Auf dem 20. Weltkongress für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit wurde 2014 das Konzept einer Welt ohne tödliche Arbeitsunfälle diskutiert. Dieses Konzept ist unter dem Begriff „vision zero“ bekannt. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation, einem der Hauptveranstalter des Kongresses, ereignen sich weltweit mehr als 313 Mio. Arbeitsunfälle/Jahr. Der Anteil der davon tödlich verlaufenden Arbeitsunfälle wird mit über 350.000 Fällen angegeben [14].

In Deutschland ist die Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle nach einer Erhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in dem Zeitraum von 1991 bis 2016 von 1496 auf 557 Unfälle zurückgegangen. Seit dem Jahr 2009 stagniert der zuvor kontinuierliche Rückgang tödlicher Arbeitsunfälle. Zuletzt hat die Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle für das Jahr 2017 entgegen dem Trend auf 564 Fälle zugenommen [31]. Das genaue Wissen um die Umstände, Abläufe und Folgen eines jeden tödlichen Arbeitsunfalls ist Voraussetzung für die Identifizierung von Unfallschwerpunkten und ermöglicht eine effektive Präventionsarbeit im Sinne der „vision zero“.

Nicht jedes tödliche Ereignis, das während der Arbeitszeit eintritt, ist ein tödlicher Arbeitsunfall. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII (Sozialgesetzbuch VII) Unfälle von Versicherten, die durch ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen. Tödliche Arbeitsunfälle im Sinne des SGB VII setzen gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII eine den Versichertenschutz begründende Tätigkeit, die sog. versicherte Tätigkeit, nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII sowie nach § 8 Abs. 2 SGB VII (z. B. Wegeunfall) voraus. Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist in der Regel ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten und der unfallbringenden Tätigkeit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist für die Unfallkausalität und die haftungsbegründende Kausalität erforderlich, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Tod bzw. den Gesundheitserstschaden beim Versicherten „objektiv und rechtlich wesentlich“ verursacht hat (BSG, Urt. v. 27.11.2018 – B 2 U 15/17 R mwN).

Die Ergebnisse einer gerichtsmedizinischen Sektion sind wertvolle Beweismittel für den Nachweis der oben genannten Kausalzusammenhänge von Tätigkeit, Unfallereignis und Todesfolge. Gelegenheitsursachen, natürliche Todesfälle, Suizide und Tötungsdelikte lassen sich meist erst durch eine gerichtliche Leicheneröffnung ausschließen. Die plötzlich eintretende Bewusstlosigkeit eines Dachdeckers mit nachfolgendem Sturz aus großer Höhe ist beispielsweise eine potenzielle Gelegenheitsursache. In diesem Fall lässt sich nur anhand von Sektionsergebnissen eruieren, ob das äußere Ereignis des Absturzes oder eine akute innere Erkrankung des Arbeiters die rechtlich wesentliche Todesursache ist. Ein spektakuläres Beispiel für eine vorsätzliche Tötung unter Vortäuschung eines Arbeitsunfalls geben Betz und Eisenmenger in ihrer rechtsmedizinischen Obduktionsstudie von 1992 [5].

Material und Methode

In der vorliegenden Studie wurden die tödlichen Arbeitsunfälle für einen Zwölfjahreszeitraum aus den Jahren 2005 bis 2016 untersucht, die sich im Einzugsbereich der Rechtsmedizin Frankfurt am Main (Raum Frankfurt, Offenbach, Darmstadt, Wiesbaden, Hanau, Südhessen) ereigneten und im Institut der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums der Goethe-Universität Frankfurt am Main obduziert worden sind. Nicht berücksichtigt wurden Wegeunfälle mit tödlichem Ausgang. Hierbei handelt es sich um Unfälle auf dem Weg von oder zur Arbeitsstelle (§ 8 Abs. 2 SGB VII).

Zur Auswertung kamen die Sektionsprotokolle und die dem Institut für Rechtsmedizin zur Verfügung gestellten polizeilichen Ermittlungsakten. Bei unvollständigen Angaben wurde bei den zuständigen Staatsanwaltschaften auf Basis eines spezifischen Datenschutzkonzepts um Akteneinsicht gebeten.

Es wurden Alter, Geschlecht, Nationalität, Wirtschaftszweig, Unfallzeitpunkt, Unfallmechanismus, Verletzungen und Todesursache der Unfallopfer untersucht.

Um das Körpergewicht zur Körpergröße in Relation zu setzen, wurde der Body-Mass-Index (BMI) berechnet. Der BMI ist der Quotient aus Gewicht und Körpergröße zum Quadrat (kg/m2). Die Einteilung der BMI-Werte erfolgte nach der Gewichtsklassifikation der World Health Organization in Normalgewicht (BMI 18,5–24,9 kg/m2), Präadipositas (BMI 25,0–29,9 kg/m2), Adipositas Grad I (BMI 30,0–34,9 kg/m2) und Adipositas Grad II (BMI 35,0–39,9 kg/m2) [32].

Die toxikologische Untersuchung der Unfallopfer wurde im Hinblick auf Blutalkoholkonzentration (BAK) und Drogenmissbrauch ausgewertet. Zur Bestimmung der BAK wurde das aus der Femoralvene entnommene Leichenblut gaschromatographisch untersucht.

Zur Kodierung der in den Obduktionsprotokollen dokumentierten Verletzungen wurde nachträglich im Rahmen dieser Studie die Abbreviated Injury Scale (AIS) angewandt [13]. Die AIS ermöglicht eine objektive Klassifizierung und Vergleichbarkeit von Verletzungen unterschiedlicher Körperregionen in Bezug auf ihre Letalität und wird in der Notfallmedizin zur Beurteilung polytraumatisierter Patienten eingesetzt. Um einen vergleichbaren Wert für die ganzheitliche Verletzungsschwere eines jeden Unfallopfers zu erhalten, wurde anschließend der International Severity Score (ISS) berechnet [3, 13]. Ein praktisches Beispiel für die Berechnung des ISS eines Unfallopfers wird in Tab. 1 gegeben.

Tab. 1 Praktisches Beispiel für die Berechnung des International Severity Score (ISS) anhand der mittels Abbreviated Injury Scale (AIS) codierten Schwere des Verletzungsbildes eines Unfallopfers

Bei geeignet erscheinenden Fragestellungen wurde die statistische Signifikanz der Ergebnisse mittels Chi2-Test bestimmt.

Für die Diskussion der Ergebnisse wurden Vergleichsdaten aus der Literatur und aus „GENESIS-Online“, der Hauptdatenbank des Statistischen Bundesamtes, herangezogen.

Ergebnisse

Alter und Geschlecht

In dem untersuchten Zeitraum von 2005 bis 2016 ereigneten sich insgesamt 87 tödliche Arbeitsunfälle. Es entfielen 84 (96,6 %) Unfälle auf männliche und 3 (3,4 %) auf weibliche Arbeitnehmer. Der Unterschied in der Geschlechterverteilung war statistisch signifikant (p < 0,00001).

Die Altersstruktur reichte vom jugendlichen Alter bis in das Rentenalter. In der Altersgruppe der 46- bis 50-Jährigen waren mit 15 (17,2 %) Fällen die meisten Unfälle zu verzeichnen, gefolgt von der Altersklasse der 51- bis 55-Jährigen mit 14 (16,1 %) Unfällen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle nach Lebensjahren

Body-Mass-Index

Die Mehrheit der untersuchten tödlichen Arbeitsunfälle war nach BMI normalgewichtig (37,9 %) oder präadipös (35,6 %). Insgesamt waren 23 (26,4 %) der tödlich Verunfallten mit einem BMI von 30 kg/m2 und mehr übergewichtig.

Nationalität

In 48 (55,2 %) der insgesamt 87 Fälle waren die betroffenen Arbeitnehmer deutscher Nationalität. Es fanden sich 30 (34,5 %) ausländische Arbeitnehmer unter den Verunglückten. Dieser Anteil ist signifikant höher als der Anteil ausländischer sozialversicherter Arbeitnehmer im Baugewerbe Hessens, der im Jahr 2016 entsprechend den Angaben des Statistischen Bundesamts 25 % betrug (p = 0,00604) [31]. Polnische Staatsbürger waren unter den ausländischen Arbeitern mit 10 Fällen am häufigsten betroffen. Von 9 (10,3 %) Unfallopfern konnte die Nationalität nicht ermittelt werden.

Wirtschaftszweige

Der Großteil der untersuchten tödlichen Arbeitsunfälle ereignete sich mit 48 (55,2 %) Fällen im Baugewerbe. Innerhalb des Baugewerbes ereigneten sich die meisten Unfälle auf Hochbau- und Montagebaustellen (58,3 %). In dem Wirtschaftszweig Verkehr und Lagerei verstarben 10 (11,5 %) Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall. Jeweils 9 (10,3 %) tödliche Arbeitsunfälle fanden sich im verarbeitenden Gewerbe sowie in der Land- und Forstwirtschaft. Die übrigen 11 (12,6 %) Arbeitsunfälle ereigneten sich in Wirtschaftszweigen, die unter Sonstiges zusammengefasst wurden.

Unfalljahr und Unfallmonat

In dem untersuchten Zeitraum sank die Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle von 11 (12,6 %) im Jahr 2005 auf 5 (5,7 %) im Jahr 2016. Das Maximum tödlicher Arbeitsunfälle wurde 2006 mit 13 (14,9 %) Unfällen erreicht. In den Jahren 2010 und 2014 lag die Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle mit jeweils 3 Fällen (3,4 %) am niedrigsten. In den Jahren von 2011 bis 2013 blieb die Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle mit 6 bis 7 Vorkommnissen nahezu konstant. Im Jahr 2014 sank diese Zahl um mehr als die Hälfte auf 3 tödliche Arbeitsunfälle, um dann von 4 Fällen im Jahr 2015 auf 5 Fälle im Jahr 2016 zu steigen.

Der unfallträchtigste Monat mit insgesamt 11 (12,6 %) tödlichen Unfällen war der Sommermonat August. Im Frühlingsmonat Juni waren mit 4 (4,6 %) Fällen die wenigsten tödlichen Arbeitsunfälle zu verzeichnen. Ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den Monaten konnte nicht nachgewiesen werden (p = 0,8846). In der zweiten Jahreshälfte wurden mit 51 (58,6 %) Fällen im Vergleich zu der ersten Jahreshälfte mit 36 (41,4 %) Fällen mehr Unfälle beobachtet (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle nach Unfallmonat

Unfalltag und Unfalluhrzeit

Die meisten Unfälle ereigneten sich mit 23 (26,4 %) Fällen an Montagen. Im weiteren Verlauf der Woche stieg die Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle annähernd proportional von 13 (14,9 %) an Dienstagen, über 15 (17,2 %) mittwochs auf 18 (20,7 %) Fälle an Donnerstagen (Abb. 3). Für die Anzahl an Unfällen unter den Werktagen von Montag bis Donnerstag konnte kein statistisch signifikanter Unterschied nachgewiesen werden (p = 0,3491). Die wenigsten tödlichen Arbeitsunfälle waren mit insgesamt 18 (20,7 %) Fällen am erweiterten Wochenende von Freitag bis Sonntag zu verzeichnen. Für die Anzahl der Unfälle von Montag bis Donnerstag und der Arbeitsunfälle am erweiterten Wochenende konnte ein signifikanter Unterschied gezeigt werden (p = 0,000029).

Abb. 3
figure 3

Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle nach Wochentag

Bei der Auswertung des Unfallzeitpunkts zeigten sich 2 Peaks, zum einen vormittags zwischen 10:00 und 11:59 Uhr, zum anderen nachmittags zwischen 14:00 und 15:59 Uhr mit jeweils 19 (21,8 %) Unfällen. Zwischen diesen Peaks ereigneten sich von 12:00–13:59 Uhr lediglich 10 (11,5 %) Unfälle (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle nach Unfalluhrzeit

Unfallmechanismus

Häufigste Unfallmechanismen waren der Absturz mit 25 (28,7 %) und das Getroffenwerden von Gegenständen mit 24 (27,6 %) Fällen. Es folgten schwere Quetschtraumata mit 15 (17,2 %) und Überrolltraumata mit 6 (6,9 %) Unfällen. Verbrennungen und Vergiftung mit Todesfolge sowie das Ertrinken und der Stromtod spielten mit jeweils einem bis 3 Fällen eine untergeordnete Rolle. Bei 9 (10,3 %) tödlichen Arbeitsunfällen ließ sich der Unfallmechanismus keiner der Kategorien zuordnen. Es handelte sich bei der großen Mehrzahl der untersuchten Arbeitsunfälle um mechanische Traumata.

Absturz

Die insgesamt 25 tödlichen Absturzunfälle ereigneten sich von Dächern (32 %), Gerüsten (32 %) und Leitern (24 %). Unter Sonstiges (12 %) wurde der Absturz in einen Fahrstuhlschacht sowie der Sturz von einem Telefonmast und von einer Maschine zusammengefasst.

Mit 20 Abstürzen entfielen 80 % aller Absturzunfälle auf das Baugewerbe. Der Absturz war mit 20 (41,7 %) Fällen der häufigste Unfallmechanismus im Baugewerbe.

Die Absturzhöhe lag zwischen knapp unter 2 und 25 m. Von der Absturzhöhe zwischen 3,0 und 6,99 m ereigneten sich mit 14 (56 %) Fällen über die Hälfte der tödlichen Abstürze (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle nach Absturzhöhe in Metern

International Severity Score

Die beiden tiefsten Werte für den ISS wurden mit 2 und 4 Punkten nach Ertrinken resp. Verschüttung erreicht. Da in dieser Studie jedes nach ISS bewertete Verletzungsbild im Rahmen eines tödlichen Arbeitsunfalls entstanden ist, belegen die ermittelten ISS-Scores meist mittlere bis hohe Punktzahlen (Tab. 2). Das Maximum von 75 Punkten wurde mit 9 (11,1 %) Fällen am häufigsten belegt. In 6 (6,9 %) Fällen war aufgrund einer längeren Überlebenszeit keine Codierung der Verletzungen nach der AIS möglich.

Tab. 2 Verteilung der Verletzungsschwere nach dem International Severity Score (ISS)

Blutalkoholkonzentration und Drogen

Die gaschromatographische Messung der BAK wurde bei 67 (77,0 %) Unfallopfern durchgeführt. Bei den übrigen 20 (23,0 %) Verunfallten erfolgte meist aufgrund einer längeren Überlebenszeit keine Bestimmung der BAK.

Bei 26 (38,8 %) der auf Alkohol im Blut untersuchten Todesopfer wurde eine BAK von 0,0‰ festgestellt. Weitere 31 (46,3 %) der toxikologisch untersuchten Unfallopfer wiesen eine BAK von 0–0,1 ‰ auf. Da eine geringe Menge von Alkohol im Blut aufgrund postmortaler Fäulnisprozesse entstehen kann [19], wurden diese als nichtrelevante Alkoholbeeinträchtigung gewertet.

Mit Werten von 0,1–0,5 ‰ standen 8 (11,9 %) Unfallopfer unter relativem Alkoholeinfluss. In 2 (3,0 %) Fällen bestand mit 0,51 ‰ und dem Höchstwert von 2,07 ‰ eine relevante Alkoholbeeinträchtigung. Beide Arbeitsunfälle ereigneten sich an einem Donnerstag.

In 3 (3,4 %) Fällen konnte im Rahmen der toxikologischen Untersuchung die Aufnahme von Cannabisprodukten festgestellt werden, wobei aber keine rauschwirksamen Bestandteile mehr nachweisbar waren.

Todesursache

Die häufigste Todesursache war das Polytrauma mit 34 (39,1 %) Fällen. Das todesursächliche Verletzungsbild wurde retrospektiv dann als Polytrauma gewertet, wenn nach ISS mindestens 2 Körperregionen betroffen waren und sich die jeweiligen Verletzungen mit nicht mehr als einem Punkt in ihrem Schweregrad voneinander unterschieden.

Die zweithäufigste Todesursache war das Schädel-Hirn-Trauma mit 21 (24,1 %) Fällen. Von den 87 Verunfallten verstarben weitere 11 (12,6 %) an einer Kompression des Thorax und 5 (5,7 %) durch ein Trauma der Abdominalregion. Verbrennungen waren in 3 (3,4 %) Fällen todesursächlich. Vergiftung, Ertrinken und Stromtod führten in jeweils 2 (2,3 %) Fällen zum Tod eines Unfallopfers.

Unter Sonstiges fällt eine Verletzung der Beinhauptschlagader mittels Hochdruckstrahler und nachfolgendem Verbluten nach außen.

An Folgezuständen verstarben 6 (6,9 %) der Verunfallten. Hierunter sind 2 Multiorganversagen nach Sepsis, 2 Herzversagen und 2 Lungenembolien zusammengefasst.

Diskussion

Die eigenen Ergebnisse wurden den Studien von Gawehn [12] und Kiehl [17], die am selben Institut vergleichbare Untersuchungen früherer Sektionsjahrgänge durchgeführt haben, gegenübergestellt.

In der Analyse der obduzierten tödlichen Arbeitsunfälle der Jahre 1979–1988 von Kiehl war die Altersgruppe der 36- bis 40-Jährigen am häufigsten betroffen. Für den von Gawehn [12] untersuchten Zeitraum von 1991 bis 2004 lag das Maximum der Altersverteilung ein Jahrzehnt darüber bei den 46- bis 50-Jährigen. Diese Altersgruppe war auch in der vorliegenden Studie am häufigsten betroffen.

Vergleicht man die Altersverteilung der tödlich Verunglückten dieser Studie mit der Altersverteilung der Erwerbstätigen in Deutschland näherungsweise für das Jahr 2016 zeigt sich, dass der Anteil der Verunglückten im Verhältnis zu dem Anteil Erwerbstätiger in den Altersklassen von 26 bis 60 Jahren relativ ausgewogen ist. In den Altersklassen von 61 bis 70 Jahre ist der Anteil der tödlich Verunfallten (8,0 %) im Verhältnis zu dem Anteil der in diesen Altersklassen erwerbstätigen Personen hingegen etwa doppelt so hoch [31]. Bei dem Vergleich der Altersstruktur der Unfallopfer dieser Studie und der Altersstruktur der Erwerbstätigen in Hessen zeigt sich ein ausgewogenes Verhältnis der Altersklassen von 18 bis 64 Jahren. Der Anteil der bei der Arbeit tödlich Verunglückten von 65 und mehr Jahren ist wiederum etwa doppelt so hoch wie der Anteil gleichaltriger Erwerbstätiger in Hessen [31].

Diese relative Zunahme der tödlichen Arbeitsunfälle ab 61 Jahren legt einen Zusammenhang tödlicher Arbeitsunfälle mit der Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit im Alter nahe [27]. Die mit dem demografischen Wandel in Deutschland einhergehende Veränderung der Altersstruktur der Bevölkerung [31] könnte zukünftig der Prävention tödlicher Arbeitsunfälle entgegenstehen. Arbeitgeber sollten dazu angehalten werden, ältere Arbeitnehmer verstärkt in risikoarmen Arbeitsbereichen einzusetzen.

Der niedrige Anteil von Frauen (3,4 %) am tödlichen Arbeitsunfallgeschehen für den untersuchten Zeitraum von 2005 bis 2016 lässt sich zum einen auf die niedrige Frauenquote in dem unfallträchtigen Baugewerbe zurückführen. Laut dem Statistischen Bundesamt lag 2016 der Anteil weiblicher Erwerbstätiger im Baugewerbe bei 15,3 % [31]. Zum anderen ist denkbar, dass weibliche Arbeitnehmer in risikoärmeren und physisch weniger belastenden Arbeitsbereichen eingesetzt werden.

Auch bei Gawehn [12] und Kiehl [17] sowie in weiteren rechtsmedizinischen Untersuchungen anderer Institute [7, 18, 24, 28] fanden sich niedrige Anteile weiblicher Arbeitnehmer an dem tödlichen Arbeitsunfallgeschehen mit Werten zwischen 0 und 6,2 %.

Neben dem Alter über 60 Jahren sowie dem männlichen Geschlecht ist nach dieser Untersuchung auch die Zugehörigkeit zu einer ausländischen Nationalität ein Risikofaktor, einen tödlichen Arbeitsunfall zu erleiden. Der Anteil von 34,4 % ausländischer Unfallopfer dieser Studie deckt sich nicht mit dem Anteil ausländischer sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in Hessen. Dieser betrug für das Jahr 2016 lediglich 13,6 % [31]. Auch für das Baugewerbe findet sich in Hessen im Jahr 2016 lediglich ein Anteil von 25,0 % ausländischer Beschäftigter [31].

Im zeitlichen Verlauf hat der Anteil ausländischer Unfallopfer unter den in der Rechtsmedizin Frankfurt am Main obduzierten tödlichen Arbeitsunfällen zuletzt zugenommen. In dem Zeitraum von 1991 bis 2004 betrug der Anteil ausländischer Arbeitnehmer unter den tödlichen Arbeitsunfällen 23 % [12].

Ein möglicher Grund für den hohen Anteil ausländischer Arbeitnehmer am tödlichen Arbeitsunfallgeschehen sind fehlende Sprachkenntnisse. Förderung von Sprachunterricht sowie das Vermitteln von Sicherheitsbestimmungen mittels Piktogrammen und audiovisuellem Material können dazu beitragen, ausländischen Arbeitnehmern individuelle Sicherheitsrisiken bei der Arbeit besser verständlich zu machen [16].

Im Vergleich der männlichen Unfallopfer dieser Studie zu der männlichen Gesamtbevölkerung Deutschlands zeigen sich hinsichtlich der BMI-Werte geringe Unterschiede. In dieser Studie waren 27,1 % der männlichen Unfallopfer mit einem BMI von 30 kg/m2 oder mehr übergewichtig. Im Jahr 2017 lag laut Mikrozensus des Statistischen Bundesamts der Anteil übergewichtiger, männlicher Bundesbürger ab 18 Jahren bei 18,1 % [31].

Die in dieser Studie unfallträchtigsten Monate August (12,6 %), Juli (10,3 %) und September (10,3 %) liegen in der auftragsreichen Sommerarbeitszeit des Baugewerbes von April bis November. Die Häufung von tödlichen Arbeitsunfällen zur Sommerzeit deckt sich mit den Ergebnissen in der Literatur [2, 12, 15, 28, 29]. Nach dem Tarifrecht des unfallträchtigen Baugewerbes werden in der Sommerarbeitszeit 41 h und in der Winterarbeitszeit lediglich 38 h gearbeitet. In der Sommerzeit ist die Expositionszeit der Arbeiter gegenüber dem Risiko, einen Arbeitsunfall zu erleiden, entsprechend hoch. Zudem beeinträchtigen die erhöhten Temperaturen zur Sommerzeit die Arbeiter in ihrer Aufmerksamkeit und können zu einer frühzeitigen Ermüdung führen [1]. Das Einhalten regelmäßiger Pausenzeiten, die Anpassung der Bekleidung an das Umgebungsklima [20] und die Ausführung risikoreicher, körperlich anstrengender Arbeiten zu klimatisch günstigen Jahres- und Tageszeiten helfen, der Erschöpfung der Arbeiter entgegenzuwirken. Diese Präventionsmaßnahmen könnten vor dem Hintergrund des Klimawandels zukünftig noch an Bedeutung zunehmen.

Im Zeitraum von 2005 bis 2016 ereigneten sich im Einzugsgebiet der Rechtsmedizin Frankfurt am Main die meisten tödlichen Arbeitsunfälle montags. Der Montag wird auch in der Literatur als häufigster Arbeitsunfalltag ermittelt [6, 7, 10, 12, 21, 22, 29]. Entgegen der von Gawehn [12] beschriebenen Verstärkung der Montagshäufung durch vermehrte Krankmeldungen, ist der „blaue Montag“ laut Erhebungen mehrerer deutscher Krankenkassen ein Mythos. Die Barmer Ersatzkasse stellte für das Jahr 2017 eine Häufung der Krankmeldungen von Mittwoch bis Freitag mit einem Anteil von 15,4–15,7 % [11] und die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) für dasselbe Jahr eine Häufung der Krankmeldungen an Dienstagen mit 19,2 % [23] fest. Für den Montag fanden sich lediglich Anteile von 13,9 % bzw. 12,7 % respektive. Es konnten keine Bezugsdaten ermittelt werden, ob an Montagen, der geringeren Anzahl an Krankmeldungen entsprechend, tatsächlich die meisten Arbeitsstunden verrichtet wurden, wodurch eine Häufung tödlicher Arbeitsunfälle an diesem Wochentag erklärt werden könnte. Ein denkbarer Grund für die Montagshäufung sind mögliche physische und psychische Anpassungsschwierigkeiten bei der Umstellung von dem freien Wochenende auf die arbeitsspezifischen Risiken zum Wochenbeginn.

Zwischen den ermittelten Hauptunfallzeiten von 10:00–11:59 Uhr sowie von 14:00–15:59 Uhr halbiert sich die Anzahl tödlicher Arbeitsunfälle beinahe. In diese Zeit fällt üblicherweise die Mittagspause. Ein ähnlicher Kurvenverlauf mit 2 von der Mittagszeit getrennten Peaks findet sich auch in der Literatur [9, 15, 17, 18, 22, 26, 29]. Die Untersuchung von Schieche [28] zeigte einen gegenläufigen Trend. Hier lag das Maximum der zeitlichen Häufigkeitsverteilung tödlicher Arbeitsunfälle in der Mittagspause zwischen 12:00 und 13:59 Uhr. Auch Bratzke und Hamoser [7] sowie Gawehn [12] konnten keinen Abfall der Unfallhäufigkeit während der Mittagspause feststellen. Eine Begründung findet sich hierfür, abgesehen von evtl. flexiblen Mittagspausenzeiten im Baugewerbe, nicht.

Von den auf BAK untersuchten Unfallopfern ist der Anteil relativer (11,9 %) und relevanter (3,0 %) Alkoholbeeinträchtigung im Vergleich zu früheren Untersuchungen gering. Bei Gawehn [12] war im untersuchten Zeitraum von 1991 bis 2004 der Anteil relevanter Alkoholbeeinträchtigung mit 2,9 % ebenfalls niedrig. Bei der Erhebung am selben Institut von Kiehl [17] fand sich zwischen 1979 und 1988 ein Anteil von 19,1 % mit BAK über 0,5 ‰. An anderen rechtsmedizinischen Instituten fand Schieche [28] für dem Zeitraum von 1990 bis 1995 in Berlin einen Anteil relevanter Alkoholbeeinträchtigung von 17,8 %, Bartsch [4] von 1971 bis 1983 in Hamburg von 26,8 % und Naeve, Brinkmann et al. [25] von 1962 bis 1970 in Hamburg von 39 %. In der Zusammenschau der genannten Untersuchungen hat sich das Problem der tödlichen Arbeitsunfälle unter Alkoholeinfluss im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte gebessert.

Anhand der Analyse des Unfallhergangs lassen sich weitere Erkenntnisse für die Prävention tödlicher Arbeitsunfälle gewinnen. In dem untersuchten Obduktionsgut war der Absturz mit 25 (28,7 %) Fällen der häufigste Unfallmechanismus. Auch die Vergleichsarbeiten des Instituts für Rechtsmedizin Frankfurt am Main von Gawehn (41,9 % Abstürze) [12] und Kiehl (32,5 % Abstürze) [17] identifizierten den Absturz als Hauptunfallursache. Tatsächlich finden sich im bundesweiten Vergleich fast ausschließlich Studien, die den Absturz als häufigste Unfallursache bei der Arbeit angeben [4, 7, 8, 18, 28, 30].

Die meisten Absturzunfälle ereigneten sich von Dächern, Gerüsten und Leitern und von Höhen zwischen 3,0 und 6,99 m. Im Baugewerbe war der Absturz mit 20 (41,7 %) Fällen besonders häufig. Der § 12 der DGUV-Vorschrift 38/BGV C 22 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung sieht für alle Arbeitsplätze ab 2 m Absturzhöhe eine Absturzsicherung vor. Ausnahmen für die verpflichtende Absturzsicherung bilden Arbeitsplätze auf Dächern bis 2,99 m Absturzhöhe sowie beim Mauern über die Hand und beim Arbeiten an Fenstern bei einer Absturzhöhe bis zu 4,99 m. Diese Maßnahmen gewährleisten, auch vor dem Hintergrund nur eines ermittelten Unfalls mit einer Absturzhöhe unter 3 m, in der Theorie einen sicheren Schutz vor tödlichen Absturzunfällen. Möglicherweise ist der Wille zur praktischen Umsetzung solcher Präventionsmaßnahmen nicht immer gegeben, v. a. hinsichtlich der Praktikabilität bei Arbeiten kurzer Dauer. Durch engmaschige Kontrollen der Sicherheitsvorkehrungen bei Arbeiten in der Höhe und durch intensive Schulungen zu dem arbeitsspezifischen Risiko des tödlichen Absturzes bei Arbeiten auf Gerüsten, Leitern oder Dächern könnten tödliche Arbeitsunfälle durch Abstürze zukünftig reduziert werden.

Bei der Auswertung der Obduktionsprotokolle der 87 untersuchten tödlichen Arbeitsunfälle war das Polytrauma mit 34 Fällen (39,1 %) die häufigste Todesursache. Innerhalb der Gruppe polytraumatisierter Unfallopfer war der Kopf mit 20 (58,8 %) Fällen die am häufigsten verletzte Region unter den 3 jeweils am stärksten betroffenen Körperregionen. Zusammen mit den 21 (24,1 %) todesursächlichen Schädel-Hirn-Traumata ergeben sich 41 (47,1 %) tödliche Arbeitsunfälle, bei denen das Schädel-Hirn-Trauma eigenständig oder zumindest maßgeblich todesursächlich war. Demzufolge liegt es nahe, als allgemeine und einfache Schutzmaßnahme vor Schädel-Hirn-Verletzungen eine verstärkte Durchsetzung der Helmpflicht im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung von Baustellen abzuleiten, welche laut §§ 4 und 5 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz) dem Arbeitgeber obliegt. Mittels unangemeldeter Kontrollen sollten Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber an ihre Verpflichtung nach § 15 Absatz 2 ArbSchG erinnert werden, die persönliche Schutzausrüstung bestimmungsgemäß zu verwenden.

Fazit für die Praxis

  • Arbeitgeber sollten dazu angehalten werden, ältere Arbeiter in risikoarmen Arbeitsbereichen einzusetzen.

  • Durch die Förderung von Sprachunterricht sollten ausländischen Arbeitnehmern die individuellen Sicherheitsrisiken bei der Arbeit besser verständlich gemacht werden.

  • Für eine wirkungsvolle Präventionsarbeit sollten Arbeiter für die Häufung tödlicher Arbeitsunfälle in den Sommermonaten, an Montagen sowie kurz vor und direkt nach der Mittagspause sensibilisiert werden.

  • Durch engmaschige Kontrollen der Sicherheitsvorkehrungen bei Arbeiten in der Höhe und durch intensive Schulungen zu dem arbeitsspezifischen Risiko des tödlichen Absturzes bei Arbeiten auf Gerüsten, Leitern oder Dächern könnten tödliche Arbeitsunfälle durch Abstürze zukünftig reduziert werden.

  • Erfahrungswerte beim Tragen von Schutzbekleidungen (z. B. Helmpflicht bei Motorradfahrern) sprechen dafür, dass das verstärkte Durchsetzen einer Helmpflicht durch den Arbeitgeber auf Baustellen im Hinblick auf die hohe Anzahl tödlicher Schädel-Hirn-Traumata zum Erreichen der „vision zero“ beitragen könnte.