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Strafbarkeit der Zirkumzision von Jungen

Medizinrechtliche Aspekte eines umstrittenen ärztlichen Eingriffs

Liability to penalty for circumcision in boys

Medico-legal aspects of a controversial medical intervention

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Zusammenfassung

Es kommt nicht selten vor, dass (Kinder-)Chirurgen oder (Kinder-)Urologen von Personensorgeberechtigten mit dem Verlangen konfrontiert werden, eine Zirkumzision an einem Knaben vorzunehmen, obwohl die medizinische Indikation nicht vorhanden oder jedenfalls fraglich ist. Der vorliegende Beitrag macht deutlich, dass ein Arzt in derartigen Fällen Abstand von einem solchen Eingriff nehmen sollte, um später nicht Adressat von zivilrechtlichen Klagen zu werden oder gar Beschuldigter in einem Strafverfahren. Denn die Autoren kommen zu folgendem Ergebnis: Ein Arzt, der an einem minderjährigen und nicht einsichtsfähigen Jungen eine medizinisch nicht notwendige Zirkumzision vornimmt, macht sich nach § 223 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar, selbst wenn die Inhaber der Personensorge in den Eingriff einwilligen. Mangels Dispositionsbefugnis über das beeinträchtigte Rechtsgut (die körperliche Unversehrtheit des Kindes) ist diese Einwilligung nämlich unwirksam. Der Beitrag stellt nicht nur die aktuelle Rechtslage dar, sondern widmet sich auch eingehend den oft vorgetragenen Argumenten, die für die Rechtmäßigkeit einer Zirkumzision streiten sollen (Behandlung einer Phimose, Vorbeugung von Krankheiten, Religion).

Abstract

Surgeons and urologists (usually pediatric) are often confronted with the request to perform circumcision on a boy from parents or guardians in the absence of a medical indication. This review highlights the importance of refraining from such procedures to avoid being the possible addressee of a civil law claim or even being accused in a lawsuit a some later point. The attending physician who performs a circumcision without medical indication on a minor male incurs a penalty according to § 223 para. 1 of the German Criminal Code, even in the case where the parent or guardian of the child has signed the informed consent to that procedure. In the absence of power of approval over the compromised legally protected interest of the child (physical inviolacy), the consent is invalid. The present article discusses not only the current German legal status, but also examines in depth the arguments often put forward to support the legitimacy of male circumcision (treatment of phimosis, disease prevention, religion).

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Literatur (kommentiert)

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  2. Vgl. etwa:Stehr M, Schuster T, Dietz H-G et al. (2001) Die Zirkumzision – Kritik an der Routine. Klin Pädiatr 213: 50–55;Dahingehend, aber weitaus weniger kritisch:Kern B-R, Köhler K (2006) Beschneidung in Deutschland – Religionsfreiheit oder Körperverletzung. Ärztebl Sachsen 3: 104–105;Ebenfalls eher zurückhaltend: Schreiber M, Rösch WH (2005) Verhinderung einer rituellen Zirkumzision durch richterlichen Beschluss. In: Steffens J, Langen P-H (Hrsg) Komplikationen in der Urologie 2. Steinkopff, Darmstadt, S 345–346

  3. Passagen zur religiösen Beschneidung finden sich etwa bei: Gropp W (2005) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 6/231;Lackner K, Kühl K (2007) Strafgesetzbuch, 26. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 5;Maassen W (2005) Kommentar. In: Steffens J, Langen P-H (Hrsg) Komplikationen in der Urologie 2. Steinkopff, Darmstadt, S 348;Fischer T (2008) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 55. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 6b

  4. AG Erlangen, Beschluss vom 30.07.2002 (Aktenzeichen: 4 F 1092/01) bzw. OVG Lüneburg (2003) Beschluss vom 23.07.2002 (Aktenzeichen: 4 ME 336/02). Neue Jur Wochenschr 45: 3290;Hierzu auch: OVG Lüneburg, Urteil vom 22.09.1993 (Aktenzeichen: 4 L 5670/92). FEVS 44: 465

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  5. Vgl. etwa: LG Frankenthal (2005) Urteil vom 14.09.2004 (Aktenzeichen: 4 O 11/02). MedR 4: 243–245;OLG Frankfurt am Main (2007) Beschluss vom 21.08.2007 (Aktenzeichen: 4 W 12/07). Neue Jur Wochenschr 49: 3580–3582;Mit kritischer Besprechung:Putzke H (2008) Juristische Positionen zur religiösen Beschneidung. Neue Jur Wochenschr 22: 1568–1570

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  6. Vgl. statt anderer: Lackner K, Kühl K (2007) Strafgesetzbuch, 26. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 4;Fischer T (2008) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 55. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 3a

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  7. So anscheinend: LG Hanau, was sich aus einer entsprechenden Passage im Beschluss der Beschwerdeinstanz ergibt:OLG Frankfurt am Main (2007) Beschluss vom 21.08.2007 (Aktenzeichen: 4 W 12/07). Neue Jur Wochenschr 49: 3580;Siehe auch Fischer T (2008) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 55. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 6b

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  8. Ausführlich: Putzke H (2008) Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge. In: Putzke H, Hardtung B, Hoernle T et al. (Hrsg) Strafrecht zwischen System und Telos. Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg. Mohr Siebeck, Tübingen, S 679/680;Im Ergebnis ebenso: LG Frankenthal (2005) Urteil vom 14.09.2004 (Aktenzeichen: 4 O 11/02). MedR 4: 244;Gropp W (2005) Strafrecht, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg New York, S 6/231;Maassen W (2005) Kommentar. In: Steffens J, Langen P-H (Hrsg) Komplikationen in der Urologie 2. Steinkopff, Darmstadt, S 348;Wohl auch:Lackner K, Kühl K (2007) Strafgesetzbuch, 26. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 5 a.E.

  9. So: Bundesgerichtshof (BGH) Urteil vom 28.11.1957 (Aktenzeichen: 4 StR 525/57). BGHSt 11: 111–116;BGH, Urteil vom 19.11.1997 (Aktenzeichen: 3 StR 271/97). BGHSt 43: 306–311;Siehe auch: Fischer T (2008) Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 55. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 9;Obwohl ein ärztlicher Heileingriff den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, begeht ein Arzt in der Regel natürlich kein Unrecht, wenn der Eingriff von einer wirksamen Einwilligung des Betroffenen gedeckt ist.

  10. Ähnlich: BGH, Urteil vom 05.12.1958 (Aktenzeichen: VI ZR 266/57). Amtliche Sammlung von Entscheidungen in Zivilsachen. BGHZ 29: 33–37;Eingehend: Eser A (2006) In: Schönke A, Schröder H (Hrsg) Strafgesetzbuch, Kommentar, 27. Aufl. Beck, München, § 223 Rn. 38 m.w.N.

  11. Hierzu: Putzke H (2008) Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge. In: Putzke H, Hardtung B, Hoernle T et al. (Hrsg) Strafrecht zwischen System und Telos. Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg. Mohr Siebeck, Tübingen, S 683 ff;Sowie:Putzke H (2008) Juristische Positionen zur religiösen Beschneidung. Neue Jur Wochenschr 22: 1568–1570

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  15. Näher: Stehr M, Schuster T, Dietz H-G et al. (2001) Die Zirkumzision – Kritik an der Routine. Klin Pädiatr 213: 50–55

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  29. Anderer Ansicht:Maassen W (2005) Kommentar. In: Steffens J, Langen P-H (Hrsg) Komplikationen in der Urologie 2. Steinkopff, Darmstadt, S 348;Maassen räumt der Religionsfreiheit Vorrang ein, so lange das religiöse Verhalten keinen Sittenverstoß darstellt. Das überzeugt nicht, weil das Kriterium des Kindeswohls bei religiösen Handlungen sonst nahezu bedeutungslos wäre. Ausführlich zum Ganzen:Putzke H (2008) Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben. Zugleich ein Beitrag über die Grenzen der Einwilligung in Fällen der Personensorge. In: Putzke H, Hardtung B, Hoernle T et al. (Hrsg) Strafrecht zwischen System und Telos. Festschrift für Rolf Dietrich Herzberg. Mohr Siebeck, Tübingen, S 697 ff

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Putzke, H., Stehr, M. & Dietz, HG. Strafbarkeit der Zirkumzision von Jungen. Monatsschr Kinderheilkd 156, 783–788 (2008). https://doi.org/10.1007/s00112-008-1822-8

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