Die Zeit der Selbstverständlichkeit ist vorbei. Es ist der signifikante Rückgang an motiviertem, leistungsstarkem Nachwuchs, es sind die praktisch nicht umgesetzten strukturierten Weiterbildungen im Fach und die nicht klar definierten Rahmenbedingungen für wissenschaftlich interessierte (junge) Kollegen, die uns – fern von Grabenkämpfen und kurzfristigen Positionsvorteilen – zu einem klaren Nachdenken über die Ausrichtung der Frauenheilkunde in der Zukunft zwingen.

„Wir Assistenten verwenden unsere Arbeitszeit fast ausschließlich für Stationsarbeit, Arztbriefe und Kodieren. Fakt ist, dass die geforderten Inhalte der Weiterbildung nicht vermittelt, sondern lediglich am Ende bescheinigt werden“: So eine in Ausbildung befindliche Kollegin. Aufgrund zunehmend organisatorischer und personeller Engpässe ist eine strukturierte Weiterbildung an vielen Stellen nicht mehr möglich. So müssen junge Kollegen in der Ausbildung diese Unzulänglichkeit durch den Besuch unterschiedlicher, in der Regel teurer Kurse kompensieren. Diese Kursangebote sind in ihrer Vielfalt nur schwer zu überblicken und in ihrer Wertigkeit bzw. Notwendigkeit bezogen auf das Erreichen der Weiterbildungsziele (Facharzt, fakultative Schwerpunkte) kaum zu beurteilen. Daher ist es notwendig, die Weiterbildungsmöglichkeiten durch eine anerkannte übergeordnete Instanz deutlich zu definieren, zu ordnen und transparent zu gestalten, um eine klares Ausbildungscurriculum anbieten zu können. In dem Beitrag „Weiterbildung gestern, heute und morgen“ stellen wir ein klares Konzept vor, wie diese Misere nicht nur in der Facharztausbildung, sondern auch in der Subspezialisierung in den einzelnen Schwerpunkten überwunden werden kann.

Die derzeitige Situation zwingt zum Nachdenken über die Ausrichtung der Frauenheilkunde in der Zukunft

Mittlerweile machen die Kolleginnen, die in unserem Fach die Facharztprüfung ablegen, einen Anteil von mehr als 70% aus. Dem haben sich die Rahmenbedingungen und das Umfeld nicht angepasst. Wie soll man dabei Familie und Beruf vereinbaren? Welche Anforderungen werden dabei an eine Institution gestellt, welche Rahmenbedingungen müssen sich ändern, um unseren Kolleginnen diese innere Zerrissenheit zu ersparen? Wir können es uns nicht länger leisten, ein solches Potenzial leichtfertig zu verspielen, weil wir keine umsetzungsfähigen Konzepte anbieten können. Um diese Herausforderung kompetent und nachhaltig angehen zu können, bedarf es notwendigerweise zunächst einer strukturierten Erhebung der beruflichen sowie privaten Situation nicht nur der weiblichen, sondern auch der männlichen Kollegen. In dem Beitrag „Familie und Karriere – erste Ergebnisse der DGGG Umfrage“ stellen wir eine Umfrage zur Ermittlung der persönlichen Lebenssituationen vor. Erst dadurch können wir im nächsten Schritt nach Wegen suchen, welche nachhaltig verfolgt werden können.

Nicht nur die strukturierte klinische Weiterbildung, sondern auch, diese mit einem wissenschaftlichen Karriereweg zu kombinieren, stellt eine immer größere Herausforderung für uns dar. Wie können wir noch Kollegen dazu motivieren, diesen nicht immer leichten Weg zu gehen, wenn die Koppelung der Vergabe von leitenden ärztlichen Posten an die wissenschaftliche Leistung der Vergangenheit anzugehören scheint, wenn Forschungsaktivität in chirurgischen Fächern den Verdacht notwendiger klinischer Inkompetenz aufkommen lässt? Herr Dr. Scholz aus der Klinik von Professor Friese in München beleuchtet in dem Artikel „Forschung im Fach – Wohin geht der Weg“ Hintergründe und zeigt potenzielle Wege auf, die Bereiche Forschung, Lehre und Klinik zu entflechten, nicht aber voneinander loszulösen.

Die Bandbreite unseres Fachgebietes ist eine große. Das Spektrum reicht von Prävention, Früherkennung über Therapie und Nachsorge, konservativ wie operativ. Auch psychologische wie sozialmedizinische Aspekte sind präsent. Kein anderes Fach in der Medizin bietet die Versorgung in einer derartigen allumfassenden Art. Nicht ein Organ allein, sondern ein Individuum als Ganzes wird von uns betreut: von der Geburt bis ins Senium. Diese Einzigartigkeit zu erhalten, muss unser größtes Interesse sein. Daher müssen wir darauf achten, dass unser Fachgebiet nicht durch Machtinteressen und Eitelkeiten einzelner parzelliert und zerrissen wird. In dem Beitrag „Ist das Säulenmodell weiter attraktiv?“ bezieht Professor Vetter aus Berlin klar Stellung.

Zu schaffen sind integrierte, kooperierende, sektorenübergreifende Versorgungsmodelle

Die gerade erwähnte Breite unseres Fachgebietes stellt uns Gynäkologen nicht nur in der Aus- und Weiterbildung, sondern in der allumfassenden ärztlichen Betreuung vor große Herausforderungen. Diese Aufgaben müssen gepresst in die aktuellen Strukturen und Sektoren, stationär und ambulant, zufriedenstellend gelöst werden. Nachdem die Leistungsspektren aus dem ambulanten und stationären Bereich sich jedoch inhaltlich wie auch abrechnungstechnisch klar voneinander unterscheiden, müssen integrierte, kooperierende und sektorenübergreifende Versorgungsmodelle zwischen Kliniken und Praxen geschaffen werden. In dem Beitrag „Frauenärztin/-arzt der Zukunft: Müssen Kliniken neu strukturiert werden“ zeigt Professor Beckmann aus Erlangen klar, dass nur durch solche Maßnahmen eine umfassende Versorgung der Frau realistisch ist, und, um auf die eingangs erwähnte Debatte der strukturierten Weiterbildung zurückzukommen, ein stimmiges Ausbildungscurriculum zur Ausbildung eines kompetenten Nachwuchses nachhaltig möglich ist.

Strukturierte Weiterbildung, in klinische Ausbildung integrierte Wissenschaft, Anpassung an veränderte Wertvorstellungen, Zentrenbildungen: All dem müssen wir uns stellen. Nur wenn wir uns diesen Herausforderungen stellen, werden wir weiterhin in der Lage sein, tatsächlich die Frau in ihren unterschiedlichen Lebensphasen medizinisch zufriedenstellend begleiten zu können.

Prof. Dr. R. Kreienberg, Ulm