Während seit den 1970er-Jahren enorme Fortschritte bezüglich des Verständnisses der Biologie von Tumorzellen und der Behandelbarkeit von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter erzielt werden konnten, hat die Suche nach ihren Ursachen im selben Zeitraum wenig klare Erkenntnisse zutage gefördert – für die meisten Krebsarten bei Kindern und Jugendlichen bleiben die Auslöser und Risikofaktoren weitestgehend unbekannt. Eine aktuelle Ausnahme stellt die Identifizierung von konstitutionellen Chromosomenanomalien sowie pathogenen Keimbahnvarianten und Polymorphismen meist in oder in der Nähe von Krebsveranlagungsgenen dar, die bei Kindern und Jugendlichen zu einem erhöhten Krebsrisiko führen.

Hintergrund

Bei einer zugrunde liegenden durchschnittlichen Bevölkerung von etwa 13,3 Mio. Kindern und Jugendlichen im Alter unter 18 Jahren im Zeitraum von 2009 bis 2018 in Deutschland wurden dem Deutschen Kinderkrebsregister in Mainz in den letzten Jahren ca. 2200 inzidente Krebserkrankungen jährlich für diese Altersgruppe gemeldet [1]. Krebs im Kindes- und Jugendalter ist somit selten – die altersstandardisierte Inzidenz beträgt ca. 170/1.000.000 und Jahr, was ungefähr einem von 6000 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren entspricht [1]. Das Risiko, dass ein einzelnes Kind bzw. einzelner Jugendlicher zwischen der Geburt und dem 18. Lebensjahr an Krebs erkrankt, beträgt etwa 1:330. Häufigste Diagnosen sind Leukämien (ca. 30 %), Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS; ca. 24 %), Lymphome (ca. 15 %), Weichteilsarkome und periphere Nervenzelltumoren (je ca. 6 %), Knochen‑, Nieren- (je ca. 5 %) und Keimzelltumoren (ca. 4 %). Dank der Weiterentwicklung effizienter Diagnostik und Therapieansätze im Rahmen kooperativer, multizentrischer klinischer Studien der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH) überleben heutzutage mehr als 85 % der Patienten ihre Krebserkrankung [1, 2]. Den Eltern, Familien und Patienten kann die Frage nach den Ursachen der Krebserkrankung in den allermeisten Fällen noch immer nicht beantwortet werden. Es wird in der Pathogenese der Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen von einem Zusammenspiel endogener und exogener Faktoren auf verschiedenen Ebenen ausgegangen (Abb. 1). In diesem Beitrag wird der aktuelle wissenschaftliche Kenntnisstand hierzu zusammengefasst. Weiterhin wird darlegt, wie stetig wachsendes Wissen in diesem Bereich zukünftige Präventions‑, Diagnose- und Therapiestrategien beeinflussen könnte.

Abb. 1
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Multiple Faktoren interagieren auf verschiedenen Ebenen in der Pathogenese von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter. (Adaptiert nach Anderson et al. [30])

Exogene Risikofaktoren

Ionisierende Strahlung

Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass ionisierende Strahlung in hoher Dosis das Risiko für Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter erhöht [3,4,5]. In der letzten Dekade wurden zudem wiederholt auch moderater ausgeprägte Zusammenhänge zwischen verhältnismäßig geringen Strahlendosen in der radiologischen Medizin (CT-Untersuchungen) und Krebserkrankungen, v. a. Hirntumoren, im Kindes- und Jugendalter aufgezeigt [6, 7].

Vorausgegangene Chemotherapie

Ein weiterer akzeptierter exogener Risikofaktor für eine Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter ist eine vorherige Chemotherapie mit genotoxischen Substanzen, insbesondere die Exposition gegenüber Alkylanzien und Topoisomerase-II-Hemmern, die zu myelodyplastischen Syndromen und akuten myeloischen Leukämien führen kann [5, 8].

Weitere Faktoren

Für viele andere exogene Risikofaktoren wie beispielsweise Luftverschmutzung, Pestizide, Lösungsmittel oder andere Chemikalien gibt es zwar vereinzelte Hinweise auf Zusammenhänge mit entsprechender Exposition und Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Die vermittelten Effektgrößen sind jedoch häufig eher schwach und/oder konnten vielfach nicht unabhängig und einheitlich in weiteren Studien bestätigt werden [9,10,11]. Aufgrund der inkonsistenten Evidenz gelten diese Risikofaktoren daher nicht als vollends akzeptiert.

Exkurs: Design von Studien zu Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

Da Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter, wie oben bereits beschrieben, selten sind, wurden die meisten epidemiologischen Untersuchungen zu Risikofaktoren im Rahmen von Fall-Kontroll-Studien durchgeführt. In solchen Studien werden Merkmale von Patienten (Fälle) mit jenen sorgfältig ausgewählter krankheitsfreier Individuen (Kontrollen) verglichen. Häufig ist man bei dieser retrospektiven Art der Analyse auf die Befragung und Erinnerung der Eltern angewiesen. Wenn es z. B. darum geht, die Exposition gegenüber Pestiziden oder Luftverschmutzung zu erfassen oder die Ernährungsgewohnheiten, Medikamenten- oder Genussmittelexposition der Eltern vor der Kinderkrebsdiagnose abzuschätzen, kann die rückblickende Wahrnehmung zwischen Fällen und Kontrollen häufig unterschiedlich gut ausgeprägt sein. Dieses Phänomen macht retrospektive Studien u. a. anfälliger für Verzerrungen (Bias) in der Erhebung von Information, was bei der Interpretation von Ergebnissen berücksichtigt werden muss.

Aktuell können <10 % der Kinderkrebserkrankungen ätiologisch durch exogene Faktoren erklärt werden

Wichtig ist daher, Studienergebnisse immer im Kontext des Studiendesigns zu beurteilen (Potenzial für Bias; [11]). Insgesamt können aktuell nur wenige Kinderkrebserkrankungen (<10 %) ätiologisch durch exogene Faktoren erklärt werden – entweder sind die Zahlen der Exponierten bei starken Risikofaktoren klein oder die Effekte schwächerer Risikofaktoren nur marginal wirksam. Letztendliche Aufklärung für beobachtete, aber bislang nicht allgemein akzeptierte exogene Risikofaktoren könnten qualitativ hochwertige prospektive Studien mit präziser Expositionsabschätzung erbringen, die gleichzeitig auch die molekulare Heterogenität der spezifischen Krebserkrankungen berücksichtigen sollten. Solche Studien sind aufgrund der geringen Fallzahl von Krebserkrankungen im Kindesalter nur unter hohem Zeitaufwand durchzuführen und mit enormen Kostenanstrengungen verbunden. Gleichförmige Beobachtungen in mehreren unabhängigen Studien können die Bedeutung eines Risikofaktors unterstützen. Für diagnostische Entitäten, in denen mehrere unabhängige Studien zu bestimmten Risikofaktoren durchgeführt wurden, kann die Zusammenführung der Daten in einer Metaanalyse für die Risikoabschätzung hilfreich sein. Solche Untersuchungen wurden insbesondere bei der akuten lymphoblastischen Leukämie (ALL), der häufigsten Krebserkrankung bei Kindern und Jugendlichen, durchgeführt und beschreiben z. B. Risikoerhöhungen mit häuslicher oder mütterlicher Pestizidexposition oder Risikoerniedrigungen durch Stillen oder den Besuch von Betreuungseinrichtungen für Kinder [10,11,12,13,14]. Es bleibt bei der Beurteilung der Metaanalysen zu bedenken, dass das Problem einer exakten Erfassung der der Erkrankung vorausgehenden Exposition durch die Zusammenführung mehrerer retrospektiver Studien nicht adressiert wird.

Infektiologische Faktoren

Den wohl am intensivsten beforschten und diskutierten Zusammenhang von exogener Exposition mit Entstehung einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter stellt die Beziehung zwischen infektiologischen Faktoren und ALL dar. Die Hypothese, dass das Risiko für eine Leukämie durch infektiologische Trigger-Faktoren moduliert werden könnte, formulierte der britische Arzt Gordon Ward bereits 1917 [15]. Seither hat eine Reihe von Studien untersucht, ob häufige Infektionen in frühen Lebensjahren oder Faktoren, die stellvertretend für die Exposition gegenüber Infektionen stehen (z. B. Besuch einer Betreuungseinrichtung für Kinder, Zusammenleben mit Geschwistern), mit dem Risiko für eine ALL zusammenhängen. Hierbei ist in verschiedenen Studien – wohlgemerkt nicht allen – beobachtet worden, dass Kinder, die eine ALL entwickeln, seltener früh in Betreuungseinrichtung gegangen sind als Kinder, die die Krankheit nicht entwickeln [14]. Dazu passend wurde in einigen Studien beobachtet, dass Kinder mit älteren Geschwistern seltener an ALL erkranken – ebenfalls bekommen Kinder, die mindestens ein halbes Jahr gestillt wurden, mit geringerer Wahrscheinlichkeit eine ALL [11, 13]. Aus den epidemiologischen Studien der vergangenen Jahrzehnte sind letztlich zwei prominente Hypothesen hervorgegangen: 1) Kinlens Hypothese besagt, dass Leukämie im Kindesalter durch eine oder mehrere Virusinfektionen verursacht wird, deren Übertragung durch Bevölkerungsmischung gefördert wird, da in einer solchen Konstellation infizierte und anfällige Personen einen erhöhten Kontaktgrad hätten [16]. 2) Greaves dagegen postuliert, dass eine verzögerte Exposition gegenüber häufigen Infektionen in sehr frühen Lebensjahren zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Leukämie bei Kindern führt, insbesondere für die B‑Zell-Vorläufer-ALL zwischen 2 und 5 Jahren (Altersgipfel; [17, 18]). Beide Hypothesen stimmen mit der Annahme überein, dass die ALL des Kindes- und Jugendalters durch eine abnorme Immunantwort auf Infektionen verursacht werden kann. Erhellend im Zusammenhang der auf epidemiologischen Daten basierenden Infektionshypothesen sind aktuelle Studienergebnisse von Kollegen aus Düsseldorf und Salamanca. In aufwendigen Untersuchungen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass Mäuse mit einer genetischen Prädisposition gegenüber ALL nur dann eine Leukämie entwickelten, wenn sie nach der Geburt herkömmlichen Infektionserregern ausgesetzt waren [19]. Im Gegensatz dazu blieben genetisch prädisponierte Tiere, die in einer keimfreien Umgebung lebten, dauerhaft gesund. Die Studie demonstriert eindrücklich das Zusammenspiel zwischen genetischer Prädisposition und exogenen Einflüssen. Für die Zukunft können sicher weitere Erkenntnisse darüber erwartet werden, wie exogene Risikofaktoren mit endogenen Gegebenheiten interagieren. Für mehr Klarheit bezüglich der Bedeutung exogener Risikofaktoren für die Entstehung von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter ist es notwendig, wie oben bereits angedeutet, dass die molekulare und biologische Heterogenität der einzelnen diagnostischen Entitäten, die in der Klinik bereits seit längerer Zeit z. B. für die Therapiestratifizierung genutzt wird, auch in epidemiologischen Studien differenzierter einbezogen würde (s. Beitrag von Cario et al. in diesem Heft)

Endogene Risikofaktoren

Geburtsgewicht

Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter weisen konsistente, aber eher schwach ausgeprägte Assoziationen zum Geburtsgewicht auf, die unabhängig von möglicherweise verzerrenden Einflussgrößen sind (z. B. Gestationsalter, Geburtsreihenfolge, Geschwisterzahl, Alter der Mutter, [20]). Ein mit steigendem Geburtsgewicht steigendes Erkrankungsrisiko ist z. B. für ALL, Lymphome, Neuroblastome, Weichteilsarkome oder Keimzelltumoren beobachtet worden – für weitere Entitäten wie ZNS-Tumoren oder AML wurden nichtlineare Beziehungen aufgezeigt. Auch wenn die in Studien beobachten Risiken nicht mit starken Effektgrößen verbunden waren, legen sie doch eine Bedeutung der intrauterinen Wachstumsregulation für die Ätiologie der Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter nahe. Auch ein höheres Alter der Mutter findet mittlerweile Akzeptanz als Risikofaktor [11].

Geschlecht

Ein weiterer bedeutender Faktor, der konsistent mit dem Risiko einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter in Zusammenhang gebracht wurde, ist das Geschlecht. Betrachtet man die Gesamtheit aller Krebserkrankungen bis zum 18. Lebensjahr, findet sich das männliche Geschlecht in jeder Altersgruppe häufiger betroffen als das weibliche [1]. Das Verhältnis männlich zu weiblich variiert jedoch erheblich je nach Altersgruppe und spezifischer Tumorentität. Es reicht z. B. bis annähernd 6,0 beim Burkitt-Lymphom, beträgt für die meisten Entitäten jedoch zwischen 1,0 und 1,5. Nur bei einigen wenigen Diagnosen überwiegt das weibliche Geschlecht (z. B. Nephroblastom, Leberkarzinome, einige Untergruppen der Keimzelltumoren).

Alter

Neben dem Geschlecht ist auch das Alter mit dem Risiko von Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen verbunden [1]. Die Gesamtinzidenz ist im Säuglingsalter am höchsten (ca. 26/100.000 und Jahr), sinkt dann mit fallender Inzidenz der embryonalen Tumoren (Neuro‑, Nephro‑, Hepato‑, Retinoblastom) langsam ab, ist im letzten Viertel der ersten Lebensdekade am niedrigsten, um im Pubertätsalter wieder anzusteigen. Ein kontinuierlicher Anstieg erst ab Beginn der Pubertät ist eindrucksvoll bei Betrachtung der Inzidenzen der Knochensarkome nachzuvollziehen [1]. Bemerkenswert ist weiterhin der Altersgipfel der ALL zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr, der durch das Auftreten der B‑Zell-Vorläufer-ALL-Untergruppe mit Positivität für das ETV6-RUNX1-Fusionsgen bedingt und deutlich ausgeprägter in hochentwickelten Ländern zu beobachten ist [21].

Ethnizität

Letztlich spielt auch die Ethnizität eine Rolle in der Ausprägung von Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Hier gibt es eindrückliche Beispiele aus den USA: Dort treten Ewing-Sarkome in der afroamerikanischen und asiatischen Bevölkerungsgruppe im Vergleich zu Weißen deutlich seltener auf [22].

Krebsprädispositionssyndrome

Monogene Krebsprädispositionssyndrome (Tab. 1) liegen bei etwa 10 % aller Kinder mit Krebserkrankungen vor [23,24,25]. Das Krebsspektrum und -risiko in verschiedenen Lebensphasen bei Patienten mit Krebsprädispositionssyndromen ist für viele Erkrankungen noch unklar. Daher sind Beobachtungsstudien, die den Verlauf und die Genotyp-Phänotyp-Korrelation der diversen Syndrome über einen langen Zeitraum hinweg untersuchen, von großer Bedeutung. Gegenüber Krebs prädisponierende Varianten im Erbgut stören vielfältige biologische Funktionen wie etwa DNA-Reparatur, Transkription, Telomerbiologie, Mitochondrienaktivität und vieles mehr. Bei wenigen der zu Krebs prädisponierenden Genen handelt es sich um dominant vererbte Onkogene, bei denen nur ein Allel betroffen ist (z. B. Keimbahnvarianten in ALK, KIT, PDGFRA, MET, RET, HRAS, PTPN11). Die meisten der zu Krebs prädisponierenden Gene agieren als Tumorsuppressorgene, und es liegt in den Neoplasien meist eine biallelische Inaktivierung der jeweiligen Gene vor.

Bei Krebsprädispositionssyndromen liegt meist eine biallelische Inaktivierung von Tumorsuppressorgenen vor

Diese Syndrome können entweder dominant, rezessiv oder X‑chromosomal vererbt werden. Bei den dominanten Syndromen wird häufig das verbleibende Wildtypallel in den Tumoren somatisch inaktiviert (z. B. bei der Neurofibromatose Typ 1). In seltenen Fällen reicht die Inaktivierung eines Allels zur Tumorentwickung aus (sog. Haploinsuffizienz, z. B. DICER1-Syndrom). Bei den rezessiven Syndromen sind beide Allele in der Keimbahn mutiert (z. B. bei der Fanconi-Anämie). Einige Gene agieren sowohl in dominanter als auch rezessiver Art und Weise, wie z. B. BRCA1 (rezessiv: Fanconi-Anämie, dominant: hereditäre Mamma- und Ovarialkarzinome) oder PMS2 (rezessiv: konstitutioneller Mismatch-Reparatur-Defekt, dominant: Lynch-Syndrom). Daneben können auch konstitutionelle Chromosomenanomalien (z. B. Trisomie 21) und epigenetische Veränderungen (z. B. Beckwith-Wiedemann-Syndrom) zu einer Tumorprädisposition führen. Eine weitere genetisch verstandene Erkrankungsgruppe mit einem häufig erhöhten Krebsrisiko stellen Syndrome mit Mosaikvarianten in Krebsprädispositionsgenen dar [24]. Die Gewebe, die diese Varianten tragen, können sich durch überschießendes Wachstum auszeichnen.

Wenngleich es natürlich Ausnahmen gibt, weisen viele Patienten mit klassischen Krebsprädispositionerkrankungen typischerweise Merkmale auf, die auch für den allgemein betreuenden Kinderarzt bedeutsam sind: a) allgemeine Hinweise auf eine Erberkrankung (z. B. Café-au-lait-Flecken, kardiale Vitien); b) familiäre Krebshäufung; c) ein ungewöhnlich frühes Auftreten von adulten Krebsarten (z. B. Karzinome); d) multiple Neoplasien in einer Person oder multifokales Auftreten einer Neoplasie; e) ungewöhnliche/seltene histologische Merkmale (z. B. pleuropulmonales Blastom, Sertoli-Leydig-Zell-Tumor); f) ungewöhnlich starke Therapietoxizität im Rahmen der Standardbehandlung einer Krebserkrankung. Kongenitale Anomalien wurden auch in epidemiologischen Studien verlässlich als Risikofaktor für eine Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter identifiziert [12, 24].

Tab. 1 Genetisch determinierte für Krebs im Kindes- und Jugendalter prädisponierende Syndrome

Zusammenwirken multipler Risikoallele

Wenngleich vererbte Krebsrisikoallele eine bedeutende Rolle spielen, liegen den meisten Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter keine monogenen Prädispositionen zugrunde. Gewöhnlicher ist das Zusammenwirken multipler häufigerer und schwächerer Risikoallele in einer Art polygenem System. Erst seit etwas mehr als 10 Jahren ist die Wissenschaft in der Lage, unter vertretbaren Kosten im Rahmen von sog. genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) häufige niedrigpenetrante Risikoallele sicher zu identifizieren [26, 27]. In diesen Untersuchungen wird die Ausprägung einer großen Zahl von über das gesamte Erbgut verteilten Einzelnukleotidvarianten („single-nucleotide variants“, SNV) zwischen mehreren Hundert Patienten mit entsprechend vielen Kontrollpersonen verglichen. Aufgrund der multiplen Testungen werden nur solche SNV als erkrankungsrelevant angesehen, die insgesamt die sog. genomweite Signifikanzgrenze unterschreiten (p < 5 • 10−8). Bisher wurden GWAS für verschiedene Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter durchgeführt. Mit Abstand die meisten davon bei der ALL, aber z. B. auch für das Neuroblastom, das Nephroblastom, das Osteosarkom oder das Ewing-Sarkom (Tab. 2; [23, 26, 27]).

Die in den GWAS identifizierten Risikogene kodieren in aller Regel für Proteine, die ihre Funktion in biologisch plausiblen Signalwegen besitzen – so beispielsweise Regulatoren der Hämatopoese im Fall der ALL. Obwohl jedes einzelne Risikoallel das Krebsrisiko vergleichsweise gering erhöht, können mehrere Allele gemeinsam eine stärkere für Krebs prädisponierende Wirkung haben. Momentan ist wahrscheinlich nur ein geringer Anteil der existierenden Risikoallele bekannt. Um mit ausreichender statistischer Aussagekraft weiter voranzuschreiten, sind zukünftig größere Studien sowie Metaanalysen unter Einbezug mehrerer internationaler Kohorten erforderlich. Über GWAS identifizierte Risikoallele finden sich in den verschiedenen ethnischen Gruppen teilweise mit unterschiedlicher Häufigkeit. So wurde z. B. das mit der ALL verbundene niedrig-penetrante häufige Risikoallel des ARID5B-Gens bei 47 % der hispanischen Bevölkerungsgruppe aufgefunden, aber nur bei 33 % der Weißen und 18 % der Afroamerikaner [28]. Ebenso findet sich eine Variante auf dem langen Arm von Chromosom 10, die mit der Pathogenese des Ewing-Sarkoms verbunden ist, im Vergleich zu Asiaten und Afroamerikanern deutlich häufiger bei Weißen [29]. Diese Beobachtungen liefern somit einen Erklärungsansatz, warum einige Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in den unterschiedlichen ethnischen Gruppen mit unterschiedlicher Häufigkeit auftreten.

Tab. 2 Chromosomale Lokalisation häufiger genetischer Varianten, die mit dem Krebsrisiko im Kindes- und Jugendalter im Rahmen von genomweiten Assoziationsstudien beschrieben wurden

Ausblick

In den kommenden Jahren werden, getrieben durch wachsende internationale Kooperationen, gepaart mit ständig leistungsfähiger und kostengünstiger werdenden Analysetechniken, immer tiefere Einblicke in die Genetik von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter gewonnen werden. Das Arbeitsfeld genetische Prädisposition wird somit weiter in den Vordergrund rücken und erfordert zunehmende thematische Auseinandersetzung. Technische und medizinische Fortschritte müssen hierbei immer von einer Diskussion auf ethischer, kultureller und psychosozialer Ebene begleitet werden, um tragfähige Konzepte für die Herangehensweise im klinischen Alltag zu entwickeln, die bei den unterschiedlichen möglichweise betroffenen Patienten und ihren Familien positive Annahme finden.

Nach Diagnose eines Krebsprädispositionssyndroms kann es je nach Art der Erkrankung und bei einem deutlich erhöhten Krebsrisiko sinnvoll sein, primärpräventive Maßnahmen und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen zu initiieren. Bei Vorliegen einer manifesten Krebserkrankung ist zu prüfen, ob die Therapie aufgrund der zugrunde liegenden prädisponierenden Erkrankung modifiziert werden sollte. Inzwischen gibt es in Einzelfällen sogar spezielle Protokolle, wie etwa für Leukämiepatienten mit Down-Syndrom. Eine weitergehende stärkere Individualisierung der Krebstherapie abhängig von der zugrunde liegenden Krebsprädispositionserkrankung ist für die Zukunft zu erwarten. Bei Übersehen der Grunderkrankung eines Krebsprädispositionssyndroms kann dem Patienten durch Fehltherapie bzw. Übertherapie evtl. Schaden zugefügt werden.

Eine stärkere Individualisierung der Krebstherapie ist für die Zukunft zu erwarten

Es ist zu erwarten, dass Patienten mit einigen der bekannten Krebsprädispositionssyndrome zeitnah auch von den aktuellen Forschungsaktivitäten im Bereich der hämatopoetischen Stammzelltransplantation, der Immuntherapie, der Gentherapie sowie der Entwicklung neuer Medikamente profitieren werden. Ferner ist es eine positive Entwicklung, dass Patienten mit seltenen Syndromen zunehmend in speziellen Studien registriert werden. Das Bündeln der Erfahrung, das durch solche Aktivitäten gefördert wird, hebt – ganz nach dem Vorbild der Behandlung der Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen seit den 1970er-Jahren – die Qualität der Krankenversorgung und die Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit.

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Fazit für die Praxis

  • Krebsursachen im Kindes- und Jugendalter sind weitestgehend unbekannt. Akzeptierte Risikofaktoren sind Strahlenexposition, Chemotherapie, höheres Geburtsgewicht, höheres Alter der Mutter, Geschlecht und Vorhandensein angeborener Anomalien.

  • Ergebnisse genetischer Forschung insbesondere der letzten 10 Jahre unterstreichen die Bedeutung hereditärer Komponenten in der Entstehung von Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

  • Viele Patienten mit Krebsprädispositionerkrankungen weisen für die Diagnosefindung hilfreiche Merkmale auf: a) allgemeine Hinweise auf eine Erberkrankung (z. B. Café-au-lait-Flecken, kardiale Vitien); b) familiäre Krebshäufung; c) ein frühes Auftreten von adulten Krebsarten (z. B. Karzinome); d) multiple Neoplasien in einer Person oder deren multifokales Auftreten; e) ungewöhnliche/seltene Histologien; f) starke Toxizität bei Standardtherapie einer Krebserkrankung.

  • Nach Diagnose eines Krebsprädispositionssyndroms kann es bei einem deutlich erhöhten Krebsrisiko sinnvoll sein, präventive Maßnahmen und Krebsfrüherkennungsuntersuchungen zu initiieren.

  • Krebsprädispositionsregister besitzen das Potenzial, die Qualität der Krankenversorgung und das langfristige Überleben mit einer Krebserkrankung weiter zu verbessern.