Zusammenfassung
Ataxien des Erwachsenenalters sind klinisch und ätiologisch heterogene Erkrankungen, die das Kleinhirn und seine afferenten und efferenten Verbindungen betreffen. Initial besteht meist eine progrediente Stand- und Gangataxie, gefolgt von einer Extremitätenataxie, zerebellärer Dysarthrie und Okulomotorikstörung. Verschiedenste neurologische und nichtneurologische Zusatzsymptome sind möglich. Man unterscheidet hereditäre, erworbene und sporadisch-degenerative Ataxien. Diagnostisch ist eine detaillierte Anamnese und klinische Untersuchung sowie eine kraniale Magnetresonanztomographie essenziell. Oft sind gezielte biochemische und molekulargenetische Tests zur Diagnosestellung erforderlich. Neben rehabilitativen Therapien sind für einige Ataxien auch spezifische medikamentöse Therapien verfügbar. Eine frühzeitige und präzise Diagnose ist wichtig, um unnötige Diagnostik zu vermeiden sowie Patienten und Angehörige zu beraten.
Abstract
Adult-onset ataxias are clinically and etiologically heterogeneous disorders affecting the cerebellum and its afferent and efferent connections. Early symptoms are usually a progressive ataxia of gait and stance, followed by limb ataxia, cerebellar dysarthria and oculomotor disturbances. In addition, various neurological and non-neurological symptoms may occur. Hereditary, acquired, and sporadic degenerative ataxias are distinguished. A detailed medical history and clinical examination as well as cranial magnetic resonance imaging are essential for the diagnostic work-up; however, specific biochemical or genetic tests are often required to make a definitive diagnosis. Besides rehabilitative therapies, specific drugs or dietary recommendations are available for some types of ataxia. An early and precise diagnosis is important to avoid redundant diagnostics and for counselling of patients and their relatives.
Literatur
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H. Jacobi: A. Finanzielle Interessen: Olympia-Morata-Stipendium der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Funktionsoberärztin für Neurologie, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Heidelberg | Mitgliedschaften: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM). M. Minnerop: A. Finanzielle Interessen: Deutsche Forschungsgesellschaft (Personalkosten, Probandengelder etc.). – Erstattung der Reisekosten: Actelion Pharamceuticals Ltd. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Arbeitsgruppenleiterin, Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM-1), Forschungszentrum Jülich; Oberärztin, Fachärztin für Neurologie, Zentrum für Bewegungsstörungen und Neuromodulation, Institut für Klinische Neurowissenschaften und Medizinische Psychologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf | Mitgliedschaften: DGN, Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN), Deutsche Hereditäre Ataxie Gesellschaft (DHAG); (DHAG; medizinischer Beirat).
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Klassische Initialsymptome einer zerebellären Erkrankung sind:
Dysarthrie und Dysphagie
Ophthalmoplegie und Doppelbilder
Dekrement und Verlangsamung im Finger-Tapping
Stand- und Gangataxie
Positiver Romberg- und Unterberger-Tretversuch
Ein 23-jähriger Patient stellt sich bei Ihnen mit zunehmender Gangataxie vor. In der neurologischen Untersuchung finden sich Fixationsgegenrucke. Das kraniale Magnetresonanztomogramm ist unauffällig. Wie gehen Sie bei einer negativen Familienanamnese vor?
Ich verzichte auf eine genetische Untersuchung, da eine früh beginnende hereditäre Ataxie unwahrscheinlich ist.
Ich grenze aufgrund der unauffälligen Bildgebung meine weiteren Überlegungen hinsichtlich der Differenzialdiagnosen auf das Spektrum der Neuropathien ein.
Ich frage und untersuche im Hinblick auf eine mögliche Friedreich-Ataxie gezielt nach Pes cavus und Skoliose.
Ich veranlasse zeitnah eine Liquorpunktion und eine Tumorsuche zum Ausschluss einer Neoplasie.
Ich schließe mit einer Exomsequenzierung mittels „next generation sequencing“ (NGS) alle relevanten genetischen Ursachen aus.
Welche Ataxie ist die häufigste hereditäre Ataxie in Europa?
Spinozerebelläre Ataxie Typ 6 (SCA6)
Friedreich-Ataxie (FRDA)
Ataxie mit primärem Vitamin-E-Mangel (AVED)
Spinozerebelläre Ataxie Typ 1 (SCA1)
Multisystematrophie vom zerebellären Typ (MSA-C)
Eine 18-jähriger Patientin berichtet über wiederkehrende Schwindelattacken verbunden mit Gangunsicherheit und verwaschener Artikulation. Diese treten vermehrt bei Stress und körperlicher Anstrengung auf. Zum Zeitpunkt der Vorstellung ist die neurologische Untersuchung unauffällig. Welche Diagnose ist am wahrscheinlichsten?
Bei unauffälliger neurologischer Untersuchung zwischen den Schwindelattacken ist eher von einer HNO(Hals-Nasen-Ohren)-Ursache (z. B. M. Menière) auszugehen.
Es besteht der Verdacht auf ein zerebelläres-Ataxie-Neuropathie-bilaterales vestibuläres Areflexiesyndrom (CANVAS).
Trotz unauffälligem neurologischem Untersuchungsbefund ist eine Friedreich-Ataxie wahrscheinlich.
Eine episodische Ataxie erscheint wahrscheinlich, eine entsprechende genetische Diagnostik sollte veranlasst werden.
Aufgrund der Auslösefaktoren besteht der dringende Verdacht auf eine nichtorganische Störung.
Was sind Behandlungsoptionen für eine episodische Ataxie?
Belastungserprobungen
Acetazolamid
Vitamin B1
Vitamin E
Kortisonpräparate
Ein 65-jähriger Patient leidet unter einer progredienten Ataxie mit vorherrschendem Aktionstremor und kognitiven Störungen, seine einzige Tochter sei gesund, der Enkel leide an einer Entwicklungsverzögerung. Welche Diagnose ist am wahrscheinlichsten?
Spinozerebelläre Ataxie Typ 6 (SCA6)
Friedreich-Ataxie (FRDA)
Fragiles-X-assoziiertes Tremor-Ataxie-Syndrom (FXTAS)
Multisystematrophie vom zerebellären Typ (MSA-C)
Sporadische Ataxie des Erwachsenenalters unklarer Ätiologie (SAOA)
Was ist ein typischer Phänotyp bei Mutation im RFC1-Gen?
Neuropathie, Fixationsgegenrucke und Skoliose
Spastische Paraparese, sensible Defizite und Harninkontinenz
Zerebelläre Ataxie, Neuropathie und bilaterale vestibuläre Areflexie
Episodische Ataxie, Downbeat-Nystagmus und Kopfschmerzen
Sensible Ataxie, Parkinson-Symptome und autonome Störungen
Ein 60-jähriger Patient stellt sich bei Ihnen mit einem seit 8 Jahren bestehenden, langsam progredienten zerebellären Syndrom vor. Die Familienanamnese ist negativ, die vegetative Anamnese unauffällig. Die neurologische Untersuchung ist bis auf die zerebelläre Symptomatik regelrecht. Das kraniale Magnetresonanztomogramm ist abgesehen von einer isolierten zerebellären Atrophie altersentsprechend, eine wiederholte Tumorsuche war unauffällig. Welche Diagnose ist am wahrscheinlichsten?
Sporadische Ataxie des Erwachsenenalters unklarer Ätiologie (SAOA)
Multisystematrophie vom zerebellären Typ (MSA-C)
Zerebelläres-Ataxie-Neuropathie-vestibuläres Areflexiesyndrom (CANVAS)
Spätmanifestierende Friedreich-Ataxie (FRDA)
Paraneoplastische Kleinhirndegeneration (PCD)
Für welche rehabilitative Therapieverfahren ist eine positive Wirkung bei zerebellären Erkrankungen in Studien nachgewiesen?
Propriozeptive neuromuskuläre Fazilitation
Passive, dehnende physiotherapeutische Verfahren
Aktive physiotherapeutische Verfahren
Manuelle Therapieverfahren
Osteopathische Therapieverfahren
Eine 48-jährige kachektische Patientin berichtet über eine rasch progrediente Gangataxie. Sie berichtet, dass die Symptomatik subakut nach einem Alkoholentzug aufgetreten ist. Welche Diagnostik veranlassen Sie?
Genetische Beratung inklusive „whole exome sequencing“.
Tumorsuche mit Computertomographie des Thorax/Abdomens
Parameter des Kupferstoffwechsels im Serum und im Urin
Autonome Testungen
Dopamintransporterszintigraphie
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Jacobi, H., Minnerop, M. Ataxien des Erwachsenenalters. Nervenarzt 92, 379–389 (2021). https://doi.org/10.1007/s00115-021-01099-9
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