Trotz der hohen Anzahl Betroffener sowie der gefährlichen Kurz- und Langzeitfolgen wird Cyberbullying in der Öffentlichkeit verniedlicht, verdrängt und vernachlässigt. Das Wissen um dieses Problem muss daher nach außen getragen werden. Schulen, Familien, Betroffene und Gefährdete sollten zur Bekämpfung des Bullying und insbesondere des Cyberbullying motiviert werden.

Grundlagen

„Bullying“Footnote 1 beinhaltet wiederholte ungerechtfertigte aggressive Handlungen, meist unter Gleichaltrigen, mit dem Ziel, den Anderen zu verletzen, zu demütigen oder einzuschüchtern. Die Folgen sind schwere körperliche und emotionale Belastung, die anhaltende psychische, körperliche, soziale, leistungsmäßige und ökonomische Konsequenzen nach sich ziehen kann [1,2,3]. Cyberbullying, Bullying mithilfe digitaler Medien [4], geht mit oft noch schwereren Konsequenzen einher, da der Aggressor nicht überlegen sein muss sowie meist anonym und damit unerreichbar handelt. Auch erreichen die Aggressionen ein größeres Publikum, was den Angegriffenen noch hilfloser und beschämt hinterlässt. Es haben 93 % der 12- bis13-Jährigen Zugang zum Internet, 71 % auch mobil [5], Tendenz steigend.

Bullying betrifft einen beträchtlichen Prozentsatz der Jugendlichen (etwa 11–41 %), wobei ein Viertel bis zwei Drittel der konventionell Angegriffenen auch Cyberbullying ausgesetzt sind. Die Prävalenzangaben für Cyberbullying schwanken deutlich; eine rezente deutsche Studie fand etwa ein Viertel der Schülerinnen betroffen [6].

Bullying betrifft etwa 11–41 % der Jugendlichen

Viele Facetten des konventionellen Bullying betreffen auch Cyberbullying [7]. Cyberbullying erhält eine besondere Bedeutung durch Ubiquität, AnonymitätFootnote 2, Abhängigkeit der Jugendlichen von sozialen Medien, Rache oder Beschämung im Rahmen von persönlichen Beziehungen und durch die Tatsache, dass Beschuldigungen nur sehr schwer entkräftet werden können. Es wird diskutiert [8], ob Cyberbullying eine eigenständige Pathologie darstellt. Wie beim konventionellen Bullying sind Minderheiten oder Altersgenossen mit tatsächlichen oder zugeschriebenen Behinderungen ein häufiges Ziel von Angriffen.

Prävention und Behandlung sind schwierig, weil Cyberbullying oft unentdeckt bleibt und die Symptome meist anderen Problemen zugeschrieben werden. Gerade die Heimlichkeit des Geschehens und die Duldung oder sogar Zustimmung der Unbeteiligten machen die Aggressionen und Verletzungen erst möglich. Täter, Angegriffene und Zuseher/-stimmer („bystanders“) sind durch das Bullying auch langfristig gefährdet. Salmivalli et al. [9] fanden eine negative Korrelation zwischen der Verteidigung der Angegriffenen und der Frequenz des Bullying sowie eine verstärkende Funktion bei Unterstützung durch Andere. Daher sind präventive Maßnahmen und Programme, Unterricht im Umgang mit digitalen Medien und Partnerwahl, Offenlegen von Konflikten und Bullying-Aktivitäten, die Einbeziehung von Schulen und Eltern ein Gebot der Stunde. Prävention kann die Anzahl der Betroffenen dramatisch verringern [10].

Da der für die vorliegende Publikation zur Verfügung gestellte Raum zu klein für einen umfassenden Review-Artikel erschien, planen die Autoren die Herausgabe eines systematischen Reviews zum Thema.

Definitionen

Unter Bullying versteht man jedes unerwünschte, wiederholt auftretende aggressive Verhalten gegen einen Jugendlichen durch einen anderen oder eine Gruppe von Jugendlichen, die keine Geschwister oder enge Freunde sind. Dabei besteht ein Kräftegefälle zwischen Angreifern und Angegriffenen. Solberg und Olweus [11] definierten eine Minimalfrequenz von 2 bis 3 Ereignissen/Monat, und Arseneault [1] und Salmivalli [12] sahen Bullying als aggressives Missbrauchsverhalten, ähnlich wie Misshandlung oder Vernachlässigung. Olweus [13] unterschied „direktes“ (v. a. körperliches) und „indirektes“ Bullying (Ausgrenzen, Heruntermachen, Verbreiten von Gerüchten).

Arseneault [1] betonte den Unterschied zwischen Bullying und „victimization“ (Viktimisierung), die nach ihrer Meinung fälschlicherweise synonym verwendet werden: Sowohl Altersgleichheit als auch der Kräfteunterschied kennzeichnen Bullying, während Viktimisierung durch unterschiedliches Alter oder ein Kräftegleichgewicht gekennzeichnet ist. Diese Meinung wird aber nicht durchgängig vertreten.

Cyberbullying wurde definiert als …

jedes Verhalten, das von Einzelnen oder Gruppen unter Verwendung elektronischer oder digitaler Medien feindliche oder aggressive Botschaften verbreitet, mit dem Ziel, andere zu verletzen oder zu beunruhigen. (Tokunaga [4])

Herrera-Lopez et al. [14] formulierten es einfacher: „Cyberbullying ist das Anwenden ungerechtfertigter Aggression mittels digitaler Medien, um andere zu verletzen oder zu bedrohen“.

Es gibt zahlreiche Varianten von Cyberbullying, z. B. „cyber-/online-harassment“ (Belästigung), „cyberhacking“ (Datenmissbrauch), Cyberstalking, „cybergrooming“ (aggressives Onlineverhalten Erwachsener gegenüber Kindern), „sexting“ und „cyberpornography“ (Versenden von Nachrichten mit explizitem Inhalt), „revenge pornography“ (Versenden von Nacktfotos, die zum persönlichen Gebrauch bestimmt waren) und „digital/cyber dating abuse“ (Missbrauch von Beziehungen).

Bullying wird oft im Erwachsenenalter fortgesetzt

Bullying betrifft nicht nur Angreifer und Angegriffene; die ganze Schulklasse ist involviert: Klassenkollegen, die Zeugen aggressiver Handlungen werden, wissen, dass es sich um Bullying handelt. Bullying und Cyberbullying werden meist längerfristig betrieben. Bowes et al. [15] berichteten, dass über 40 % der Schüler während der Sekundarschulzeit angegriffen wurden; Bullying wird oft auch im Erwachsenenalter fortgesetzt.

Fünf Gruppen von Betroffenen wurden beschrieben [16]:

  • Angreifer („bullies“, Täter; 4,9 %),

  • Angegriffene („bullied“, „victims“, Opfer; 16,4 %),

  • Angegriffene, die zu Angreifern werden („bully-victims“; 5,6 %)

  • sowie Unterstützer („bystander“) und

  • die „neutrale“ schweigende Mehrheit (61 %).

Bullying hat oft schwerwiegende Konsequenzen für alle 5 Gruppen.

Symptome

Bullying und Cyberbullying verursachen kurz- und langfristig schwere Beeinträchtigungen sowohl bei den Angreifern als auch bei den Angegriffenen und bei den Angreifern/Angegriffenen; auch Unterstützer und die schweigende Mehrheit sind betroffen, jeweils mit unterschiedlichem Risikoprofil [16, 17]. Dabei überlappen sich die Symptome von konventionellem und Cyberbullying. Es gibt ein Dosis-Wirkung-Verhältnis im Sinn einer kumulativen Belastung: je länger und schwerwiegender die Angriffe, je geringer die Resilienz und je geringer die Unterstützung durch die Familie oder andere Personen (z. B. Lehrer, Freunde), desto schwerwiegender sind die Konsequenzen [15].

Angegriffene haben hohe Risiken für internalisierende (insbesondere Stressbelastung, Integrationsprobleme, Depression, soziale Angststörungen, Leistungs- und Schlafprobleme [18,19,20]), Angreifer sind prädestiniert für externalisierende Störungen, insbesondere Aggressivität, dissoziales Verhalten und Kriminalität, insbesondere Gewalttätigkeit und Drogendelikte [19]. Angegriffene, die zu Angreifern werden, tragen ein Risiko für inter- und externalisierende Störungen sowie Kriminalität. Dabei zeigen Adoleszente, die sowohl konventionellem als auch Cyberbullying ausgesetzt sind, die höchste Belastung [16]. Unterstützer und Neutrale weisen ebenfalls hohe Stressbelastung, internalisierende Probleme, vergleichbar den Angegriffenen, und externalisierende Probleme, vergleichbar den Angreifern, auf [16].

Depression, Selbstverletzungen und Suizidalität sind bei Angegriffenen in Abhängigkeit vom Ausmaß der Traumatisierung häufig und konstant, wobei Depression wieder das Risiko, angegriffen zu werden, erhöht. Soziale Ängste, Lern- und Schulprobleme, Schulverweigerung, Deprivation, geringe soziale Akzeptanz, Verfolgungsideen, Schlafstörungen und andere internalisierende Störungen sind Teil des Viktimisierungssyndroms [21]. Dazu kommen noch psychosomatische Beschwerden, verringerter Selbstwert und gesundheitsbezogene Lebensqualität [21].

Externalisierende Probleme sind bei Angreifern häufig: Empathiemangel, dissoziales Verhalten, Zornanfälle, Gewalttätigkeit, Rachegefühle, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Onlinerisikoverhalten, einschließlich strategischer Verwendung künstlicher Identitäten.

Diagnostik

Eine Reihe spezifischer Messinstrumente versucht, Umstände und Ausmaß der Traumatisierung bzw. des Bullying und der Persönlichkeiten zu erfassen, andererseits Strukturen im Netzwerk sowie Folgeerscheinungen des Bullying und des Cyberbullying darzustellen. Wegen der Komplexität und Dynamik des Problems und der zumindest zweiseitigen Pathologie sind nur Instrumente, die beide Seiten erfassen, empfehlenswert („cyber aggression“ und „cyber victimization“, [22]).

Hintergründe und Konsequenzen

In den letzten Jahren wurden einige zusammenfassende Arbeiten zu prädisponierenden Faktoren und Prädiktoren publiziert [1, 23].

Bullying im Rahmen der Entwicklungsaufgaben

Bullying ist v. a. ein Phänomen der sozialen Integration und kann bereits im Kindergarten beginnen. Die zusätzlichen Leistungsanforderungen der Schule erhöhen die sozialen Herausforderungen. Mit der Pubertät stellen die Abhängigkeit von der Gleichaltrigengruppe und die Probleme der Partnerwahl große Anforderungen an die Anpassungsfähigkeit und die Frustrationstoleranz der Jugendlichen [15]. Die Bedeutung der sozialen Medien im Kommunikationsverhalten und damit auch Cyberbullying nehmen gleichzeitig dramatisch zu.

Persönliche Risikofaktoren

Angreifer und Angegriffene zeigen ähnliche psychosoziale Probleme, Schulschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten und Probleme der Eltern-Kind-Beziehung [24]. Bowes et al. [15] fanden, dass die Dauer des Bullying (chronische Viktimisierung) im Wesentlichen von präexistenten Anpassungsproblemen und der intellektuellen Leistungsfähigkeit abhingen.

Angreifer und Angegriffene zeigen ähnliche psychosoziale Probleme

Risikofaktoren für Bullying und Cyberbullying (auch für Unterstützer) sind verminderte moralische Einsichtsfähigkeit und mangelndes Schuldbewusstsein. Protektiv wirken gute Eltern-Kind- und Gleichaltrigenbeziehungen, Kommunizieren über das Problemverhalten („raus aus der Anonymität“), unterstützendes Verhalten von Eltern, Lehrern und Gleichaltrigen sowie persönliche Resilienzfaktoren.

  • Angreifer: Temperament und Persönlichkeitsfaktoren spielen eine wichtige Rolle im Rahmen von aggressivem und Problemverhalten [25]. Dies betrifft einerseits Probleme der emotionalen, Verhaltens- und Aufmerksamkeitsinhibition sowie starre, manipulative Persönlichkeitsmerkmale, andererseits Verhaltens- und Regulationsprobleme, wie reaktives (verminderte Emotionskontrolle) und proaktives (kalte soziale Aggression) Verhalten sowie verstärkte Impulsivität und Neugierverhalten.

  • Angegriffene zeigen eher depressive und ängstliche Persönlichkeitszüge sowie Alkohol- und Drogenabusus.

Sontag et al. [25] untersuchten Unterschiede zwischen Angreifern und Angegriffenen im Hinblick auf den Typ des Aggressors an 300 Jugendlichen und fanden ein geringeres Ausmaß an reaktiver Aggressivität bei Cyber- im Vergleich zu traditionellen und kombinierten Angreifern.

Familiäre Risikofaktoren

Als familiäre Risikofaktoren wurden Armut, mütterliche emotionale Kälte und Kindesmisshandlung beschrieben [15]. Supportiv wirken Förderung von Autonomie und Verantwortungsbewusstsein sowie unterstützendes Erziehungsverhalten. Als protektive Faktoren wurden positive Eltern-Kind-Beziehung [26], Förderung von Autonomie und Selbstkontrolle sowie elterliche Kontrolle und Unterstützung beschrieben [27].

Gleichaltrigengruppe

Wenig ist bisher bekannt über die Hintergründe der „Unterstützer“ und der „schweigenden Mehrheit“. Salmivalli [28] untersuchte 889 Kinder der 6. und 7. Schulstufe und beschrieb 4 Rollen, die „Assistenten“, die sich den „Angreifern“ rasch anschließen; die „Verstärker“, die sich zwar nicht dem Bullying anschließen, aber den Angreifern positives Feedback geben und sie ermutigen; die „Außenstehenden“, die weder mitmachen noch unterstützen; schließlich die „Gegner“, die eine klare Anti-Bullying-Position einnehmen, die „Angegriffenen“ unterstützen und versuchen, das Bullying zu beenden.

Geschlechtsspezifische Risikofaktoren

Geschlechtsspezifische Risikofaktoren wurden für das Cyberbullying beschrieben: Jungen neigen eher zur Angreiferrolle, allerdings hat das Alter einen mediierenden Effekt: Jungen sind eher in der frühen, Mädchen eher in der späten Adoleszenz die Angreifer, während beim traditionellen Bullying die Jungen als direkte Angreifer überwiegen [13] und die Mädchen eher zu indirektem Bullying neigen. Als Angegriffene sind Mädchen häufiger, insbesondere bei der Vewendung von Fotos oder Videoclips.

Eine Sonderform des Cyberbullying, „cyber dating abuse“ [29], ist der Einsatz technologischer Mittel, um andere Personen im Beziehungskontext zu kontrollieren, sexuell zu belästigen, zu bedrohen oder zu verfolgen. Kontrollierendes Verhalten, Verbreiten verletzender Inhalte und expliziter Bilder sowie Stalking haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Mädchen sind häufiger betroffen. Oft bleibt es nicht bei Drohungen, was die Angst vor sexuellen Übergriffen erhöht. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von entsprechender Aufklärung und Anti-Bullying-Maßnahmen.

Depressives, zurückgezogenes und ängstliches Verhalten

Vermehrtes Onlineverhalten, Bullying und Cyberbullying erhöhen das Risiko für depressives, sozial ängstliches und suizidales Verhalten [30]. Umgekehrt sind depressive und sozial ängstliche Kinder und Jugendliche häufiger Opfer von Bullying und Cyberbullying.

Risikogruppen

Sowohl Aggressoren wie Angegriffene kommen i. Allg. aus Risikogruppen [25]:

  • Bei Angreifern finden sich vermehrt Gewalttätigkeit, vermindertes Verantwortungsgefühl, Drogenmissbrauch, Nikotin- und Alkoholabusus, Schulprobleme sowie Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). Die stärksten Prädiktoren für Cyberbullying sind traditionelles Bullying und regelwidriges Verhalten.

  • Angegriffene leiden unter tatsächlichen oder zugeschriebenen Behinderungen, Über- oder Untergewicht, Autismus-Spektrum-Störungen; sie gehören sexuellen Minderheiten („lesbian, gay, bisexual and transgender“ [LGBT]) an, zeigen andere körperliche, psychische oder soziale Auffälligkeiten, werden in das Bullying bzw. Cyberbullying aufgrund ängstlich zurückgezogenen Verhaltens, verminderter oder vermehrter Verteidigungsfähigkeit, anderer Formen von Außenseitertum (z. B. Armut), nichtkonformen Problemverhaltens oder „Unerreichbarkeit“ einbezogen.

Medien

Cyberbullying geschieht auf unterschiedlichen Medien, insbesondere E‑Mail, soziale Medien (Facebook, Snapchat, Instagram, Reddit u. a.), Chatrooms und Smartphones (Text- und Bildbotschaften). Grenzenlose Verbreitung von Botschaften, unbegrenzte Speicherbarkeit sowie Weitergabe von Text und Bildern und keinerlei Kontrolle sind die wichtigsten Gefahrenaspekte der Cyber-Kommunikation. Bei der Verwendung spielen regionale Unterschiede, der technologische Fortschritt und der Medienzugang (z. B. Computer im eigenen Zimmer, unbegrenzte Smartphone-Benutzung) eine wichtige Rolle. Mädchen verwendeten 2‑mal so häufig soziale Medien für Textbotschaften, oftmals von einer „Fake“-Adresse aus. Das Risiko, angegriffen zu werden, steigt mit dem Ausmaß der Onlinebeschäftigung.

Konsequenzen

Bullying und Cyberbullying haben kurz- und langfristige Konsequenzen für Angreifer und Angegriffene im Sinne der Beeinträchtigung von körperlicher und seelischer Gesundheit, der sozialen Beziehungen und der Lebensqualität. Inter- und externalisierende Probleme wurden für Angreifer und Angegriffene berichtet [24]. Diese Folgen hängen nicht nur vom Ereignis/den Ereignissen, sondern auch von der Reaktion des Betroffenen ab. Insbesondere schamerfülltes Schweigen verschlimmert die Situation einerseits dadurch, dass fortgesetztes Bullying ermöglicht wird, andererseits dadurch, dass die Gefühle der Hilflosigkeit verstärkt werden.

Prävention und Therapie

Prävention umfasst Aufklärung (Erkennen, Wissen über die Schädlichkeit und die Konsequenzen, Ächtung und Öffentlichmachen von Aggressionshandlungen), Resilienzförderung [31], Verbesserung von Kommunikation, Emotionsregulation, Konfliktlösungsstrategien, weiter Mentoring, evtl. „peer mentoring“, Einbeziehen der Familien u. a. Ein wesentlicher Schutzfaktor sind gute Gleichaltrigenbeziehungen und ein positives Schulklima.

Wesentlicher Schutzfaktor sind gute Gleichaltrigenbeziehungen

Anders als bei konventionellem Bullying ist die Effektivität von Therapieprogrammen bei Cyberbullying nicht abgesichert. Zu den empfohlenen Maßnahmen zählen Stärken von Empathie und Selbstwert, Verringern von Problemverhalten, Stärken einer guten Gleichaltrigen- und Eltern-Kind-Beziehung sowie Limitieren der Onlinepräsenz.

Hinduja und Patchin [32] vom Cyberbullying Research Center geben 10 Tipps zur Cyberbullying-Prävention: darüber reden, ignorieren, nicht zurückschlagen, Beenden fordern, Humor, Beweise sammeln, den Angreifer blockieren, den Angriff dem Internet-Provider melden, keine Nachrichten weiterleiten, die Polizei verständigen. Diese Website gibt auch Ratschläge zur Prävention von Sexting.

Präventionsprogramme

Das weltweit bekannteste und erfolgreichste Programm ist das Olweus Bullying Prevention Program™ [33], das für Schüler der 3. bis 12. Schulstufe geeignet ist. Es ist ein Programm für die ganze Schule und das Umfeld. Es gibt neben Präventionsmodulen für „dating violence“ und Selbstmordgefährdung auch 2 altersabhängige Cyberbullying-Präventionsmodule (Schulstufen 3 bis 5 und 6 bis 12). Ziele sind:

  • Verringern der Bullying-Probleme,

  • Vorbeugen gegen neue Bullying-Probleme,

  • Verbessern der Beziehungen zwischen den Schülern.

Das Programm, das weltweit angewandt wird, hilft Bullying und antisoziales Verhalten um 21 bis über 50 % zu reduzieren sowie das Schul- und Klassenklima wesentlich zu verbessern.

„Peer mentoring“ hat sich aufgrund der Vorbildwirkung und der Stärkung des Selbstwerts bewährt

Mentoring-Programme basieren auf der sozialen Kontrolltheorie [34], die sozial konformes Verhalten auf der Grundlage von Bindung („attachment“), Engagement („commitment“), Überzeugung („belief“) und aktiver Teilnahme („involvement“) sieht, die es bei Fehlverhalten zu stärken gilt. Insbesondere „peer mentoring“, Betreuung durch Gleichaltrige oder etwas ältere Kollegen, hat sich u. a. aufgrund der Vorbildwirkung und der Stärkung des Selbstwerts bewährt. In Deutschland bietet die Selbstschutzplattform www.juuuport.de Beratung bzw. Onlineberatung durch jugendliche Scouts.

Rechtliche Regelungen

Cyberbullying wird in Österreich laut § 107c des Strafgesetzbuchs (StGB) „Fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems“ mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagsätzen geahndet. Die Websites https://www.saferinternet.at/cyber-mobbing/ und http://www.schulpsychologie.at/gewaltpraevention/mobbing/cyberbullying/ listen Kontaktadressen und Materialien auf.

In Deutschland gibt es kein eigenes Gesetz gegen Cyberbullying. Beleidigungen, Drohungen oder die Verbreitung entwürdigender Bilder gegen den Willen der Betroffenen sind aber strafbar (§§ 185, 186, 131, 223, 238, 240, 241, 201 StGB und § 33 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie [KunstUrhG]) und mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe bedroht.

Diskussion

Cyberbullying betrifft einen beträchtlichen Anteil von Kindern und Jugendlichen [6] und zieht eindeutig langfristig schädliche, ja lebensbedrohliche Konsequenzen nach sich [24]. Daher ist es mit strafrechtlichen Konsequenzen bedroht, und es existieren kostengünstige, effiziente Präventivmaßnahmen. Dennoch werden in Mitteleuropa bisher keine flächendeckenden Präventionsprogramme durchgeführt. Das Leid der Betroffenen und auch die schlechte Prognose für Angegriffene und Angreifer sowie teilweise der „Unterstützer“ [9], die aus ähnlichen Risikogruppen kommen, wird offenbar aus Unkenntnis, Verniedlichung und falscher Scham (z. B. der Schulleitungen) in Kauf genommen. Dabei sind die empfohlenen präventiven Maßnahmen nicht nur der Bekämpfung von Bullying und Cyberbullying dienlich. Sie verbessern auch das familiäre und das Schul- und Lernklima, die Lebensqualität und die Haltung und Zukunft aller Beteiligten.

Prävention durch Stärkung des Selbstbewusstseins und des Zusammenhalts, Verbesserung des familiären und des Schulklimas, Aufbau vertrauensvoller Beziehungen (z. B. zu „peer mentors“ oder Vertrauenslehrern), offenen Umgang mit dem Problemverhalten und Einhalten der einfachen 10 Maßnahmen, die Hinduja und Patchin vorschlagen [32], sind ein guter Anfang. Aufbau flächendeckender Präventionsprogramme als logische Konsequenz, Früherkennung der depressiven Symptome sowie psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung der von den eingetretenen Folgen Betroffenen sind eine Notwendigkeit.

Fazit für die Praxis

  • Cyberbullying ist ein weit verbreitetes, bisher vielfach vernachlässigtes Problem im Kindes- und Jugendalter mit schwerwiegenden Konsequenzen für Angreifer, Angegriffene und scheinbar Unbeteiligte.

  • Cyberbullying ist die Ursache schwerer, auch lebensbedrohlicher internalisierender und externalisierender psychiatrischer Störungen.

  • Prävention von Cyberbullying beruht v. a. auf 3 Säulen: Aufklären, Schaffen eines vertrauensvollen Familien- und Schulklimas, Öffentlichmachen. Effiziente Präventionsprogramme werden aber v. a. aus Kostengründen bisher nicht flächendeckend angewandt.