Anamnese

Ein 50-jähriger Patient erlitt einen Sturz mit einem E‑Scooter. Nach initialer Bewusstlosigkeit klagte der nun wache, kardiopulmonal stabile Patient über anhaltende Schmerzen im Bereich des rechten Thorax und der rechten Schulter. Es bestanden weder Vorerkrankungen noch nahm der Patient regelmäßig Medikamente ein.

Befund

Klinische Untersuchung

Bei einem Glascow-Coma-Scale-Wert von 14 und einer unauffälligen neurologischen Untersuchung konnte in der körperlichen Untersuchung rechtsseitig ein abgeschwächtes Atemgeräusch festgestellt werden. Des Weiteren trat ein Druckschmerz im Bereich des rechten Akromioklavikulargelenks und des rechtsseitigen Thorax auf, der stabil war. Die Beweglichkeit der rechten Schulter war schmerzbedingt stark eingeschränkt. Neben einer 1,5 cm langen Kopfplatzwunde parietookzipital rechts fand sich in der restlichen körperlichen Untersuchung kein pathologischer Befund.

Bildgebung

Radiologisch erfolgte zunächst der Ausschluss einer (intra)kranialen Traumafolge mittels einer Computertomographie (CT). Zudem konnte in der Röntgenaufnahme des Thorax und der rechten Schulter eine rechtsseitige Rippenserienfraktur (Rippe 4 bis 8) mit begleitendem Pneumothorax sowie eine nichtdislozierte, laterale Klavikulafraktur rechts festgestellt werden. Im weiteren Verlauf erfolgte eine CT der rechten Schulter. Hierbei konnte eine transverse Glenoidfraktur mit einer Gelenkstufe von ca. 6 mm und einem nach superior auslaufenden Frakturspalt des Skapulahalses festgestellt werden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Computertomographie (3-D-Rekonstruktion mit Subtraktion des Humeruskopfes) der rechten Schulter von ventrolateral (a) und ventrokaudal (b) zeigte eine horizontal verlaufende Glenoidfraktur mit einem nach superior auslaufenden Frakturspalt des Skapulahalses, entsprechend einer Glenoidfraktur Typ III nach Ideberg [3] sowie eine laterale Klavikulafraktur

Diagnose

In der Zusammenschau des klinischen Untersuchungsbefunds sowie der radiologischen Bildgebung konnte die Diagnose einer Glenoidfraktur Typ III nach Ideberg [3] gestellt werden. Aufgrund des gleichzeitigen Auftretens einer nichtdislozierten, lateralen Klavikulafraktur ist zudem die Diagnose einer doppelten Unterbrechung des „superior shoulder suspensory complex“ (SSSC; [2]) zu stellen. Weitere Begleitverletzungen stellten eine ipsilaterale Rippenserienfraktur der 4. bis 8. Rippe mit konsekutivem Pneumothorax sowie eine Ablösung des anterosuperioren Labrums (SLAP-Läsion) Typ II nach Snyder [9] dar.

Therapie und Verlauf

Präoperativer Verlauf

Am Unfalltag erfolgte die komplikationslose Anlage einer Thoraxdrainage und nachfolgend die stationäre Aufnahme zur Überwachung, Analgetika- und Atemtherapie. Nach 4 Tagen konnte die Thoraxdrainage bei adäquater Sauerstoffsättigung unter Raumluft entfernt werden.

Operative Versorgung

Sechs Tage nach dem Unfall erfolgte die operative Versorgung der Glenoidfraktur in Beach-chair-Lagerung mittels der von Wafaisade et al. beschriebenen, arthroskopischen Technik [10]. Nach Anlage des dorsalen Portals und Einbringen des Arthroskops zeigte sich neben der transversen Glenoidfraktur (Abb. 2a) eine SLAP-Läsion Typ II nach Snyder [9]. Die Sehnen der Rotatorenmanschette sowie das übrige Labrum erschienen intakt. Daraufhin erfolgte, nach Anlage eines anterioren Portals durch das Rotatorenintervall und einem Portal über dem kaudalen Sulcus bicipitalis, die Tenotomie mit anschließender suprapektoraler Tenodese der langen Bizepssehne mittels eines Fadenankers in der Technik nach Lafosse ([5]; LUPINE Loop, Fa. Depuy Mitek, Raynham, MA, USA).

Abb. 2
figure 2

Arthroskopische Aufnahmen der rechten Schulter durch das anterolaterale Portal. a Darstellung des horizontalen Frakturspalts des Glenoids. b Befund nach Frakturreposition mittels Spanier-Zange am Korakoid. c Befund nach Schraubenfixation zeigt eine stufenlose Reposition mit regelrechter Schraubenlage

Zur Durchführung der Frakturreposition und Fixation wurde ein ausgiebiges Intervall-Release mit Darstellung des Korakoids, subakromiale Bursektomie und Durchtrennung des korakoakromialen Bands durchgeführt. Nach Wechsel des Arthroskops in das anterolaterale Portal wurde das Korakoid mit einer Spanier-Zange gegriffen (Abb. 3a) und die Fraktur Joystick-artig unter Sicht reponiert (Abb. 1b). Über ein hohes anteromediales Portal ventral der Klavikula wurde anschließend unter Sicht ein K‑Draht in der 12:30-Uhr-Position des Glenoids durch beide Frakturfragmente platziert (Abb. 3a, b). Nachfolgend wurde eine 42 mm lange, kanülierte Zugschraube (ASNIS 4,0 mm, Fa. Stryker, Kalamazoo, MI, USA) eingebracht. Dabei konnte eine stufenlose Reposition mit regelrechter Schraubenlage dokumentiert werden (Abb. 2c).

Abb. 3
figure 3

Intraoperative Bildwandleraufnahmen (a.-p.) bei eingebrachtem Arthroskop und Spanier-Zange zur Kontrolle der Frakturreposition und der K‑Draht-Position (a) sowie der Lage der kanülierten Zugschraube (b)

Auf eine Osteosynthese der Klavikulafraktur wurde bei vorheriger Absprache mit dem Patienten und intraoperativer Intaktheit der korakoklavikulären Bänder verzichtet und eine konservative Therapie mit Immobilisierung durchgeführt.

Postoperativer Verlauf und Kontrolle

Zwei Tage nach der Operation konnte der Patient entlassen werden. Die postoperative Therapie beinhaltete Physiotherapie und die Immobilisierung der Schulter für 6 Wochen mittels Schulterorthese in Innenrotation. Passive Bewegungen waren für 3 Wochen bis 30° Flexion und Abduktion, im Anschluss für weitere 3 Wochen bis 80° Flexion und 60° Abduktion erlaubt. Nach 6 Wochen konnte mit der aktiven Mobilisierung im vollen Bewegungsumfang und der schmerzadaptierten Aufbelastung begonnen werden.

Hinsichtlich des Outcomes konnten 3 Monate postoperativ in der klinischen und radiologischen Kontrolle zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden. Bei einer inspektorisch unauffälligen rechten Schulter präsentierte der schmerzfreie Patient eine aktive Beweglichkeit in der Flexion bis 170°, Abduktion bis 160°, Innenrotation bis 90° und Außenrotation bis 40°. Radiologisch konnte in der CT eine bereits abgeschlossene Durchbauung der Glenoidfraktur mit Wiederherstellung der anatomischen Pfannenkonkavität ohne sekundäre Stufenbildung festgestellt werden (Abb. 4). Der Patient gab zu diesem Zeitpunkt einen Subjective Shoulder Value von 90 % und einen DASH-Score von 3,3 an.

Abb. 4
figure 4

Computertomographie (3-D-Rekonstruktion mit Subtraktion des Humeruskopfes) der rechten Schulter 3 Monate postoperativ von ventral (a) und ventrolateral (b) zeigte eine abgeschlossene Durchbauung der schraubenosteosynthetisch versorgten Glenoidfraktur ohne sekundäre Dislokation

Diskussion

Frakturen der Skapula stellen mit weniger als 1 % aller Frakturen seltene Verletzungen dar. Lediglich in 10 % dieser Fälle ist eine artikuläre Beteiligung der Fossa glenoidalis zu beobachten [8]. Dabei tritt der Typ III nach Ideberg am seltensten auf [3]. Eine Typ-III-Fraktur ist meist nach einem Hochrasanztrauma zu beobachten, bei dem der Humeruskopf mit einem nach kranial gerichteten Kraftvektor in das Glenoid gedrückt wird. Folglich sind in bis zu 95 % der Fälle Begleitverletzungen zu beobachten [1, 8]. Dies konnte auch in dem vorliegenden Fall bestätigt werden. Bei einem Unfall mit einem E‑Scooter erlitt der Patient als ipsilaterale Begleitverletzungen eine Fraktur der lateralen Klavikula, eine Rippenserienfraktur, einen Pneumothorax und eine SLAP-Läsion Typ II.

Aufgrund der Seltenheit der Typ-III-Glenoidfraktur fehlen bislang evidenzbasierte Behandlungsstrategien, die eine klare Indikationsstellung zur operativen Versorgung definieren. Während für die meisten Gelenke ein Grenzwert der artikulären Stufenbildung von 2 mm gilt, wird eine operative Versorgung bei Glenoidfrakturen aufgrund des dickeren Knorpels erst ab einer Gelenkstufe von 4–5 mm empfohlen [1, 6]. Darüber hinaus sind Begleitverletzungen des SSSC in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen [1]. Dieser ringförmige Komplex – gebildet aus Glenoid, Korakoid, korakoklavikulären Bändern, distale Klavikula, Akromioklavikulargelenk und Akromion – ist für die Stabilität des Schultergürtels entscheidend [2].

Traditionell erfolgte die operative Versorgung einer Typ-III-Glenoidfraktur mittels einer offenen Reposition und anschließender Platten- oder Schraubenosteosynthese unter Verwendung eines posterosuperioren Zugangs [1]. In Anbetracht möglicher Komplikationen durch eine offene Versorgung wurden zuletzt mehrere arthroskopische Techniken zur minimal-invasiven Versorgung einer Typ-III-Glenoidfraktur beschrieben. Neben den arthroskopischen Standardportalen benötigen diese Techniken meist das Neviaser-Portal zur Durchführung der Schraubenfixation. Angesichts der anatomischen Nähebeziehung ist das Risiko für eine iatrogene Schädigung des N. suprascapularis bei der Verwendung des Neviaser-Portals zu diskutieren [7]. Bislang wurden nur wenige Daten über postoperative Outcomes und Komplikationen nach arthroskopisch versorgten Typ-III-Glenoidfrakturen publiziert. Die größte Fallserie umfasst 18 Fälle mit einem Follow-up von 2 Jahren [11]. Diese Fallserie konnte in allen Fällen eine Frakturkonsolidierung und sehr gute funktionelle Outcomes zeigen. Jedoch wurde in ca. 28 % der Fälle im finalen Follow-up eine geringe Atrophie des M. supraspinatus beobachtet [11]. Eine Studie am anatomischen Präparat wies nach, dass die Verwendung des Neviaser-Portals zur arthroskopischen Versorgung von transversen Glenoidfrakturen hinsichtlich einer Verletzung von neurovaskulären Strukturen relativ sicher ist. Nichtsdestotrotz konnte gezeigt werden, dass die Entfernung zum N. suprascapularis bei der Verwendung des Neviaser-Portals geringer ist als bei einem anterosuperioren Zugang [7].

Neben den Vorteilen von minimal-invasiven Techniken verwendet die in diesem Fallbericht angewandte arthroskopische Technik [10] ein hohes, anteromediales Portal für die Schraubenosteosynthese. Folglich kann auf das Neviaser-Portal verzichtet werden, wodurch das Risiko für eine iatrogene Verletzung von neurovaskulären Strukturen nach Ansicht der Autoren geringer ausfällt. Darüber hinaus kann eine Spanier-Klemme als Joystick für die einfache, anatomische Reduktion der Fraktur verwendet werden, wodurch auf die Bohrung mehrerer Kirschner-Drähte verzichtet werden kann. Die Frakturreposition und der Eintrittspunkt der Schraube kann im gesamten Verlauf der Operation durch ein anterolaterales Portal ohne Portalwechsel beurteilt werden (Abb. 2c). Somit reduziert sich das Risiko einer unzureichenden Reposition der Gelenkstufe oder einer fehlerhaften Bohrung mit Durchbrechung der glenoidalen Gelenkfläche [10].

Als Limitation der verwendeten Technik ist zu nennen, dass das korakoakromiale Band bei der anterioren Portalanlage durchtrennt wird [10], was zu einer weiteren Instabilität des Schultergürtels beitragen könnte. Jedoch ermöglicht dies wiederum die Versorgung und Stabilisierung der unteren Säule des SSSC, was nach Goss den wesentlichen Anteil für die Stabilität des Komplexes darstellt [1].

Des Weiteren erfolgt die Schraubenfixation durch das anteromediale Portal abhängig vom Frakturverlauf nicht genau rechtwinklig zum Frakturspalt. Folglich könnte die interfragmentäre Kompressionskraft geringer ausfallen. Bisherige Erkenntnisse legen jedoch nahe, dass eine Winkelabweichung von bis zu 30° zu keinem signifikanten Unterschied in der interfragmentären Kompressionskraft führt [4]. Der vorliegende Fall unterstützt diese Erkenntnis. Bei der postoperativen Kontrolle nach 3 Monaten konnte in der CT eine knöcherne Heilung festgestellt werden.

Fazit für die Praxis

  • Typ-III-Glenoidfrakturen treten selten auf und sind meist nach einem Hochrasanztrauma zu beobachten. Begleitverletzungen sind häufig.

  • Die operative Therapie wird ab einer Gelenkstufe von 4–5 mm und unter Berücksichtigung von Begleitverletzungen empfohlen.

  • Die arthroskopische Versorgung stellt eine sehr gute, technisch anspruchsvolle Alternative zu offenen Verfahren dar.

  • Die Schraubenosteosynthese kann durch ein hohes, anteromediales Portal durchgeführt werden.

  • Der Verzicht auf das Neviaser-Portal kann das Risiko für eine neurovaskuläre Schädigung reduzieren.