusammenfassung
Ziele der Studie
Im Mittelpunkt dieser explorativen Studie stehen diejenigen Pathologen, die im Dritten Reich zu Opfern geworden sind, indem sie entlassen, entrechtet, verfolgt, vertrieben, ermordet, in den Suizid getrieben wurden. Sie geht dementsprechend der Frage nach, wie viele – und welche – Pathologen in der nationalsozialistischen Diktatur unterdrückt wurden. Darüber hinaus beschäftigt sie sich mit den Gründen, die hierfür maßgeblich waren, und mit den Auswirkungen, welche die Repression auf die Lebensläufe der Betroffenen hatte – sowohl im Dritten Reich als auch in der Nachkriegszeit.
Material und Methoden
Grundlage der Studie ist archivalisches Quellenmaterial, das um eine systematische Auswertung der einschlägigen Fachliteratur ergänzt wurde.
Ergebnisse und Diskussion
Insgesamt konnten die Biografien von 89 Pathologen rekonstruiert und ausgewertet werden. Davon wurden 67 Personen aufgrund „rassischer“ bzw. antisemitischer Gründe verfolgt. Bis zu ihrer Entrechtung waren sie mehrheitlich an einer Universität beschäftigt.
Das Gros der untersuchten Pathologen floh ins Ausland, wobei die Immigrationsländer USA und Großbritannien dominierten. Den meisten gelang es sich dort beruflich zu etablieren, Hinweise auf eine Rückkehr in ihre Heimat konnten in der hier vorgelegten Stichprobe keine gefunden werden. Gründe hierfür waren mangelnde Karriereoptionen, aber auch negative persönliche Erfahrungen im Nachkriegsdeutschland etwa in Wiedergutmachungsverfahren.
Etliche der im Deutschen Reich Verbliebenen fanden einen gewaltsamen Tod, sei es in Konzentrationslagern oder durch Suizid.
Abstract
Aims of the study
This explorative study focuses on those pathologists who became victims of the Third Reich by being dismissed, disenfranchised, persecuted, expelled, murdered, or driven to suicide. Accordingly, it examines the question of how many – and which – pathologists were oppressed in the Nazi dictatorship. It also looks at the reasons for this and the effects that repression has had on the lives of those affected – both in the Third Reich and in postwar Germany.
Material and methods
The study is based on archival source material, which was supplemented by a systematic evaluation of the relevant research literature.
Results and discussion
In total, the biographies of 89 pathologists could be reconstructed and evaluated. Of these, 67 persons were persecuted for “racial” or anti-Semitic reasons. Until their disenfranchisement, the majority were employed at a university.
The majority of the examined pathologists fled abroad, with most immigrating to the USA and Great Britain and successfully establishing themselves there professionally. No indications of a return to their homeland could be found in the sample presented here. Reasons included a lack of career options and negative personal experiences in postwar Germany, such as in reparation proceedings.
Quite a lot of those who remained in the German Reich died violently, either in concentration camps or by suicide.
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S. Kaiser, J. Sziranyi, S. Wilhelmy und D. Groß geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen des von der DGP finanzierten Forschungsprojektes zur „Rolle der Pathologie und ihrer Fachvertreter im ‚Dritten Reich‘“. Der Artikel basiert auf der Publikation von Sziranyi et al. [34]. Mit freundlicher Genehmigung von Elsevier. Allein aus Gründen des Leseflusses wird durchgängig das generische Maskulinum verwendet.
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Kaiser, S., Sziranyi, J., Wilhelmy, S. et al. Pathologen als Opfer des Nationalsozialismus. Pathologe 40 (Suppl 3), 282–287 (2019). https://doi.org/10.1007/s00292-019-00713-7
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