Hintergrund

Die Cochleaimplantation ist eine etablierte Therapie zur Behandlung von Patienten mit hochgradiger, höchstgradiger oder an Taubheit grenzender Schallempfindungsschwerhörigkeit [20]. In den ersten Jahren der Versorgung mit einem Cochleaimplantat (CI) wurden nur Patienten mit funktioneller Taubheit ohne Sprachverstehen mit schallverstärkenden Hörgeräten als CI-Kandidaten in Erwägung gezogen. In den letzten beiden Dekaden wurden die audiometrischen Indikationskriterien deutlich erweitert [4, 11]. So kommen heute für die CI-Versorgung Patienten in Betracht, die noch über substanzielles Restgehör auf der CI-Seite verfügen. Bezüglich der Gegenseite werden heute Schwerhörige mit allen Graden asymmetrischen Hörverlusts bis hin zur Normalhörigkeit erfolgreich mit CI versorgt [1, 16, 20]. Gründe hierfür waren die kontinuierliche Verbesserung der CI-Versorgung im Bereich der Chirurgie [19, 20], der Technologie [2, 7, 8, 17, 28] und der Rehabilitation [26, 29]. Auch wurden zunehmend Patienten mit substanziellem präoperativem Gehör auf der zu versorgenden Seite für eine Cochleaimplantation in Betracht gezogen [27]. Besonders für diese Patientengruppe ist eine individuelle Prognose des postoperativen Sprachverstehens unter Berücksichtigung der präoperativen Befunde von hoher klinischer Relevanz, da die CI-Insertion das Restgehör deutlich beeinträchtigen kann [19, 20]. In verschiedenen Arbeiten wurden die Einflussfaktoren auf das postoperative Sprachverstehen für größere Patientengruppen untersucht [2, 8, 18, 29].

So berichten Blamey et al. [2] über 2251 Patienten und identifizierten 5 Faktoren, welche das Sprachverstehen divergierend beeinflussen: Die Dauer der hochgradigen Schwerhörigkeit bzw. Taubheit, das Alter bei CI-Versorgung, das Alter bei Einsetzen der hochgradigen Schwerhörigkeit sowie Ätiologie und CI-Erfahrung. Auf die Beziehung zwischen prä- und postoperativem Sprachverstehen wurde nicht eingegangen. Dies war vermutlich dem Studiendesign der multizentrisch und multilingual angelegten Studie geschuldet, wodurch keine vergleichende Auswertung des Sprachverstehens vor und nach der CI-Versorgung möglich war. Die nähere Betrachtung der Daten weist auf eine weitere Einschränkung hin: Nur ein kleiner Teil der Patienten weist ein präoperatives Einsilberverstehen von mehr als 0 % auf.

Holden et al. [8] fanden in einer Untersuchung von 114 Patienten einen Zusammenhang zwischen präoperativem Satzverstehen und dem postoperativen Einsilberverstehen. Jedoch, wie auch bei Blamey et al. [2], war das präoperative Sprachverstehen (hier Sätze) eher niedrig, die Mehrzahl der Patienten zeigte Werte von oder nahe 0 % bei einem Mittelwert von 16,4 % ± 18 %. In einer multizentrischen Studie verglichen Gifford et al. [4] das präoperative Einsilberverstehen (Konsonant – Kernvokal – Konsonant, „consonant – nucleus vowel – consonant“, CNC) in der bestversorgten Situation gegen das postoperative Ergebnis, nur mit CI und, wenn möglich, in der bimodalen Kondition in einer Gruppe von 22 Patienten. Ihre Ergebnisse, zusammen mit denen von Holden et al. [8], legen nahe, dass ein höheres präoperatives Sprachverstehen mit besseren postoperativen Ergebnissen einhergeht. Diese Hypothese wird auch von anderen Studien unterstützt [3, 14, 18].

Präoperatives Sprachverstehen

Im Rahmen der Hörgeräte- und CI-Evaluation werden im deutschsprachigen Raum vor allem Einsilber- und Satztests eingesetzt [15]. Eine besondere Rolle spielt der Freiburger Einsilbertest, der sowohl über Kopfhörer im standardisierten Sprachaudiogramm gemessen wird als auch im freien Schallfeld mit einer Hörgeräte- oder CI-Versorgung. Dadurch erhält man nicht nur Informationen über die Sprachverständlichkeit bei Umgangssprachpegeln, sondern auch bei Pegeln nahe der Unbehaglichkeitsschwelle [15, 25].

Im Rahmen einer präoperativen CI-Diagnostik werden u. a. 2 sprachaudiometrische Größen erhoben: Das Einsilberverstehen bei einem Umgangssprachpegel von 65 dBSPL mit Hörgeräten, EV65(HG), und das maximale Einsilberverstehen (mEV). Letzteres wird als Teil der Diskriminationsfunktion für Einsilber über Kopfhörer (Luftleitung) gemessen. Der zur Erreichung des mEV notwendige Präsentationspegel variiert interindividuell, insbesondere für höhere Grade der Schwerhörigkeit finden sich hier Werte nahe der Unbehaglichkeitsschwelle [5].

In Zusammenschau mit dem Tonaudiogramm ermöglicht das mEV eine orientierende individuelle Beurteilung des mit akustischer Verstärkung maximal erreichbaren Sprachverstehens [10, 24]. In der Regel liegt das individuelle mEV über dem EV65 [12, 13]. Halpin und Rauch [6] diskutierten das mEV im Zusammenhang mit der informationstragenden Kapazität („information carrying capacity“, ICC) des auditorischen Systems. Als Konsequenz kann das mEV als ein Schätzwert für die ICC betrachtet werden. Halpin und Rauch [6] stellten heraus, dass ähnliche Reintonaudiogramme zu unterschiedlichen Sprachverstehensleistungen führen können. Das Reintonaudiogramm erfasst die Abschwächungskomponente des Hörverlusts; andere potenzielle Auswirkungen einer cochleären Hörstörung wie reduzierte zeitliche oder spektrale Auflösung werden darin nicht abgebildet. In Ergänzung zum Reintonaudiogramm erfasst das mEV implizit den Einfluss der reduzierten zeitlichen und spektralen Auflösung des gesamten auditorischen Systems auf das Sprachverstehen.

In aktuellen Untersuchungen [10, 11, 15, 21,22,23] von Hörgerätenutzern findet sich ein beträchtlicher Anteil von Nutzern, sogar mit mittelgradigem Hörverlust, die nicht in der Lage sind, ihre als mEV gemessene ICC in Sprachverstehen mit Hörgeräten bei Umgangssprachpegeln umzusetzen. Diese Diskrepanz ist zumindest bei Nutzern mit einer höhergradigen Schwerhörigkeit erklärbar: Das mEV wird nahe der Unbehaglichkeitsschwelle gemessen [10]. Der noch nutzbare, jedoch unzureichende Dynamikbereich [30] dieser Hörgeräteträger und die Intoleranz gegenüber der notwendigen hohen akustischen Verstärkung begrenzt den potenziellen Nutzen der Hörgeräteversorgung in diesen Fällen.

Ziel der retrospektiven Studie war es, das Sprachverstehen nach CI-Versorgung in Patienten mit substanzieller ICC, also einem mEV oberhalb 0 %, zu untersuchen. Hierfür wurden die postoperativen Sprachverstehensleistungen von Patienten mit unterschiedlichem präoperativem Einsilberverstehen verglichen. Darüber hinaus wurde der prognostische Wert des mEV für das postoperative Einsilberverstehen ermittelt.

Methoden

Patienten

Im Rahmen der Studie wurden die Patientenakten von 550 Patienten retrospektiv ausgewertet, die in der Hals‑, Nasen‑, Ohrenklinik, Kopf- und Halschirurgie des Universitätsklinikums Erlangen zwischen Januar 2010 und Juni 2014 mit einem Nucleus-CI (Cochlear Ltd, Sydney, Australien) versorgt wurden. Nach Ausschluss pädiatrischer Fälle verblieben 312 Patienten. Diese Patienten erhielten Implantate mit gleichem perimodiolarem Elektrodenträger und unterschiedlicher Receiver-Stimulator-Komponente bei ansonsten gleicher Funktion, Nucleus CI24RE(CA), n = 208, und Nucleus CI512, n = 104. Die Insertion erfolgte bei n = 81 durch eine Cochleostomie, bei n = 41 über eine Rundfensterinsertion und bei n = 190 über eine erweiterte Rundfensterinsertion. Die regelrechte Elektrodenlage wurde über eine postoperative Bildgebungsuntersuchung mit Röntgenaufnahme oder Computertomographie (CT) verifiziert.

Von diesen 312 Erwachsenen wurden weitere 28 von der Auswertung aufgrund medizinischer und anderer Gründe ausgeschlossen. Diese waren im Einzelnen:

  • prälinguale Ertaubung (11),

  • von Deutsch abweichende Muttersprache (8),

  • Wechsel der Nachsorgeeinrichtung (2),

  • Meningeom (1),

  • unvollständige Insertion (3),

  • „tip fold-over“ (1),

  • schwere geistige Behinderung (1) sowie

  • nicht vorhandene Hörgeräteerfahrung aufgrund einer Gehörgangsatresie (1).

Von den 284 ausgewerteten Fällen handelte es sich bei n = 88 Fällen (also n = 44 Patienten) um eine bilaterale Versorgung. Für die Auswertungen wurden ausschließlich monaurale Messungen verwendet.

Die Fälle wurden hinsichtlich ihres präoperativen mEV in 3 Gruppen eingeteilt: In Gruppe 1 sind alle Fälle mit einem mEV von 0 % zusammengefasst. Gruppe 2 setzt sich aus Fällen mit einem mEV oberhalb 0 % bis einschließlich 50 % zusammen und Gruppe 3 aus solchen mit einem mEV oberhalb 50 %. Die Tab. 1 enthält die statistischen Kenndaten für das Patientenalter und die präoperativen Befunde des Sprachverstehens.

Tab. 1 Patientengruppen mit zugehörigen statistischen Kenngrößen für Alter, mEV und EV65(HG)

Präoperative Sprachaudiometrie

Neben dem mit Kopfhörer gemessenen mEV wurde das monaurale Einsilberverstehen mit Hörgerät bei 65 dBSPL, EV65(HG), ausgewertet. Das EV65(HG) wurde im Freifeld in einer schallisolierten Kabine (6 × 6 m) gemessen. Die Lautsprecher wurden 1,5 m vor dem Patienten (0°Azimuth) platziert. Das kontralaterale Ohr wurde, sofern nötig, regelrecht mit Breitbandrauschen über Kopfhörer (DT48, Fa. beyerdynamic, Heilbronn) maskiert.

Alle CI-Kandidaten verfügten mindestens über eine 3‑monatige Hörgeräteerfahrung. Die letzte Anpassung vor der präoperativen CI-Diagnostik lag nicht mehr als 3 Monate zurück. Vor den Messungen wurde die technische Überprüfung der Hörgeräte durch Hörakustiker in der Klinik vorgenommen. Neben einer Sichtprüfung und Rückkopplungsprovokation wurde sichergestellt, dass die verwendeten Hörgerätetypen generell ausreichend Verstärkung für die jeweiligen Hörverluste ermöglichten. Bezüglich der Hörgeräteeinstellung wurde bei auffälligen Ergebnissen mittels Kuppler- bzw. In-situ-Messungen sichergestellt, dass eine ausreichende Verstärkung geleistet wurde.

Postoperative Sprachaudiometrie

Das postoperative Einsilberverstehen mit CI bei 65 dBSPL, EV65(CI), wurde 6 Monate nach Erstanpassung erhoben. Hierfür wurde dieselbe Messanordnung wie für die Messung des präoperativen EV65(HG), einschließlich der Maskierung der kontralateralen Seite, genutzt.

Datenanalyse

Zur Erstellung der Abbildungen und zur Berechnung wurde MathWorksTM Matlab® Software R2013a (Fa. MathWorks, Natick/MA, USA) genutzt. Da keine Normalverteilung der Sprachverstehenswerte vorlag, wie der Shapiro-Wilk-Test ergab (p < 10−6), wurde eine nichtparametrische Analyse durchgeführt. Gruppenvergleiche erfolgten über den Kruskall-Wallis-Test und eine Post-hoc-Analyse. Individuelle Prä-post-Vergleiche des Einsilberverstehens erfolgten unter Berücksichtigung der Konfidenzintervalle von Holube et al. [9]. Für die Korrelationsanalyse wurde der Spearman-Rangkoeffizient ermittelt.

Ergebnisse

Die Streudiagramme in Abb. 1a, b zeigen den Zusammenhang zwischen dem postoperativen EV65(CI) (y-Achse) und dem präoperativen mEV (Abb. 1a) bzw. EV65(HG) (Abb. 1b). Punkte oberhalb der Winkelhalbierenden in den Diagrammen repräsentieren höhere postoperative Messwerte, Punkte unterhalb dieser Geraden stellen geringere postoperative Ergebnisse dar. Die Messwerte in Abb. 1a decken den gesamten Bereich oberhalb der Winkelhalbierenden ab. Die dreieckigen Symbole stehen für signifikante individuelle Unterschiede [9]. Eine Korrelationsanalyse des mEV mit dem postoperativen Einsilberverstehen wurde für die Patienten der Gruppe 2 und 3 durchgeführt. Der Rangkorrelationskoeffizient liegt bei r = 0,39 mit p = 3,4 ∙ 10−7. Die Mehrheit, 156 (96 %) von 163 CI-Trägern der Gruppen 2 und 3 mit einem mEV > 0 %, erzielt ein postoperatives EV65(CI) gleich oder oberhalb ihres jeweiligen mEV. Allerdings erreichen 7 Patienten nicht ihr mEV. Ihre audiometrischen Befunde sind in Tab. 2 dargestellt. Für diese Patienten ist jedoch eine Verbesserung des Sprachverstehens bei 65 dBSPL mit dem CI gegenüber dem Hörgerät zu beobachten.

Abb. 1
figure 1

Prä- und postoperatives Einsilberverstehen. a Mit Kopfhörern gemessenes präoperatives maximales Einsilberverstehen, mEV, des implantierten Ohrs und Einsilberverstehen mit Cochleaimplantat bei 65 dBSPL, EV65(CI), im Freifeld. b Präoperatives monaurales Einsilberverstehen mit Hörgerät bei 65 dBSPL, EV65(HG), im Freifeld und EV65(CI). Postoperative Messungen nach 6 Monaten, Dreiecke signifikante Veränderungen, Kreise Fälle ohne signifikante Unterschiede zwischen den prä- und postoperativen Befunden

Tab. 2 Audiometrische Daten für die 7 Patienten, deren Sprachverstehen mit CI bei 65 dBSPL unterhalb des präoperativen maximalen Einsilberverstehens lag

Das in Abb. 1b dargestellte Streudiagramm, EV65(HG) gegen EV65(CI), zeigt, dass in 98 % der Fälle die Punkte oberhalb der Winkelhalbierenden liegen, also eine Verbesserung des Einsilberverstehens für Umgangssprachpegel nach 6 Monaten CI-Erfahrung vorliegt.

In Abb. 2a ist die Verteilung der EV65(CI) als Boxplots für die Patienten der 3 Gruppen getrennt dargestellt. Das mediane EV65(CI) liegt bei jeweils 65 %, 75 % und 85 % für die Gruppen 1, 2 und 3. Der Kruskal-Wallis-Test zeigt signifikante Unterschiede für das EV65(CI) der 3 Gruppen (H(2) = 26,2; p < 0,001). Die paarweise durchgeführten Post-hoc-Vergleiche mit korrigierten p-Werten zeigen, dass die Mediane der postoperativen EV65(CI) sich jeweils unterscheiden (p < 0,01). In Abb. 2b ist die Veränderung (post – prä) für das Einsilberverstehen bei 65 dBSPL dargestellt. Die Analyse dieser Differenzen für die Gruppen zeigt keine statistisch signifikanten Unterschiede (H(2) = 0,105; p = 0,95) für die Mediane. Das heißt, unabhängig vom präoperativen mEV erfahren alle Patienten eine vergleichbare Verbesserung von 65 Prozentpunkten bei Umgangssprachpegeln.

Abb. 2
figure 2

Boxplots der postoperativen Sprachverstehensleistungen für die 3 Gruppen. a Einsilberverstehen mit Cochleaimplantat bei 65 dBSPL, EV65(CI), im Freifeld. b Verbesserung, d. h. Differenz zwischen dem präoperativen monauralen Einsilberverstehen mit Hörgerät bei 65 dBSPL, EV65(HG), und dem EV65(CI), EV65(CI)–EV65(HG). Boxplots Median, 1. und 3 Quartil sowie Minimum und Maximum. Sterne In der Post-hoc-Analyse festgestellte Signifikanzniveaus, p < 0,05 (*), p < 0,01 (**) und p < 0,001(***)

Die Histogramme in Abb. 3 stellen das postoperative Einsilberverstehen mit CI für die Gruppen 1 bis 3 dar (Abb. 3b–d). Hier wird deutlich, dass die Verteilungsform für die 3 Gruppen unterschiedlich ist. Für Gruppe 1 ist die Verteilung zweigipflig (Abb. 3b). Die Abb. 3a zeigt Daten aus Holden et al. [8] für den CNC-Score von 114 postlingual ertaubten Erwachsenen, gemessen 24 Monate postoperativ bei 60 dBSPL. Offensichtlich ist die Verteilung der Sprachverstehenswerte von Holden et al. (Abb. 3a) am ehesten mit denen der Gruppe 1 (Abb. 3b) zu vergleichen.

Abb. 3
figure 3

Histogramm postoperativer Sprachverstehensleistungen. a Finale CNC-Scores aus einer an 114 Trägern eines Cochleaimplantats (CI) durchgeführten Studie von Holden et al. [8]. b Nach 6 Monaten postoperativ gemessene Werte für das Einsilberverstehen, EV65(CI), für Patienten ohne präoperatives Einsilberverstehen (Tab. 1, Gruppe 1, maximales Einsilberverstehen: mEV = 0 %). cd Daten der CI-Träger mit präoperativem Einsilberverstehen (Tab. 1, Gruppen 2 und 3). c Histogramm Fälle mit mEV ≤ 50 %, d Histogramm Fälle mit mEV > 50 %

Diskussion

Zur Unterstützung der audiologischen Indikationsstellung und des individuellen Beratungsprozesses von CI-Kandidaten wurde der prognostische Wert des präoperativ gemessenen maximalen Einsilberverstehens untersucht. Bei CI-Trägern der Gruppen 2 und 3 mit einem präoperativen mEV > 0 % besteht ein signifikant höheres Einsilberverstehen mit CI als bei denen der Gruppe 1 mit mEV = 0 %. Für Patienten mit mEV > 0 % korreliert das mit CI erreichte Einsilberverstehen signifikant mit dem präoperativ gemessenen mEV. Diese Korrelation bestätigt die Interpretation des mEV als Maßzahl für die „information carrying capacity“ (ICC) [6]. Die ICC ist begrenzt durch sensorische und neurale Pathologien. Da das mEV weit überschwellig gemessen wird, spiegelt es mehr als andere audiometrische Größen die neurale Verarbeitungskapazität wider. Für 96 % der Fälle mit einem mEV >0 wurde postoperativ ein Einsilberverstehen EV65(CI) gleich oder oberhalb des präoperativen mEV festgestellt. Daher kann das präoperative mEV als unterer Grenzwert (Minimumprädiktor) für das nach 6 Monaten erzielbare Sprachverstehen mit CI interpretiert werden.

Abschätzung des CI-Sprachverstehens

Für CI-Kandidaten mit noch vorhandenem Sprachverstehen besteht auch bei optimalen Bedingungen ein Restrisiko, ein postoperativ schlechteres Sprachverstehen zu entwickeln [19]. Daher ist die individuelle Prognose des postoperativen Sprachverstehens speziell für Patienten der Gruppen 2 und 3 von besonderer Bedeutung. Nahezu alle Patienten mit messbarem mEV übertrafen oder erreichten zumindest mit ihrem EV65(CI) das präoperative mEV. Ein Vorteil des Bezugs auf das mEV und nicht auf das EV65(HG) ist die Verteilung der Daten: Von 60 % der CI-Kandidaten wurde ein präoperatives mEV von >0 % erreicht, hingegen erreichen nur 32 % ein EV65(HG) > 0 %. Auch überstreicht das mEV einen Bereich von 0 bis 90 % und ermöglicht somit eine differenziertere Beschreibung der Sprachverstehensleistungen der Kandidaten als das EV65(HG) mit einem Bereich von 0 bis 55 %.

Patienten ohne präoperatives Einsilberverstehen

Konzeptbedingt kann das mEV als Minimumprädiktor für das postoperative Sprachverstehen in der Gruppe 1 (mEV = 0 %) keine zusätzlichen Informationen liefern. Allerdings hat dieser Aspekt durch den Mangel an therapeutischen Alternativen für diese Gruppe auch wenig Einfluss auf die ärztliche Entscheidung.

Die postoperativen Sprachverstehensleistungen der Gruppe 1 zeigen eine sehr große Variabilität (Abb. 3b). Dieser Befund steht in Übereinstimmung mit den Ergebnissen anderer Arbeitsgruppen [2, 8, 17, 29]. Der detaillierte Vergleich mit den Daten von Holden et al. ([8]; Abb. 3a, b) dieser Patientengruppe ohne präoperatives Sprachverstehen (mEV) zeigt trotz der abweichenden Untersuchungsbedingungen (6 vs. 24 Monate, 65 vs. 60 dBSPL, Freiburger vs. CNC) eine vergleichbare Verteilung für das Einsilberverstehen mit CI. In der Gruppe 1 muss mit einem gewissen Anteil (etwa 4 %) von Patienten gerechnet werden, welche im postoperativen Verlauf keine Einsilberdiskrimination entwickeln. Die Untersuchungen von Blamey et al. [2] und Holden et al. [8] lassen ähnliche Größenordnungen von 3–4 % für diesen Anteil erkennen.

Patienten mit präoperativem Sprachverstehen

Das postoperative Sprachverstehen lag für die beiden Gruppen mit präoperativem Einsilberverstehen größer als null (mEV > 0 %) signifikant höher als für die Gruppe 1. Daher unterstützen die vorliegenden Ergebnisse den aktuellen Trend hin zur Versorgung von Patienten mit substanziellem Sprachverstehen [20]. Der Gewinn im Sprachverstehen durch das CI ist für alle 3 Gruppen mit 65 Prozentpunkten gleich. Dies bedeutet, dass das Sprachverstehen mit CI umso besser ist, je besser das präoperativ messbare maximale Einsilberverstehen war. Dies begründet a posteriori auch die CI-Versorgung von Patienten mit einem hohen präoperativen mEV, insbesondere dann, wenn das maximale Einsilberverstehen weit oberhalb des mit Hörgeräten erreichten Sprachverstehens bei Umgangspegeln liegt. Dies war für alle Patienten mit hohem mEV gegeben.

Sprachverstehen mit CI im langfristigen Verlauf

Auch wenn diese Studie sich nicht explizit mit dem postoperativen Zeitverlauf des EV65(CI) auseinandersetzt, hat dieser Aspekt Auswirkungen auf das Studiendesign. So fanden Krüger et al. [17] bei aktuelleren CI-Systemen in der postoperativen Kontrolle einen initial steileren Anstieg des EV65(CI) über die Zeit, als er in älteren Studienpopulationen beobachtet wurde. Auch zeigen die Daten von Holden et al. [8], dass 90 % des „finalen“ (nach 2 Jahren) Einsilberverstehens bereits nach 6 Monaten erreicht werden. Aus diesem Grund wurde das EV65(CI) nach 6 Monaten mit dem mEV korreliert, um die Variabilität weiter zu minimieren. Zukünftige Studien könnten den Einfluss der Rehabilitation, Motivation, Kommunikationsumgebung und zusätzlicher Rehabilitationsmaßnahmen analysieren [26, 29]. Die genannten Variablen sind in der klinischen Routine für große Patientengruppen schwer zu kontrollieren und wurden in dieser Studie nicht berücksichtigt.

Aus dieser methodischen Überlegung heraus ergibt sich ein weiterer Aspekt, welcher die Bedeutung des mEV als Minimumprädiktor stärkt, nämlich dass die Sprachverstehensleistungen im langfristigen postoperativen Verlauf zunehmen können. Diesen Aspekt berührt der einzige Fall (Abb. 1b), bei dem das postoperative EV65(CI) niedriger (5 Prozentpunkte) war als das präoperative EV65(HG). Hier wurde nach 12 Monaten ein EV65(CI) von 80 % erreicht. Die Inzidenz solcher Fälle [19] unterstreicht den Bedarf für einen konservativen Minimumprädiktor.

Fazit für die Praxis

  • Das mEV ist eine nützliche audiometrische Messgröße, welche die individuelle CI-Beratung und Indikationsstellung substanziell unterstützen kann.

  • Das präoperativ mit Kopfhörern gemessene maximale Einsilberverstehen, mEV, kann mit 96%iger Sicherheit als individueller Prädiktor für die nach Cochleaimplantation zu erwartende minimale Sprachverstehensleistung herangezogen werden.

  • Höhere präoperative Sprachverstehensleistungen führen zu besserem Sprachverstehen mit CI.

  • In der Patientengruppe mit präoperativem Einsilberverstehen >0 % weisen alle Patienten auch postoperativ mit CI ein Einsilberverstehen auf.

  • Die Verbesserung durch die CI-Versorgung liegt im Median bei 65 Prozentpunkten.