Zusammenfassung
Fragestellung
Diese Studie untersucht, ob in Kliniken aus der Sicht von Ärzten/Psychologen und Pflegekräften implizite Rationierung stattfindet.
Methoden
Von Oktober 2013 bis Mitte 2014 wurde in 8 strukturell unterschiedlichen psychiatrischen Kliniken eine schriftliche standardisierte Befragung aller in den Kliniken beschäftigten Ärzte/Psychologen (auswertbare Fragebögen = 255) und Pflegekräfte (auswertbare Fragebögen = 796) durchgeführt.
Ergebnisse
Von 11 notwendigen Tätigkeiten wurden besonders 4, nämlich die Kommunikation/Interaktion mit Patienten und ihren Angehörigen, die Abstimmung der Behandlung mit anderen Fachkräften und eine adäquate Dokumentation der Behandlung, von 42–59 % der befragten Ärzte/Psychologen nicht erbracht bzw. implizit rationiert. Eine multivariate Analyse identifizierte einen hohen „case load“, ein schlechtes Verhältnis zu Vorgesetzten und eine insgesamt hohe Arbeitsbelastung als signifikante Bedingungen für häufig implizite Rationierung.
Diskussion
Die für die wirksame Behandlung psychisch kranker Menschen besonders notwendige starke Patientenorientierung und die enge interdisziplinäre Kooperation mit anderen Berufsgruppen werden durch die implizite Rationierung gefährdet.
Abstract
Objective
This study examined whether and in which services in psychiatric institutions implicit rationing takes place from the perspective of doctors and nurses.
Methods
From October 2013 to the middle of 2014 we conducted a written and standardized survey among physicians/psychologists (n = 256) and nurses (n = 796) from eight psychiatric hospitals in Germany.
Results
Out of 11 clinical activities 4 judged as necessary, namely communication and interaction with patients and relatives, coordination of treatment with other professionals and adequate documentation of the treatment, were not carried out sufficiently or implicitly rationed by 42–59% of the surveyed physicians/psychologists. Multivariate analysis identified a higher case load, poor relationships with superiors and an overall heavy workload as significant predictors of implicit rationing.
Discussion
The services which are particularly necessary for an effective treatment of mentally ill people, i.e. strong patient orientation and close cooperation with other professionals are jeopardized by the implicit rationing.
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Förderung
Das Projekt wurde von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.
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Interessenkonflikt
B. Braun erhält Forschungsgelder von einer Arbeitsgemeinschaft psychiatrischer Kliniken mit Modellvorhaben nach § 64b SGB V; P. Brückner-Bozetti; P. Brückner-Bozetti ist Geschäftsführer des Forums für Gesundheitswirtschaft, das Forschungsgelder von der Hans-Böckler Stiftung bezieht sowie von psychiatrischen Einrichtungen, die weitere Forschungsaktivitäten für das Forum finanziell unterstützen. Weiterhin ist er Geschäftsführer des BAB Institut für betriebswirtschaftliche und arbeitsorientierte, das als Beratungsunternehmen in Krankenhausunternehmen tätig ist; M. Lingenfelder erhält Forschungsgelder vom Forum für Gesundheitswirtschaft gGmbH in Bremen, der ADDZ e. V. und von akutstationären Einrichtungen sowie dem Leistungserbringerverband enterale Ernährung e. V. und von Herstellern der Medikal-Industrie; T. Steinert ist Mitglied der DGPPN und erhält Forschungsgelder von verschiedenen öffentlichen Institutionen sowie vom Forum für Gesundheitswirtschaft in Bremen; C. Uhlmann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Braun, B., Brückner-Bozetti, P., Lingenfelder, M. et al. Rationierung in der stationären psychiatrischen Versorgung. Nervenarzt 88, 1020–1025 (2017). https://doi.org/10.1007/s00115-017-0297-z
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