Das „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) ist ein neues Coronavirus, mit dem sich Ende 2019 erstmals Menschen infizierten. Am 29. Dezember 2019 berichtete das chinesische Zentrum für Infektionskontrolle und -prävention (Chinese Center for Disease Control and Prevention [CDC]) in der Provinz Hubei über vier Patienten mit einer „Pneumonie unbekannter Ursache“ [1]. Diese Diagnose dient als Grundlage für die frühzeitige Erkennung neuartiger Atemwegserkrankungen und wurde nach dem Severe-acute-respiratory-syndrome(SARS)-Ausbruch 2003 eingeführt [2]. Sie beinhaltet folgende Kriterien:

  • Fieber (>38 °C)

  • Radiologische Zeichen einer Pneumonie

  • Niedrige oder normale Leukozytenzahl bzw. niedrige Lymphozytenzahlen

  • Keine Verbesserung der Klinik nach adäquater antimikrobieller Therapie

In der Folge kam es zu einer Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Epidemie in China, die sich rasch in vielen anderen Ländern weltweit ausbreitete. Dieser Beitrag untersucht den COVID-19-Ausbruch und seine Übertragungsdynamik in China.

Der erste Monat des Ausbruchs – Dezember 2019

Bei den vier zuerst identifizierten Patienten wurde retrospektiv ein direkter Zusammenhang zu einem Fischmarkt in Wuhan hergestellt. Die Zahl der symptomatisch Infizierten stieg bis zum 1. Januar 2020 – hier wurde der Markt geschlossen – an (n = 47; [1]). Bei dem Patientenkollektiv handelte es sich überwiegend um männliche Personen (medianes Alter: 55 Jahre) ohne bekannte Vorerkrankungen, die auf dem Fischmarkt arbeiteten oder diesen besucht hatten [3, 4]. Lediglich knapp ein Viertel der Patienten war zu diesem Zeitpunkt über 65 Jahre alt. Zwar wurden zwischen dem 3. und 18. Januar 2020 keine neuen Fälle registriert [4], es konnten aber durch Befragungen Infektionen retrospektiv diesem Zeitraum zugeordnet werden. Der Anteil an älteren Patienten nahm dabei zu und es wurden erstmals auch Infektionen von Mitarbeitern des Gesundheitswesens beobachtet. Bis zum 22. Januar konnte bei 87 % der neu infizierten Patienten (n = 378) keine Verbindung mehr zum Fischmarkt hergestellt werden [1].

Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus traten wohl bereits vor den offiziell gemeldeten Fällen auf

Es ist jedoch davon auszugehen, dass menschliche Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus bereits vor den offiziell gemeldeten Fällen auftraten. Einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge konnte der erste symptomatische Patient auf den 8. Dezember 2019 datiert werden [4]. Huang et al. sammelten epidemiologische und klinische Charakteristika des ersten bekannten Clusters (n = 41) und gehen von einem noch früheren Beginn bereits am 1. Dezember aus [3].

Der zweite Monat – Januar 2020

Bis Ende Januar wurde die Reproduktionszahl, das heißt die Zahl an Neuansteckungen durch einen bereits Infizierten, auf 2,0–2,5 geschätzt. Die Verdopplungszeit der Infiziertenzahlen betrug 7,5 Tage [1, 5, 6]. Nach Verknüpfung der gemeldeten Fallzahlen mit Mobildaten schätzten Li et al. [5], dass 86 % aller Infektionen vor dem 23. Januar nicht festgestellt wurden und bis zu diesem Zeitpunkt bereits über 16.000 Infektionen unentdeckt auftraten. Bei den daraus resultierenden unzureichenden Eindämmungsmaßnahmen stiegen die Infektionszahlen in der Folge exponentiell an, während ein Ausbruch in den weiteren Provinzen durch einen frühzeitigen Einsatz von Präventionsmaßnahmen kontrolliert bzw. teils verhindert werden konnte [6, 7]. Zwar breitete sich das Virus auch hier initial schnell aus, eine dramatische (und exponentielle) Ausbreitung wie in Wuhan konnte dennoch verhindert werden (Tab. 1).

Tab. 1 Epidemiologische Kennzahlen für die Provinz Hubei und für China außerhalb von Hubei

Die WHO Joint Mission berichtete, dass von 344 Clustern in den Provinzen Guangdong und Sichuan der überwiegende Anteil (78–85 %) der Fälle innerhalb von Familien (Haushalten) verzeichnet wurde. Die sogenannte „secondary attack rate“, also der Anteil der Kontaktpersonen, die durch einen Infizierten angesteckt werden, schätzte die WHO auf bis zu 10 % [6].

Die Übertragungsdynamik des Virus wird durch ein stochastisches Modell verdeutlicht, das auf Fallzahlen in Wuhan sowie auf inländischen und weltweiten Infektionen mit einem Bezug zu Wuhan basiert. Bei vier eingeführten Infektionen, die nicht dem gleichen Cluster entsprachen, betrug die Wahrscheinlichkeit eines Ausbruchs der Erkrankung ohne Eindämmungsmaßnahmen 50 % [8].

Die starke Reisebewegung anlässlich des chinesischen Neujahrsfests trug zu einer raschen Verbreitung bei

Mobilität und Vernetzung innerhalb Chinas führten in der Folge zu einer raschen Verbreitung des Virus in andere Städte außerhalb Wuhans und der Provinz Hubei. Dazu trug insbesondere die starke Reisebewegung der chinesischen Bevölkerung anlässlich des am 25. Januar 2020 begonnenen chinesischen Neujahrsfests bei. Während dieser sehr intensiven Reisezeit, die 15 Tage vor dem Neujahrsfest beginnt und 25 Tage nach dem Fest endet, wurden 2018 3 Mrd. Reisen innerhalb Chinas registriert [5]. Wuhan mit seinen 11 Mio. Einwohnern gilt dabei aufgrund seiner zentralen Lage als bedeutender Verkehrsknotenpunkt. Bis zum Cordon sanitaire, der am 23. Januar in Wuhan eingeführt wurde und die Mobilität der Einwohner stark einschränkte, verreiste fast die Hälfte der dortigen Bevölkerung, ein Drittel davon außerhalb der Provinz Hubei [9]. Durch Abgleich der geografischen Lage der gemeldeten Fälle mit den Mobildaten der Bevölkerung zeigte sich, dass die Reisebewegung zu einer schnellen Ausbreitung innerhalb Chinas führte. In Städten mit einem hohen Verkehrsstrom aus Wuhan wurden COVID-19-Infizierte zu einem früheren Zeitpunkt registriert [10]. Innerhalb von 28 Tagen registrierten 262 Städte eine erstmalige Infektion. Bei der 2009-H1N1pdm-Pandemie wurde eine ähnliche Ausbreitung erst nach 132 Tagen erreicht [10]. Bis zum 30. Januar wurden in jeder chinesischen Provinz COVID-19-Infizierungen gemeldet [11].

Kontrolle des Ausbruchs in Wuhan und anderen Regionen

Mitarbeiter des chinesischen CDC führten ab dem 31. Dezember 2019 epidemiologische Untersuchungen durch. Über 700 Kontaktpersonen der ersten 41 hospitalisierten Patienten wurden identifiziert und untersucht [4]. Aufgrund der Exposition mehrerer Infizierter auf dem Fischmarkt in Wuhan wurde dieser als möglicher Infektionsort gehandelt und am 1. Januar geschlossen. Zur frühzeitigen Erfassung von Infizierten und Verdachtsfällen wurden epidemiologische Feldteams eingesetzt. Diese erfassten unter anderem klinische Daten (beispielsweise Symptombeginn und Krankenhausbesuche), mögliche Expositionen 14 Tage vor Symptombeginn und Kontaktpersonen. Bei Verdachtsfällen nahmen die Feldteams Rachenabstriche. Zudem wurden Daten von Mobilgeräten, Reisen oder Videoüberwachungen generiert und mithilfe künstlicher Intelligenz ausgewertet. Kontaktnachverfolgungen konnten so intensiviert, Infektionsketten rekonstruiert und eine häusliche Quarantäne eingeleitet bzw. überwacht werden. Nach Aufbau und Implementierung der Kontrollmechanismen arbeiteten allein in Wuhan mehr als 1800 Teams mit mindestens fünf Personen pro Team [6]. Je nach Ort konnte bei 1–5 % der verfolgten Kontaktpersonen eine im Labor bestätigte Infektion festgestellt werden [6].

Mobildaten zeigen, dass die Mobilität nach dem 23. Januar in Wuhan massiv reduziert wurde

Am 23. Januar rief die chinesische Regierung die höchste Gefahrenstufe der öffentlichen Gesundheit aus und verhängte einen Cordon sanitaire um Wuhan [6]. Einen Tag später wurden die Maßnahmen auf die gesamte Provinz Hubei erweitert: Ein- und Ausreisen wurden verboten, innerstädtische Verkehrsmittel wurden ausgesetzt und Ausgangssperren für die Einwohner verhängt. Auswertungen von Mobildaten zeigen, dass die Mobilität nach dem 23. Januar in Wuhan massiv reduziert wurde [8, 12]. Weitere Städte und Provinzen implementierten ebenfalls Beschränkungen im öffentlichen Raum, sodass insgesamt etwa 250 Mio. Einwohner von den Maßnahmen betroffen waren. Öffentliche Veranstaltungen und Massenversammlungen wurden abgesagt, Schulen geschlossen und Ferien verlängert. Bis Ende Januar wurde in ganz China der höchste gesundheitliche Krisenzustand ausgerufen [11].

Diese Maßnahmen erwiesen sich als wirkungsvoll. Während initial eine Reproduktionszahl von 2,0 bis 2,5 zu einer schnellen Ausbreitung führte, konnten durch soziale Distanzierung, Quarantäne von (Verdachts‑)Fällen und Reisebeschränkungen die möglichen Übertragungsketten durchbrochen werden [6, 10]. Modellrechnungen der London School of Hygiene and Tropical Medicine zufolge sank die Reproduktionszahl bereits eine Woche nach den Reisesperren auf 1,05, nach weiteren Beobachtungen in der darauffolgenden Woche auf unter 1 ([8, 13]; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Kumulative Infektionen in Hubei und in China außerhalb der Provinz Hubei

Die strikten Reise- und Ausgangssperren in Wuhan führten zu einer Verzögerung der Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus in weitere Städte um 2,9 Tage [10]. Diese Maßnahmen könnten den Städten Zeit gegeben haben, eigene Präventions- und Diagnostikmaßnahmen zu ergreifen. Städte, die den höchsten Gesundheitsnotstand ausriefen, bevor der erste COVID-19-Fall festgestellt wurde, meldeten in der ersten Woche ihres Ausbruchs 33 % weniger Fälle [10]. Die Zeit vom Symptombeginn bis zur Hospitalisierung verringerte sich Anfang Februar um 9 Tage im Vergleich zu Anfang Januar [6].

Ausbruchssimulationen mit den gleichen epidemiologischen Parametern, die für das frühe Stadium geschätzt wurden, zeigten, dass Präventionsmaßnahmen wirkungsvoll waren [14]. Die Früherkennung von Fällen und eine damit verbundene frühzeitige Quarantäne konnten den Anstieg der Infektionen in China auf ein Fünftel senken (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Wesentliche Maßnahmen der chinesischen Regierung. Epidemiologische Kennzahlen und der Ausruf der internationalen Notlage sind zur besseren zeitlichen Einordnung in der unteren Reihe eingefügt. PHEIC „Public health emergency of international concern“ (gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite), Wuhan CDC Wuhan Center for Disease Control and Prevention, WHO Weltgesundheitsorganisation

Lockerung der Restriktionen und aktuelle epidemiologische Erkenntnisse

Die Maßnahmen der chinesischen Regierung führten zu einer erheblichen Reduktion der Übertragung von SARS-CoV‑2. Seit dem 18. März wurden nur 3 neu infizierte Personen in Hubei gemeldet (Stand 14. April). Die getroffenen strikten Maßnahmen konnten ohne immense sozioökonomische Folgen nicht über einen langen Zeitraum aufrechterhalten werden. Die Einschränkungen wurden entschärft und soziale wie wirtschaftliche Aktivitäten wieder aufgenommen. Einreisen nach Wuhan, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, das Betreten von Schulen und die Rückkehr an den Arbeitsplatz sind wieder erlaubt. Welche Auswirkungen die Lockerungen in China und speziell in Wuhan nach sich ziehen, ist von weltweitem Interesse.

Eine geringe Immunität in der Gesellschaft birgt die Gefahr eines erneuten Ausbruchs von COVID-19 [15]. Auch unter Berücksichtigung einer hohen Zahl von unentdeckten Fällen könnten in Wuhan, der Stadt, in der mehr als die Hälfte aller offiziell gemeldeten Fälle in China registriert wurde, weniger als 10 % der Einwohner infiziert gewesen und somit immun sein [16]. In Shanghai, Hongkong und Taiwan wurden nach Eindämmung der Infektionszahlen wieder vermehrt Neuinfektionen registriert. Zwar konnte ein Großteil der Infektionen auf Reisende von außerhalb Chinas zurückgeführt werden, allerdings wurden auch lokale Übertragungen festgestellt [16].

Dennoch deutet eine Analyse des Imperial College London darauf hin, dass Lockerungen der Maßnahmen nicht zwingend einen Anstieg der Infektionen zur Folge haben. Untersucht wurden die sechs Provinzen, die die meisten Infektionen verzeichneten. Dabei konnte trotz zunehmender Mobilität und steigender wirtschaftlicher Aktivität keine Zunahme der Neuinfektionen festgestellt werden [17]. Allerdings erreichten in fünf der sechs untersuchten Provinzen Mobilität und wirtschaftliche Aktivität nicht das Ausmaß vor dem Einsetzen der Reise- und Ausgangssperren. Ob die Rate der Neuinfektionen unter Normalbedingungen ähnlich ausfällt, kann daher zum jetzigen Stand noch nicht beurteilt werden.

Um das Risiko einer erneuten Infektionswelle, der sogenannten „second wave“, zu minimieren, werden noch immer Kontrollmaßnahmen eingesetzt. Beispielsweise zeigt eine landesweit eingeführte Handy-App, die neben Gesundheitsdaten auch Aufenthaltsgebiete von Personen registriert, den Benutzern einen individuellen „Gesundheits-Code“ nach dem Ampelschema an. Die Farbe Rot bedeutet dabei eine weiterhin 2‑wöchige häusliche Quarantäne, während bei Personen mit einem grünen Code ein geringes Infektionsrisiko besteht. Der Benutzer darf dann öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder die Arbeit wieder aufnehmen.

Weitreichenden Reise- und Ausgangssperren, Identifikation von Kontaktketten und Isolierung von (Verdachts‑)Fällen führten zu einer verzögerten Ausbreitung und erheblichen Reduktion von Neuinfektionen. Die weiterhin landesweiten Präventionsmaßnahmen sollen trotz der wirtschaftlichen und sozialen Öffnung eine Welle an Neuinfektionen verhindern. Ob dies langfristig gelingt, wird sich erst noch zeigen müssen.

Fazit für die Praxis

  • In den ersten Wochen wurde ein Großteil der Infektionen nicht erfasst. Bis zur Wirkung der Ende Januar getroffenen Eindämmungsmaßnahmen stiegen die Infektionszahlen in Hubei exponentiell an. In den weiteren Provinzen konnte ein Ausbruch dagegen durch frühzeitige Präventionsmaßnahmen kontrolliert bzw. teils verhindert werden.

  • Die strikten Reise- und Ausgangssperren in Wuhan führten zu einer verzögerten Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus in weitere Städte.

  • Ausbruchssimulationen zeigten, dass die Präventionsmaßnahmen in China wirkungsvoll waren. Die Früherkennung von Fällen und eine damit verbundene frühzeitige Quarantäne konnten den Anstieg der Infektionen in China eindämmen.

  • Eine geringe Immunität in der Gesellschaft birgt die Gefahr eines erneuten COVID-19-Ausbruchs. Dennoch müssen Lockerungen der Maßnahmen nicht zwingend einen Anstieg der Infektionen zur Folge haben.

  • Landesweite Präventionsmaßnahmen wie eine Handy-App sollen trotz der wirtschaftlichen und sozialen Öffnung eine Welle an Neuinfektionen verhindern.