Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • sind Ihnen die Entstehung und Formen des Morbus Hirschsprung (MH) bekannt.

  • sind Sie in der Lage, die diagnostischen Schritte zu veranlassen.

  • erkennen Sie Risikofaktoren für ein medulläres Schilddrüsenkarzinom und das Phäochromozytom.

  • kennen Sie die typische Anamnese und die klinischen Symptome des MH.

  • können Sie das aktuelle Therapiekonzept beschreiben.

Einleitung

Der Morbus Hirschsprung (MH; Synonym: kongenitale Aganglionose) bzw. die Hirschsprung-Neurokristopathie ist eine der Differenzialdiagnosen chronischer Verstopfung bei Säuglingen und Kleinkindern. Sie stellt eine große Herausforderung für die Ärzte dar, die mit der medizinischen Betreuung von Kindern befasst sind (Kinderchirurgen, Kinderärzte, Radiologen, Pathologen). Die Diagnose beruht im Wesentlichen auf dem fehlenden Nachweis von Ganglienzellen im Plexus submucosus und im Plexus myentericus der distalen Darmabschnitte. Mehr als 130 Jahre nach der sorgfältigen und umfassenden Beschreibung durch Harald Hirschsprung (1830–1916) ist der MH immer noch eine rätselhafte Krankheit, sowohl in der Diagnostik als auch in der Behandlung. Der MH bleibt ein kritischer Bereich der Pädiatrie und Kinderchirurgie sowie ein intensives Forschungsgebiet für Molekular- und Entwicklungsbiologen, mit Modellcharakter für das Verständnis der Embryologie, der Fehlbildungslehre und syndromaler Erkrankungen.

Definition

Der MH ist eine angeborene Fehlbildung des enteralen Nervensystems. Charakteristisch ist das fehlende Einwandern der enteralen Nervenzellen in den Plexus submucosus (Meissner-Plexus) und den Plexus myentericus (Auerbach-Plexus) während der 6. bis 12. Schwangerschaftswoche. Betroffen ist ein unterschiedlich langes distales Darmsegment. Die Pathologie führt zu einer funktionellen Stenose. Es wird angenommen, dass die Aganglionose durch eine ungeordnete Migration und/oder Differenzierung von Neuralleistenzellen während der embryonalen Periode verursacht wird. Sie wird damit als Neurokristopathie angesehen [1]. Unter dem Begriff Neurokristopathien werden Erkrankungen subsumiert, deren Pathogenese sich auf Fehlentwicklungen der Neuralleistenzellen zurückführen lässt [2, 3].

Geschichte

Im Jahr 2016 ist ein bemerkenswertes Jubiläum. Harald Hirschsprung (1830–1916), ein dänischer Arzt, ist der Namensgeber dieser Erkrankung. Hirschsprung arbeitete als Kinderarzt am Königin-Louise-Kinderkrankenhaus in Kopenhagen, Dänemark. Auf dem Berliner Kongress der Gesellschaft für Kinderheilkunde hielt Harald Hirschsprung 1886 einen Vortrag mit dem Titel „Stuhlträgheit Neugeborener infolge von Dilatation und Hypertrophie des Colons“. Er berichtete die Fälle von 2 Kindern, die an einem Megakolon verstorben waren. Erste Beschreibungen erfolgten jedoch bereits zuvor u. a. von Frederik Ruysch (1691) und Caleb Hillier Parry (1825, publiziert posthum).

Epidemiologie und Ätiologie

Die Inzidenz der Aganglionose beträgt in Europa etwa 1:5000 Lebendgeborene und weist ethnische Unterschiede auf. Das Geschlechterverhältnis zeigt ein 3‑ bis 4‑mal häufigeres Auftreten beim männlichen Geschlecht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein langes Segment betroffen ist, ist beim weiblichen Geschlecht höher.

Das Ausmaß der Aganglionose ist sehr variabel. Ausgehend vom Anus können unterschiedlich lange Segmente oralwärts betroffen sein. In Abhängigkeit vom Ausmaß der Aganglionose werden folgende Formen unterschieden:

  • kurzstreckige Aganglionose (rektosigmoidal, ca. 80 %) und

  • langstreckige Aganglionose (ausgedehnt, ca. 15–20 %).

Kurzstreckige Aganglionosen können nur die anorektale Zone unterhalb des Beckenbodens betreffen und werden dann als „ultrakurze Aganglionose“ bezeichnet. Allerdings ist die Diagnosestellung der „ultrakurzen Aganglionose“ sehr umstritten, da oberhalb der Linea dentata physiologischerweise eine aganglionäre Zone vorliegt. In der histopathologischen Untersuchung kann deshalb zwischen der postulierten „ultrakurzen“ und der physiologischen Aganglionose nicht sicher unterschieden werden.

Bei ausgedehnten Formen des MH kann das gesamte Kolon (totale kolische Aganglionose, Zuelzer-Wilson-Syndrom, ca. 5 %) betroffen sein. Selten ist zusätzlich der obere Gastrointestinaltrakt beteiligt (totale intestinale Aganglionose; [4]).

Bei ca. 70 % der Patienten tritt der MH als isolierte Erkrankung auf. Etwa 20 % weisen zusätzlich angeborene Fehlbildungen auf (Tab. 1), und etwa 10 % der Patienten sind syndromal erkrankt (Tab. 2). Etwa 90 % der Patienten mit syndromalem MH haben ein Down-Syndrom. Anders herum haben Patienten mit Down-Syndrom ein 100-fach erhöhtes Risiko für einen MH [4, 5].

Tab. 1 Nichtsyndromaler Morbus Hirschsprung mit kongenitalen Anomalien
Tab. 2 Mit Morbus Hirschsprung assoziierte Syndrome

Genetik

Genetische Faktoren wurden bei etwa der Hälfte der familiären Fälle und bei 15–35 % der sporadischen Fälle identifiziert. Bei geringer geschlechterspezifischer Penetranz und sehr variabler phänotypischer Ausprägung wird eine polygenetische Vererbung angenommen (Tab. 2). Epigenetische Faktoren scheinen Einfluss auf die Entwicklung des enterischen Nervensystems (ENS) und die Entwicklung eines MH zu haben [6]. Etwa 20 % der Fälle sind familiär. Etwa ein Viertel der familiär erkrankten Patienten leidet gleichzeitig an Chromosomenanomalien, Neurokristopathien oder syndromalen Erkrankungen, z. B. dem Down-Syndrom, dem Waardenburg-Syndrom oder dem Smith-Lemli-Opitz-Syndrom. Es sind mittlerweile mehr als 10 Gene an 5 unterschiedlichen Genorten beschrieben, die mit unterschiedlicher Penetranz allein und/oder in Kombination zu einem MH führen können (Tab. 2). Die hohe Frequenz sporadischer MH-Fälle, die Variabilität hinsichtlich der Länge des aganglionären Segments und die Geschlechtsabhängigkeit lassen jedoch eine multifaktorielle Genese vermuten. Bis heute ist unklar, wie die genetischen Defekte die Migration der Nervenzellen beeinflussen. Mutationen im RET-Protoonkogen scheinen bei den meisten sporadischen Fällen gemeinsam mit anderen genetischen Defekten vorzuliegen.

Wiederholungsrisiko

Das durchschnittliche Wiederholungsrisiko unter Geschwistern beträgt etwa 4 %, variiert jedoch erheblich in Abhängigkeit vom Geschlecht und von der Länge des aganglionären Segments (Tab. 3). Das größte Risiko haben männliche Geschwister einer weiblichen Patientin mit einer langstreckigen Aganglionose (ca. 33 %), und das niedrigste Risiko haben weibliche Geschwister eines männlichen Patienten mit einer klassischen rektosigmoidalen Aganglionose (ca. 1 %). Dieses Phänomen wird auch Carters Paradoxon genannt [7]. Bei entsprechendem Risikoprofil und Kinderwunsch sind die molekulargenetische Untersuchung und die Beratung der Familie sinnvoll; klare Richtlinien existieren jedoch noch nicht [5, 8].

Tab. 3 Wiederholungsrisiko für Morbus Hirschsprung (MH)

Multiple endokrine Neoplasie Typ 2a und medulläres Schilddrüsenkarzinom

Bei einer kleinen Zahl der Fälle (<5 %) liegt eine multiple endokrine Neoplasie Typ 2a (MEN 2a) vor, mit einem erhöhten Risiko für ein medulläres Schilddrüsenkarzinom und für ein Phäochromozytom [9, 10, 11]. Das RET-Protoonkogen ist das wichtigste Gen, dass für MH und MEN 2a ursächlich ist (Tab. 2). Es ist auf dem Chromosomenabschnitt 10q11.2 lokalisiert. Mutationen im RET-Protoonkogen werden in ca. 50 % der familiären Fälle mit MH und bei 15–35 % der isolierten Fälle beobachtet [7]. Bei langstreckigem MH finden sich autosomal-dominante Mutationen im RET-Protoonkogen in 70–80 % der Fälle; bei den kurzstreckigen Formen sind es etwa 20 % der Fälle [4, 5, 12, 13, 14].

Es treten 5 % der Mutationen in den Codons 609, 611, 618 und 620 des Exon 10 auf und kodieren eine zysteinreiche extrazelluläre Domäne [15]. Diese Mutationen führen mit 100 %iger Penetranz zur MEN 2A und zum medullären Schilddrüsenkarzinom [16]. Die RET-Mutationsanalyse ist daher bei familiärem, syndromalem und langstreckigem MH zu empfehlen. Noch unklar ist, ob alle MH-Patienten einem Screening unterzogen werden sollten [7]. Nach den aktuellen Richtlinien ist bei Nachweis dieser Mutationen eine prophylaktische Thyreoidektomie empfohlen [16, 17, 18, 19, 20].

Klinische Symptome

Klinisch werden die Patienten zu unterschiedlichen Zeitpunkten auffällig. Ungefähr 90 % aller Kinder mit einem MH werden aufgrund der ausgeprägten klinischen Symptomatik in der Neugeborenenperiode auffällig. Klinische Symptome sind:

  • fehlender Mekoniumabgang in den ersten 24 h (90 %),

  • Symptome wie bei Kolonobstruktion:

    • aufgetriebenes Abdomen,

    • Stuhlverhalten,

    • Erbrechen,

    • Ileus,

    • Schock beim toxischen Megakolon.

Bei Frühgeborenen ist zu beachten, dass der Mekoniumabgang bis zu 9 Tage verzögert sein kann, ohne pathologisch zu sein.

Nach der Neugeborenenperiode und der Nahrungsumstellung werden die Patienten häufig wegen abdomineller Distension, schwerer chronischer Obstipation, Überlaufenkopresis, explosionsartigen Stuhlentleerungen nach rektaler Untersuchung, Gedeihstörungen, Subileuszuständen und ggf. auch durch ein toxisches Megakolon auffällig.

Diagnostik

Bei Verdacht auf einen MH steht eine Reihe von diagnostischen Möglichkeiten zur Wahl. Entscheidend für die Diagnose des MH ist die histopathologische Untersuchung von tiefen Biopsien , die ausreichend Submukosa enthalten.

Röntgenuntersuchung des Abdomens

Patienten, die sich mit Symptomen einer intestinalen Obstruktion präsentieren, werden einer Röntgenuntersuchung des Abdomens unterzogen. Die Röntgenuntersuchung des Abdomens gehört jedoch nicht zur Routineabklärung eines MH. Im Fall eines MH zeigen sich häufig Flüssigkeitsspiegel und stuhlimpaktierte Darmschlingen bzw. ein stuhlimpaktierter Kolonrahmen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Abdomenröntgenaufnahme eines Säuglings: ausladendes Abdomen und stuhlimpaktiertes Colon transversum

Röntgenkontrasteinlauf

Im Röntgenkontrasteinlauf stellt sich idealerweise eine trichterförmige Übergangszone dar, die das weitere diagnostische und therapeutische Vorgehen sehr vereinfacht. Das trichterförmige Bild entsteht durch den häufig massiv erweiterten ganglionären proximalen Darmabschnitt, der über eine trichterförmige, hypoganglionäre Übergangszone in das distale Segment übergeht, das bei verschiedenen Patienten unterschiedlich lang sein kann (Abb. 2). Dieser Kalibersprung kann fehlen oder diskreter ausfallen:

  • bei Neugeborenen,

  • bei totaler kolischer Aganglionose,

  • nach Anlage eines Anus praeter,

  • nach längerfristigen Darmspülungen.

Abb. 2
figure 2

Kolonkontrasteinlauf bei einem Säugling mit klassischem Morbus Hirschsprung und typischer trichterförmiger Übergangszone im Colon descendens. Die unscharf wirkende Begrenzung der Kolonwand im Bereich des dilatierten Kolons entspricht dem Zustand nach Kolitis

Die diagnostische Spezifität beträgt zwischen 74 und 92 % [21]. Im Allgemeinen gilt, dass bei Neugeborenen keine digitale Untersuchung und keine Reinigungseinläufe vor der Kontrastmitteluntersuchung des Kolons durchgeführt werden sollen.

Histologische Untersuchungen

Heute stehen histochemische, enzymhistochemische und immunhistochemische Verfahren in der Diagnostik des MH zur Verfügung. Der positive histologische Befund ist nach wie vor der einzig sichere Beweis für einen MH. Die Proben werden als Rektumsaugbiopsie in mehreren Etagen, als Stufenbiopsie oder als seromuskuläre Biopsien laparoskopisch bei Patienten mit chronischer, therapierefraktärer Obstipation und nichteindeutigen Befunden der rektalen Biopsien gewonnen. Im Rahmen der Rektumbiopsie , egal ob offen-chirurgisch oder als Saugbiopsie, sind folgende technische Details zu beachten:

  • Die Dichte der parasympathischen Nervenfasern nimmt von aboral nach oral ab, sodass weiter oral, z. B. 10 cm ab ano, das charakteristische Vollbild des klassischen MH in der Submukosa nicht mehr in typischer Weise ausgebildet ist.

  • Ein hypoganglionäres Segment befindet sich physiologischerweise im normalen Analkanal zwischen 2 und 17 mm ab der Anokutanlinie [22].

  • Die Materialentnahme bei Verdacht auf MH sollte daher in einer Höhe von 2, 3 und 6 cm oral der Linea dentata erfolgen und muss die Submukosa ausreichend erfassen.

  • Postpartal kommt es zur weiteren Maturation der Ganglien- und Nervenzellen, und die Acetylcholinesterase(AChE)-Reaktion kann falsch-negativ ausfallen, sodass eine Biopsie bzw. eine Rebiopsie jenseits der 6. bis 8. Lebenswoche zu empfehlen ist [23].

Gegenstand vieler Diskussionen ist die Art der Biopsieentnahme (offen-chirurgisch oder Saugbiopsie). Vorteil der Saugbiopsie ist, dass diese ohne Allgemeinanästhesie im Krankenbett durchgeführt werden kann. Nachteil der Saugbiopsie sind die relativ kleinen Proben.

Als diagnostische Kriterien gelten das komplette Fehlen der Ganglienzellen im Plexus myentericus und im Plexus submucosus, hypertrophe Nervenbündel zwischen Ring- und Längsmuskulatur sowie die Hyperplasie der cholinergen Nervenfasern in der Submukosa.

Zu den histologischen Untersuchungen zählen:

  • Histochemisch: Hämatoxylin-Eosin-Färbung.

  • Enzymhistochemisch:

    • Acetylcholinesterase (AChE) (Abb. 3),

    • Laktatdehydrogenase (LDH),

    • Sukzinyldehydrogenase (SDH),

    • NADPH-Diaphorase (NADPH-d),

    • α-Naphthylesterase (ANE).

  • Immunhistochemisch:

    1. a.

      Darstellung der Nervenfasern:

      • Glucosetransporter Typ 1 (GLUT1),

      • S-100-Protein,

      • saures Gliafaserprotein („glial fibrillary acidic protein“, GFAP),

      • „nerve growth factor receptor“ (NGFR),

      • β-Tubulin.

    2. b.

      Darstellung der Ganglienzellen:

      • Calretinin,

      • RET-Onkoprotein,

      • „neurone-specific enolase“ (NSE),

      • mikrotubuliassoziiertes Protein (MAP 2),

      • Peripherin,

      • „neural nuclear protein“ (NeuN),

      • neuronale Stickstoffmonoxidsynthase (nNOS).

Abb. 3
figure 3

Enzymhistochemische Bestimmung der Acetylcholinesteraseaktivität: typische Veränderungen bei Morbus Hirschsprung mit Hyperplasie der cholinergen Nervenfasern in der Submukosa. (Vergr. 200:1)

Insbesondere Calretinin hat in der immunhistochemischen Diagnostik zunehmend an Bedeutung gewonnen und gilt der AChE-Enzymhistochemie (Abb. 3) als ebenbürtig [24, 25, 26, 27, 28, 29, 30]. Zu bedenken ist, dass das Material für die Enzymhistochemie als Nativgewebe gewonnen werden muss, während die meisten Antikörper für die immunhistochemischen Techniken am formalinfixierten Material einsetzbar sind.

Molekulargenetische Untersuchungen

Das RET-Protoonkogen hat beim MH die mit Abstand größte Bedeutung. Dominante Mutationen im RET-Protoonkogen wurden in 50 % der familiären Fälle mit MH und bei 15–35 % der isolierten Fälle beobachtet. Bei langstreckigen Aganglionosen beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Mutation ebenfalls ca. 50 %. Die RET-Mutationsanalyse ist bei MEN 2a/MH-Familien zu empfehlen und gewährleistet eine prophylaktische Therapie (s. Abschn. „Multiple endokrine Neoplasie Typ 2a und medulläres Schilddrüsenkarzinom“).

Anorektale Manometrie

Die anorektale Manometrie ist umstritten und wird nicht in allen Zentren durchgeführt. Empfohlen wird ihre Durchführung bei Patienten jenseits der Neugeborenenperiode mit chronischer Obstipation, die konservativ nicht behandelbar ist. Bestimmt wird das Fehlen des anorektalen inhibitorischen Reflexes (RAIR) nach rektaler Dehnung. Aufgrund der Unreife der Nervenversorgung des Anorektums kann die Untersuchung im Alter von bis zu 3 Monaten einen falsch-positiven Befund ergeben. Die Frequenz falsch-positiver Befunde hängt von der Untersuchungstechnik und der Erfahrung des Untersuchers ab.

Differenzialdiagnosen

Grundsätzlich ist die differenzialdiagnostische Bandbreite einer intestinalen Obstruktion enorm groß (Tab. 4). Die wichtigsten Differenzialdiagnosen zum MH sind:

  • in der Neugeborenenperiode:

    • Mekoniumileus/Mekoniumpfropfsyndrom/zystische Fibrose,

    • „small left colon syndrome“ (bei Müttern mit Diabetes),

    • Atresien,

    • anorektale Malformationen,

    • Malrotation mit Volvulus,

    • Anomalien des ENS,

    • maternale Infektion oder Intoxikation,

    • neonatale Sepsis;

  • im Säuglings- und Kindesalter:

    • Malabsorptionssyndrome,

    • funktionelle Obstipation ohne Megakolon aus unterschiedlichen Ursachen.

Tab. 4 Differenzialdiagnose des funktionellen Ileus/der funktionellen Obstruktion beim Neugeborenen. (In Anlehnung an Waldschmidt, Charissis u. Kaufmann, 1993, VCH-Verlag)

Therapie

Die Therapie des MH ist komplex. Vor der obligat chirurgischen Korrektur steht ein mehr oder weniger intensives „bowel management“ mit Einläufen und Darmspülungen im Vordergrund, um Komplikationen wie Enterokolitiden, Ileus und Darmperforationen zu vermeiden und um den euganglionären Darm zu tonisieren. Im Fall der u. U. lebensbedrohlichen Enterokolitis sind zusätzlich eine gezielte Antibiotika- und Infusionstherapie erforderlich. Bei einem Ileus und/oder einer Darmperforation ist die Anlage eines Anus praeter notwendig. Die Höhe muss sich nach der Länge des aganglionären Segments richten, um die spätere Rekonstruktion nicht zu behindern.

Das Ziel der definitiven Operation ist die Resektion des aganglionären Segmentes mit Durchzug des euganglionären Darms, unter Schonung des Beckenbodenkomplexes und des analen Sphinkters. (Auf die komplexen Rekonstruktionen bei totaler kolischer oder intestinaler Aganglionose wird im vorliegenden Beitrag nicht eingegangen.)

Die klassischen Operationsverfahren können unterteilt werden in:

  • Resektionsoperationen mit kolorektaler Anastomose:

    • abdominoperineale Rektosigmoidektomie [31],

    • transabdominale Rektosigmoidektomie [32],

  • und Bypass-Operationen:

    • retrorektale, transanale Durchzugsmethode [33],

    • endorektale, transanale Rektosigmoidektomie [34],

    • modifizierte retrorektale, transanale Durchzugsmethode [35].

Diese 5 klassischen Methoden führen zu vergleichbaren funktionellen Ergebnissen. Sie sind alle durch einen transabdominalen Zugang charakterisiert.

Heutzutage werden ein einzeitiges Vorgehen ohne Anus-praeter-Anlage und unter Vermeidung von Akutsituationen durch eine frühzeitige Diagnose, die konsequente konservative Therapie und die frühzeitige definitive Durchzugsoperation angestrebt. Vergleichende Studien haben gezeigt, dass die mehrzeitige Durchzugsoperation mit signifikant mehr Rehospitalisierungen und Reoperationen einhergeht [36]. Bei rektosigmoidalen Formen wird der 1998 von De la Torre-Mondragón und Ortega-Salgado beschriebene rein transanale Durchzug durchgeführt (transanaler endorektaler Durchzug [„transanal endorectal pull-through“, TERPT]; [37]). Das Vorgehen ist in Abb. 4 dargestellt.

Diese Operationsmethode kann im frühen Säuglings-/Neugeborenenalter technisch problemlos durchgeführt werden, belässt ein sehr kurzes aganglionäres Segment und erfordert zumeist keine Laparotomie/Laparoskopie. Die Ausdehnung des aganglionären Segments kann durch intraoperative Vollwandbiopsien exakt bestimmt werden. Postoperativ sind ein früher Nahrungsaufbau und damit eine rasche Entlassung möglich.

Abb. 4a–f
figure 4

Vorgehen beim transanalen endorektalen Durchzug nach De la Torre-Mondragón und Ortega-Salgado. A aganglionäres Segment, E euganglionäres Segment. a Die Einstellung der Analschleimhaut erfolgt mithilfe des Lone-Star®-Retraktors. b Es folgen die submuköse Dissektion und die Präparation des Mukosaschlauchs bis zur Darstellung der muskulären Manschette (Pfeil). c Die muskuläre Manschette wird zirkulär durchtrennt, somit die Abdominalhöhle eröffnet und eine Vollwandpräparation des Darms durchgeführt. Mit dieser Präparationstechnik lässt sich das gesamte Rektosigma mobilisieren. d Wenn sich die Übergangszone jedoch nicht darstellt und eine rein transanale Präparation nicht möglich ist, erfolgt die laparoskopische Mobilisation. Hierzu verwenden wir einen 3,5-mm-Trokar transumbilikal für eine 3‑mm-Kamera und platzieren die 5‑mm-Instrumente transanal/pararektal ohne weitere transabdominale oder transanale Trokare. e Die Übergangszone stellt sich dar (Pfeil), und es wird eine Vollwandprobe zur Schnellschnittdiagnostik entnommen. f Resektion des aganglionären Segments und Durchführung der koloanalen Anastomose schließen die Operation ab

Auch für ausgedehnte Formen wird durch Anwendung folgender minimalinvasiver Operationstechniken der offen-chirurgische Zugang immer seltener:

  • laparoskopisch assistierte Operation nach Soave (Georgeson, 1995; [38]),

  • laparoskopisch modifizierte Operation nach Duhamel [39],

  • transanale LESS-Pullthrough-Kolektomie (TLPC; [40]),

  • TERPT mit trokarloser, transanaler, laparoskopischer Mobilisation (Metzger 2014; Abb. 4).

Durch unterschiedlich lang ausgeprägte hypoganglionäre Übergangssegmente kann die Bestimmung des zu resezierenden Darmsegments schwierig sein. Die Höhe des oralen Absetzungsrandes muss intraoperativ durch eine Schnellschnittdiagnostik bestimmt werden.

Komplikationen

Allgemein bestehen zwischen den verschiedenen Operationsmethoden hinsichtlich der Komplikationsrate keine signifikanten Unterschiede, obwohl die Häufigkeit des Auftretens von Komplikationen in Abhängigkeit vom chirurgischen Verfahren variiert. Langstreckige Aganglionosen führen häufiger zu Komplikationen als die kurzstreckigen.

  • Frühkomplikationen nach TERPT (<30 Tage postoperativ; [41]) sind:

    • Anastomoseninsuffizienz (~2,3 %),

    • Anastomosenstenose (~2,3 %),

    • Wundinfektionen, Abszess, Fisteln (~2,3 %),

    • Enterokolitis (~2,3 %),

    • Ileus (~2,3 %).

  • Spätkomplikationen nach TERPT (>30 Tage postoperativ; [41]) umfassen:

    • Enterokolitiden (~18,6 %),

    • Obstipation (~44 %),

    • Striktur (~11,6 %).

Die genannten Prozentsätze variieren in der Literatur teilweise erheblich.

Auch wegen der häufig postoperativ bestehenden Obstipation ist eine konsequente, langfristige Nachbetreuung und Behandlung der operierten Kinder durch erfahrene Kinderchirurgen und Kindergastroenterologen angezeigt. Eine therapierefraktäre Obstipation erfordert die Abklärung eines hypo- bzw. aganglionären Restsegments, einer Achalasie des M. sphincter ani internus und den Ausschluss einer Anastomosenstriktur.

Die offen-chirurgischen Durchzüge und die laparoskopisch assistierten Durchzüge haben vergleichbare Operationszeiten bei jedoch signifikant niedrigeren Komplikationsraten der laparoskopischen Operationen. Somit ist der laparoskopisch assistierte Durchzug sicher und zuverlässig [42, 43].

Prognose

Die Prognose hängt i. Allg. von der Ausdehnung der Aganglionose ab. Die Langzeitergebnisse nach TERPT zeigen, dass etwa 15 % der Patienten persistierende Beschwerden mit Obstipation haben [44]. Damit sind die Ergebnisse besser als bei Patienten mit anorektalen Anomalien, aber signifikant schlechter im Vergleich zur gesunden Kontrollpopulation [45]. Im Vergleich zu gesunden Kontrollgruppen weisen MH-Patienten während der Kindheit eine signifikante Beeinträchtigung der Stuhlkontinenz nach TERPT auf, jedoch verringern sich die Symptome mit zunehmendem Alter.

Obwohl die Lebensqualität insgesamt zur gesunden Kontrollpopulation vergleichbar erscheint, sind doch Beeinträchtigungen des emotionalen und sexuellen Befindens im Erwachsenenalter feststellbar [46, 47]. Grundsätzlich bedürfen die Patienten der lang dauernden und konsequenten kindergastroenterologischen und kinderchirurgischen Nachsorge mit besonderem Augenmerk auf Obstipation und Prävention eines sekundären Megakolons sowie auf Kontinenz.

Fazit für die Praxis

  • Morbus Hirschsprung ist eine angeborene Aganglionose von anal nach oral in variabler Ausdehnung. Unterschieden werden kurz- (80 %) und langstreckige (15–20 %) Formen.

  • Ursächlich können eine mono- oder eine polygenetische Vererbung sein; das durchschnittliche Wiederholungsrisiko unter Geschwistern beträgt etwa 4 %.

  • Bei einem <5 %igen Anteil der Fälle liegt eine MEN 2a vor, mit erhöhtem Risiko für ein medulläres Schilddrüsenkarzinom und ein Phäochromozytom.

  • Bei familiären, syndromalen und langstreckigen Formen sind RET-Mutationsanalysen sinnvoll.

  • Diagnostischer Goldstandard ist die histologische Untersuchung von Proben aus mindestens 2 bis 3 Saugbiopsien, 2–3 cm oberhalb der Linea dentata, mit Erfassung des Plexus submucosus.

  • Therapieziele sind Resektion des aganglionären Segments und Durchzug des euganglionären Darmes unter Schonung des Beckenbodenkomplexes und des analen Sphinkters. Angestrebt wird die frühzeitige, einzeitige Operation. Methode der Wahl bei der kurzstreckigen Aganglionose ist der TERPT. Laparoskopische Methoden haben keine Nachteile.

  • Die Prognose ist je nach Ausdehnung der Aganglionose, Erfahrung des Operateurs sowie bei konsequenter kindergastroenterologischer und -chirurgischer Nachbetreuung und konsequenter Therapie der oft weiterbestehenden Obstipation gut.