Dralle hat in überragender Weise ausführlich über Entwicklung und Fortschritte der Operationstechnik in der Schilddrüsen (SD)-Chirurgie berichtet [2].

Es sei hier an die Hauptbegründung zum Paradigmenwechsel in der Resektionsstrategie erinnert und auf den selten gezeigten, intraoperativ visuellen Befund der Grenzlamelle hingewiesen.

  • Die kaum standardisierte „subtotale“ SD-Resektion kann bereits bei Ersteingriffen eine hohe Rate von Rekurrensläsionen aufweisen (>10% aufgrund von Erhebungen vor einer Rezidivoperation; s. bei [5]).

  • Struma- bzw. Knotenwachstum sind molekularbiologisch als polyklonales oder klonales Tumorwachstum (häufig benigne, seltener maligne) zu verstehen [1, 5, 6, 9]. Die Tumoren reichen in der Realität (entgegen mancher Schemata) häufig bis an die dorsale SD-Kapsel, und die adäquate (befundorientierte) Tumorentfernung besteht oft in einer totalen (Hemi-)Thyreoidektomie.

  • Das Bild (Anschauung) der Grenzlamelle (vordere viszerale Faszie) ist möglicherweise vielen Chirurgen wenig vertraut und verdient größere Beachtung: Wenn nämlich die dorsolaterale und dorsale Dissektion und SD-Mobilisierung in einigem Abstand von der SD-Kapsel und damit hinter der Grenzlamelle erfolgt, wird dadurch die feine Lamelle „zerzaust“ und ist auch bei sachtem Vorgehen kaum mehr definierbar. Nur durch strikte Kapseldissektion (d. h. eng an der Capsula propria der SD) lässt sich das „Perithyreoideum“ mit seiner feinen Faszie (oder faszienähnlichen Oberfläche) en bloc intakt von der SD-Kapsel trennen. Das ist dorsal wegen der zahlreichen und kurzen Gefäße eine metikulöse Mikrodissektion (bei einigen Zuschauern von Kocher erregte sie den Eindruck einer unmöglichen, langsamen und kleinlichen Operationsweise [5])! Die feine Faszie oder Grenzlamelle findet sich hinter der gesamten orthotopen SD inkl. Zuckerkandl-Tuberkulum, und hinter dorsalen und retroviszeralen Knoten ausgebreitet. Die Grenzlamelle wird dadurch zur Leitstruktur für eine totale (Hemi-)Thyreoidektomie und die vollständige Entfernung einer intrathyreoidalen Pathologie. Und da die Grenzlamelle immer vor dem N. recurrens liegt (auch bei den diversen Lagevarianten), wird der Nerv durch Erhaltung der intakten Grenzlamelle (dies bis an die SD-Wurzel) geschont und ohne devaskulierende Dissektion sichtbar. In gewissem Sinn ist bei Ersteingriffen nicht die Nerven-, sondern die Kapseldissektion maßgebend [6].

Die Anatomie der Grenzlamelle wurde in Schemata dargestellt [6, 7, 8]. Stelzner zeigte anschaulich, wie die SD auf der Grenzlamelle liegt, wie die Gefäße der SD durch die Grenzlamelle hindurch zur Capsula propria gelangen und wie diese Faszie den N. recurrens in seinem ganzen Verlauf bedeckt [8].

Operationsbilder der Grenzlamelle sind Bilder von Kapseldissektion: Dunhill bildete 1919 die Kapseldissektion und Abpräparation der Grenzlamelle vom dorsalen Tuberkulum bei totaler Lobektomie ab [3] (s. bei [5, 6]). Enderlen demonstrierte 1932 [4] ein nach dorsal wegpräpariertes Perithyreoideum von einer faszienartigen Struktur bedeckt (dass es „keine eigentliche Faszie“ sei, tut wenig zur Sache). Dabei kommt eine nach dorsal ausgedehnte Mobilisierung zur Darstellung, ausgedehnter als die bei – eben rezidivbelasteter – subtotaler Resektion übliche) [4] (s. bei [5, 6]).

Wir haben mehrere Abbildungen der Grenzlamelle bei Kapseldissektionen gezeigt [5, 6]. Sequenzen einer Kapseldissektion mit Bild der Grenzlamelle und Rekurrensdarstellung finden sich auf einer DVD bei Gemsenjäger [6] (filmtechnisch mangelhaft, zeigt sie indes die Kapseldissektion in der chirurgischen Realität).