Zusammenfassung
Drei österreichische Neurologen, die Bezüge zur Neurologie im Nationalsozialismus aufweisen, sind von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) bzw. ihren Vorläuferorganisationen mit einer Ehrenmitgliedschaft gewürdigt worden. Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) stand von 1928 bis 1934 dem Österreichischen Bund für Volksaufartung und Erbkunde vor und befürwortete in mindestens zwei Publikationen grundsätzlich eugenische Maßnahmen und rassenhygienische Positionen im Sinne der NS-Ideologie. Als früheres Mitglied der Großdeutschen Volkspartei stellte er wenige Monate vor seinem Tod einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP. Walther Birkmayer (1910–1996) war früh Mitglied von NSDAP, SA, SS und anderen NS-Organisationen. Als überzeugter Anhänger der „Bewegung“ wirkte er ab 1938 im Rassenpolitischen Amt der Gauleitung Wien. In Vorträgen und Veröffentlichungen forderte bzw. empfahl er die Zwangssterilisation für eine Reihe neurologischer Krankheiten. Infolge der Einstufung seiner Großmutter als „nichtarisch“ musste er Parteiämter und Hochschulposition aufgeben und diente als Arzt bei der Wehrmacht. Nach schwierigen Nachkriegsjahren konnte er seine Karriere fortsetzen. Als Mitentdecker der Wirkung des L‑Dopa bei Parkinsonismus wurden ihm zahlreiche Ehrendoktorate und Ehrenmitgliedschaften verliehen. Franz Seitelberger (1916–2007), während der NS-Zeit Mitglied einer SS-Einheit, profitierte bei seinen Forschungen ab den 1950er-Jahren von Präparaten, die im Zuge der neuropathologischen „Begleitforschung“ zur NS-„Euthanasie“ entstanden. Es ist sehr zu begrüßen, dass die Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) demnächst ein historisches Projekt beginnen wird, das offenen Fragen im Zusammenhang mit der NS-Zeit nachgeht.
Abstract
There were three Austrian neurologists with connections to neurology in National Socialism who have been honored by the German Neurological Society (DGN) or its predecessor organizations with honorary membership. From 1928 to 1934 Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) was head of the Austrian Alliance for National Regeneration and the Study of Heredity; in at least two publications he advocated eugenic measures and racial hygienic positions as defined by Nazi ideology. As a former member of the Greater German People’s Party (Großdeutsche Volkspartei), he applied for membership of the National Socialist German Workers’ Party (NSDAP) a few months before his death. Walther Birkmayer (1910–1996) was an early member of the NSDAP, SA, SS and other Nazi organizations. As a staunch supporter of the “movement” he worked from 1938 in the Office of Racial Policy of the Gauleitung of Vienna. In lectures and publications he demanded or recommended forced sterilization for a number of neurological diseases. Due to the classification of his grandmother as “non-Aryan”, he had to give up his party and university posts and served as a Wehrmacht physician. After some hard years immediately after the war, he was allowed to continue his career. As a co-discoverer of the effect of L‑DOPA on parkinsonism, he was awarded numerous honorary doctorates and honorary memberships. Franz Seitelberger (1916–2007), a member of an SS unit during the Nazi era, benefited in his research work from the 1950s onwards from specimens obtained in the course of neuropathological “concomitant research” to Nazi “euthanasia”. It is to be welcomed that the Austrian Society of Neurology (ÖGN) will soon start a historical project investigating open questions related to the Nazi era.
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Martin, M., Fangerau, H. & Karenberg, A. Österreichische Neurologen unter dem Hakenkreuz: Julius Wagner-Jauregg – Walther Birkmayer – Franz Seitelberger. Nervenarzt 91 (Suppl 1), 100–108 (2020). https://doi.org/10.1007/s00115-019-00848-1
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-019-00848-1
Schlüsselwörter
- Medizin im Nationalsozialismus
- Geschichte der Euthanasie
- Geschichte der Eugenik
- Österreichische Gesellschaft für Neurologie
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie