Die Kenntnis nichtmotorischer Symptome bei Patienten mit Dystonie, deren Erhebung und Behandlung im klinischen Alltag sind wichtig, da diese neben den motorischen Beschwerden einen relevanten Einfluss auf die Lebensqualität haben. Der Dystonia Non-Motor Symptoms Questionnaire als einfacher und schnell durch die Patienten selbst auszufüllender Fragebogen erfasst 7 verschiedene Domänen (Schlaf, autonome Symptome, Fatigue, emotionales Wohlbefinden, Stigma, Aktivitäten des täglichen Lebens, sensorische Symptome) und kann zum Erreichen eines ganzheitlichen und erfolgreichen Behandlungskonzeptes bei Patienten mit Dystonie beitragen.

Hintergrund und Fragestellung

Dystonien gehören zu den häufigsten Bewegungsstörungen. Hierbei stellt die zervikale Dystonie zum einen die häufigste Form der fokalen Dystonien dar und ist mit einer Manifestation im höheren Erwachsenenalter um die 5. Lebensdekade insbesondere bei weiblichen Patienten die am häufigsten zu behandelnde Dystonie der Erwachsenenneurologie [1,2,3]. Neben den offensichtlichen motorischen Beschwerden bei Patienten mit Dystonien sind in den letzten Jahren vermehrt die nichtmotorischen Symptome (NMS) in den Fokus der Wissenschaft gerückt. Mit der zervikalen Dystonie assoziierte Schmerzen, psychopathologische Begleitsymptome, Schlafstörungen sowie Alltagseinschränkungen wurden in diesem Kontext beschrieben [4,5,6,7,8]. Bisherige Untersuchungen unterscheiden sich deutlich in der Häufigkeit der verschiedenen NMS. Auch ist ein ganzheitliches Bild der NMS bei Patienten mit zervikaler Dystonie nicht bekannt. Ein relevanter Grund hierfür ist, dass es keinen Fragebogen zur Erfassung von NMS bei Patienten mit Dystonie bzw. bestimmten Dystonieformen gibt. Nichtmotorische Symptome werden teilweise im Rahmen validierter motorischer Beurteilungsskalen wie z. B. Schmerz im TWSTRS Teil 3 mit erfasst [9]. Der Kraniozervikale Dystonie Fragebogen (CDQ-24; [10]) erfasst krankheitsspezifisch für Patienten mit kraniozervikaler Dystonie ausgewählte NMS wie Stigma, emotionales Wohlbefinden und Schmerz zur Abschätzung der Lebensqualität, aber ein ganzheitliches NMS-Bild entsteht nicht. Auch ist die notwendige Zeitdauer zum Ausfüllen des CDQ-24 in Bezug auf die Möglichkeiten im klinischen Alltag relativ lang. Einen Screeningfragebogen zur krankheits- sowie symptomspezifischen Erfassung nichtmotorischer Beschwerden bei Patienten mit kraniozervikaler Dystonie, welcher in den klinischen Alltag effizient und mit Erhalt valider Ergebnisse integriert werden kann, gibt es bisher nicht. Diese Lücke soll durch den Dystonia Non-Motor Symptoms Questionnaire (DNMSQuest) geschlossen werden.

Von anderen neurologischen Bewegungsstörungen, wie dem idiopathischen Parkinson-Syndrom, ist die Wichtigkeit von NMS, insbesondere auch im Hinblick auf den relevanten Einfluss auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität gut bekannt [11, 12]. Somit ist ein Fragebogen wie der DNMSQuest zur Erhebung von NMS bei Patienten mit Dystonie sowohl für die alltägliche Betreuung dieser Patienten zum Erkennen und entsprechenden individuellen Behandeln der krankheitsspezifischen Symptome als auch aufgrund der Einflüsse dieser krankheitsspezifischen Symptome auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität sowie für eine Verbesserung des wissenschaftlichen Verständnisses dieser Erkrankung von Bedeutung. Der DNMSQuest kann dazu beitragen, die Häufigkeit von NMS sowie deren Auswirkungen auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei Patienten mit kraniozervikaler Dystonie zu untersuchen, um diese im klinischen Alltag effizienter diagnostizieren und behandeln zu können.

Methoden

Die interkulturell adaptierte Version des DNMSQuest in deutscher Sprache basiert auf den etablierten und anerkannten internationalen Standards zum Vorgehen der interkulturellen Adaptation selbst auszufüllender Patientenfragebögen [13, 14]. Zunächst erfolgte die Übersetzung der englischen Originalfassung durch zwei bilinguale Neurologen mit Schwerpunkt im Bereich der Bewegungsstörungen (HR, AS) getrennt und unabhängig voneinander ins Deutsche. Durch einen weiteren Neurologen (LK) wurden die beiden Fassungen abgeglichen und eine von beiden Übersetzern akzeptierte Konsensusfassung erstellt. Diese vorläufige Fassung der deutschen Übersetzung wurde bei 10 Patienten mit zervikaler Dystonie im Rahmen der Dystonie-Sprechstunde in der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Universitätsklinikums Dresden eingesetzt und mit den entsprechenden Patienten über die Verständlichkeit des Erklärungstextes sowie der Fragen und mögliche Missverständnisse beraten (LK). Rückmeldungen von Patienten wurden in der dann ersten deutschen Fassung berücksichtigt. Diese Konsensusfassung wurde anschließend von zwei anderen bilingualen Neurologen mit Schwerpunkt im Bereich der Bewegungsstörungen (PO, WJ) getrennt und unabhängig voneinander ins Englische als Originalsprache zurückübersetzt und hieraus wurde wiederum eine englische Konsensusfassung erstellt (LK). Diese englische Konsensusfassung wurde von einem weiteren Neurologen mit Schwerpunkt im Bereich der Bewegungsstörungen (KRC), welcher maßgebend an der Entwicklung der englischen Originalfassung des DNMSQuest beteiligt war [15,16,17], mit der englischen Originalfassung abgeglichen. Hier erfolgte insbesondere die Prüfung auf relevante sprachliche und inhaltliche Abweichungen der Fragebögen voneinander. Anschließend erfolgte eine entsprechende finale Anpassung der deutschen Version, sodass sie im Konsens aller Übersetzer sprachlich akzeptabel und in der Rückübersetzung ins Englische eindeutig war. Es resultierte der endgültige adaptierte DNMSQuest in deutscher Sprache (Abb. 1).

Abb. 1
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Der Dystonia Non-Motor Symptoms Questionnaire (DNMSQuest) in deutscher Sprache zur Erhebung nichtmotorischer Symptome bei Patienten mit kraniozervikaler Dystonie

Diese finale deutsche Version des DNMSQuest wurde im Rahmen der international durchgeführten multizentrischen Validierungsstudie des DNMSQuest in englischer sowie deutscher Sprache [18] in den deutschen Studienzentren (Klinik und Poliklinik für Neurologie der Technischen Universität Dresden, Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität Rostock, Klinik für Neurologie des Klinikums Chemnitz) genutzt. Das entsprechende Studienprotokoll wurde durch die zuständigen Ethikkommissionen geprüft und genehmigt (Dresden and Chemnitz: EK60022015, Rostock: A2016-0159). Hier wurden 130 Patienten mit zervikaler Dystonie sowie 48 gesunde Kontrollpersonen mit der deutschen Version des DNMSQuest untersucht; entsprechende Einverständniserklärungen der Studienteilnehmer lagen vor.

Ergebnisse

Die Testung des DNMSQuest an Patienten mit zervikaler Dystonie im Rahmen der interkulturellen Adaptation sowie die entsprechenden Übersetzungen (Konsensusbildung einer ersten deutschen Version und deren Rückübersetzung ins Englische) zeigten keine relevanten Verständnisschwierigkeiten bzw. sprachliche Unterschiede im Erklärungstext des Fragebogens.

Bei 7 der 14 Fragen ergaben sich Abweichungen im Vergleich zwischen den beiden deutschen Übersetzungen der englischen Originalversion des DNMSQuest. Hierbei handelte es sich vor allem um sprachliche Formulierungsunterschiede wie z. B. Frage 2 „Probleme ein- oder durchzuschlafen“ bzw. „Ein- oder Durchschlafprobleme“, Frage 3 „Benommenheit“ bzw. „Kopfleere“, Frage 4 „Energiemangel“ bzw. „Energielosigkeit“, Frage 5 „ohne erkennbaren Grund“ bzw. „unbegründet“ sowie „ängstlich“ bzw. „verängstigt“, Frage 6 „deprimiert“ bzw. „depressiv“, Frage 14 „Gleichgewichtsprobleme“ bzw. „Gangunsicherheit“. Auch bei der Rückübersetzung der ersten deutschen Konsensusfassung ins Englische stellten sich bei 5 der 14 Fragen sprachliche Formulierungsunterschiede dar, wie z. B. Frage 1 „not recovered“ bzw. „unrested“, Frage 2 „staying asleep“ bzw. „sleeping though till morning“, Frage 3 „vertigo“ bzw. „dizziness“, Frage 7 „suffer from a loss of self-confidence“ bzw. „lack self-confidence“. Bei Abgleich der englischen Konsensusfassung mit der englischen Originalfassung durch KRC, der maßgeblich an der Entwicklung der englischen Originalversion des DNMSQuest beteiligt war, ergaben sich keine inhaltlichen Abweichungen.

Die so entwickelte finale Fassung des interkulturell adaptierten DNMSQuest in deutscher Sprache ist in Abb. 1 dargestellt. Weder bei der ersten Anwendung dieser deutschen Konsensusvariante bei einer kleinen Gruppe von Patienten mit zervikaler Dystonie noch im Rahmen der anschließend erfolgten breiten Anwendung zur Validierung des DNMSQuest und auch im Rahmen der bereits weitergeführten Anwendung in der klinischen Routine der Dystonie-Sprechstunden ergaben sich Hinweise für systematische Verständnisschwierigkeiten oder Missverständnisse von Seiten der Patienten und der gesunden Kontrollpersonen. Weiterhin zeigte sich eine hohe Akzeptanz und Bereitschaft, den Fragebogen bereits im Rahmen der Wartezeit auf den Sprechstundentermin auszufüllen.

Diskussion

Die Erstellung der deutschen Fassung des DNMSQuest erfolgte entsprechend den internationalen Vorgaben zur interkulturell adaptierten Übersetzung patientenbezogener Fragebögen [13, 14]. Diese deutsche Version wurde im Rahmen der international erfolgten multizentrischen Validierungsstudie des DNMSQuest in den deutschen Studienzentren genutzt [18]. Die entsprechenden klinimetrischen Eigenschaften des DNMSQuest sind in der Validierungsstudie dargestellt [18]. Hier konnte gezeigt werden, dass der DNMSQuest ein valides, robustes und gut reproduzierbares Instrument mit angemessenen klinimetrischen Werten zur Erfassung von NMS bei Patienten mit zervikaler Dystonie ist.

Der DNMSQuest ist ein vom Patienten selbst auszufüllender Fragebogen (Dauer ca. 5 min), der in 14 binären „Ja/Nein“-Fragen nichtmotorische Symptome, die innerhalb der letzten vier Wochen aufgetreten sind, erfragt. Die 14 Fragen können auf 7 Domänen aufgeteilt werden: Schlaf (2 Fragen, Frage 1 und 2), autonome Symptome (1 Frage, Frage 3), Fatigue (1 Frage, Frage 4), emotionales Wohlbefinden (3 Fragen, Frage 5, 6, 8), Stigma (1 Frage, Frage 7), Aktivitäten des täglichen Lebens (4 Fragen, Frage 9, 11, 12, 14), sensorische Symptome (2 Fragen, Frage 10, 13). Die Gesamtpunkzahl (minimal 0 Punkte bis maximal 14 Punkte) ergibt sich durch Summieren der „Ja“-Antworten, wobei eine höhere Gesamtpunktzahl dementsprechend eine größere Anzahl an NMS bedeutet. Ein Nachweis von 5 NMS wurde als relevante Belastung eingeordnet [18].

Da es sich beim DNMSQuest um einen Screeningfragebogen mit rein qualitativen Fragen zu einzelnen NMS zur schnellen Erfassung im klinischen Alltag handelt, ist keine Abschätzung über die Häufigkeit des Auftretens und die jeweilige Schwere der NMS möglich. Die hohe Validität des DNMSQuest, die gute Akzeptanz bei Patienten mit zervikaler Dystonie sowie der geringe Zeitaufwand zum Ausfüllen des DNMSQuest durch die Patienten sowie auch für die Auswertung durch den Arzt ermöglichen jedoch eine sinnvolle Anwendung zum Screening auf die meisten NMS in der klinischen Praxis. Eine nähere Einordnung und die Einschätzung der Therapiebedürftigkeit der NMS sollten anschließend fokussiert und individuell im Arztgespräch erfolgen. Neben der klinisch praktischen Anwendung besteht mit dem DNMSQuest nun erstmalig auch ein Fragebogen, welcher zwar nur quantitativ, aber ganzheitlich wichtige NMS bei Patienten mit kraniozervikaler Dystonie erfasst und hiermit auch zur Anwendung für klinische Studien geeignet ist. Aktuell verfügbare Dystoniebeurteilungsskalen fokussieren sich vorwiegend auf die motorische Symptomschwere der verschiedenen anatomisch betroffenen Körperregionen sowie entsprechende Provokationsfaktoren und die Dauer der Dystonie (TWSTRS, Unified Dystonia Rating Scale) [9, 19]. Einzelne NMS wie z. B. Schmerz werden sehr detailliert abgefragt (TWSTRS Teil III; [9]) oder auch der Effekt auf die Alltagsaktivitäten [9] oder die gesundheitsbezogene Lebensqualität [10]. Ein umfassendes, in den klinischen Alltag einfach integrierbares, rein auf nichtmotorische Symptome bei Dystonie bezogenes Messinstrument gibt es allerdings nicht [20]. Der DNMSQuest kann somit diese aktuell bestehende Lücke eines validierten, krankheitsspezifischen, durch die Patienten selbst auszufüllenden, kurzen, umfassenden und in den klinischen Alltag einfach zu integrierenden Fragebogen zur Erhebung nichtmotorischer Symptome bei Dystonie schließen. Für die klinische Praxis ist dies insbesondere relevant, da die Bewertung nichtmotorischer wie auch motorischer Symptome individuell bei jedem Dystoniepatienten zum Erreichen eines ganzheitlichen und erfolgreichen Therapiekonzeptes empfohlen wird [21]. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die zervikale Dystonie einen vergleichbaren negativen Effekt auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität wie andere chronische neurologische Erkrankungen, z. B. die Multiple Sklerose, die Parkinson-Erkrankung oder der Schlaganfall, hat [22, 23]. NMS spielen hier eine entscheidende Rolle [22, 24, 25]. Bei der Parkinson-Erkrankung hat sich bereits gezeigt, dass die Erfassung von NMS neben den obligaten motorischen Symptomen zu Vorteilen für die Patienten führt. Zum einen durch das Schaffen von Bewusstsein und Wissen über diesen Teil der Erkrankung sowohl bei den Patienten als auch bei den behandelnden Ärzten, zum anderen durch eine spezifische Behandlung bzw. Verlaufskontrolle der individuellen Beschwerden mit positiven Effekten auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität [12, 26].

Ein validierter Fragebogen in deutscher Sprache zur schnellen und einfachen Erfassung und Bewertung von NMS bei Patienten mit kraniozervikaler Dystonie liegt nun mit dem DNMSQuest vor. Natürlich wird der DNMSQuest als rein quantitativer Fragebogen nicht allen Ansprüchen bezogen auf die Komplexität von NMS bei Dystonie gerecht. Er stellt aber einen entscheidenden Baustein dar, um über mehr Bewusstsein und Wissen sowohl klinisch als auch wissenschaftlich ein besseres Verständnis mit positiven Effekten in der Versorgung von Patienten mit zervikaler Dystonie zu erreichen.

Fazit für die Praxis

  • Der Dystonia Non-Motor Symptoms Questionnaire (DNMSQuest) ist der erste spezifische, umfassende Fragebogen zur Erhebung nichtmotorischer Symptome bei Patienten mit kraniozervikaler Dystonie.

  • Er kann durch die Patienten selbstständig innerhalb von ca. 5 min im Rahmen der Wartezeit auf den Sprechstundentermin ausgefüllt werden.

  • Die 14 binären „Ja/Nein“-Fragen geben dem Arzt Auskunft über 7 verschiedene nichtmotorische Symptomdomänen (Schlaf, autonome Symptome, Fatigue, emotionales Wohlbefinden, Stigma, Aktivitäten des täglichen Lebens/Alltagskompetenz, sensorische Symptome).

  • Der DNMSQuest ist valide, robust sowie einfach in den klinischen Alltag zu integrieren.

  • Der DNMSQuest empfiehlt sich für die klinische Praxis sowie zur Anwendung in klinischen Studien.

  • Die sprachlich validierte deutsche Fassung wird in dieser Arbeit vorgestellt.