Hintergrund und Fragestellung

Die Lehre und Ausbildung angehender Mediziner stellt neben der Patientenversorgung und der Forschung den dritten Grundpfeiler einer Universitätsklinik dar. Praktischer Unterricht in Kleingruppen wie Blockpraktika und Praktikumstage sind dabei wichtige Instrumente für die praktische Ausbildung. Während Blockpraktika in der Regel einen Umfang von mehreren Wochen umfassen und somit eher den größeren Fächern wie Innere Medizin oder Chirurgie vorbehalten sind, dauern Praktikumstage meist ein bis zwei Tage.

Der Praktikumstag unserer urologischen Klinik richtet sich an die Studierenden im 9. Und 10. Semester nach erfolgreicher Teilnahme an der Hauptvorlesung Urologie. Der detaillierte Ablauf wurde 2014 von Schmid et al. näher vorgestellt [7]. Im Rahmen dieser Präsenzveranstaltung wurden verschiedene Seminare (Sexualanamnese, erektile Dysfunktion, digital-rektale Untersuchung) sowie eine OP-Hospitation und Hands-on-Training an Modellen (Zystoskopie, Kathetereinlage, Sonographie) für die Studierenden angeboten. Diese gut etablierte Lehrveranstaltung musste nun durch die COVID-19-Pandemie abrupt abgesagt werden.

Das generelle Verbot von Präsenzveranstaltungen stellt die studentische Ausbildung vor große Herausforderungen, da diese mit den Anforderungen der ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO; [1]) für den praktisch orientierter Unterricht vereint werden muss. Gleichzeitig gilt es, eine Verlängerung der Studienzeit möglichst zu vermeiden. Innerhalb kürzester Zeit mussten daher geeignete Alternativangebote zur herkömmlichen Präsenzlehre erstellt werden.

Deswegen wurde an unserer Klinik ein virtueller Praktikumstag entwickelt und erfolgreich durchgeführt, der den Studierenden einen strukturierten Einblick in das Fachgebiet und damit verbundene praktische Fertigkeiten geben sollte. Im Folgenden wird das Konzept und die Durchführung des digitalen Praktikumstages sowie die anschließende Evaluation vorgestellt. Durch die strukturierte Evaluation sollte die Zufriedenheit und der subjektive Lernerfolg der Studierenden im Rahmen des virtuellen Alternativangebotes untersucht werden.

Material und Methoden

Untersuchungskollektiv

Seitens der Fakultät waren 171 Studierende für die Teilnahme am Praktikumstag vorgesehen. Dabei handelte es sich überwiegend um Studierende aus dem 9. Und 10. Fachsemester, die bereits die Hauptvorlesung besucht und die Klausur im Fach Urologie bestanden hatten. Im Zeitraum vom 08.05.2020–07.08.2020 haben 164 Studierende den virtuellen Praktikumstag absolviert. Die Studierenden mussten zum erfolgreichen Absolvieren des Praktikumstages an einer Evaluation auf der Online-Plattform teilnehmen. Diese Evaluation bestand aus insgesamt 27 Fragen (3 Freitextfragen, 24 Multiple-choice-Fragen). Der Fokus wurde dabei auf die Studierendenzufriedenheit bezüglich des virtuellen Formats, der Didaktik, der Videogestaltung (Länge, Dozenten etc.) sowie der generellen Akzeptanz virtueller Angebote gelegt.

Online-Plattform und verwendete Tools

Als Basis für den Online-Praktikumstag wurde die Plattform www.moodle.tum.de der Technischen Universität München verwendet. Auf dieser Plattform kann man in einem Baukastensystem unterschiedliche Lern- und Lehrelemente einfügen, z. B. Arbeitsblätter oder Videos. Die Videos wurden über Links eingebettet. Hinterlegt waren die Videos im mp4-Format im von der Universität genutzten System mediasite. Die Videos besaßen eine Größe von 36–1015 MB. Die Länge der durch uns produzierten Videos lag zwischen 2:02 und 25:17 min.

Die Videos wurden mithilfe der Systemkamera Sony α 6600 gedreht und mit dem Programm „Windows Movie Maker“ (Version 2012) bearbeitet.

Um sich in den Online-Kurs einschreiben zu können, erhielten die Studierenden einen einheitlichen Einschreibeschlüssel. Von der Idee bis zur Fertigstellung des virtuellen Praktikumstages vergingen drei Wochen. Am 08.05.2020 wurden die Studierenden per E‑Mail über den Online-Praktikumstag informiert. Dieser war zu diesem Zeitpunkt bereits freigeschaltet. Die Studierenden konnten ihn bis zum offiziellen Ende der Vorlesungszeit (07.08.2020) absolvieren.

Entwicklung und didaktische Struktur der Lehrvideos

Unser Konzept sah die Erstellung von Lehrvideos zu unterschiedlichen Themen vor, das den Studenten das praktische und klinisch-relevante Alltagswissen aus der Urologie näherbringen sollte.

Die Videos wurden nach Entwicklung eines detaillierten Drehbuchs für das jeweilige Video mit den Dozenten gefilmt. Der grundsätzliche Aufbau war wie folgt:

  • Begrüßung und Einführung ins Thema (ca. 1–2 min),

  • Darstellung des Themas (ca. 5–15 min),

  • Zusammenfassung im Hinblick auf die alltagsrelevanten Fakten, die jeder Arzt wissen sollte (ca. 1–2 min).

Manche der Aufnahmen erfolgten unter Mitwirkung von Patienten oder PJ-Studierenden, meist wurden die Videos aber mithilfe von Modellen (z. B. Zystoskopiephantom) oder als Frontalvortrag gestaltet. Das Filmen und die Bearbeitung der Lehrvideos wurde von zwei sehr engagierten studentischen Hilfskräften innerhalb von 3 Wochen realisiert. Die Videos kann man grob in vier Kategorien einordnen: Seminarvideos, Videos zur Vermittlung praktischer Fertigkeiten, OP-Videos und Andere (z. B. Rundgang durch die Klinik). Die Themen der Lehrvideos sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Themen und Inhalt der Lehrvideos und jeweils benutze Hilfsmittel

In den Videos wurden verschiedene Lehrmittel verwendet, um dem Film einen übersichtlichen didaktischen Aufbau zu geben (z. B. Flipcharts mit Mindmaps, anatomische Abbildungen etc.). Des Weiteren wurden Links zu anderen Videos eingefügt (Abb. 1) (z. B. Image- oder Operationsfilmen der Fachgesellschaft). In den Videos zum Erlernen praktischer Fertigkeiten (z. B. Einlegen eines transurethralen Dauerkatheters) wurde ein besonderer Fokus auf die einzelnen Handlungsschritte und das Erkennen von Fallstricken gelegt (Abb. 2).

Insgesamt waren 16 Dozierende und 2 studentische Hilfskräfte an der Umsetzung des virtuellen Praktikumstages beteiligt.

Abb. 1
figure 1

Vorführung vom Aufbau und der Vorbereitung des da Vinci-OP-Roboters

Abb. 2
figure 2

Demonstration der Zystoskopie mit starrem Zystoskop am Modell

Anwesenheits- und Lernerfolgskontrolle

Um eine Leistungs- und Anwesenheitskontrolle zu gewährleisten wurde zu jedem Thema eine Multiple-choice- (MC-)Frage gestellt (insgesamt 12 Fragen). Für die Beantwortung hatte der Studierende einmalig 3 min Zeit. Jede Frage wurde von den Dozenten gemeinsam mit den studentischen Hilfskräften entworfen. Der Inhalt der Frage sowie die dazugehörigen richtigen und falschen Aussagen bezogen sich auf das Video. Es wurde bei der Erstellung darauf geachtet, dass die Fragen praktisch relevante Wissensinhalte abfragen, die ein Arzt jeder Fachrichtung beherrschen sollte.

Die von uns verwendete Plattform bietet die Möglichkeit, ein Zertifikat als Teilnahmebescheinigung zu generieren. Um die Teilnahmebescheinigung herunterladen zu können, mussten folgende Bedingungen erfüllt sein: Jede Testfrage musste beantwortet werden und über alle Testfragen musste ein korrektes Ergebnis von mindestens 60 % erreicht werden. Bei Unterschreiten dieser Grenze war die Möglichkeit eines mündlichen Nachtestats vorhanden.

Zudem mussten die Studierenden im Anschluss an die Lehrvideos eine Online-Evaluation ausfüllen. Nach abgeschlossener Evaluation erhielten die Studierenden in einem Abschlusstext ein Kennwort, das sie zum Erhalt des Zertifikats eingeben mussten. Das automatisch generierte Zertifikat konnten die Studenten anschließend auf der Webseite der Fakultät/des Dekanats (www.meditum.de) hochladen und so, als Alternative zum üblichen Laufzettel, ihre Online-Anwesenheit nachweisen. (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Beispiel für eine Frage, hier zum Thema „Urologische Sonographie“

Fragen und Ergebnisse der Evaluation

Ein Teil der Ergebnisse der Evaluation werden in Abb. 4 dargestellt. Zu der Evaluation ist anzumerken, dass alle Kursteilnehmer an der Evaluation teilgenommen haben. Hierbei handelt es sich um ein erstes Meinungsbild eines Semesters, welches durch weitere Evaluationen zukünftiger Kollektive/Semester von Kursteilnehmern bestätigt werden muss.

Abb. 4
figure 4

Ergebnisse der Evaluation

Auf die Frage, für wie wahrscheinlich es die Teilnehmer halten, dass sie nach Absolvierung des Praktikumstages einen Facharzt für Urologie anstreben, antworteten 35,8 %, dass sie es zumindest in Betracht ziehen. 23,8 % der Studierenden gaben an, dass sie bezüglich der Facharztwahl noch unentschlossen sind. 1,2 % wollten bereits vor Absolvierung des Praktikumstages Urologe werden.

Als Schulnote erhielt der Kurs eine Durchschnittsnote von 1,2 (Note 1: 81,1 %; Note 2: 17,7 %; Note 3: 1,2 %).

In den Freitextantworten erwähnten die Studierenden häufig, dass, sie trotz Wertschätzung des virtuellen Angebotes dieses Format nicht als ebenbürtig zur Präsenzveranstaltung sehen, da die Vermittlung praktischer Tätigkeiten nur durch selbständiges Üben gelingen kann. Manche Studierende hätten sich mehr Informationen zum Berufsbild gewünscht (z. B. Arbeitszeiten, Gehalt etc.). Zahlreiche Studierende gaben an, „Spaß beim Lernen“ und „Lust auf mehr“ gehabt zu haben. Auch wurde mehrfach angeraten, die Videos in Zukunft additiv zum Präsenzpraktikumstag oder in anderer Form anzubieten. Ein paar Zitate:

„Ich war erst enttäuscht über den Ausfall, muss aber sagen, dass mir besonders gefallen hat, die praktischen Tätigkeiten so nah und genau zu sehen. Ich weiß nicht, ob das vor Ort mit vielen Studenten in der Form möglich gewesen wäre.“

„Der PT Urologie war das einzige wirklich sehr gute Ersatzangebot. […] Die Videos waren wirklich super, die Fragen waren nicht zu schwer und alles in allem eine Klasse Alternative. Dass gerade aus der Urologie, als eher kleinerem und unscheinbaren Fach, die super Online-Lehre kommt, hätte ich nicht gedacht. […] Sehr sehr gut!“

Ergebnisse der Anwesenheits- und Lernerfolgskontrolle

Alle 164 Teilnehmer bestanden die Anwesenheits- und Lernerfolgskontrolle (Range 66,67–100 %).

Diskussion

Aufgrund der COVID-19-Pandemie hat sich in kürzester Zeit das Umfeld der universitären Lehre in der Medizin stark verändert, wie auch diverse neuere Publikationen zeigen [3, 6, 8,9,10]. Um diesen neuen Umständen und den Zwängen des Infektionsschutzes gerecht zu werden, hat die Klinik für Urologie der Technischen Universität München einen digitalen Praktikumstag aufgebaut. Dieser Praktikumstag sollte in kurzer Zeit zur Verfügung stehen, dabei praktisch orientiert sein und den Studierenden möglichst umfassenden Einblick in das Fach liefern.

Es wurde innerhalb weniger Wochen eine virtuelle Möglichkeit geschaffen, einen praktisch orientierten Kurs zum Erwerb der ärztlich relevanten Tätigkeiten anzubieten, wodurch die Anforderungen der ÄApprO modifiziert und angepasst an die COVID-19-Situation erfüllt wurden. Durch Videos zu verschiedenen Themen konnte zudem ein umfangreicheres propädeutisches Angebot als im Präsenzpraktikumstag möglich gemacht werden, und damit die Qualität der theoretischen Lehrinhalte gesteigert werden. Die Themen wurden von Dozierenden mit Spezialisierung auf das jeweilige Thema vorgetragen. Auch wenn die Vermittlung praktischer Fertigkeiten ohne Präsenz nur begrenzt möglich ist, konnte dies insgesamt gut vermittelt werden, was auch die Evaluation entsprechend widerspiegelt. Die Kursteilnehmer gaben ein sehr positives Gesamturteil (Schulnote 1,2) ab; insbesondere die Freitextantworten spiegelten dies eindrücklich wider. Das Feedback der Teilnehmer zeigt aber auch, dass eine Präsenzveranstaltung mit praktischem Üben weiterhin gewünscht wird; ein virtueller Ersatz der Praxis ist letztendlich nicht möglich. Dennoch können sich 42,7 % sogar vorstellen diese virtuelle Praktikumstagversion auch zukünftig als Alternative zum regulären praktischen Unterricht zu nutzen. In den Freitextantworten wurde wiederholt angemerkt, das virtuelle Angebot künftig als Erweiterung zum regulären Präsenzunterricht anzubieten.

In der Fachliteratur sind ähnliche Erfahrungen einer virtuellen praktischen Lehre beschrieben. Shih et al. beispielsweise haben, neben Online-Videos zur Beibringung praktischer Tätigkeiten, auch noch Vorbereitungsblätter und eine anschließende einstündige virtuelle Livekonferenz in Kleingruppen abgehalten. Trotz positiver Erfahrungen kommt man sowohl hier, als auch in anderen Fachartikel zum Schluss, dass die virtuelle Lehre die Präsenzveranstaltungen mit praktischem Üben am Patienten nicht ersetzen kann [8, 9]. Auch in vorklinischen Fächern, wie z. B. in der praktischen anatomischen Lehre, wurde auf virtuelle Ersatzangebote wie Videos oder virtuelle Konferenzen zurückgegriffen, mit überwiegend ebenso guten Rückmeldungen [3, 9].

Weiterhin anzumerken ist, dass der virtuelle Praktikumstag zur Nachwuchsgewinnung durchaus beitragen kann: So ziehen 35,8 % der Teilnehmer eine Facharztweiterbildung in der Urologie zumindest in Betracht.

Der virtuelle Praktikumstag wurde sehr gut angenommen und in kürzester Zeit von allen Studierenden erfolgreich absolviert, was durch die Beantwortung von MC-Fragen basierend auf den Inhalten der Videos als formale Anwesenheitskontrolle ermöglicht wurde. Es wird sich zeigen, wie die zukünftige praktische Ausbildung gestaltet werden kann und muss:

Die Vorteile virtueller Lehre liegen insbesondere darin, dass wichtige Lehrinhalte trotz z. B. einer Pandemie kontaktlos, sowie zeitlich und räumlich flexibel vermittelt werden können. Eindeutige Nachteile sind hingegen das nicht selbständige Ausführen und somit begrenzte Erlernen praktischer Tätigkeiten durch die Studierenden und die fehlende wichtige Interaktion zwischen den Studierenden und Dozenten [5]. Da es jedoch bei Praktikumstagen aber in erster Linie darum geht, dass die Studierenden essenzielle praktische Fertigkeiten selbständig in Interaktion mit Dozenten und anderen Studierenden üben bzw. erlernen, sollte ein virtuelles Format als Ersatz hier nicht dauerhaft zum Einsatz kommen, sondern zeitlich begrenzt Anwendung finden und eine Ergänzung (z. B. Vor‑/Nachbereitung) zum ursprünglichen praktischen Unterricht darstellen.

Der virtuelle Praktikumstag wird auch im kommenden Wintersemester 2020/2021 zum Einsatz kommen, da eine praktische Lehre im Rahmen eines von der Universität geplanten Hybridsemesters (Online-Vorlesungen, praktischer Unterricht in Anwesenheit unter Beachtung der Hygienevorgaben) nicht für alle Studierenden angeboten werden kann. Die vorhandenen Personalressourcen sind nicht ausreichend, um den Unterricht in dem Infektionsschutz angemessenen Minigruppen für alle Studierenden durchzuführen. Für urologisch Interessierte wird allerdings ein freiwilliger, aber reduzierter Präsenzpraktikumstag an 2 Tagen pro Monat mit einer Gruppengröße von maximal 5 Studierenden unter Einhaltung der Hygienevorschriften angeboten werden.

Zusammenfassend hat sich eine beeindruckende Beschleunigung der Digitalisierung in der medizinischen Lehre durch die COVID-19-Pandemie in nahezu allen medizinischen Fächern unserer Fakultät entwickelt. Es zeigt sich auch, dass die medizinische Lehre generell flexibel, aber auch mit Einschränkungen auf die COVID-19-Situation reagieren konnte und zukünftig vielleicht auch wieder bei ähnlichen Vorkommnissen reagieren muss. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass bereits im Rahmen der SARS-Pandemie 2002/2003 oder des MERS-Ausbruch 2015 in Südkorea aus den gleichen Gründen wie zu Zeiten von COVID-19 Ersatzangebote für die medizinische Präsenzlehre geschaffen werden mussten, die bereits damals teilweise in virtueller Form umgesetzt wurden [2, 4, 9].

Fazit für die Praxis

  • Mit unserem pragmatischen Vorgehen konnten wir mit Hilfe von studentischen Hilfskräften eine gute virtuelle Alternative für den urologischen Praktikumstag auf die Beine stellen.

  • Dabei haben wir nach einem zuvor ausgearbeiteten Konzept viele kleine virtuelle Unterrichtseinheiten geschaffen.

  • Durch die Verwendung unkomplizierter Tools und Lehrmittel war es möglich, in kurzer Zeit ein kontaktloses Lehrformat anbieten.