Die Anästhesie bei Kindern hat in den letzten Jahrzehnten, wie viele andere Fachgebiete der Medizin auch, erhebliche Fortschritte gemacht. Das Vorgehen ist sehr viel kinderfreundlicher und sicherer geworden:

  • Operationen finden häufig ambulant statt, sodass das Kind schnell wieder in seine vertraute häusliche Umgebung zurückkehren kann.

  • Auf Laboruntersuchungen wird, soweit wie möglich, verzichtet.

  • Die Prämedikation wird, sofern sie überhaupt noch gegeben wird, meist oral, rektal oder nasal appliziert.

  • Nüchternzeiten werden durch die Aufnahme klarer Flüssigkeiten bis eine Stunde vor Narkose und die zügige postoperative Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme möglichst kurz gehalten.

  • Die Narkose wird häufig in Anwesenheit der Eltern eingeleitet.

  • Um den Injektionsschmerz zu vermeiden, wird meist eine lokalanästhesiehaltige Creme aufgetragen (topische Applikation einer „eutectic mixture of local anesthetics“, EMLA).

  • Die Narkose wird, wann immer es geht, i.v. eingeleitet.

  • Die Atemwege werden, wann immer es geht, mithilfe der Larynxmaske geschützt, um die empfindliche Trachea des Kindes zu schonen.

  • Häufig wird die Narkose auch i.v. weitergeführt, um die postoperative Phase ruhig zu gestalten und dem postoperativen Erbrechen vorzubeugen.

  • Die postoperative Schmerztherapie ist durch regionalanästhesiologische Maßnahmen wie z. B. Plexusanästhesien oder Kaudal- bzw. Periduralanästhesien, aber auch durch die Lokalanästhesie im Wundgebiet stark optimiert worden. Dort, wo es nicht geht, kommt die patienten- oder elterngesteuerte i.v.-Schmerztherapie (patientenkontrollierte Analgesie, PCA) mit Piritramid oder Morphin zum Einsatz.

Die Kinderanästhesie ist aber nicht nur kinder- und elternfreundlicher, sie ist auch sehr viel sicherer geworden. Dazu haben neben dem verfeinerten Monitoring die zahlreichen Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Kinderanästhesie beigetragen. Diese ersetzen zwar keine praktischen Erfahrungen, führen aber doch zu einem umfangreichen Gedankenaustausch, der dann zu Hause Schritt für Schritt in eine bessere Versorgung der Kinder umgesetzt werden kann.

Die verbesserte anästhesiologische Versorgung der Kinder zeigt sich zum einen in einer sehr niedrigen Komplikationsrate. So kam es in einer Untersuchung von 78.219 Kindernarkosen im Olgahospital in Stuttgart von Januar 2006 bis Dezember 2014 zu keinem Todesfall und zu einer im Literaturvergleich sehr geringen Komplikationsrate [1]. Sie zeigt sich zum anderen bei Umfragen, wie sie im eigenen Hause jährlich durchgeführt werden, in einer sehr positiven Beurteilung des Anästhesieverlaufs durch die Eltern, was überraschend ist, wenn man die häufig gereizte Stimmung bedenkt, die heute im OP angesichts überbordender OP-Programme herrscht. Was vor allem von Eltern und Kindern hochgeschätzt wird, sind heute die niedrige Erbrechensrate mit einer Inzidenz unter 10 % und die sehr engagierte Schmerztherapie.

Die Sicherheit der modernen Kinderanästhesie und ihre positive Beurteilung durch die betroffenen Eltern und Kinder sollten Anlass geben, gerade auch in Kinderkliniken zu diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen Narkosen anzubieten. Bei diagnostischen Maßnahmen in der Magnetresonanztomographie (MRT) ist ein ruhig im Tomographen liegendes Kind eine Conditio sine qua non für eine präzise Diagnostik; hier geht gerade beim Säugling und Kleinkind kein Weg an einer Sedierung oder Narkose vorbei. Es wäre fatal, wenn wegen Bewegungsartefakten eine falsche Diagnose gestellt würde oder das Ausmaß einer Erkrankung nicht erkannt werden könnte. Auch die endoskopischen Maßnahmen (Gastroskopie und Kolonoskopie) können bei Kindern nur mithilfe einer Sedierung oder Narkose atraumatisch durchgeführt werden, selbstredend auch die Broncho- und Tracheoskopie nur in Narkose.

Bei den diagnostischen und therapeutischen Punktionen in der Onkologie sowie in der Rheumatologie muss es eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Kinder zu diesem Prozedere eine Sedierung oder Narkose erhalten, um einem Psychotrauma besonders wegen der Vielzahl der Punktionen vorzubeugen.

Moderne Kinderanästhesie muss durch die Einrichtung von Kinderanästhesieabteilungen zugänglich gemacht werden

Die vorliegende Ausgabe der Monatsschrift Kinderheilkunde widmet sich dankenswerterweise dem Thema „Kinderanästhesie“. In vier Beiträgen werden aktuelle Standards der Kinderanästhesie von namhaften Autorinnen und Autoren dargestellt. Der Beitrag von Becke-Jakob gibt einen umfassenden Überblick zum aktuellen Stand der präoperativen Vorbereitung von Kindern und Jugendlichen. Anschließend berichtet Sümpelmann über den Fortschritt und die Entwicklung moderner Narkosekonzepte in der Kinderanästhesie. Die Autoren Reuß und Schramm beschreiben Grundzüge der Schmerztherapie nach Operationen und in der kinderärztlichen Praxis. Im vierten Beitrag dieses Leitthemas informieren Kretz, Badelt und Röher über Möglichkeiten der Sedierung oder Narkose bei der Durchführung diagnostischer Maßnahmen wie Endoskopie oder MRT-Untersuchungen.

Bedauerlicherweise konnte sich die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) noch nicht zu einer Spezialisierung „Kinderanästhesie“ durchringen. Zwei Initiativen des Arbeitskreises Kinderanästhesie scheiterten in der Vergangenheit an erheblichen Widerständen in der DGAI. Es ist schade und ernüchternd, dass jetzt wahrscheinlich über Elternverbände von Kindern mit Fehlbildungen, wie z. B. Ösophagusatresie, Druck auf die Kliniken ausgeübt wird, eine Kinderanästhesie einzurichten, wenn dort weiterhin noch Kinder mit diesen Fehlbildungen versorgt werden sollen. Es wäre schön, wenn das vorliegende Themenheft sensibilisiert und insgesamt die Diskussion für eine bessere Versorgung von Kindern unterstützt.

Prof. Dr. F.-J. Kretz

Prof. Dr. F. Zepp