Affektive Mentalisierung beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen verstehen zu können. Als Indikator ebendieser Fähigkeit kann der Emotion Beliefs Questionnaire (EBQ; Becerra et al. 2020) fungieren, welcher im Selbstbericht die wahrgenommene Kontrollierbarkeit sowie Nützlichkeit positiver und negativer Emotionen erfasst. Die Vorstellung einer deutschsprachigen Version des EBQ sowie deren empirische Validierung anhand einer nichtklinischen Stichprobe sind Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.

Einleitung

Mentalisierung als psychologisches Konzept vereint theoretische Grundlagen der Bindungsforschung, der psychodynamischen Psychotherapie, der Neurobiologie, der kognitiven Entwicklungspsychologie und der Psychotherapieforschung (Fonagy et al. 2004). „Sich selbst von außen und die Anderen von innen sehen“ (Bateman und Fonagy 2016, S. 5) beschreibt prägnant gelingende Mentalisierung. Mentalisierende Personen sind in der Lage, innere mentale Zustände bei sich selbst und bei anderen zu verstehen und nachzufühlen sowie mit eigenen Gefühlen befühlen zu können. Sie zeichnen sich gegenüber diesen inneren Zuständen sowie gegenüber den Gründen für eigenes und fremdes Denken, Fühlen und Handeln durch eine neugierige und offene Haltung aus. Dabei ermöglicht Mentalisieren das Herstellen eines Zusammenhangs zwischen Verhalten und zugrunde liegenden Wünschen, Gefühlen, Gedanken und Absichten. Mentalisieren bedeutet somit, „sich auf die inneren ‚mentalen‘ Zustände von sich selbst und anderen zu beziehen, diese als dem Verhalten zugrunde liegend zu begreifen und darüber nachdenken zu können“ (Euler und Schultz-Venrath 2014). Hierbei ist die Annahme zentral, dass mentale Zustände menschliches Verhalten steuern und Mentalisieren somit eine wichtige Voraussetzung für die menschliche Kommunikation und Beziehungsgestaltung bildet. Mentalisierungsfähigkeit entwickelt sich intersubjektiv im Kontext frühkindlicher Beziehungen, eine weitere Differenzierung findet bis ins Erwachsenenalter statt. Während Mentalisierungsfähigkeit situativ variieren kann, ist diese ebenfalls von strukturellen Persönlichkeitsfaktoren abhängig. So finden sich Beeinträchtigungen der Mentalisierungsfähigkeit bei Patient:innen mit verschiedenen psychischen Störungen, wobei eine Förderung von Mentalisierung schulenübergreifend psychotherapeutisch wirksam zu sein scheint (Brockmann und Kirsch 2015) und vielerorts als allgemeiner Wirkfaktor psychotherapeutischer Behandlungen gesehen wird (Allen et al. 2011, S. 21).

Mentalisierung lässt sich als ein mehrdimensionales Konstrukt beschreiben, wobei acht Polaritäten von Mentalisierung unterschieden werden können (Lieberman 2007):

  1. a)

    automatisch/implizit vs. kontrolliert/explizit,

  2. b)

    auf sich selbst bezogen vs. auf andere bezogen,

  3. c)

    nach innen gerichtet vs. nach außen gerichtet,

  4. d)

    kognitiv vs. affektiv.

Gelingendes Mentalisieren zeichnet sich durch einen ausgewogenen, dynamischen Wechsel zwischen allen Polen aus, ohne zu stark auf einen zu fokussieren (Bateman und Fonagy 2016; Lieberman 2007). Demnach lässt sich Mentalisierung als „übergeordnetes Konzept“ (Luyten et al. 2020, S. 303) verstehen, welches alle genannten Dimensionen in einem Wechselspiel umfasst (Choi-Kain und Gunderson 2008).

Affektive Mentalisierung

In der vorliegenden Arbeit beziehen wir uns auf affektive Mentalisierungsfähigkeit. Die Dimension kognitive vs. affektive Mentalisierung wird beschrieben als: „Cognitive mentalizing involves the ability to name, recognize, and reason about mental states (in both oneself or others), whereas affective mentalizing involves the ability to understand the feeling of such states (again, in both oneself or others), which is necessary for any genuine experience of empathy or sense of self“ (Bateman und Fonagy 2016, S. 13).

Wenn affektive Mentalisierung bedeutet, dass eigene Emotionen sowie die Emotionen Anderer verstanden werden können, dann sollten affektiv Mentalisierende Emotionen als verstehbar und somit als kontrollierbar wahrnehmen, da Verständnis für die eigenen Emotionen und die Emotionen Anderer Kontrollierbarkeit impliziert. Diese Annahme findet sich z. B. auch in der schulenübergreifenden emotionsbezogenen Psychotherapie, wenn an verschiedenen Stellen des psychotherapeutischen Prozesses die Förderung von Emotionsverständnis als Voraussetzung eines angemessenen – d. h. kontrollierten – Umgangs mit Emotionen postuliert wird (Lammers 2011).

Weiterhin sollten affektiv Mentalisierende eigenen und fremden Emotionen, die sie verstehen und die sie somit psychisch/kognitiv zu kontrollieren imstande sind, eine relevante Bedeutung zubilligen. Damit zusammenhängend sollten sie Emotionen als etwas Bedeutungsvolles (d. h. etwas inhärent mit Bedeutung Versehenes) und demzufolge auch als etwas Nützliches/nichts Arbiträres ansehen. Schließlich vermögen es affektiv Mentaliserende, „aus der Komplexität der affektiven Erfahrung ‚Sinn‘ zu generieren“ (Tiedemann 2019, S. 49). In dieser kurzen Darstellung werden bereits die Komplexität und damit auch weitere Differenzierungsmöglichkeiten der Bedeutungszuschreibung von Emotionen (z. B. in bedeutungsvoll vs. nichtbedeutungsvoll, wünschenswert vs. unerwünscht, nützlich vs. nutzlos, hilfreich vs. schädlich) deutlich (Ford und Gross 2018, 2019).

Ein vor Kurzem im englischsprachigen Raum entwickelter und validierter Selbstberichtsfragebogen ermöglicht die Erhebung der Wahrnehmung von Emotionen als kontrollierbar und nützlich: der Emotion Beliefs Questionnaire (EBQ; Becerra et al. 2020).

Emotion Beliefs Questionnaire

Der EBQ basiert auf dem theoretischen Konzept von Ford und Gross (2018, 2019). Emotionen werden dahingehend spezifiziert, dass diese auf übergeordneter Ebene in unterschiedlichem Ausmaß als kontrollierbar („controllability“; d. h. inwieweit Emotionen als willentlich veränderbar vs. als willkürlich aufkommend) sowie als nützlich („usefulness“; d. h. inwieweit Emotionen z. B. als gut vs. schlecht, nützlich vs. nutzlos, bedeutungsvoll vs. nichtbedeutungsvoll, hilfreich vs. schädlich, erwünscht vs. unerwünscht) erlebt werden können. Ferner wird auf untergeordneter Ebene u. a. die Bedeutung der Valenz einer Emotion (positiv oder negativ) berücksichtigt. Die 16 Items des EBQ werden ohne Zeitkriterium auf einer 7‑stufigen Likert-Skala (1 = strongly disagree, 4 = neither agree nor disagree,7 = strongly agree) beurteilt, wobei hohe Werte darauf hinweisen, dass positive und negative Emotionen als unkontrollierbar und nutzlos erlebt werden. Mittels konfirmatorischer Faktorenanalyse konnte gezeigt werden, dass sich die englischsprachige Originalversion des EBQ am besten durch ein 3‑Faktoren-Modell beschreiben lässt, bestehend aus den Komponenten General-Controllability (Items 1, 2, 5, 6, 9, 10, 13, 14), Negative-Usefulness (Items 3, 7, 11, 15) und Positive-Usefulness (Items 4, 8, 12, 16). Diese drei Komponenten lassen sich zusätzlich auf einen gemeinsamen Faktor höherer Ordnung zurückführen, was bedeutet, dass sich durch die Gesamtskala des EBQ die Fähigkeit zur affektiven Mentalisierung erfassen lässt. Der EBQ wies in dieser Stichprobe der erwachsenen, australischen Allgemeinbevölkerung eine akzeptable bis gute Reliabilität mit einer internen Konsistenz der Subskalen von Cronbachs α = 0,70–0,88 auf.

Relevanz und Ziel der Studie

Angesichts der Multidimensionalität des Mentalisierungskonzepts ist es erforderlich, valide Messinstrumente zu etablieren, welche die einzelnen Mentalisierungspole präzise abbilden können. In der vorliegenden Arbeit fokussieren wir uns auf ein Instrument zur Erfassung von affektiver Mentalisierung: Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, eine deutschsprachige Version des Emotion Beliefs Questionnaire (EBQ) vorzustellen und diese in einer nichtklinischen, deutschsprachigen Stichprobe zu validieren. Diese deutschsprachige Version des EBQ soll vorrangig ein einfach zu implementierendes, eng an der englischsprachigen Version von Becerra et al. (2020) orientiertes Messinstrument darstellen.

Die vorliegende Validierungsstudie soll untersuchen, ob (1) explorativ die dreifaktorielle Struktur des EBQ (d. h. General-Controllability, Negative-Usefulness, Positive-Usefulness) zu beobachten ist, (2) die interne Konsistenz der Gesamtskala des EBQ in der deutschen Version als mindestens akzeptabel anzusehen ist (Cronbachs α ≥ 0,70) und (3) sich eine hohe konkurrente Validität nachweisen lässt (d. h., ob die deutschsprachige Version des EBQ mit einem anderen, in deutscher Sprache validierten Messinstrument zur Erfassung von Emotionsregulation sowie mit einem Instrument zur Erfassung von Depressions‑, Angst- und Stresssymptomen korreliert). Den Ergebnissen von Becerra et al. (2020) entsprechend erwarten wir, dass hohe Werte des EBQ – also die Vorstellung, positive und negative Emotionen seien unkontrollierbar und nutzlos (d. h. eine geringe affektive Mentalisierungsfähigkeit) – mit mehr Schwierigkeiten in der Emotionsregulation sowie mit höheren psychopathologischen Symptomen einhergehen werden.

Methodik

Stichprobe

Wir erhoben die Daten in einer deutschen Stichprobe von Aus- und Weiterbildungskandidat:innen im Bereich der Psychotherapie (PiA) verschiedener deutschsprachiger Institute sowie Studierenden verschiedener Fachrichtungen von Mai 2021 bis Oktober 2021. Die Rekrutierung erfolgte über die Studienleitenden im Schneeballverfahren, d. h., wir baten Bekannte um Teilnahme sowie um Weiterleitung des Links zur anonymen Online-Umfrage (Qualtrics-Umfrageplattform) an Bekannte, die sich aktuell in Aus- bzw. Weiterbildung oder im Studium befanden. Außerdem wurden PiA über institutsinterne E‑Mail-Verteiler auf die Studie aufmerksam gemacht und weitere PiA und Studierende über soziale Medien wie Facebook rekrutiert. Einschlusskriterien waren ein Mindestalter von 18 Jahren und das Beherrschen der deutschen Sprache. Während der Umfrage hatten die Teilnehmenden jederzeit die Möglichkeit, ihre Teilnahme zu beenden, wovon 57 Teilnehmende Gebrauch machten. Insgesamt nahmen 161 Teilnehmende an der Umfrage teil. In den finalen Datensatz wurden für die Datenanalyse 104 Teilnehmende aufgenommen, da diese die Einschlusskriterien erfüllten, die Umfrage zu 100 % beantworteten (Durchführungsdauer mind. 5,33 min) und eine Aufmerksamkeitsprüfung erfolgreich bestanden. Die 57 ausgeschlossenen Teilnehmenden haben die Umfrage frühzeitig abgebrochen (Spannweite der Antwortrate lag zwischen 6 % und 25 %). Diese Drop-out-Rate von 35,40 % könnte durch die umfassende Rekrutierung erklärt werden. Die finale Stichprobe (Tab. 1) bestand aus 104 Erwachsenen (92 weiblich, 12 männlich) mit einem Durchschnittsalter von 31,13 Jahren (Spannweite 19 bis 61 Jahre; SD ± 8,66).

Tab. 1 Soziodemografische Angaben der Validierungsstichprobe

Untersuchungsablauf und Messinstrumente zur Validierung

Gemäß der Translation Guidelines des European Social Survey (European Research Infrastructure Consortium 2018) verglichen wir die deutschsprachige Übersetzung eines Autors mit weiteren, davon unabhängigen deutschen Übersetzungen weiterer Autor:innen (alle deutsche Muttersprachler:innen und fließend in englischer Sprache) und fügten diese verschiedenen Übersetzungen nach geführter Diskussion sowie Rückübersetzung durch eine Autorin (Englischsprachkenntnisse auf Muttersprachenniveau) zu einer finalen Version zusammen. Bezüglich der Wortwahl und der Struktur fokussierten wir uns auf ein hohes Maß an Verständlichkeit und eine enge Orientierung an der englischsprachigen Originalversion. Der vorliegenden Arbeit ging eine Vorstudie voraus, in welcher wir eine erste deutschsprachige Version des EBQ entwickelten und diese psychometrisch anhand einer nichtklinischen Stichprobe der deutschen Allgemeinbevölkerung überprüften (Zusatzmaterial online: Appendix A). Die Ergebnisse lieferten Hinweise auf eine unpassende deutsche Wortwahl der Items der Skala Positive-Usefulness. Folglich modifizierten wir die vier Items dieser Skala, sodass eine optimierte deutschsprachige Version des EBQ in der vorliegenden Untersuchung Verwendung fand (Tab. 2).

Tab. 2 Items des englischsprachigen Emotion Beliefs Questionnaire (EBQ) und der deutschsprachigen Version des EBQ

Die deutschsprachige Version des EBQ bildete einen Teil der von uns zusammengestellten Online-Fragebogenbatterie. Die Onlineumfrage startete mit einer informierten Einwilligung; am Ende erhoben wir soziodemografische Daten.

Zusätzlich zur deutschsprachigen Version des EBQ auf einer 7-stufigen Likert-Skala (1 = trifft überhaupt nicht zu, 7 = trifft vollständig zu) beinhaltete die Onlineumfrage den Fragebogen zur Akzeptanz von Gefühlen (FrAGe) als Indikator für Emotionsregulation sowie die deutschsprachige Version der Depressions-Angst-Stress-Skalen (DASS) als Indikator für psychopathologische SymptomeFootnote 1:

Der FrAGe wurde von Beblo et al. (2011) entwickelt und validiert. Der Fragebogen erhebt im Selbstbericht die Akzeptanz und Unterdrückung angenehmer und unangenehmer Gefühle ohne Zeitkriterium. Alle Items werden auf einer 6‑stufigen Likert-Skala (1 = trifft überhaupt nicht zu, 6 = trifft völlig zu) beantwortet, wobei nach einer Itemrekodierung der Skala Unterdrückung höhere Werte eine höhere Akzeptanz von Gefühlen widerspiegeln. Neben einer Aufsummierung aller 32 Items zu einer Gesamtskala Gefühlsakzeptanz ist die Verwendung von vier Subskalen mit jeweils acht Items möglich: Akzeptanz angenehmer Gefühle (z. B. „Angenehme Gefühle nehme ich gewöhnlich an“), Unterdrückung angenehmer Gefühle (z. B. „Ich traue angenehmen Gefühlen nicht“), Akzeptanz unangenehmer Gefühle (z. B. „Unangenehmen Gefühlen lasse ich freien Lauf“) und Unterdrückung unangenehmer Gefühle (z. B. „Unangenehme Gefühle sind für mich ein Zeichen von Schwäche“). Anhand von zwei Studien an nichtklinischen Proband:innen konnten gute psychometrische Eigenschaften des FrAGe demonstriert werden (Beblo et al., 2011). In der vorliegenden Studie wurden alle 32 Items zu einem Gesamtwert von Gefühlsakzeptanz zusammengeführt, welcher eine exzellente interne Konsistenz von Cronbachs α = 0,93 aufweist.

Der DASS (Lovibond und Lovibond 1995; deutsche Version von Nilges und Essau 2015) ist ein weit verbreiteter Selbstbeurteilungsfragebogen zur Erfassung erlebter psychopathologischer Symptome in der vergangenen Woche. Der DASS besteht aus drei Subskalen, welche sich jeweils aus sieben Items zusammensetzen: Depression (z. B. „Ich fühlte mich niedergeschlagen und traurig“), Angst (z. B. „Ich fühlte mich grundlos ängstlich“) und Stress (z. B. „Ich fand es schwer, mich zu beruhigen“). Alle Items werden auf einer 4‑stufigen Likert-Skala (0 = traf gar nicht auf mich zu, 3 = traf sehr stark auf mich zu oder die meiste Zeit) beantwortet, wobei höhere Werte stärkere psychopathologische Symptome widerspiegeln. In der vorliegenden Studie sind die internen Konsistenzen für die drei Subskalen sowie für die Gesamtskala akzeptabel bis exzellent (Gesamtskala: α = 0,93, Depression: α = 0,89, Angst: α = 0,78, Stress: α = 0,87).

Statistische Analysen

Die statistische Datenanalyse erfolgte mittels IBM® SPSS® Statistics für Windows (Version 27, 64-bit Version). Da bei Replikationsversuchen u. a. auf eine Übereinstimmung der faktorenanalytischen Methode und der Rotationstechnik zu achten ist (Bühner 2011, S. 330) und wir analog zur originalen Validierung des EBQ (Becerra et al. 2020) drei Faktoren erster Ordnung (General-Controllability, Negative-Usefulness, Positive-Usefulness) in unseren Daten erwarteten, führten wir in unserer explorativen Faktorenanalyse eine Hauptachsenanalyse (PCA) mit Oblimin-Rotation durch, wobei wir die Anzahl der zu extrahierenden Faktoren auf drei festlegten. Die Frage nach einer adäquaten Stichprobengröße zur Berechnung einer Faktorenanalyse lässt sich nicht einheitlich beantworten (MacCallum et al. 1999). Da an mehreren Stellen eine Stichprobengröße von 100 empfohlen (Gorsuch 1983; Kline 1994) bzw. als „ausreichend“ bezeichnet wird (Bühner 2011, S. 345), wollten wir in dieser Pilotstudie für eine erste Validierung des EBQ als Maß zur affektiven Mentalisierung an einer Stichprobe mit einer Größe von über 100 (resp. n = 104) erste explorative Hinweise für eine Replikation der originalen faktoriellen Struktur (Becerra et al. 2020) finden. Da wir unsere deutschsprachige EBQ-Version in unsere Standarddiagnostik aufgenommen haben, werden wir zukünftig eine Replikationsstudie mit einer deutlich größeren Stichprobe vorweisen können. Im Anschluss bestimmten wir als Maß der internen Konsistenz Cronbachs Alpha und die konkurrente Validität (d. h., ob die Annahme, positive und negative Emotionen seien unkontrollierbar und nutzlos, mit geringer Emotionsregulation sowie mit höheren psychopathologischen Maßen einhergeht) anhand von Korrelationen nach Pearson zwischen dem EBQ-Gesamtwert einerseits und der Gesamtskala des FrAGe und den psychopathologischen Skalen für Depression, Angst und Stress des DASS andererseits.

Ergebnisse

Faktorielle Validität

Zunächst wurde die Struktur des EBQ faktorenanalytisch betrachtet. In der vorliegenden Stichprobe sind die Voraussetzungen zur Durchführung einer Faktorenanalyse sowohl nach dem Kaiser-Meyer-Olkin Kriterium (0,81) als auch dem Bartlett-Test (p < 0,001) erfüllt (Cleff 2015; Field 2013). Die Dreifaktorenstruktur (Tab. 3) erklärte 47,11 % der Varianz.

Tab. 3 Itemanalyse der deutschsprachigen Version des Emotion Beliefs Questionnaire (EBQ) mit Ladungen der 3 Faktoren gemäß Faktorenanalyse (Hauptachsenanalyse mit Oblimin-Rotation)

Reliabilität

Die Gesamtskala der deutschsprachigen Version des EBQ zeigt eine gute Reliabilität (α = 0,87), ebenso die Subskala General-Controllability (α = 0,85). Die internen Konsistenzen der Subskalen Negative-Usefulness (α = 0,76) und Positive-Usefulness (α = 0,70) sind als akzeptabel einzustufen.

Konkurrente Validität

Der EBQ Gesamtwert korreliert signifikant negativ mit mittlerem ZusammenhangFootnote 2 mit dem FrAGe Gesamtwert (Gefühlsakzeptanz), r(102) = −0,44, p < 0,001. Mit den Subskalen des DASS (psychopathologische Symptome) korreliert der EBQ-Gesamtwert signifikant positiv mit kleinem bis mittlerem Zusammenhang, r(102) = 0,30, p = 0,002 (Depression), r(102) = 0,24, p = 0,016 (Angst) und r(102) = 0,28, p = 0,004 (Stress).

Diskussion

In der vorliegenden Studie validierten wir den EBQ in einer deutschsprachigen Version im Rahmen einer anonymen Online-Umfrage an einer Stichprobe aus 104 Psychotherapeut:innen in Aus- und Weiterbildung sowie Studierenden in Deutschland, eine Studienteilnehmendengruppe, die nicht als homogene Gruppe zu sehen ist (Reininger et al. 2021).

Mittels explorativer Faktorenanalyse beobachteten wir die dreifaktorielle Struktur der englischsprachigen Originalskala (Becerra et al. 2020) – bestehend aus den Subskalen General-Controllability, Negative-Usefulness und Positive-Usefulness – wie erwartet in der deutschsprachigen Version. Übereinstimmend mit der Originalstudie können wir mit den vorliegenden Ergebnissen – zunächst pilothaft durch eine nichtklinische, deutsche Stichprobe – somit das theoretische Konzept von Ford und Gross (2018, 2019) empirisch stützen, welches die Wahrnehmung von Emotionen als multidimensionales Konstrukt beschreibt, bestehend aus den Faktoren Kontrollierbarkeit und Nützlichkeit unter Beachtung der Valenz von Emotionen (positiv vs. negativ). Hinsichtlich der Reliabilität beobachten wir für den deutschsprachigen EBQ in der Gesamtskala (α = 0,87) und in der Subskala General-Controllability (α = 0,85) eine gute, in den Subskalen Negative-Usefulness (α = 0,76) und Positive-Usefulness (α = 0,70) eine akzeptable interne Konsistenz.

Hypothesenkonform beobachten wir bezüglich der konkurrenten Validität Zusammenhänge des EBQ-Gesamtwerts mit dem FrAGe-Gesamtwert und den Subskalen der DASS kleinen bis mittleren Ausmaßes. Somit konnten wir die originalen Befunde, dass eine wahrgenommene geringe Kontrollierbarkeit und Nützlichkeit positiver und negativer Emotionen (affektive Mentalisierung) mit einer geringen Emotionsregulation sowie mit erhöhten Depressions‑, Angst- und Stresssymptomen einhergehen, in der deutschsprachigen Version replizieren.

Es handelt sich beim EBQ um ein Instrument, das theoretisch begründet geeignet sein dürfte, affektive Mentalisierung zu erfassen: Da gelungenes affektives Mentalisieren meint, eigene und fremde Emotionen verstehen zu können (Bateman und Fonagy 2016), sollten affektiv Mentalisierende folglich alle Emotionen (positive und negative) als kontrollierbar und auch als bedeutsam/nützlich wahrnehmenFootnote 3 (Zusatzmaterial online: Appendix B). Für den EBQ ergeben sich somit – auch für die deutschsprachige Version – klinische Einsatzmöglichkeiten. Da eine beeinträchtigte Mentalisierungsfähigkeit als Vulnerabilitätsfaktor für psychische Erkrankungen gesehen wird (Luyten et al. 2020) und eine Förderung dieser Fähigkeit schulenübergreifend wirksam zu sein scheint (Brockmann und Kirsch 2015), könnte der EBQ dabei helfen, eine geringe affektive Mentalisierungsfähigkeit als möglichen Vulnerabilitätsfaktor für Psychopathologien frühzeitig zu identifizieren. Mentalisierungsfähigkeit und insbesondere affektive Mentalisierung – die Fähigkeit, über das Fühlen fühlen zu können – ist eine wichtige Kompetenz und ein Zeichen psychischer Gesundheit. Affektive Mentalisierungsfähigkeit lässt sich in einen Zusammenhang mit psychischen Belastungen, z. B. bei somatoformen Schmerzen, bringen (Reininger 2020; Schultz-Venrath 2021). Die Hypothese, dass Affektualisierung (ein wichtiger Bestandteil von affektiver Mentalisierung) eine wirksame und theoretisch begründete psychotherapeutische Intervention zu sein scheint, lässt sich aus der Literatur ableiten (Lammers 2011; Shedler 2010). Die Erfassung von affektiven Mentalisierungsschwierigkeiten durch den EBQ kommt insbesondere in Anbetracht evidenzbasierter Behandlungsformen mit Fokus auf einer Förderung ebendieser Fähigkeit, wie etwa der Mentalisierungsbasierten Therapie oder auch metakognitiven Ansätze (Bateman und Fonagy 2016; Moritz et al. 2018, 2021; Reininger et al. 2020; Taubner et al. 2019; Volkert et al. 2019), eine hohe klinische Relevanz zu.

Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der Untersuchung von nichtklinischen Teilnehmenden. Um die genannten klinischen Einsatzmöglichkeiten des EBQ vertiefend diskutieren zu können, sollte der EBQ zukünftig in klinischen Stichproben untersucht werden. Unsere Arbeitsgruppe untersucht aktuell den EBQ in einer klinischen Stichprobe, sodass hieraus möglicherweise eine Bestätigung der psychometrischen Qualität des EBQ in einer klinischen Stichprobe resultieren könnte. Bei der Einordnung der vorliegenden Befunde muss als weitere Limitation die geringe Stichprobengröße genannt werden. Wenngleich eine Stichprobengröße von 100 stellenweise als ausreichend bezeichnet wird (Gorsuch 1983; Kline 1994), so scheint es unumstritten, dass größere Stichproben die Generalisierbarkeit faktorenanalytischer Ergebnisse erhöhen (DeVellis 2012, S. 158). Weiterhin sollten hinsichtlich der Generalisierbarkeit unserer Ergebnisse an der vorliegenden Stichprobe das Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung (92 Frauen, 12 Männer) und der hohe Bildungsgrad (73,1 % Fach‑/Hochschulabsolvent:innen) berücksichtigt werden. Wenngleich Mentalisierung als „Kompetenz der politischen Mitte“ in Forschungsarbeiten beobachtet wurde (Krott und Reininger 2021), so scheint der Überhang von Bündnis 90/Die Grünen-Wähler:innen (politische Orientierung gemäß Sonntagsfrage: 63,5 % Bündnis 90/Die Grünen) in der vorliegenden Studie ein die Generalisierbarkeit ebenfalls einschränkender Faktor zu sein. So muss bedacht werden, dass es beispielsweise Geschlechtsunterschiede in der Emotionsregulierung gibt (Nolen-Hoeksema 2012). Ebenso gilt emotionale Intelligenz als Prädiktor für schulische Leistungen (MacCann et al. 2020). Folglich erscheinen neben weiteren Validierungsstudien mit klinischen Stichproben – wie wir sie aktuell durchführen – auch zusätzliche Validierungsstudien in der deutschen Allgemeinbevölkerung notwendig.

Im Vergleich zu unserer Vorstudie zeigt sich in den vorliegenden Ergebnissen der aktuellen Stichprobe eine geeignetere sprachliche Passung der Items der Skala Positive-Usefulness (4, 8, 12, 16). Dennoch sollte eine weitere Überarbeitung von Item 16 („Es ist schädlich, positive Gefühle zu empfinden“) in Betracht gezogen werden, da dieses Item sowohl eine geringe Faktorladung (α = 0,26) als auch eine geringe Trennschärfe (< 0,3) aufweist.

Weiterführende Studien sollten zudem die Retest-Reliabilität des deutschsprachigen EBQ untersuchen, da sich das Ausmaß möglicher Veränderungen der wahrgenommenen Kontrollierbarkeit und Nützlichkeit positiver und negativer Emotionen nur in Längsschnittdesigns erfassen lässt.

Zusammenfassend sprechen die Ergebnisse der vorliegenden Studie für gute psychometrische Eigenschaften des deutschsprachigen EBQ. Der EBQ – empirisch in einer deutschsprachigen, nichtklinischen Stichprobe pilothaft getestet und theoretisch begründet – scheint ein geeignetes Instrument zur Erfassung affektiver Mentalisierung in klinischer Praxis und Forschung darzustellen.

Fazit für die Praxis

  • Übereinstimmend mit den Ergebnissen der Originalvalidierungsstudie weist der Emotion Beliefs Questionnaire (EBQ) in der hier vorgestellten und an einer Stichprobe von Psychotherapeut:innen in Aus- und Weiterbildung sowie Studierenden empirisch getesteten deutschsprachigen Version gute psychometrische Eigenschaften auf.

  • Die 16 Selbstberichtitems des EBQ, welche die wahrgenommene Kontrollierbarkeit sowie Nützlichkeit positiver und negativer Emotionen erfassen, lassen sich als Indikatoren für affektive Mentalisierung verstehen.

  • Die Anwendung des EBQ als Instrument zur Erfassung affektiver Mentalisierungsschwierigkeiten als möglicher Vulnerabilitätsfaktor für psychische Erkrankungen ist in der psychotherapeutischen Praxis und Forschung wünschenswert.

  • Zukünftig sollte der deutschsprachige EBQ sowohl in klinischen Stichproben als auch in repräsentativen Stichproben der Allgemeinbevölkerung größeren Umfangs im Längsschnittdesign untersucht werden.