Das Sozialgesetzbuch XIV führt Traumaambulanzen (TA) ab dem Jahr 2021 flächendeckend ein. In Kooperation von Institutsambulanz und Versorgungsbehörde sollen TA mit schneller psychotraumatologischer Hilfe die Traumaverarbeitung fördern und Grundlagen zur Bearbeitung des Opferentschädigungsantrags generieren, um den Gesundungsprozess ohne behördliche Retraumatisierung zu stützen.

Einführung

Die in vielen Bundesländern etablierten TA bewährten sich gemäß einer Prä-post-Evaluation in Nordrhein-Westfalen (Bollmann et al. 2012) und auch in einer bundesweiten Evaluation mit parallelisiertem Kontrollgruppendesign (Rassenhofer et al. 2016). Die „niedrigschwellige Intervention durch traumatologisch spezialisierte Mitarbeiter einer Traumaambulanz … ist der Behandlung im Rahmen der Regelversorgung überlegen“ (Amtliche Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des sozialen Entschädigungsrechts, BT-Drucksache 19/13824, S. 185). Grundlage der Arbeit einer TA ist ein Vertrag mit der Versorgungsbehörde. Die Verträge sehen eine stetige Erreichbarkeit, schnelle Terminvergabe, ein qualifiziertes Angebot (in evidenzbasierten Verfahren ausgebildete Psychotherapeuten auch mit gutachterlicher Erfahrung, Sozialarbeiter) und die Bereitschaft zu aufsuchenden Tätigkeiten (wie Begleitung zur Gerichtsverhandlung, polizeilicher Vernehmung sowie auch Hausbesuche) vor.

Das Stellen eines Antrags gemäß dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) war Voraussetzung für die Teilnahme an der Studie und das Erhalten der garantierten Sitzungen. Die ersten 5 Sitzungen in der TA dienten der Sachverhaltsaufklärung und waren u. a. Grundlage der Versorgungsämter für die Beurteilung der psychischen Einschränkungen der Antragsteller. Bei Bedarf konnte die Behandlung über 10 zusätzliche Sitzungen fortgeführt werden, auch um für die Umsetzung der Hilfe bei weitergehendem Behandlungsbedarf zu sorgen. Traumaambulanzen sollten somit letztlich den Behörden und den Betroffenen aufwendige Begutachtungen ersparen. Ziel war, im Rahmen des landesbezogenen Auftrags unter Einbezug der Sicht der Betroffenen und der Behörden die Effektivität der Frühintervention hinsichtlich der Entaktualisierung, des Symptomverlaufs, der Zufriedenheit mit der Kooperation und des Vermeidens weiterer Begutachtungen zu evaluieren.

Dadurch wurde erstmalig die Sicht der beteiligten Versorgungsbehörden einbezogen. Einzig Franke et al. (2019) haben Daten von Versorgungsbehörden anhand von – allerdings bereits anerkannten – OEG-Fällen nach Aktenlage untersucht. Sie fanden als Prädiktoren für eine fortwährende Berufstätigkeit einen niedrigen Grad der Schädigungsfolgen (GdS, eine geringere Schädigung anzeigend). Bei einem höheren GdS und einem höheren Traumaschweregrad seien Anträge später gestellt worden: Die gefundene durchschnittliche Dauer von 7 Jahren zwischen Gewalttat und Antragstellung wurde als zu lang befunden. Die gefundene Häufigkeit von 90 % psychischer Störungen spreche für das Etablieren spezieller Therapieangebote.

Methoden

Die untersuchten TA Aalen, Esslingen, Offenburg, Reutlingen und Schwetzingen hatten sich jeweils als Modellambulanz beworben. Diese verfügen über traumatologisch ausgebildete Ärzte und psychologische Psychotherapeuten – jeweils in traumafokussierter kognitiv-behavioraler Therapie (TF-CBT), Eye Movement Desensitization Reprocessing (EMDR) oder in psychodynamisch-imaginativer Traumatherapie (PITT). Oft liegen mehrere Methodenkompetenzen vor. Prospektiv wurden alle die Ambulanz aufsuchenden Betroffenen angesprochen, die eine Gewalttat gemäß §1 des OEG erlitten hatten und die Einschlusskriterien (hinreichende Deutschkenntnisse, OEG-Antrag gestellt, Einverständnis erteilt) erfüllten. Die jeweiligen Therapeuten gingen, wie jüngst empfohlen, individuumzentriert vor (Qi et al. 2016). Sie füllten mit Zustimmung der Teilnehmer nach der ersten Sitzung einen standardisierten Erhebungsbogen aus. Die Daten wurden der Versorgungsbehörde sowie mit fortlaufender Chiffre anonymisiert der Studienzentrale übermittelt.

Methodisch handelt es sich um ein prospektives Prä-post-Design mit Katamnese. Eine Kontrollgruppe war aus ethischen Gründen im Rahmen dieser Studie nicht angestrebt. Das Design lehnt sich an die Arbeit von Rassenhofer et al. (2016) an; dort sind die verwendeten Instrumente in ihrer Reliabilität und Validität beschrieben.

Zu Beginn der Intervention wurden durch den behandelnden Therapeuten soziodemografische Daten, Traumaart (qualitativ analog zum Vorgehen der Versorgungsbehörden nach den Kategorien des Strafgesetzbuchs [StGB], ähnlich Franke et al. 2019), Traumatyp (einmalig: Typ 1 oder sequenziell wiederholend: Typ 2 nach Terr 1991), Tatgeschehen sowie Zeitpunkt und Dauer der Traumaerfahrung erfasst.

Die Teilnehmenden füllten in der ersten und der fünften Sitzung die Posttraumatic Diagnostic Scale (PDS) aus. Die von Foa et al. (1997) entwickelte PDS ist ein aus 49 Items bestehender Selbsteinschätzungsfragebogen mit Ereignis- und Symptomteil. Die Symptombelastung wird auf einer 4‑stufigen Likert-Skala erhoben und orientiert sich an den Kriterien des zu Studienbeginn gültigen DSM-IV, dessen Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung auch die Versorgungsbehörden zugrunde legen (BMAS 2008). Es wurde die deutsche Übersetzung von Ehlers et al. (1996) verwendet.

Zusätzlich bewerteten die Therapeuten zu Beginn und Ende der Therapie die „Global Assessment of Functioning“ (GAF) der Betroffenen. Bei der GAF handelt es sich um ein weltweit eingeführtes Instrument, das mit guter Interrater-Reliabilität das Maß der psychosozialen Funktionsfähigkeit auf einer Skala von 0–100 darstellt. Zudem erstellten die Therapeuten nach der fünften bzw. der letzten Sitzung einen standardisierten Kurzbericht an die Versorgungsbehörde und die Studienzentrale mit (Verdachts‑)Diagnose, Behandlungsverlauf und Ausblick.

Die Katamnese 6 Monate nach Therapieende wurde in der letzten Therapiesitzung vereinbart und die Patienten zum entsprechenden Zeitpunkt alternativ telefonisch oder schriftlich kontaktiert. Im Interview (n = 32) durch den behandelnden Therapeuten wurden Angaben zur Befindlichkeit und zur Lebenssituation erhoben und frei dokumentiert sowie erneut PDS und GAF vorgelegt. Die qualitativen Angaben wurden in der Forschungsgruppe in einfacher Operationalisierung hinsichtlich wichtiger Kriterien wie weiterer Therapieverlauf, Berufstätigkeit, Stabilisierungs- und Belastungsfaktoren kategorisiert. Bei Nichtübereinstimmung wurde konsensorientiert entschieden.

Die Versorgungsbehörden übermittelten in einem standardisierten Erhebungsbogen Angaben zu endgültigem Bescheid, anerkannten Schädigungen und GdS, Gutachtenaufträgen (medizinisch oder psychiatrisch) und Zufriedenheit mit der Zusammenarbeit (z. B. „Die Informationen seitens der TA waren für meine Arbeit an diesem speziellen Fall hilfreich“, zu bewerten mit 1 bis 6 im Schulnotensystem).

Zur statistischen Auswertung wurden mithilfe von IBM SPSS 23 deskriptive Statistiken, χ2-Tests bei kategorialen Variablen und Varianzanalysen mit Messwiederholung bei quantitativen Variablen berechnet; der α‑Fehler wurde auf 0,05 angesetzt.

Ergebnisse

Stichprobe

Es wurden 143 Erwachsene mit Hinweis auf eine erlebte Gewalttat vorstellig. Davon lehnten 17 die Studienteilnahme ab; drei gaben die Fragebogen nicht zurück, bei einem Patienten waren die Deutschkenntnisse nicht ausreichend. In die Auswertung eingeschlossen wurden somit 122 Patienten, darunter 99 Frauen (81,1 %) und 23 Männer (18,9 %). Das Durchschnittsalter betrug 36,6 Jahre (SD ± 13,6 Jahre, Altersbereich: 17 bis 94 Jahre), im Median 33 Jahre (bei 5 [4,1 %] fehlenden Altersangaben).

Zum Zeitpunkt T2 (nach 5. oder letzter Sitzung) standen Angaben von 90 Patienten (73,7 %) zur Verfügung. Die Katamnese konnte noch bei 32 Patienten (26,2 %) erhoben werden, wobei aber zu beiden Zeitpunkten keine vollständigen Angaben in der GAF und insbesondere bei der PDS mehr vorhanden waren, sodass der jeweils gültige Stichprobenumfang bei den Auswertungen vermerkt ist.

Um einen möglichen systematischen Drop-out in der Stichprobe einschätzen zu können, wurden die 3 Teilnahmegruppen (nur prä; prä und post; prä, post und Katamnese) hinsichtlich Geschlecht, Alter, Zeitraum zwischen Tat und Vorstellung, Art der Tat, Traumatyp und Schweregrad (GAF zum ersten Zeitpunkt) verglichen. Bei keiner dieser Variablen zeigte sich ein signifikanter Unterschied, weshalb von einer weitgehenden Vergleichbarkeit der 3 Gruppen ausgegangen werden kann.

Traumavorgeschichte

Von den Betroffenen benannten 36,1 % Körperverletzungen, 30,2 % Sexualdelikte (21,0 % Vergewaltigungen), 13,4 % Verletzungen mit Waffen, 7,6 % Übergriffe auf Nahestehende (Schockschaden) und 12,6 % Bedrohungen (überwiegend mit Waffen). Es gingen 69,3 % der Taten vom sozialen Nahfeld aus (38 % Familienangehörige, 32 % Bekannte). Nur 7 Patientinnen (5,8 %) wiesen ein Typ-2-Trauma nach Terr (1991) durch wiederholte Ereignisse über längere Zeit auf.

Die TA hatten 25 % der Inanspruchnehmenden innerhalb der ersten 9 Tage nach dem traumatischen Geschehen oder dessen Eröffnung (Anzeigeerstattung oder Schockschaden) aufgesucht; 50 % (Median) nach 24 Tagen und 75 % des Gesamtkollektivs innerhalb von 78 Tagen. Bei 7 Personen betrug der angegebene Abstand mehr als ein Jahr.

Zuweisungen erfolgten zu 36,2 % durch den Weißen Ring, zu 31,0 % durch medizinische Professionelle (Hausarzt, Therapeut, Klinik), zu 19,8 % durch die Polizei, zu 4,3 % durch ein Frauenhaus oder pro familia und zu 2,6 % durch Rechtsanwälte; sieben Patienten (6,0 %) waren Selbstmelder.

Therapie und Prä-post-Verlauf

Über die Hälfte der Patienten (57,6 %) erhielten genau die primär genehmigten 5 Sitzungen (Tab. 1); bei 31,8 % der Patienten wurden weniger als 5 Sitzungen durchgeführt und bei 9 Patienten weitere Sitzungen. Der Mittelwert betrug insgesamt 5,2 Sitzungen. Es wurden 23 Patienten (25,6 %) am Ende der Sitzungen als stabil eingeschätzt. Eine weitere, längerfristige ambulante Behandlung wurde 22 Patienten (24,4 %) empfohlen und 5 eine intensivere teilstationäre Therapie.

Tab. 1 Häufigkeiten für die genutzte Zahl der Sitzungen (n = 85, 5 fehlende Angaben)

Eine Verlaufsanalyse der GAF zu Beginn und am Ende der probatorischen Sitzungen (n = 68, 76 % der Ausgangsstichprobe) ergab eine Verbesserung von M = 47,3 (SD ± 10,4) auf M = 60,5 (SD ± 14,7). Der Anstieg ist signifikant (F(1, 67) = 71,1, p < 0,001; eta2 = 0,51). Analog zeigte sich für den Verlauf der posttraumatischen Symptomatik in der PDS (n = 31, 34 % der Ausgangsstichprobe) eine signifikante Verbesserung von M = 33,9 (SD ± 7,7) auf M = 24,7 (SD ± 13,2) im Prä-post-Vergleich (F(1, 30) = 29,5, p < 0,001; eta2 = 0,50).

Verlaufsanalysen über alle drei Zeitpunkte

Die Katamnesegruppe umfasst 32 Personen (26,2 % der Gesamtstichprobe). Weitere 10 Personen waren unbekannt verzogen, 14 lehnten ab, 2 befanden sich noch in Behandlung der TA. Zu 52 % der Gesamtgruppe liegen somit Daten bzw. Angaben zum Grund des Ausscheidens aus der Studie vor, die übrigen 48 % konnten seitens der TA nicht kontaktiert werden.

Für alle 3 Zeitpunkte (prä, post, Katamnese) lagen von 24 Personen GAF-Werte vor (75 % der Katamnesegruppe bzw. 20 % der Ausgangsstichprobe). Sie wiesen zu prä und post analoge Mittelwerte zur jeweiligen Gesamtgruppe auf (M = 49,2 bzw. M = 63,2), und zum Katamnesezeitpunkt ergab sich ein Mittelwert von 66,4. Die Varianzanalyse ergab ebenso vergleichbare Signifikanzaussagen, sodass insgesamt auf eine deutliche Verbesserung der psychosozialen Funktionsfähigkeit von prä nach post geschlossen werden kann, die zum Katamnesezeitpunkt stabil geblieben ist. Vollständige Längsschnittdaten der PDS lagen nur von 6 Personen vor und werden hier nicht berichtet.

Zur GAF zeigt Abb. 1 die zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen Daten. Nach dem Anstieg von prä nach post zeigt sich ein etwa gleicher Median zum Katamnesezeitpunkt, bei aber zunehmender Streuung.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Werte der Global Assessment of Functioning (GAF) zu Therapiebeginn (prä, n = 108), zu Therapieende (post, n = 73) und zum Katamnesezeitpunkt (n = 31) als Box- und Whisker-Plots (die Boxen zeigen 25 %- und 75 %-Grenzen, die „whiskers“ 10 % bzw. 90 %)

Analog zeigt Abb. 2 für die PDS die zum jeweiligen Zeitpunkt vorhandenen Daten. Auch hier ergibt sich nach Verbesserung von prä nach post eine etwa gleiche Symptomatik zum Katamnesezeitpunkt, die breiter streut.

Abb. 2
figure 2

Verteilung der Posttraumatic-Diagnostic-Scale(PDS)-Selbsteinschätzungen zu Therapiebeginn (prä, n = 79), zu Therapieende (post, n = 34) und zum Katamnesezeitpunkt (n = 15) als Box- und Whisker-Plots (die Boxen zeigen 25 %- und 75 %-Grenzen, die „whiskers“ 10 % bzw. 90 %); gestrichelte Linie „Cut-off“-Wert für klinisch bedeutsame Symptomatik

Qualitative Angaben zum Katamnesezeitpunkt

Die 32 Patienten (26,2 % der Untersuchungsgruppe) machten folgende qualitative Angaben zu ihrem Befinden: Die nach Selbsteinschätzung stabilen Patienten (8) benannten als unterstützend Ausbildungs‑/Arbeitssituation (7), Umzug (4), stabile Partnerschaft (4) oder gutes soziales Umfeld oder Helfersystem (4) sowie den abgeschlossenen Gerichtsprozess (2). Die weiter in Behandlung befindlichen Patienten (9) gaben an, sie seien in beruflicher Wiedereingliederung (3), im langsamen Wiederanschluss an das soziale Umfeld (2), in einer neuen stabilen Partnerschaft (4) oder umgezogen (2), hätten neue Belastungsfaktoren (2) oder seien belastet im Kontext des Gerichtsverfahrens zu den auslösenden Ereignissen (5). Patienten mit empfohlener, aber keiner aktuellen Therapie (10) waren reduziert arbeitend oder in Umschulung (5), arbeitsunfähig (4), erlebten Symptomverschlechterung (5) – einmal nach einer nichttraumaspezifischen Behandlung. Sie litten an zusätzlichen Belastungen (2) und Verbitterung (2) infolge des Wartens auf einen Therapieplatz (2) oder des noch nicht abgeschlossenen Gerichtsverfahrens (2). Nur 4 Patienten benannten stabilisierende soziale Faktoren. Ein weiteres Leiden unter anhaltenden posttraumatischen Symptomen gaben 10 Patienten (31 %) an. Die soziale Rehabilitation war für 4 zufriedenstellend, teils unter Aufgabe des früheren sozialen Umfelds, wenngleich bei einigen mit weiterbestehender Symptomatik. Insgesamt 19 % fühlten sich durch eine noch anstehende Gerichtsverhandlung belastet.

Kommentare zur TA besagten: „Die TA war lebensrettend“ oder „überlebensnotwendig“ (3) – oder „sehr hilfreich“ (4) „vor allem das Erlernen von Selbstberuhigung“ (3), „unmittelbar nach der Tat hat sie mir sehr geholfen, trauern dürfen ohne Inhaltsangaben und Zwang“, „sehr geholfen hat die wertneutrale Haltung der Therapeuten“. Zwei Patienten beklagten zu wenige Sitzungen. Nur eine Patientin empfand den Besuch der TA als nichthilfreich.

Sicht der Versorgungsbehörden

Zu 62 Patienten (87 % Frauen) lag, teils aufgrund der langen Bearbeitungszeiträume verspätet nach Studienende eingegangen, eine Rückmeldung durch die Versorgungsämter vor. Die Zeiträume zwischen dem Stellen des OEG-Antrags und dem Bescheid durch die Versorgungsbehörde (basierend auf n = 54) lagen für 25 % innerhalb der ersten 188 Tage, für insgesamt 50 % innerhalb von 343 Tagen und für 75 % innerhalb von 509 Tagen.

Ein OEG-Antrag wurde 43-mal abgelehnt, davon bei 31 Patienten, weil eine Gewalttat nach §1 OEG nicht nachweisbar gewesen sei (50 %), bei 2 Patienten wegen nachträglich festgestellter Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft (BG)/Unfallversicherung und bei 6 Patienten aufgrund mangelnder Kooperation bei der Sachverhaltsaufklärung; in 4 Fällen sei eine vorübergehende Schädigung mittlerweile abgeheilt. Vier Patienten zogen den Antrag von sich aus zurück.

Ein GdS wurde in 12 Fällen anerkannt, bei 6 Betroffenen (17 % von den 35 entschiedenen Fällen) mit einem rentenberechtigenden GdS von 30 oder höher. Psychiatrische Gutachtenaufträge wurden in 7 Fällen trotz Besuchs der TA erteilt, d. h. bei den verbleibenden Fällen mit positiv vorliegendem Eingangskriterium noch bei 19 %.

Die Versorgungsbehörde bewertete 59-mal die Zusammenarbeit mit der TA. Im Schulnotensystem erhielten die TA allgemein durchschnittlich ein „Sehr gut bis Gut“ mit 1,66. Die schlechteste Bewertung erhielt das Item eines „schneller als herkömmlichen Fallabschlusses“ mit 2,4; die beste die Schnelligkeit einer Therapie für das Opfer mit 1,3. Insgesamt wurde bis auf 4 „Ausreißer“, davon 2 Fälle auch mit somatischen Folgeschäden, die Zusammenarbeit als qualitativ gut, hilfreich in der Fallführung und sinnvoll bewertet.

Diskussion

Interpretation der Studienergebnisse und Literaturvergleich

Die vorliegende Untersuchung hatte die Evaluation der Modell-TA in Baden-Württemberg zum Ziel. Vor der Diskussion der Ergebnisse ist zu erwähnen, dass, wie häufig in naturalistischen Studien, ein Datenverlust auftrat, der zwischen Beginn und vorläufigem Abschluss der Behandlung vertretbar (Drop-out: 26,3 %), aber zur Katamnese erheblich ausfiel (Drop-out: 73,8 %).

Es konnte die Effektivität der traumatherapeutischen Frühinterventionen durch eine signifikante Reduktion der posttraumatischen Stresssymptomatik und die Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus gezeigt werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Patienten die TA mehrheitlich gesund verlassen konnten. Nur 26 % wurden als stabil entlassen, lediglich 10,7 % konnten aus Kapazitätsgründen innerhalb der TA nach regelhaft gewährtem Antrag weiterbehandelt werden. Die katamnestischen Angaben belegen, dass sich ein knappes Drittel der Katamnesegruppe trotz Therapieempfehlung nicht in Behandlung befand. Insgesamt gaben 31 % der Katamnesegruppe trotz Frühintervention anhaltende posttraumatische Symptome an, und 19 % fühlten sich durch eine anstehende Gerichtsverhandlung besonders belastet. Hier wäre sinnvoll, die Konsequenz einer niederschwellig möglichen Fortsetzung der Kontakte, die Vorbereitung und Begleitung der Verhandlung über eine Erweiterung der Zahl der TA neu zu evaluieren, die ab 2021 flächendeckend vorgesehen sind.

Während im vorliegenden Setting das Stellen des OEG-Antrags ungefähr dem Zeitpunkt des Erstkontakts zur TA gleichkam, waren die von Franke et al. (2019) untersuchten Betroffenen bereits anerkannt und hatten keine anstehenden Verfahren mehr. Bei ihnen setzte die gesetzlich vorgesehene Hilfe zu 50 % innerhalb eines Jahres ein, in der vorgestellten Stichprobe zu 50 % innerhalb von 24 Tagen. Anhand der eigenen Daten kann keine Aussage dazu getroffen werden, innerhalb welches Zeitabstands zu Trauma oder Eröffnung eine schnelle Hilfe bessere Effekte zeigt, und auch Qi et al. (2016) zeigen sich in ihrer Übersicht hinsichtlich der Frühzeitigkeit skeptisch. Nach Qi et al. (2016) kann vor allem CBT, vorzugsweise nach sexuellen Übergriffen, die Symptomdauer für Monate und Jahre reduzieren, sollte aber erst im zweiten Schritt und nur bei symptomatischen Patienten eingesetzt werden – wobei sie sich auf einen Zeitraum von einen bis 5 Monaten nach dem traumatischen Ereignis beziehen.

Erneut, wie bei vorherigen Evaluationen von TA (Bollmann et al. 2012; Rassenhofer et al. 2016), stellten sich Betroffene im Langzeitverlauf zwar als durchschnittlich gebessert hinsichtlich des psychosozialen Funktionsniveaus, jedoch überwiegend nicht als symptomfrei dar. Schwere Verläufe und rentenberechtigende GdS-Bescheide können mithilfe der TA nicht gänzlich vermieden werden.

Anders als bei Bollmann et al. (2012) waren nur in wenigen nachträglich neu zugeordneten Ausnahmen die Unfallversicherungen oder BG zuständig, d. h., es entstand kein Selektionsbias hinsichtlich erfolgter Traumatisierungen mit relativ guten Risiken. Typ-2-Traumatisierungen (sequenziell und lang dauernd) mit wiederum schlechterer Prognose fanden sich in deutlicher Minderzahl im vorliegenden Ausgangskollektiv.

Die von Franke et al. (2019) vermerkte positive Prädiktorwirkung des (niedrigen) GdS auf die Berufstätigkeit lässt sich an den Katamnesen nachvollziehen: Von denjenigen, die sich als stabil bezeichneten, waren deutlich mehr beruflich integriert als von denjenigen, die von andauernden Beeinträchtigungen/Belastungen berichteten.

Erstmals untersucht wurde die Kooperation aus Sicht der Versorgungsbehörden. Für diese war die Zusammenarbeit mit TA neu. Die durchschnittlich guten bis sehr guten fallbezogenen Bewertungen fielen deutlich positiver aus als erwartet, trotz des für die Studie nötigen Eigenbeitrags der teilnehmenden Behörden. Eine Verkürzung der Bearbeitungsdauer konnte, anders als beabsichtigt, jedoch nicht objektiviert werden. Die festgestellten Bearbeitungszeiträume der OEG-Anträge sind sehr lang. Laut den Versorgungsbehörden liegt ein Grund in noch nicht abgeschlossenen Gerichtsverfahren und dem damit zusammenhängenden längeren Zeitraum der Sachverhaltsklärung. Dies ist durch die Arbeit der TA nicht zu beeinflussen. Einen gewissen Einfluss hat auch die Zeit einer Gutachtenerstellung. Andererseits konnten teilweise sehr schnelle Bearbeitungszeiten verzeichnet werden (14 % der Entscheidungen erfolgten innerhalb von 3 Monaten).

Interessant ist die mit 78 % Ablehnungen aus den rückgemeldeten Fällen hohe Ablehnungsquote der OEG-Anträge im vorliegenden Kollektiv, geht man von allen gestellten und nichtzurückgezogenen Anträgen unabhängig von Zuständigkeit und juristisch parallel zur Arbeit der TA geprüftem Vorliegen einer Straftat nach §1 OEG aus. Die Ablehnungsquote betrug 2017 in Baden-Württemberg nur 39 % (Weißer Ring 2020). Möglicherweise ist diese Diskrepanz dadurch bedingt, dass sich viele Betroffene an die TA wendeten, ohne dass vorher eine polizeiliche Anzeige erfolgte. Zwar ist die Anzeige keine Grundvoraussetzung für die Bewilligung von Leistungen nach dem OEG, allerdings ist es für die Versorgungsbehörden ohne Anzeige sehr schwierig zu überprüfen, ob tatsächlich eine Gewalttat im Sinne des OEG erfolgt ist. Die Ablehnungsquote für Opfer von bisher nicht vom OEG §1 erfassten Straftaten, wie Stalking, wird nach dem neuen SGB XIV künftig geringer werden. Rentenberechtigende Bescheide (GdS >30) lagen bei 17 % der infrage kommenden Fälle mit Zuständigkeit der Versorgungsbehörde und erfülltem Eingangskriterium nach §1 OEG vor. Das neue SGB XIV mit stufenweisem Inkrafttreten bis 2024 sieht für Gewaltopfer mit psychischer Störung eine niederschwelligere Anerkennung vor. Die enge Zusammenarbeit der TA mit dem zuständigen Versorgungsamt hat sich im vorgestellten Projekt bewährt und sollte künftig nicht durch Datenschutzfragen beeinträchtigt werden, sodass mit Schweigepflichtentbindung in beide Richtungen den Ambulanzen künftig Feedback zur getroffenen Entscheidung gegeben werden könnte.

Einige Teilnehmer gaben katamnestisch fortbestehende Belastungen durch anstehende Verhandlungen oder durch noch laufende OEG-Anerkennungsverfahren an. Diese Teilnehmer haben möglicherweise Bedarf an weiterer Behandlung, und eine Veränderung des Vorgehens der TA hin zu einer Begleitung bis nach der Verhandlung, ggf. mit einer Pause nach der 5. Sitzung, wäre zu diskutieren. In einigen Fällen wurden weitere Sitzungen für diese Zwecke anberaumt.

Der weiterhin hohe Anteil an beauftragten psychiatrischen Gutachten mit 17 % liegt auf dem Niveau der bekannten Daten aus der Region. So teilen 2 große Versorgungsbehörden, die an der Studie beteiligt waren, je nach Jahrgang eine Rate an neurologisch-psychiatrischen Gutachten zwischen 9 und 17 % der Erstanträge mitFootnote 1Footnote 2. Diese könnte vielleicht durch aussagefähigere Berichte als den hier vorgegebenen „Kurzstandard“ reduziert werden. Ob sich die Widerspruchsquote der Betroffenen gegen den Bescheid analog der Studie in NRW (Schürmann 2010) halbiert hat (dort 7,3 %ige vs. 16,8 %ige Widerspruchsquote gegen die Erstbescheide), wurde nicht untersucht.

Limitationen der Studie

Einschränkungen der vorgelegten Daten bestehen im eingangs der Diskussion erwähnten Datenverlust bezüglich der Katamnese (26,2 % der Ausgangsstichprobe erreicht). Ein systematischer patientenbedingter Ausfall erscheint dennoch nicht gegeben, da 75 % der Katamnesegruppe aus einer TA stammten. Dies könnte die Repräsentativität der Katamnesedaten zwar einschränken; es sind aber eher organisatorische Gründe als Patientenvariablen als ursächlich für den hohen Drop-out zu vermuten, da in 4 der insgesamt 5 TA nur sporadisch Katamnesen erhoben werden konnten.

Zusätzlich ist limitierend, dass die Einschätzungen der GAF von den behandelnden Therapeuten vorgenommen wurden, was eine mögliche Verzerrung – allerdings in beide Richtungen – generieren kann.

Die an die Versorgungsämter übermittelten Diagnosen zum Zeitpunkt des Therapieendes wurden nicht ausgewertet. Einerseits waren es noch überwiegend versorgungsmedizinische Verdachtsdiagnosen, da jede Diagnose zur Rentenberechtigung eine 6‑monatige Symptomdauer aufweisen muss. Andererseits ist eine akute Belastungsreaktion, die sehr häufig vorlag, auf eine 4‑wöchige Dauer begrenzt. Vergleiche mit versorgungsmedizinisch anerkannten Diagnosen (Franke et al. 2019) können daher nicht gezogen werden.

Ausblick

Mögliche Vorteile der TA sind wissenschaftlich noch nicht systematisch erfasst worden. So könnte der Prädiktorwert einer frühen, hier unmittelbar erfolgenden Erfassung der Schwere der peritraumatischen Dissoziation prospektiv für gezielte, intensivere Interventionen zur Traumaverarbeitung und Verhinderung von Traumafolgestörungen oder sogar eine Täter-Opfer-Umkehr (Tschöke et al. 2019) genutzt werden. Es könnten der Einfluss der Nähe zu Tätern noch systematischer untersucht sowie Reaktionen der Umgebung gezielter in hilfreiche und weniger hilfreiche eingeordnet und kanalisiert werden.

Fazit für die Praxis

  • Fünf Sitzungen in einer Traumaambulanz tragen zur Stabilisierung bei, führen aber nicht zur völligen Gesundung der Patienten.

  • Eine engere Zusammenarbeit mit der Versorgungsbehörde empfiehlt sich, resultiert aber weder in einer Verkürzung der – die Betroffenen belastenden – Bearbeitungsdauern noch in weniger psychiatrischen Begutachtungen.