Hintergrund und Fragestellung

Im März und April 2009 wurde erstmals über die Isolierung einer neuen Variante des Influenza-A-Virus, Influenza A/H1N1-2009-Virus, in Mexiko und Kalifornien berichtet [3]. In den folgenden Wochen kam es zu dessen rascher weltweiter Ausbreitung, sodass die Weltgesundheitsorganisation (WHO: World Health Organization) am 11.06.2009 das Vorliegen einer Pandemie erklärte. In Europa kam es in Spanien und England bereits im Sommer 2009 zur autochthonen endemischen Ausbreitung. Währenddessen traten in Deutschland nur sporadische Infektionen durch Reisende aus Endemiegebieten auf. Erst im Oktober begann die autochthone Ausbreitung in Deutschland mit der höchsten Inzidenz in Hamburg in den Kalenderwochen 46 und 47. Bis zum 09.02.2010 wurden insgesamt 5136 Fälle von Influenza A/H1N1-2009-Virus-Infektion aus Hamburg an das Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt.

In Übereinstimmung mit Erfahrungen aus den USA [13] waren Kinder und junge Erwachsene besonders betroffen [4, 7, 17]. Das RKI verzeichnete die höchste kumulative Inzidenz von Kalenderwoche (KW) 18 im Jahr 2009 bis KW 5 im Jahr 2010 mit 841/100000 Einwohner in der Gruppe der 5- bis 14-Jährigen (Infobox 1). Der überwiegende Anteil der stationär behandelten pädiatrischen Patienten in den USA, Australien und Kanada litt unter Vorerkrankungen [1, 7, 10, 15]. Diese Gruppe sollte darüber hinaus entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission am RKI (STIKO) vorrangig gegen Influenza A/H1N1-2009 geimpft werden.

Detaillierte Berichte zu Klinik und Verlauf der Influenza A/H1N1-2009 bei stationär behandelten Kindern und Jugendlichen in Deutschland liegen bisher nicht vor.

Am Katholischen Kinderkrankenhaus Wilhelmstift, einem von 3 großen Hamburger Kinderkrankenhäusern, werden jährlich etwa 6500 Kinder stationär und über 40.000 ambulant behandelt.

Im Zeitraum vom 01.08.2009–01.03.2010 wurde bei insgesamt 95 der stationär am Kinderkrankenhaus Wilhelmstift behandelten Patienten eine Influenza A/H1N1-2009-Virus-Infektion diagnostiziert. Ziel der vorliegenden Arbeit war, Symptomatik und Verlauf unter Berücksichtigung von Vorerkrankungen und erfolgter Therapie zu analysieren, um daraus Konsequenzen für die Diagnostik und Therapie vor einer erneuten Erkrankungswelle ziehen zu können.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Studiendesign

Wir untersuchten retrospektiv ein Patientenkollektiv von 95 Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren mit gesicherter Influenza A/H1N1-2009-Virus-Infektion. Erhoben wurden Daten zu Erkrankungsbeginn und -dauer, Alter, Geschlecht, bestehenden Vorerkrankungen, Symptomen, Laborparametern und Therapie mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens. Erfasst wurden sowohl anamnestisch bei der Aufnahme als auch im stationären Verlauf aufgetretene Symptome. Blutbild und Differenzialblutbild sowie CRP (C-reaktives Protein) wurden bei der Aufnahme bestimmt. Für die Berechnung der Dauer des stationären Aufenthalts bzw. der Erkrankungsdauer wurden der Aufnahmetag bzw. der Tag des Symptombeginns als Tag 0 definiert. Die Daten wurden anonymisiert durch die Erstautorin erhoben.

Patientenkollektiv

In die Studie wurden alle positiv getesteten Patienten eingeschlossen, die im Zeitraum vom 01.08.2009–01.03.2010 stationär in unserer Klinik behandelt wurden. Getestet wurden Patienten, die aufgrund ihres beeinträchtigten Allgemeinzustandes stationär aufgenommen wurden und Luftwegssymptome und Fieber aufwiesen oder anamnestisch aufgewiesen hatten.

Mikrobiologische Untersuchungsmethoden

Der Influenza A/H1N1-2009-Virus--Nachweis erfolgte mittels Realtime-PCR (PCR: Polymerasekettenreaktion, RealTime ready Influenza A (H1N1) 2009 Detection Set, Roche) aus Nasen-Rachen-Abstrich-Material am Institut für Hygiene und Umwelt in Hamburg.

Errechnung des Body-Mass-Index (BMI)

Hierfür wurde der Online-Rechner der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA, Infobox 1) verwendet [8].

Statistische Verfahren

Die Datenanalyse erfolgte deskriptiv. Die Daten wurden mit Excel:mac 2008 ausgewertet. Für den Datenvergleich unterschiedlicher Gruppen wurde der Wilcoxon-“two-sided“-Test für nichtnormalverteilte Daten verwendet.

Ergebnisse

Patientenkollektiv

Die Geschlechterverteilung war mit 48% Mädchen und 52% Jungen nahezu ausgeglichen. Die Altersverteilung der Patienten (Spannweite: 2 Monate–17 Jahre) ergibt sich aus Tab. 1. 37% der Patienten litten unter Vorerkrankungen, darunter 40% unter pulmonalen Vorerkrankungen (Tab. 2). Einen BMI>90. Perzentile wiesen 11, einen BMI <3. Perzentile 14 Patienten auf. Ein Patient war 2 Tage vor Symptombeginn mit Pandemrix® geimpft worden.

Tab. 1 Altersverteilung der an Influenza A/H1N1-2009 erkrankten Patienten
Tab. 2 Vorerkrankungen der Patienten

Klinische Symptomatik

Insgesamt 79% der Patienten wiesen respiratorische, 64% gastrointestinale, 23% neurologische Symptome auf. 77% der Patienten hatten Fieber >39°C. Bei 23% fanden sich Temperaturen zwischen 38 und 39°C, kein Patient blieb während der gesamten Erkrankungsdauer fieberfrei (Tab. 3).

Tab. 3 Symptomatik bei 95 stationär behandlungsbedürftigen Kindern mit Influenza A/H1N1-2009-Virus-Infektion

Unter den respiratorischen Symptomen war die pulmonale Obstruktion am häufigsten (25%), gefolgt von Pneumonie (17%). Bei Verdacht auf Pneumonie wurde diese radiologisch gesichert, und bei erhöhten Entzündungsparametern erfolgte eine antibiotische Therapie. Eine Sauerstoffsupplementierung benötigten 13% der Patienten, und 1 Patient musste maschinell beatmet werden (Tab. 3). Gliederschmerzen als typisches Symptom der Influenza wurden nur selten angegeben, Kopfschmerzen und Synkopen waren dagegen insbesondere bei jugendlichen Patienten häufig (n=8). Knapp 2/3 der Patienten benötigten aufgrund klinischer Dehydratationszeichen, Hinweisen für eine Dehydratation in der Blutgasanalyse oder drohender Dehydratation bei unzureichender Trinkleistung eine parenterale Flüssigkeitssubstitution (Tab. 3).

Laborparameter

Die laborchemischen Entzündungsparameter (Abb. 1, Abb. 2) waren leicht bis mäßiggradig erhöht. Die CRP-Konzentration lag im Median bei 10,2 mg/l [IQR=4,0–24,9 mg/l (IQR: Interquartilenrange), Bereich <1 bis 406 mg/l], der Großteil der Patienten (71%) hatte CRP-Werte <20 mg/l (Abb. 1). Ähnliches gilt für die Gesamtzahl der Leukozyten (Median 8,3/nl, IQR=6,1–11,3/nl]) und der Neutrophilen (Median 69%, IQR=53–77%; absolut 5,3/nl, IQR=3,3–7,5/nl), während die Lymphozyten absolut und relativ etwas vermindert waren (Median 21%, IQR=14–34%; absolut 1,8/nl, IQR=1,0–2,6/nl). Es fand sich eine leichte Monozytose (Median 11%, IQR=7–13%, absolut Median 0,8/nl, IQR=0,6–1,2/nl). Ein Patient entwickelte im Verlauf eine Leukopenie mit Neutropenie (Abb. 2). Die Thrombozytenzahlen lagen in der Regel im Normbereich (Median 233/nl, IQR=190–301/nl), bei 2 Patienten lag eine Thrombozytopenie vor. Der Hämoglobingehalt (Hb) bei der Aufnahme war ebenfalls normal (Median 12,1 mg/dl, IQR=11,3–13 mg/dl).

Abb. 1
figure 1

CRP, aufgeteilt nach Höhe des CRP-Werts, Angabe der relativen Anzahl der Patienten in %

Abb. 2
figure 2

CRP und absolute Leukozytenzahl bzw. Differenzialblutbild (jeweils Median) bei 95 Kindern mit Influenza A/H1N1-2009

Verlauf und Schwere der Erkrankung

Als Maß für die Schwere der Erkrankung verwendeten wir die Erkrankungsdauer, gemessen vom anamnestisch erhobenen Tag des Symptombeginns bis zum Entlassungstag. Die so ermittelte durchschnittliche Erkrankungsdauer betrug 6,5 Tage. Kinder unter 12 Monaten waren im Mittel länger (7,5 Tage) krank als ältere Kinder (6,2 Tage, p=0,1170).

Die Patienten wurden im Mittel 4,1 Tage stationär behandelt (Säuglinge 4,8 Tage, Patienten >1 Jahr 3,9 Tage). Die Erkrankungsdauer vor der stationären Aufnahme betrug im Mittel 2 Tage. Patienten mit Vorerkrankungen waren nicht länger krank als Kinder ohne Vorerkrankung (beide im Mittel 6,5 Tage). Vorwiegend bei an einer Influenza A/H1N1-2009-Virus-Infektion erkrankten Erwachsenen wurde wiederholt Adipositas als Risikofaktor für Komplikationen und einen schwereren Erkrankungsverlauf beschrieben [11, 16]. In unserem Patientenkollektiv waren die übergewichtigen Kinder im Mittel nicht länger krank als normalgewichtige Kinder. Bei etwa 30% der Patienten kam es im Verlauf zu Komplikationen. Bakterielle Super- oder Koinfektionen traten in Form von Pneumonie, Otitis media, Appendizitis und Clostridium difficile-positiver Kolitis auf. Bei 16 Patienten (17%) ließ sich radiologisch eine Pneumonie nachweisen, bei 8 Patienten trat eine Otitis media (davon in 1 Fall eine Otits media haemorrhagica) auf, bei je 1 Patienten kam es zu einer Appendizitis perforata bzw. Kolitis mit Nachweis des Clostridium difficile-Toxins. Alle angelegten Blutkulturen blieben nach 7-tägiger Bebrütung steril. Weitere Komplikationen waren Myositis und Purpura Schönlein-Henoch, ferner wurden je 1 Fall von Apnoe (2 Monate alter Säugling) und eines Syndroms der inadäquaten ADH-Sekretion (ADH: antidiuretisches Hormon) beobachtet. Von den 8 Patienten, bei denen in der Aufnahmesituation ein Meningismus aufgefallen war, wurde bei 6 aufgrund persistierender Symptomatik im Verlauf eine Lumbalpunktion durchgeführt. In allen 6 Fällen war der Liquorstatus unauffällig. 6 Patienten mussten intensivmedizinisch behandelt werden, in einem Fall war eine maschinelle Beatmung notwendig. Todesfälle traten in unserem Patientenkollektiv nicht auf.

Therapie

Die Behandlung erfolgte in erster Linie symptomatisch. Eine parenterale Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution erhielten 60% der Patienten. Darüber hinaus wurden Antipyretika (Ibuprofen und Paracetamol) verabreicht. Antibiotisch wurden 25% der Patienten behandelt. Dazu gehörten Patienten mit radiologisch nachgewiesener Pneumonie, Otitis, intensivstationärer Behandlung, ambulant bereits begonnener antibiotischer Therapie und der Patient mit Clostridium difficile-Kolitis. Die Behandlung erfolgte bis auf einen Fall intravenös, in der Regel mit Cefuroxim. Insgesamt 27 Patienten wurden antiviral mit Oseltamivir für 5 Tage behandelt, davon 20 innerhalb der empfohlenen 48 h nach Erkrankungsbeginn und 7 Patienten aufgrund ausbleibender spontaner klinischer Besserung später. Bei Patienten unter 1 Jahr, für die bisher nur begrenzte pharmakokinetische Daten vorliegen, wurde die Entscheidung zur Therapie nach sorgfältiger Abwägung des potenziellen Nutzens für den Säugling gegen das potenzielle Risiko gemeinsam mit den Patienteneltern getroffen. Der jüngste mit Oseltamivir behandelte Patient war 3 Monate alt. Die Erkrankungsdauer ohne Oseltamivirbehandlung betrug 6,4 Tage, mit antiviraler Therapie nur 4,8 Tage (p=0,0673). Auch die Entfieberung wurde durch die Gabe von Oseltamivir beschleunigt: Innerhalb von 48 h nach Symptombeginn behandelte Patienten entfieberten im Durchschnitt am 2. (stationären) Behandlungstag, Patienten, die kein Oseltamivir erhielten, erst am 3. Behandlungstag (p=0,25540). Nebenwirkungen der Oseltamivirbehandlung wurden nicht beobachtet.

Diskussion

Unsere Ergebnisse bestätigen Beobachtungen aus Kanada [15], den USA [13], Australien [1] und Argentinien [9], dass jüngere Kinder, insbesondere Säuglinge, schwerer als ältere Kinder von der Influenza A/H1N1-2009 betroffen waren. Dass im Gegensatz zur saisonalen Influenza vorwiegend Kinder und junge Erwachsene an der Influenza A/H1N1-2009-Virus-Infektion erkrankten, wird zum einen durch eine fehlende (Teil)-Immunität [6], zum anderen durch das Sozialverhalten wie Schulbesuch dieser Altersgruppen erklärt. Kleinkinder und Säuglinge werden zwar selten größeren Menschenansammlungen ausgesetzt, können jedoch im häuslichen Umfeld nur schwer von älteren Geschwisterkindern getrennt werden und kommen dadurch mit dem Virus in Kontakt. Da Influenzavirusinfektionen sich hauptsächlich in den Atemwegen manifestieren, kann dies bei Säuglingen aufgrund der engeren anatomischen Verhältnisse besonders leicht zur Behinderung der Atmung und daraus resultierenden Trinkschwierigkeiten führen. Dies wiederum kann ein Erklärungsansatz für die besonders hohe Hospitalisierungsrate von Säuglingen sein.

Extrapulmonale Symptome wurden bei Kindern aller Altersgruppen häufiger als bei anderen Influenzasubtypen beobachtet [5, 9]. Unter diesen waren gastrointestinale Symptome am häufigsten, welche dagegen bei saisonaler Influenza bei Erwachsenen lediglich in 5% der Fälle beobachtet wurden, bei Kindern gelegentlich [2, 12]. In klinischen Studien in England und Argentinien wurde Erbrechen bei 40 bzw. 10% und Durchfall bei 20 bzw. 8% der hospitalisierten pädiatrischen Patienten mit Influenza A/H1N1-2009 beschrieben [1, 9].

Entgegen früheren Beobachtungen erkrankten Kinder mit pulmonalen Vorerkrankungen nicht schwerer als zuvor gesunde Kinder. Lediglich 2 von 14 Patienten mit pulmonaler Grunderkrankung (im Vergleich zu 10 Patienten ohne Vorerkrankung) entwickelten eine Pneumonie. Umgekehrt litten nur 6 der Patienten, deren Krankheitsverlauf durch eine Pneumonie kompliziert wurde, unter einer Grunderkrankung. Patienten mit und ohne pulmonale Vorerkrankung waren im Mittel 5,7 bzw. 5,4 Jahre alt, sodass das Alter als mögliche Einflussgröße hier vernachlässigt werden kann.

Eine Aussage über die Schwere der Influenza A/H1N1-Erkrankung an sich und insbesondere im Vergleich zu anderen Atemwegsinfektionen lässt diese Studie aufgrund der fehlenden Kontrollgruppe nicht zu.

Oseltamivir erwies sich auch in unserem Patientenkollektiv als wirksam [18]. Die Therapie mit Oseltamivir verkürzte sowohl die Erkrankungsdauer als auch die Zeit bis zur Entfieberung. Auch bei Patienten, die später als 48 h nach Symptombeginn behandelt wurden, schien ein Zusammenhang zwischen Beginn der Therapie und Entfieberung zu bestehen. Dies bedarf genauerer Untersuchung in nachfolgenden Studien. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.

Inzwischen wurde die Influenza A/H1N1-2009-Pandemie durch die WHO für beendet erklärt. Infektionshäufungen treten zurzeit noch in Südafrika, Asien, Südostasien, Australien und Neuseeland auf [14]. Es wird davon ausgegangen, dass das Influenza A/H1N1-2009-Virus für mehrere weitere Jahre ähnlich den saisonalen Influenzaviren kursieren wird. Dies bestätigte sich bereits in der Saison 2010/2011.

Fazit für die Praxis

Das Spektrum der Symptomatik der Influenza A/H1N1-2009 ist mit vielen extrapulmonalen Symptomen ein anderes als das der saisonalen Influenza. Säuglinge erkranken länger als ältere Kinder, wobei pulmonale Vorerkrankungen in unserem Patientenkollektiv keinen Risikofaktor hinsichtlich der Erkrankungsdauer darstellten. Oseltamivir kann den Krankheitsverlauf verkürzen, schwere Nebenwirkungen traten nicht auf.