Beim Thema genetische Prädisposition für Krebserkrankungen im Kindesalter ist eine enge Kooperation zwischen Pathologen, den behandelnden Kinderonkologen und Humangenetikern erforderlich. Dabei geht es nicht nur um die möglichst effektive Behandlung der Krebserkrankung, sondern auch darum, weitere Krebserkrankungen bei den Betroffenen und ihren Familienmitgliedern zu verhindern bzw. möglichst früh zu diagnostizieren.

Folgende Kriterien legen den Verdacht nahe, dass eine Krebserkrankung im Kindesalter auf der Basis einer genetischen Prädisposition entstanden ist:

  • Mehrere Krebserkrankungen in der Familie

  • Auffälligkeiten an anderen Organen oder syndromale Merkmale

  • Exzessive Toxizität

  • Multiple unabhängige Tumoren

  • Bilaterale Tumoren

  • Spezifische histopathologisch definierte Tumortypen

  • Somatische Mutationen in Genen, in denen konstitutionelle Varianten bekannt sind

FormalPara Infobox Relevante Internetadressen

– https://www.krebsgesellschaft.de/

– https://www.krebshilfe.de/

– http://www.krebs-praedisposition.de/

– http://clincancerres.aacrjournals.org/pediatricseries

– https://www.mh-hannover.de/humangenetik.html

Diese Kriterien werden inzwischen differenziert in einem Fragebogen erfasst, der in allen zertifizierten Kinderkrebskliniken eingesetzt wird und auf den Übersichtsarbeiten von Jongmanns et al. und Ripperger et al. beruht [5, 9]. Somit ist zu erwarten, dass in den nächsten Jahren zunehmend mehr Kinder und Jugendliche mit einer genetischen Krebsprädisposition identifiziert werden.

Etwa 5–10 % aller Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind auf eine Keimbahnmutation zurückzuführen [3]. Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Entitäten. Während mehr als 70 % der Kinder mit einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) mit Monosomie 7, 50 % der Kinder mit adrenokortikalen Karzinomen und etwa ein Drittel der Kinder mit einem malignen Rhabdoidtumor eine prädisponierende Keimbahnvariante tragen, wurden bei 6 % der Kinder mit einem Medulloblastom Keimbahnvarianten nachgewiesen [1, 3, 19, 20]. Das am häufigsten betroffene Gen bei Kindern mit einem Medulloblastom ist TP53. In diesen Fällen liegt ein Li-Fraumeni-Syndrom vor. Diese Erkrankung ist durch früh auftretende Krebserkrankungen, insbesondere adrenokortikale Karzinome, Plexus-choroideus-Karzinome, Sarkome und Brustkrebs charakterisiert. Auch andere sog. Konsensusgene für Medulloblastomprädispositionen, wie zum Beispiel APC, BRCA2, PALB2, PTCH1, und SUFU, sind Schlüsselgene für bekannte erbliche Krebserkrankungen, die familiäre adenomatöse Polypose (FAP), den erblichen Brust- und Eierstockkrebs (HBOC) sowie das Gorlin-Goltz-Syndrom [19].

Somatische und konstitutionelle Veränderungen finden sich häufig in denselben Genen. Beim Neuroblastom, der akuten lymphatischen Leukämie und dem MDS bzw. der akuten myeloischen Leukämie (AML) lässt sich der Zusammenhang zwischen somatischen und konstitutionellen Veränderungen eindrucksvoll belegen. Die Gene, in denen Keimbahnvarianten identifiziert wurden, sind diejenigen, die auch gehäuft von somatischen Mutationen betroffen sind (Tab. 1). Keimbahnvarianten können dabei Punktmutationen und kleine Indels in codierenden Regionen eines Gens darstellen bzw. Bereiche betreffen, die für das korrekte Splicen verantwortlich sind. Es finden sich jedoch auch Deletionen einzelner Exons, größere Deletionen, die das gesamte Gen bzw. mehrere Gene umfassen sowie Alterationen in nichtcodierenden Bereichen. Ein Beispiel dafür ist ein Polymorphismus im ersten Intron des LMO1-Gens innerhalb eines „super-enhancers“, das die Bindung von Transkriptionsfaktoren verändert und die Expression des LMO1-Gens beeinflusst. Dies führt zu einer erhöhten Suszeptibilität für Neuroblastome und in den Tumorzellen zu einer Abhängigkeit von diesem Onkogen [7].

Tab. 1 Beispiele für somatische und konstitutionelle Varianten in Krebserkrankungen des Kindesalters

Bestimmte histopathologisch definierte Tumorentitäten sind pathognomonisch für spezifische genetische Tumorprädispositionssyndrome. Beim Li-Fraumeni-Syndrom sind dies das Plexus-choroideus-Karzinom, das adrenokortikale Karzinom, das embryonale Rhabdomyosarkom; beim DICER1-Syndrom das pleuropulmonale Blastom oder der Sertoli-Leydig-Zell-Tumor des Ovars. Daher ist eine differenzierte histopathologische Diagnostik bei diesen seltenen Tumoren des Kindesalters unerlässlich. In vielen Fällen gibt die histopathologische Diagnose den ersten Hinweis, dass ein genetisches Tumorprädispositionssyndrom vorliegen könnte und weist den Weg bei der Suche nach der ursächlichen Keimbahnvariante [9]. Beim Constitutional-Mismatch-Repair-Defizienz(CMMRD)-Syndrom lässt der komplette immunhistochemische Ausfall eines Mismatch-Repair-Enzyms (d. h. PMS2, MSH6, MLH1 oder MSH2) auf eine homozygote Inaktivierung des entsprechenden Gens schließen [8].

Die Identifizierung eines genetischen Tumorprädispositionssyndroms hat weitreichende klinische Konsequenzen für den Patienten und seine gesamte Familie.

  • Unmittelbare Konsequenzen für die Therapie:

    Beim Li-Fraumeni-Syndrom und anderen DNA-Reparaturdefekten sollte auf die Bestrahlung wenn möglich verzichtet werden, da es ernst zu nehmende Hinweise gibt, dass durch die Strahlentherapie Sarkome induziert werden. Bei der RUNX1-assoziierten familiäre Plättchenerkrankung mit Neigung zu myeloischen Neoplasien (FPDMM) drohen schwerwiegende Komplikationen nach der Stammzelltransplantation, wenn Träger der familiären Variante als Familienspender dienen [13]. Bei Patienten mit CMMRD- und POLE-assoziierten Erkrankungen wird der Einsatz von Immun-Checkpoint-Inhibitoren in klinischen Studien geprüft.

  • Erhöhtes Risiko für sekundäre Tumoren:

    Je jünger Patienten mit Li-Fraumeni-Syndrom erkranken, umso höher ist das Risiko für weitere unabhängige Krebserkrankungen. Als Beispiel wurde ein Kind mit 3 unabhängigen Tumoren präsentiert (Tab. 2; [14]). Daher sollten Kinder und Erwachsene mit genetischen Krebsprädispositionssyndromen in altersadaptierte, an das spezifische Risiko angepasste Früherkennungsprogramme integriert werden. Das gilt auch für Patienten nach einer erfolgreich behandelten Tumorerkrankung. Für Frauen mit einer pathogenen TP53-Keimbahnvariante ist die Wahrscheinlichkeit, früh an Brustkrebs zu erkranken, sehr hoch. Daher sollten sie in ein intensiviertes Früherkennungsprogramm eingeschleust werden. Auch eine prophylaktische Mastektomie sollte mit den Patientinnen diskutiert werden.

  • Prädiktive Diagnostik bei Familienmitgliedern:

    Die meisten Keimbahnvarianten für genetische Tumorprädispositionssyndrome werden nach dem autosomal-dominanten Erbgang vererbt. Ausnahmen im Kindesalter sind z. B. die CMMRD und Blutbildungsstörungen wie die Fanconi-Anämie, die mit einem erhöhten Risiko für MDS/AML und Plattenepithelkarzinome einhergeht. Diese Erkrankungen werden autosomal-rezessiv vererbt. Die Betroffenen tragen eine pathogene homozygote Variante bzw. zwei komplex heterozygot vorliegende pathogene Varianten. Die Eltern sind in der Regel Träger einer entsprechend heterozygoten Variante (Abb. 1). Bei der CMMRD bedeutet dies, dass die Eltern formal ein Lynch-Syndrom haben und damit ein deutlich erhöhtes Risiko für Darmkrebs und bei Frauen auch für Endometriumkarzinome besteht. Zudem liegen erhöhte Erkrankungswahrscheinlichkeiten für weitere Lynch-Syndrom-assoziierte Tumoren vor. Nach den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Stoffwechselerkrankungen ist in diesem Fall ein intensiviertes Früherkennungsprogramm und ggf. eine prophylaktische Hysterektomie anzubieten. Evidenzbasierte Daten zeigen, dass die intensivierte Darmkrebsfrüherkennung mit einer signifikanten Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden ist (Tab. 3).

    Bei genetischen Tumorprädispositionssyndromen kann durch eine prädiktive Diagnostik nach adäquater genetischer Beratung geklärt werden, wer in der Familie ebenfalls die pathogene(n) Variante(n) trägt. Angehörige, die die Genveränderung(en) nicht tragen, können hierdurch entlastet werden. Ein Ergebnis der genetischen Diagnostik kann sein, dass pathogene Varianten de novo entstanden sind. Auch in diesem Fall können pathogene Varianten an Nachkommen der betroffenen Person weitergegeben werden. Auf die Möglichkeit eines Keimbahnmosaiks bei einem Elternteil ist in der genetischen Beratung hinzuweisen. Für alle Verwandten, die die pathogene Variante tragen, ist ein intensiviertes Früherkennungsprogramm zu empfehlen. Dies gilt z. B., wenn ein Kind mit einem Medulloblastom eine pathogene Variante im BRCA2-Gen von der gesunden Mutter geerbt hat, die damit ein Risiko von bis zu 80 % trägt, im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken.

Tab. 2 Drei unabhängige Krebserkrankungen bei einem Kind mit einer pathogenen Variante im TP53-Gen und damit einem Li-Fraumeni-Syndrom. (Nach Schlegelberger et al. [14])
Abb. 1
figure 1

Die konstitutionelle Mismatch-Repair-Defizienz (CMMRD) ist auf die biallelische Inaktivierung in einem Mismatch-Repair-Gen, wie z. B. MSH6, zurückzuführen. Die Eltern und weitere Verwandte tragen eine monoallelische (heterozygote) pathogene Variante und haben damit ein Lynch-Syndrom

Tab. 3 Beginn der Früherkennungsuntersuchungen für Constitutional-Mismatch-Repair-Defizienz(CMMRD)- und Lynch-Syndrom im Vergleich. (Nach Jarvinen et al. [4] und Vasen et al. [18])

Fazit für die Praxis

  • Etwa 5–10 % der Krebserkrankungen von Kindern entstehen auf Basis einer genetischen Krebsprädisposition.

  • In der Praxis unterstützt ein Fragebogen bei der Entscheidung, ob der Verdacht auf eine genetische Krebsprädisposition gestellt werden sollte. Neben der Anamnese werden hier auch pathologische Befunde und somatische Genveränderungen berücksichtigt.

  • Patienten mit Verdacht auf oder Diagnose einer Krebsprädisposition sollten interdisziplinär betreut werden. Die Diagnose kann von Relevanz für die aktuelle Behandlung, die zukünftige Versorgung und die Familienplanung sein.

  • Gesunden Angehörigen können nach einer Beratung prädiktive genetische Untersuchungen angeboten werden.

  • In Abhängigkeit von der Krebsprädisposition sowie von Alter und Geschlecht der Betroffenen sind speziell intensivierte Früherkennungsuntersuchungen und gegebenenfalls prophylaktische Operationen indiziert. Ziel ist es weitere Krebserkrankungen zu verhindern beziehungsweise möglichst früh zu diagnostizieren.