Anamnese

In der Kindernotfallambulanz wird im März 2020 ein 10 Wochen alter männlicher Säugling vorgestellt. Seit dem Morgen bestehe Fieber mit maximalem Anstieg auf 38,7 °C im Tagesverlauf. Das Trinkverhalten sei leicht reduziert, zudem habe er vermehrt gespuckt. Weitere Symptome seien nicht aufgefallen.

Vor 2 Wochen erfolgte die Vorstellung beim Kinderarzt wegen Husten, der vor 5 Tagen endete.

Es bestand 13 Tage vor Aufnahme körperlicher Kontakt zu einer Person, die wenige Tage später positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurde. Zum Zeitpunkt des Kontakts war die Kontaktperson bereits symptomatisch (Husten), deshalb sei beim Kontakt ein Mund-Nase-Schutz getragen worden.

Die Mutter des Patienten habe 6 Tage vor Erkrankungsbeginn des Säuglings über einen Tag Gliederschmerzen (insbesondere der linken unteren Extremität) verspürt; Fieber, Husten oder weitere Symptome werden verneint. Der mit im Haushalt lebende Vater sei bislang gesund. Weiterer Außenkontakt des Säuglings habe aufgrund der Ausgangsbeschränkungen, die streng eingehalten worden seien, nicht bestanden.

Die Schwangerschaft sei unauffällig verlaufen: Geburt per geplanter Sectio, kein vorzeitiger Blasensprung, Gruppe-B-Streptokokken-Status unbekannt aufgrund der geplanten Sectio. Bei milder Anpassungsstörung habe der Junge für 2 h Sauerstoffvorlage erhalten.

Des Weiteren sind bisher keine Vorerkrankungen oder Allergien bekannt; eine Dauermedikation besteht nicht.

Klinischer Befund

Bei Vorstellung in der Kindernotfallambulanz präsentierte sich der Säugling akut septisch wirkend in reduziertem Allgemeinzustand mit generalisiert-marmorierter Haut und stöhnend.

Folgende Befunde wurden erhoben: Rekapillarisierungszeit auf 3 s erhöht, leichte Tachykardie, Fontanelle im Niveau, kein eindeutiger Hinweis auf eine Meningitis. Der Säugling war wach und schnullerte bei insgesamt jedoch leicht reduziertem Tonus. Pulmonal zeigten sich eine Eupnoe, ein seitengleiches, vesikuläres Atemgeräusch ohne Rasselgeräusche oder Obstruktion, sodass sich bei Aufnahme kein respiratorischer Infektionsfokus ergab. Pulsoxymetrisch fanden sich stets Sauerstoffsättigungen >94 %. Abdomen und HNO-Bereich zeigten ebenfalls keine Auffälligkeiten.

Temperatur 38,6 °C, Herzfrequenz 150 bpm, Gewicht 6155 g (81. Perzentile), Körperlänge 59 cm (50. Perzentile), Kopfumfang 45,9 cm (40. Perzentile), Blutdruck 87/42 mm Hg.

Diagnose

Aufgrund des klinisch septischen Krankheitsbildes wurde sofort mit der weiteren Diagnostik begonnen. In der Blutuntersuchung ergaben sich laborchemisch keine Hinweise auf eine akute bakterielle Infektion bei normwertigem C‑reaktiven Protein (CRP 0,11 mg/dl), Interleukin‑6 (8,2 pg/ml) und leicht erhöhtem Prokalzitonin (0,12 µg/l). Im Blutbild fand sich ein Bild am ehesten viraler Genese mit normwertigen Leukozyten und einer Monozytose (Tab. 1). Weitere Routinelaborwerte, inklusive einer Blutgasanalyse, zeigten sich unauffällig. Antigenschnelltests („Enzyme-linked immunosorbent assay“, ELISA) für RSV („Respiratory syncytial virus“) und Influenza A/B waren negativ.

Tab. 1 Ausgewählte Laborwerte

Therapie und Verlauf

Bei klinisch hochgradigem Verdacht auf eine Sepsis wurde trotz des laborchemisch viralen Bildes sofort mit einer gewichtsadaptierten intravenösen (i.v.) antibiotischen Therapie mit Ampicillin und Cefotaxim begonnen. Zudem wurden eine symptomatische unterstützende Therapie mit großzügiger Volumengabe (10 ml/kgKG und h) und Antipyrese durchgeführt. Darunter besserte sich der Allgemeinzustand innerhalb weniger Stunden.

Aufgrund des SARS-CoV-2-Kontakts, des Fiebers und des Ausschlusses einer Influenza- und RSV-Infektion wurde der Patient gleichzeitig als SARS-CoV-2-Verdachtsfall behandelt.

Wegen des initial schlechten klinischen Zustands wurde zur Fokussuche ebenfalls Urin (unauffällig) und Liquor (Zellzahl und Eiweiß unauffällig) gewonnen, auf ein Röntgenbild des Thorax jedoch bei fehlender pulmonaler Symptomatik am Aufnahmetag zunächst verzichtet.

Am 1. stationären Tag kam es bereits zu einer anhaltenden Entfieberung und Besserung des klinischen Zustands mit normalisierter Rekapillarisierungszeit und rosigem Hautkolorit. Die antibiotische Therapie wurde bis zum Erhalt der Blutkultur- und ausstehender Liquorergebnisse über 2 Tage fortgesetzt und schließlich bei negativen Ergebnissen beendet.

Am 2. stationären Tag ergab sich ein positiver SARS-CoV-2-Nachweis mittels PCR (Polymerase-Kettenreaktion) eines tiefen Rachenabstrichs. Weitere Untersuchungen im Verlauf (Liquorkultur, Blutkultur, Liquor-Virus-Nachweise von Herpes-simplex-Virus und Varicella-zoster-Virus) blieben ergebnislos, sodass die Akutsymptomatik im Rahmen einer Verschlechterung der SARS-CoV-2--Infektion interpretiert wurde. Ein im Verlauf angefertigtes Röntgenbild des Thorax zeigte keine der in der Literatur beschriebenen Auffälligkeiten, sondern allenfalls minimale perihiläre Verdichtungen (Abb. 1). Auf eine Computertomographie des Thorax wurde aufgrund des jungen Alters und der rasch rückläufigen Symptomatik verzichtet.

Abb. 1
figure 1

Röntgenbild des Thorax (Bettaufnahme im Liegen am 2. stationären Tag)

Am 3. stationären Tag konnte der Säugling in gutem Allgemeinzustand und asymptomatisch nach Hause entlassen werden. Auch in den folgenden Tagen kam es zu Hause zu keiner weiteren Verschlechterung.

Drei Tage nach der Entlassung wurde die virologische Liquordiagnostik eines Referenzlabors nachgereicht, bei der sich ein positiver SARS-CoV-2-Nachweis fand.

Eine Multiplex-PCR-Untersuchung von Rachensekret auf DNA bzw. RNA von Influenza A und B, RSV, Adenovirus, Bocavirus, Coronavirus, Enterovirus, Metapneumovirus, Parainfluenzaviren 1–4, Parechovirus und Rhinovirus zeigte keine weiteren Infektionen außer der bereits bekannten SARS-CoV-2-Infektion.

Diskussion

Es ist bekannt, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 bei Kindern meist eine milde Infektion insbesondere der oberen Atemwege hervorruft; viele bleiben asymptomatisch. Noch fehlen flächendeckende Daten zu Symptomatik und Gefährdung von Neugeborenen und Säuglingen, was die klinische Praxis oft erschwert. Bei Säuglingen scheinen inapparente Infektionen jedoch seltener als bei älteren Kindern zu sein. Die SARS-CoV-2-Infektion manifestiert sich bei jungen Patienten außerdem in vielfältigen Symptomen (pulmonal, gastrointestinal bis zu schweren Störungen des Allgemeinzustands) [1].

In einem 7‑wöchigen deutschlandweiten Survey der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) wurden Daten von 128 an COVID-19 erkrankten Kindern aus 66 Kliniken bis zum 04.05.2020 erfasst [2]. Trotz der insgesamt niedrigen Fallzahl umfasst die Beteiligung unter Einbezug der aktiven Meldungen von 85 Kinderkliniken ohne Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion fast 50 % der deutschen Kinderkliniken und gibt somit einen guten Eindruck über die aktuelle Lage in Deutschland. Von den hospitalisierten Kindern waren 37 % Säuglinge und Neugeborene, die damit die größte Gruppe ausmachten. Eine altersabhängige Aufgliederung der Symptomatik wird im Survey nicht gezeigt, insgesamt herrschen jedoch Fieber, Allgemeinsymptome und Atemwegsinfektionen vor, während nur bei 8 % eine Sepsis, ein sepsisähnliches Krankheitsbild, eine Enzephalitis oder ein akutes Atemnotsyndrom (ARDS) angegeben wurden. Eine kleinere chinesische Fallstudie zu 9 hospitalisierten Säuglingen zeigte ein vorwiegendes Auftreten respiratorischer Infektionszeichen [3].

Bereits in der bislang größten chinesischen Fallstudie an 2143 pädiatrischen Patienten war aufgefallen, dass unter den schweren und kritischen Verläufen über 50 % auf die Altersgruppe der unter Einjährigen entfallen, was Vorsicht bei einer möglichen SARS-CoV-2-Infektion des Säuglings nahelegt [4]. Dieses erhöhte Risiko für einen schweren Verlauf im Säuglingsalter wird durch einen weiteren Fallbericht unterstützt: In China erkrankte ein 55 Tage alter weiblicher Säugling schwer an einer COVID-19-Pneumonie [5]. Nach initial normwertigen Vitalparametern zeigte sie im Verlauf neben Husten, Dyspnoe und leichter Tachykardie auch Anzeichen einer Leber- und Myokardverletzung, die jedoch ebenso wie die respiratorische Symptomatik im Verlauf reversibel waren.

Hier wird ein sehr junger Säugling mit klinischen Symptomen einer Sepsis präsentiert, die sich am Ende jedoch als SARS-CoV-2-Infektion mit subakutem Verfall und schneller Besserung herausstellte. Bei den bisher in Deutschland beobachteten Patienten waren klinische Zeichen einer Sepsis nur in Einzelfällen zu beobachten [2], weltweit gibt es jedoch vereinzelt ähnliche Berichte. Der Fall eines 15 Tage alten Säuglings mit SARS-CoV-2-Infektion, der sich mit klinischen Anzeichen einer Sepsis vorstellte, unauffällige Blutwerte zeigte und eine schnelle Besserung unter symptomatischer, antibiotischer und antiviraler Therapie erfuhr, zeigt Parallelen zu dem hier vorgestellten Patienten [6].

Unklar bleibt in beiden Fällen, was zur raschen Besserung der Symptomatik und des Allgemeinzustands führte. Die unterstützende Volumengabe und Antipyrese hatten sicherlich ihre Berechtigung, insbesondere wenn man von einer ausgedehnten systemischen Infektion ausgeht; ob die i.v.-antibiotische Therapie ebenfalls zur raschen klinischen Besserung beitrug, bleibt unbekannt und ist im Hinblick auf ähnliche Fallberichte mit leicht erhöhtem Prokalzitonin zu diskutieren. Erhöhtes Prokalzitonin wurde in einer kleinen Kohorte bei bis zu 80 % der pädiatrischen Patienten – im Gegensatz zu erwachsenen Patienten – beschrieben. Eine bakterielle Koinfektion konnte in derselben Studie immerhin bei 40 % der Patienten nachgewiesen werden, sodass auch hier schon eine routinemäßige antibiotische Begleittherapie bei erhöhten bakteriellen Infektionsparametern, insbesondere Prokalzitonin, diskutiert wurde [7].

Bei dem vorgestellten Patienten gelang auch im Liquor ein positiver SARS-CoV-2-Nachweis. Dies ist nach unserem Wissensstand aktuell deutschlandweit der erste beschriebene Fall eines pädiatrischen Patienten mit positivem Liquorbefund. Der erste SARS-CoV-2-Nachweis bei einem Erwachsenen gelang Anfang März 2020 im Beijing Ditan Hospital (China) per Genomsequenzierung [8]. Bei diesem Patienten stand jedoch eine Enzephalitis mit zentralnervösen Symptomen im Vordergrund – im Gegensatz zu dem Säugling, bei dem sämtliche initialen Liquorergebnisse (Zellzahl, Lactat, Eiweiß, Glucose; Tab. 1) unauffällig waren und erst später der Virusnachweis im Liquor gelang. Somit interpretieren wir die Ergebnisse des Patienten als ausgedehnte systemische sepsisartige Infektion ohne Begleitenzephalitis oder -meningitis. Diese systemische Infektion könnte auch als Erklärung für den akut septischen Eindruck bei Vorstellung dienen. Sepsisartige Krankheitsbilder und zentralnervöse Infektions-Symptome bei Säuglingen kennt man bereits von anderen Viren, z. B. Enteroviren und Parechoviren. In einer retrospektiven Testung von 716 Liquorproben wurde bei 33 Kindern (davon 97 % < 2 Jahren) eine Infektion mit humanen Parechoviren festgestellt, wovon 54 % ein sepsisartiges klinisches Bild zeigten [9].

In Bezug auf SARS-CoV‑2 wird derzeit auch eine virale Sepsis bei schweren Fällen diskutiert. Dieser Pathomechanismus geht von einer unkontrollierten Infektion durch einen Zytokinsturm im Sinne der Aktivierung des Immunsystems und einer daraus resultierenden mikrozirkulären Dysfunktion aus, die im Falle einer disseminierten SARS-CoV-2-Infektion verschiedene Organe direkt angreifen könnte [10].

Von anderen humanen Coronaviren sind ebenfalls Invasionen ins ZNS (zentrale Nervensystem) und daraus resultierende Infektionen und Symptome bekannt [11]. Zu diskutieren ist im Hinblick auf weitere ähnliche pädiatrische Fälle sicherlich, wann und warum es jedoch zu einer begleitenden Meningitis oder Enzephalitis kommen kann, und inwiefern dann eine Störung der Blut-Hirn-Schranke durch SARS-CoV‑2 selbst oder eine mögliche Koinfektion vorliegt. In dem vorgestellten Fall wurde in der Multiplex-PCR vom Rachensekret keine weitere virale Infektion gefunden. Ausschließen kann man eine Schädigung der Blut-Hirn-Schranke durch ein weiteres Pathogen oder den zuvor beschriebenen Mechanismus der viralen Sepsis jedoch nicht. Ausgehend von einer SARS-CoV-2-induzierten sepsisartigen Erkrankung viraler Genese scheint die rasche klinische Besserung am ehesten auf die Volumengabe und symptomatische Therapie zurückzuführen zu sein.

Die uneindeutige Klinik und die lange Inkubationszeit von 13 Tagen dürfen insgesamt nicht darüber hinwegtäuschen, dass dennoch eine SARS-CoV-2-Infektion vorliegen kann. Eine lange Inkubationszeit ist generell möglich, wenn auch selten – die mittlere Inkubationszeit liegt bei 3 bis 7 Tagen [12]. Hier ist davon auszugehen, dass aufgrund der streng eingehaltenen Ausgangsbeschränkungen, bei denen der Säugling ausschließlich Kontakt zu seinen Eltern hatte, tatsächlich der SARS-CoV-2-Kontakt 13 Tage zuvor zur Ansteckung führte. Eine SARS-CoV-2-Testung der Eltern blieb bislang aus. Aufgrund der Anamnese galt der Vater jedoch als asymptomatisch und die Mutter als fraglich symptomatisch aufgrund der eintägigen Gliederschmerzen. Auch wenn im Kindesalter schwerwiegende Verläufe selten sind, kann einem septischen Krankheitsbild dennoch eine SARS-CoV-2-Infektion zugrunde liegen – auch wenn, wie in diesem Fall, der SARS-CoV-2-Kontakt bereits lange zurückliegt und das nähere Umgebungsfeld keine oder nur leichte Symptome zeigt.

Alle pädiatrischen Patienten mit respiratorischer Symptomatik oder Infektionsverdacht sollten daher derzeit unabhängig des Alters und Kontakts mit einer SARS-CoV-2-infizierten Person auf SARS-CoV‑2 untersucht und als Verdachtsfälle gewertet werden. Eine systemische SARS-CoV-2-Infektion kann sich insbesondere im Säuglings- und Kindesalter atypisch oder mit Anzeichen einer Sepsis sowie in Form eines infektiösen ZNS-Geschehens zeigen, sodass hier besondere Vorsicht gilt.