Seit mehr als 15.000 Jahren leben Menschen mit Hunden zusammen [20]. Hunde sind die weltweit beliebtesten Haustiere, die als geliebte Familienmitglieder mit im Haushalt leben. Seit Domestizierung des Wolfs übernehmen Hunde mit ihren natürlichen und sozialen Fähigkeiten das Bewachen, Jagen und Hüten, in der gegenwärtigen Zeit auch das Aufspüren von Sprengstoff und Drogen, die Rettung vermisster Personen und die Unterstützung von Menschen mit Einschränkungen im Alltag [2, 6]. Hunde können ihre menschlichen Begleiter aber auch attackieren und lebensgefährliche Verletzungen verursachen [4, 5, 7, 17, 22, 23]. In den Vereinigten Staaten von Amerika werden 80–90 % aller Bissverletzungen von Hunden hervorgerufen [12]. In den meisten Fällen greifen Hunde ihre Besitzer oder eine dem Hund bekannte Person an [7, 8, 24]. Vor allem sehr junge Kinder sind aufgrund der Unerfahrenheit im Umgang mit Hunden besonders gefährdet, da sie nicht zwischen verspieltem, ängstlichem oder abwehrendem Verhalten des Hundes unterscheiden können [3, 19]. Kinder können Hunde durch ungestüme, verspielte oder laute Verhaltensweisen sogar provozieren und weisen längere Reaktionszeiten und eine geringere Abwehrfähigkeit auf [12]. Hundebisse betreffen in 60–70 % der Fälle deshalb Kinder; ein Viertel der Kinder ist hierbei jünger als 6 Jahre [4, 11].

Falldarstellung

Vorgeschichte

Ein 20 Tage altes männliches Neugeborenes schlief unbeaufsichtigt in Rückenlage in einer Schaukelwiege im Beisein von 2 Husky-Hündinnen. Der Kindsvater hörte es wimmern. Plötzlich vernahm er einen lauten Schrei und dann dauerhaftes Weinen. Er fand das Kind mit einer schweren Kopfverletzung in seiner Wiege vor und alarmierte den Rettungsdienst.

Nur einen Tag zuvor war das Neugeborene aus einem anderen Krankenhaus entlassen worden, wo es wegen Frakturen des linken Humerus und Femurs stationär aufgenommen worden war (Abb. 1a). Der Säugling hatte eine vorbekannte schwere, genetisch bestätigte Form der Osteogenesis imperfecta mit blauen Skleren, intrauterinen Rippenbrüchen, kurzen gebogenen Röhrenknochen und unterentwickeltem Schädeldach (Abb. 1b).

Abb. 1
figure 1

a Computertomogramm des linken Beines mit frakturiertem linken Femur. Gekrümmte Röhrenknochen durch Osteogenesis imperfecta. b 3D-Computertomogramm des Schädels mit unterentwickeltem Schädeldach mit multiplen Ossifikationszentren

Zur Klärung der Verletzungsursache wurde eine rechtsmedizinische Untersuchung angeordnet. Die polizeiliche Tatortermittlung ergab, dass die Wiege eine Höhe von 90 cm aufwies. Die Bettwäsche wies Antragungen von Blut und Hirngewebe im Bereich der Lage des Kopfes des Neugeborenen auf. Beide Hündinnen hatten eine Schulterhöhe von ca. 55 cm. Sie konnten ihre Schnauzen leicht in die Wiege legen, indem sie sich mit den Pfoten auf das Bettgitter auf einer Seite der Wiege stellten, wodurch die schwingende Wiege nach unten gedrückt wurde.

Klinischer Befund

Das Neugeborene wurde wach (Glasgow-Coma-Scale von 14 Punkten) in ein Krankenhaus eingeliefert. Es zeigte sich eine offene Schädel-Hirn-Verletzung mit bilateralen, horizontal und nach oberkopfwärts konkav verlaufenden, rissartigen Hautdurchtrennungen, links mit einer Länge von 13 cm und rechts von 4,5 cm (Abb. 2, 3, 4 und 5). Die nach scheitelhöhenwärts weisenden Wundränder waren faltig aufgeschoben und aufklappbar. Die Dura mater wies vertikale rissartige Durchtrennungen auf, und Hirngewebe war freiliegend. Die Wundränder waren frei von Schürfungen oder Verletzungen der umgebenden Haut (Abb. 6).

Abb. 2
figure 2

Behaarte Kopfhaut mit 2 frontoparietalen Verletzungen (R rechts, L links)

Abb. 3
figure 3

Lange Kopfhautverletzung der linken Kopfseite mit freiliegendem Hirngewebe vor der Wundreinigung

Abb. 4
figure 4

Ansicht der Wunde der linken Kopfseite nach Aufklappen des oberen Wundrandes. a Freigelegtes Hirngewebe vor der Reinigung. b Blick auf den vertikalen Riss der Dura mater nach der Reinigung

Abb. 5
figure 5

Ansicht der Wunde der rechten Kopfseite nach Öffnen des oberen Wundrandes. Blick auf den vertikalen Riss der Dura mater

Abb. 6
figure 6

Ansicht des Oberkopfes nach Reinigung und chirurgischer Behandlung (R rechts, L links)

Das Kind wurde neurochirurgisch versorgt. Intraoperativ wurden Abstriche von den Wunden entnommen, wobei Streptococcus dysgalactiae, Schaalia (Actinomyces) canis und Neisseria animaloris nachgewiesen werden konnten. Eine augenärztliche Untersuchung ergab keine pathologischen Befunde. Bisher unentdeckte Frakturen wurden beim Skelettscreening nicht gefunden.

Zusätzlich wurden DNA-Proben aus der Mundschleimhaut beider Hunde entnommen. Bei einer Hündin konnte menschliche DNA nachgewiesen werden. Eine eindeutige Identifizierung des attackierenden Hundes war jedoch nicht möglich.

Das Neugeborene überlebte die schwere Kopfverletzung und konnte zu seiner Familie zurückkehren. Hinsichtlich der Hirnschädigung wurde eine gute Prognose gestellt. Eine der beiden Husky-Hündinnen wurde verdächtigt, das Kind attackiert zu haben, und fand in einer anderen Familie ein neues Zuhause.

Diskussion

Instinktives Schutz- und Territorialverhalten sowie besitz- oder angstinduzierte Aggression sind häufige Ursachen von Hundeangriffen [4]. Eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst diese Instinkte, z. B. Alter und Geschlecht des Hundes, Gesundheitszustand, Sozialisation und Erfahrungen sowie Umgebung des Hundes, aber auch die Persönlichkeit des Hundebesitzers und die Interaktionen des Besitzers mit dem Hund [10]. Oft finden sich eine gestörte Beziehung zwischen Mensch und Tier und mangelnde Sozialisation des Hundes [15]. Bestimmte Hunderassen sind häufiger an schweren oder sogar tödlichen Hundeangriffen von Menschen beteiligt, wozu Deutsche Schäferhunde, Pitbulls und Rottweiler, aber auch Rassen, die als sozialisierter gelten, gehören, wie Labradore und Collies [1, 7, 8, 19, 22]. 75 % aller Hundebisse werden von Rüden verursacht [15].

Die Lokalisation von Hundebissen korreliert mit der Körpergröße und den motorischen Fähigkeiten des Opfers [12, 15]. Im Gegensatz zu Erwachsenen weisen v. a. Kinder unter 6 Jahren schwere Bisswunden im Kopf-Hals-Bereich auf [7, 17, 23]. Hunde können aufgrund der kleineren Statur von Kindern den Kopf leicht erreichen, dementsprechend sind v. a. Nase und Lippen sowie Wangen und Ohren von Hundebissen betroffen [23]. Ältere Kinder und Erwachsene präsentieren oft Bisse an den Extremitäten, wobei aufgrund von Abwehrverhalten, v. a. die Hände Verletzungen aufweisen [9]. Darüber hinaus können Verletzungen auftreten, wenn Hunde instinktiv versuchen, ihre Opfer zu Boden zu bringen [4].

Hundebisse verursachen Kompressionsverletzungen des Gewebes, mit oberflächlichen Schürf‑, Schnitt- und Stichwunden, Prellungen, durch die Krallen verursachte Hautkratzer bis hin zu Gewebeausrissen mit Weichteilverlust, Verletzungen tieferer Strukturen und Knochenbrüchen [3, 4, 7, 8, 13, 17]. Hunde neigen dazu, ihre Opfer zu zerren und zu schütteln, was die Gewebeschädigung durch auftretende Scherkräfte aggraviert [5, 7, 15, 24]. Penetrations- und Risswunden durch Eckzähne sind charakteristisch für Hundebisswunden, insbesondere, wenn sie von Gewebedefekten, Prellungen und linienförmigen Kratzspuren begleitet werden. Eine fehlende charakteristische Morphologie einer Hundebisswunde kann jedoch diagnostische Probleme verursachen. Im präsentierten Fall zeigte sich eine ungewöhnliche Morphologie, die zunächst an Schnittwunden erinnerte. Die Wunde wurde durch einen einzelnen Biss in den oberen Teil des Kopfes verursacht, der durch die Ober- und Unterkieferfangzähne jeweils einen Ausriss der Kopfschwarte und durch den Kieferschluss ein Aufschieben zur Scheitelhöhe hin mit vertikaler Verletzung der Dura mater verursachte. Ein Hundebiss kann einen Druck bis zu 14,06–28,12 kg/cm2 verursachen und den dünnen Schädel eines Säuglings leicht perforieren [9, 13, 23]. Aufgrund der geringen Größe und Verformbarkeit des Schädels von Säuglingen und Kleinkindern können größere Hunde den gesamten Kopf in den Kiefer nehmen und schwere Verletzungen wie Gewebeausrisse, Perforationen und intrakranielle Verletzungen verursachen [5, 7, 21]. Schädelfrakturen finden sich meist bilateral und mit Hautrissen kombiniert [17, 21]. Das unterentwickelte Schädeldach erhöhte das Risiko intrakranieller Verletzungen. Derartige isolierte intrakranielle Hundebissverletzungen sind sehr selten [17, 18].

Die meisten Todesfälle durch Hundeattacken treten bei sehr kleinen Kindern mit Hirn- und Gefäßverletzungen mit Blutverlust oder Luftembolie, Asphyxie und Halsmarkverletzungen auf [4, 5, 7, 22]. Tsokos et al. berichten über den Fall eines 3 Wochen alten Säuglings, der in Gegenwart eines größeren Hundes auf einem Teppich schlief und enthauptet aufgefunden wurde [22]. Chu et al. berichten über 3 Fälle letaler Hundeangriffe [4]. Alle jungen Opfer wiesen typische Befunde schwerer Hundeangriffe mit mehreren Bissspuren und schweren Verletzungen der inneren Organe, darunter verschiedene Knochenbrüche auf. Ein 2 ½ Wochen altes Neugeborenes erlitt eine Schädelfraktur mit subgalealen und subarachnoidalen Blutungen. Ein weiteres 2 ½ Wochen altes Neugeborenes wies mehrere Punktionswunden am Kopf mit Schädelfraktur, subduraler und subarachnoidaler Blutung, kortikalen Kontusionen und intraventrikulären Blutungen auf. Diese Kinder waren, in Babywippen liegend, angegriffen worden. Diese Wippen waren mit einem elektrischen Mechanismus ausgestattet, sodass darin liegende Säuglinge ständiger Bewegung ausgesetzt sind, was einen Hund provozieren kann.

Im präsentierten Fall stellte sich die Frage, ob es sich um einen aggressiven Angriff gehandelt hat, zumal die Ankunft eines neuen Familienmitglieds Dominanzaggression auslösen kann, was einen Angriff bedingen kann, um die soziale Stellung des Hundes in der Familie zu behaupten [4]. Tödliche Hundeattacken sind durch heftige Angriffe mit wiederholtem Beißen und heftigem Schütteln gekennzeichnet [24]. Die Aggression des Hundes kann so heftig sein, dass es selbst mit zusätzlicher Hilfe anderer unmöglich ist, den Angriff zu stoppen [7, 24]. Im präsentierten Fall zeigte sich ein isolierter Biss in den Kopf des Neugeborenen. Auslöser für den Angriff war vermutlich das Wimmern des Säuglings, das das Interesse des Hundes weckte, in die Wiege zu schauen. Allerdings wurde die Wiege dann beim Aufrichten aktiv von den Pfoten des Hundes in Bewegung versetzt, und die daraus resultierende plötzliche Bewegung der Wiege könnte der Trigger für den Biss gewesen sein. Ein aggressiver Angriff hat somit vermutlich gar nicht vorgelegen.

Sind charakteristische Bissspuren vorhanden, kann ggf. eine Bissspurenanalyse den angreifenden Hund identifizieren [14]. Fotos der Wunden sollten mit einer rechtwinkligen ABFO-Skala (American Board of Forensic Odontology) angefertigt werden, um Verzerrungen durch nicht orthograde Aufnahmen zu kompensieren. DNA-Proben von den Bisswunden, der Kleidung des Opfers und dem Maul des verdächtigen Hundes können zur Identifizierung des Hundes beitragen [3]. Darüber hinaus kann in Bisswunden ggf. ein breites Spektrum aerober und anaerober Bakterien aus der Hundeschnauze nachgewiesen werden, die schwerwiegende Infektionen verursachen können [13, 24]. Intrakranielle Abszesse durch offene Kopfverletzungen nach einem Hundebiss wurden beschrieben [16].

Fazit für die Praxis

  • Hunde sind sehr willkommene Familienmitglieder, aber der „beste Freund des Menschen“ behält trotz Sozialisation seine Grundinstinkte und kann Menschen angreifen und lebensgefährliche Verletzungen verursachen.

  • Häufigste Ursache von Hundeattacken sind gestörte Interaktionen zwischen Mensch und Hund.

  • Vor allem Kinder sind gefährdet und erleiden häufig Bissverletzungen im Kopf-Hals-Bereich.

  • Hundebisswunden weisen meist Penetrationsverletzungen, Gewebequetschungen und Kratzspuren auf.

  • Insbesondere Neugeborene und Säuglinge sollten niemals mit einem Hund unbeaufsichtigt bleiben.