Einleitung

Die arterielle Hypertonie ist ein wichtiger Risikofaktor für Gefäßerkrankungen und kardiovaskuläre Ereignisse wie ischämische Herzerkrankungen und Schlaganfall [1]. Kleine Veränderungen der durchschnittlichen Blutdruckwerte in der Allgemeinbevölkerung können sich deutlich auf die Morbiditäts- und Mortalitätsraten auswirken. Eine Absenkung des systolischen Blutdrucks um 2 mm Hg auf Populationsebene kann bei Schlaganfällen zu einer Reduktion der Mortalität um 5 % führen; bei koronaren Herzkrankheiten sind es 4 % und für die Gesamtmortalität 3 % [2]. In der klinischen Praxis ist die Bestimmung des individuellen Blutdrucks anhand wiederholter Messungen zu verschiedenen Zeitpunkten wichtig, um die Diagnose der Hypertonie zu stellen und Therapieentscheidungen treffen zu können. Die Rahmenbedingungen der einzelnen Messungen sind vergleichsweise wenig standardisiert. In epidemiologischen Studien dagegen ist die Blutdruckmessung ein Balanceakt zwischen der Motivation, den wahren, durch die Studienbedingungen möglichst wenig beeinflussten Blutdruckwert zu ermitteln, und der Absicht, den Aufwand für die Teilnehmenden gering zu halten.

In der Arztpraxis wird die Diagnose Hypertonie auf der Grundlage von wiederholten Blutdruckmessungen und ggf. einer ambulanten Langzeitblutdrucküberwachung gestellt [3, 4]. Dieses Vorgehen ist für große epidemiologische Studien zu aufwendig. Häufig wird anhand eines einzigen Untersuchungszeitpunktes der Hypertoniestatus ermittelt. Dieser ist in epidemiologischen Analysen oft eine entscheidende Variable. Um Blutdruckunterschiede zwischen verschiedenen Personengruppen auf konkrete Einflussfaktoren zurückführen zu können und auch kleine intraindividuelle Blutdruckänderungen über die Zeit zu detektieren, ist eine hoch standardisierte Ruheblutdruckmessung wichtig. Die Messumgebung muss zwingend frei von möglichen Störfaktoren sein, welche das Messergebnis beeinflussen könnten (z. B. Verkehrslärm, Telefonklingeln und Betreten des Raumes während der Messung; [5,6,7]). Die Störfaktoren könnten dazu führen, dass Messunterschiede nicht auf tatsächliche Unterschiede zwischen den Personen bzw. Personengruppen an sich zurückzuführen sind. Die genaue Definition eines Messprotokolls ist unabdingbar für die Standardisierung, die Validität und die Reliabilität der Messergebnisse.

Sowohl die Europäische Gesellschaft für Hypertonie [3] als auch die Deutsche Hochdruckliga [4] empfehlen, in epidemiologischen Studien drei Blutdruckmessungen in Ruhe nach einer definierten Wartezeit im Sitzen an einer vordefinierten Seite durchzuführen. Die meisten Studien haben auf der rechten Seite gemessen. Für die späteren Auswertungen wird der Mittelwert aus zweiter und dritter Messung gebildet, um den Einfluss intraindividueller Variabilität zu reduzieren. Der erste Blutdruckmesswert wird häufig nicht zur Analyse verwendet, da dieser noch am stärksten durch vorhergehende Aktivitäten (Bewegung) oder Aufregung (z. B. Weißkitteleffekt) beeinflusst werden kann und tendenziell höhere Werte als die folgenden Messungen aufweist [8]. Werden weniger als drei sukzessive Messungen durchgeführt, entsteht das Problem, dass man entweder den ersten, möglicherweise noch durch vorhergehende Einflüsse erhöhten Blutdruckmesswert in die Berechnung mit einbeziehen muss oder dass kein Mittelwert aus zwei aufeinanderfolgenden Messwerten berechnet werden kann [9].

Trotz zahlreicher Bemühungen, die Blutdruckmessungen in epidemiologischen Studien zu standardisieren, gibt es zum Teil methodische Unterschiede zwischen den Studien, die die Vergleichbarkeit der Ergebnisse aus verschiedenen Kohortenstudien beeinträchtigen können [10]. Mögliche Auswirkungen methodischer Unterschiede auf die geschätzte Hypertonieprävalenz in untersuchten Bevölkerungen sind von hoher Relevanz. Zahlreiche populationsbasierte Studien weisen auf einen hohen Anteil unbekannter Hypertoniker und einen hohen Anteil nicht oder unzureichend kontrollierter Blutdruckwerte selbst bei bekannter Hypertonie hin [11,12,13,14].

Das Messprotokoll der Blutdruckmessung wurde in der NAKO Gesundheitsstudie aus zeitlichen und finanziellen Gründen gekürzt und unterscheidet sich im Vergleich zu bestehenden Kohorten in zwei wesentlichen Punkten: (1) Pro Teilnehmerin bzw. Teilnehmer werden nur zwei statt drei Blutdruckmessungen durchgeführt und (2) die Wartezeit zwischen den Messungen wurde von drei auf zwei Minuten verkürzt. Insbesondere die Durchführung von nur zwei statt drei Blutdruckmessungen schränkt die Optionen für die Ableitung des Blutdrucks für wissenschaftliche Auswertungen und unter Umständen die Vergleichbarkeit der geschätzten Blutdruck- und Hypertoniekennzahlen der NAKO im Vergleich zu den anderen Studien ein. Darüber hinaus gibt es bisher keine Empfehlungen zur Auswahl der Messwerte für abgeleitete Variablen beim Vorliegen von nur zwei Blutdruckmesswerten. Die vorliegende Analyse hat daher folgende Ziele:

  1. 1.

    Darstellung der methodischen Unterschiede der Blutdruckmessung in der NAKO im Vergleich zu fünf populationsbasierten Studien in Deutschland;

  2. 2.

    Vergleich der mittleren Blutdruckwerte zwischen der NAKO und fünf anderen epidemiologischen Studien aus Deutschland mit Verwendung verschiedener Blutdruckmesswerte aus der jeweiligen Messreihe;

  3. 3.

    Vergleich der Häufigkeiten der Hypertonie zwischen der NAKO und den fünf anderen Studien auf Basis der verschiedenen Messwerte unter Berücksichtigung der Bekanntheit der Hypertonie.

Methoden

Beschreibung der Studienpopulationen

Für die vorliegende Untersuchung wurden Daten aus der NAKO, der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) und aus vier regionalen populationsbasierten Kohortenstudien verwendet (siehe Abb. 1). In allen Studien wurden Zufallsstichproben aus der Allgemeinbevölkerung gezogen. Eine kurze Beschreibung der einzelnen Studien ist im folgenden Abschnitt zu finden.

Abb. 1
figure 1

Karte der Studienzentren

NAKO.

Die NAKO Gesundheitsstudie ist eine bundesweite Kohortenstudie mit mehr als 200.000 Frauen und Männern aus 18 Studienregionen im Alter von 20 bis 69 Jahren zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung [15]. Das Ziel der NAKO ist es, den Ursachen für die Entstehung von Volkskrankheiten, wie beispielsweise Krebs, Diabetes, Infektionskrankheiten und Herzinfarkt, auf den Grund zu gehen. Für die vorliegende Analyse wurden die Daten der ersten 101.816 Teilnehmenden der Basisuntersuchung, die zwischen März 2014 und März 2017 untersucht wurden, verwendet [16].

DEGS1.

Die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland 2008–2011 (DEGS1; [1, 17]) ist Teil des nationalen Gesundheitsmonitorings des Robert Koch-Instituts und erhebt die gesundheitliche Situation von Frauen und Männern im Alter von 18 bis 79 Jahren in bundesweit gezogenen Stichproben aus den Einwohnermelderegistern (n = 8151). Für die vorliegende Analyse wurden Daten der Stichprobe, die sowohl befragt als auch untersucht wurde (n = 7116), verwendet.

CARLA.

Die CARLA-Studie (CARdiovascular Diseases, Living and Ageing in Halle; [12, 18]) ist eine Kohortenstudie der älteren Allgemeinbevölkerung der Stadt Halle (Saale). Die Studienpopulation besteht aus 1779 Personen im Alter von 45 bis 74 Jahren. Für die vorliegende Auswertung wurden Daten der Basisuntersuchung zwischen Dezember 2002 und Januar 2006 verwendet.

HNR.

Die Heinz-Nixdorf-Recall-Studie (Risk Factors, Evaluation of Coronary Calcium and Lifestyle, HNR) ist eine populationsbasierte prospektive Kohortenstudie, die insgesamt 4814 Männer und Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren in den Ruhrgebietsstädten Bochum, Essen und Mülheim (Ruhr) zwischen 2000 und 2003 untersucht hat [19, 20]. Das primäre Studienziel ist die Frage, ob mithilfe von bildgebenden Verfahren die Risikoprädiktion eines Herzinfarkts verbessert werden kann.

KORA-S4.

„Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg“ (KORA) ist eine Forschungsplattform für populationsbasierte Gesundheitssurveys und darauf aufbauende Follow-up-Studien. Die KORA-S4-Studie ist eine populationsbasierte Querschnittsstudie [21, 22], die 1999 bis 2001 in Augsburg und den beiden angrenzenden Landkreisen Augsburg-Land und Aichach-Friedberg 4261 Männer und Frauen im Alter von 25 bis 74 Jahren untersucht hat.

SHIP-0.

Die „Study of Health in Pomerania“ (SHIP; [23]) ist eine populationsbezogene Gesundheitsstudie im Nordosten Deutschlands, für deren Basiserhebung 4308 Frauen und Männer im Alter von 20 bis 79 Jahren aus der Region Vorpommern zwischen 1997 und 2001 untersucht wurden.

Weitere Details zu den Studien sind in Tab. 1 aufgeführt. Für alle oben beschriebenen Studien liegen positive Ethikvoten der lokalen Ethikkommissionen und von allen Teilnehmenden eine schriftliche Einwilligung zur Teilnahme vor.

Tab. 1 Beschreibung der eingeschlossenen Studien

Für die hier durchgeführten Analysen wurden nur Teilnehmende betrachtet, die zum Zeitpunkt der Untersuchung zwischen 20 und 79 Jahre alt waren. Dies bedeutet, dass bei CARLA für den Vergleich 101 Teilnehmende (älter als 79 Jahre) und bei DEGS1 217 Teilnehmende (im Alter von 18 und 19 Jahren) ausgeschlossen wurden. Des Weiteren wurden nur diejenigen Teilnehmenden in die Analysen aufgenommen, deren Alter zum Zeitpunkt der Untersuchung im ursprünglich geplanten Altersbereich der jeweiligen Studie lag. Nach Ausschluss von Teilnehmenden mit fehlenden Werten standen somit für die Analysen Stichprobenumfänge von 1677 (CARLA) bis 98.582 (NAKO) zur Verfügung.

Für die Analysen wurden folgende Altersgruppen gebildet: 20 bis 24 Jahre, 25 bis 34 Jahre, 35 bis 44 Jahre, 45 bis 54 Jahre und 55 bis 64 Jahre, 64 bis 69 Jahre, 70 bis 74 Jahre und 75 bis 79 Jahre. Die engeren Altersgruppen am Anfang und am Ende der Altersspanne wurden dabei gewählt, um die unterschiedlichen Einschlussbereiche der Studien bezüglich des Alters besser abbilden zu können. Dennoch sind nicht alle Altersgruppen in jeder Studie vertreten und sie wurden nur dann in die Analyse eingeschlossen, wenn eine männliche oder weibliche Altersgruppe mindestens 20 Teilnehmende umfasste. Für HNR wurden für die altersgruppenspezifischen Analysen daher weitere 14 Personen im Alter von 75 Jahren ausgeschlossen.

Blutdruckmessung und Definition abgeleiteter Werte

In der NAKO wurden nur zwei Messungen des Blutdrucks durchgeführt, während in allen anderen Vergleichsstudien drei Messungen erfolgten. In allen Studien wurde das Messungsprogramm jeweils in der sitzenden Position nach einer Ruhezeit im Sitzen von mindestens fünf Minuten durchgeführt. Die Pause zwischen den einzelnen Blutdruckmessungen betrug bei der NAKO zwei Minuten, während bei allen anderen Studien drei Minuten abgewartet werden mussten. Alle Studien außer der DEGS1-Studie haben Messgeräte der Firma OMRON verwendet. Jedoch waren die OMRON-Geräte nicht in allen Studien baugleich (vgl. auch Tab. 1).

In der NAKO wird derzeit der 2. Messwert zur Bestimmung des Blutdruckwertes für wissenschaftliche Auswertungen herangezogen, z. B. zur Berechnung des mittleren Blutdruckwerts der Studienpopulation. Demgegenüber verwenden die Studien, die über drei Messwerte verfügen, üblicherweise den Mittelwert aus zweiter und dritter Messung für die weiteren Analysen.

Um abschätzen zu können, welchen Einfluss die Wahl der unterschiedlichen Messwerte auf die weiteren Analyseergebnisse hat, wurde für alle Studien die Berechnung auf Basis des zweiten Blutdruckmesswertes (analog zur NAKO) vorgenommen und mit den Mittelwerten (MW) aus dem ersten und zweiten (MW 1/2) sowie aus dem zweiten und dritten (MW 2/3; verfügbar in allen Studien außer NAKO) Messwert verglichen.

In DEGS1 standen populationsgewichtete Messwerte, die zusätzlich für Geräteunterschiede korrigiert wurden [24], für die Analysen zur Verfügung. Die Blutdruckwerte aus DEGS1 wurden mittels einer Formel korrigiert, die die Geräteunterschiede zwischen dem in DEGS1 verwendeten Blutdruckmessgerät Datascope Accutorr Plus und dem in den anderen Studien verwendeten Omron-Blutdruckmessgerät berücksichtigt. Diese Formel wurde in einer Studie mit sequenziellen Vergleichsmessungen mit beiden Geräten entwickelt [24]. In allen anderen Studien wurde keine Gewichtung vorgenommen. Für die Beurteilung der Hypertoniekategorien der Studienpopulationen wurden zum einen die tatsächlichen Messwerte des systolischen (SBP) und diastolischen Blutdrucks (DBP) und zum anderen die Selbstangabe einer ärztlich diagnostizierten Hypertonie aus dem Interview betrachtet. Da in dem der Analyse zugrunde liegenden NAKO-Datensatz noch keine qualitätsgesicherten Angaben zur Medikamenteneinnahme vorlagen, verwendeten wir aus Gründen der Vergleichbarkeit auch für die anderen Studien ausschließlich die Selbstangabe einer ärztlich diagnostizierten Hypertonie. Es wurden folgende Kategorien definiert [3]:

  1. 1.

    Normotonie: normotone Messwerte (SBP <140 mm Hg und DBP <90 mm Hg) und keine Hypertonie laut Selbstangabe;

  2. 2.

    bekannte, kontrollierte Hypertonie: normotone Messwerte (SBP <140 mm Hg und DBP <90 mm Hg), aber Hypertonie laut Selbstangabe;

  3. 3.

    bekannte, unkontrollierte Hypertonie: hypertensive Messwerte (SBP ≥140 mm Hg und/oder DBP ≥90 mm Hg) und Hypertonie laut Selbstangabe;

  4. 4.

    unbekannte, unkontrollierte Hypertonie: hypertensive Messwerte (SBP ≥140 mm Hg und/oder DBP ≥90 mm HG), aber keine Hypertonie laut Selbstangabe.

Statistische Analyse

Im Rahmen der statistischen Analyse wurden die Datensätze der jeweiligen Studien zunächst deskriptiv bezüglich der Alters- und Geschlechterverteilung untersucht (vgl. Tab. 1). Hierbei wurden alle zur Verfügung stehenden Teilnehmenden unabhängig vom Alter zum Untersuchungszeitpunkt einbezogen.

Geschlechts- und altersgruppenspezifische Mittelwerte und Standardabweichungen von SBP und DBP wurden mit folgenden Definitionen des „finalen Blutdruckwertes“ berechnet:

  1. 1.

    für den Mittelwert aus 1. und 2. Blutdruckmessung (MW 1/2),

  2. 2.

    für die 2. Blutdruckmessung sowie

  3. 3.

    für den Mittelwert aus 2. und 3. Messung (MW 2/3, Letzterer für alle Studien außer NAKO).

Anschließend wurden die Mittelwertdifferenzen zwischen der 2. Messung und dem Mittelwert aus 1. und 2. Messung und dem Mittelwert aus 2. und 3. Messung (dem empfohlenen Maß zur Schätzung der Blutdruckwerte in epidemiologischen Studien) berechnet, um abzuschätzen, welcher Messwert in der NAKO am besten vergleichbar mit dem empfohlenen Mittelwert aus dem 2. und 3. Messwert ist und für wissenschaftliche Analysen verwendet werden sollte. Um die Auswirkung der Verwendung unterschiedlicher Ausgangsblutdruckmesswerte auf die Höhe der Hypertoniehäufigkeit in der Bevölkerung abzuschätzen, wurden die Häufigkeiten der Hypertoniekategorien sowohl auf Basis des MW 1/2 und auf Basis des 2. Wertes als auch auf Basis des MW 2/3 bestimmt.

Ergebnisse

Die Mittelwertdifferenzen zwischen den verschiedenen Definitionen des finalen Blutdruckwertes sind in Abb. 2 dargestellt. Die Definition des finalen Blutdruckwertes über den 2. Messwert (analog zur NAKO) stellt dabei die Referenz dar. Die Differenz hierzu ist größer, wenn der MW 1/2 herangezogen wird (maximale mittlere Abweichung: 3,1 mm Hg systolisch), als wenn der MW 2/3 gebildet wird (maximale mittlere Abweichung: 1,5 mm Hg systolisch). In den meisten Studien ist der Mittelwert aus der 2. und 3. Messung niedriger als die 2. Messung. Bei HNR jedoch ist dies zumeist umgekehrt. In den Studien mit einer großen Altersspanne (NAKO, DEGS1 und SHIP-0) ist vor allem beim SBP erkennbar, dass Unterschiede zwischen den sukzessive gemessenen Blutdruckwerten mit steigendem Alter größer werden, was auch zu größeren Unterschieden zwischen den abgeleiteten finalen Blutdruckwerten mit zunehmendem Alter führt.

Abb. 2
figure 2

Differenzen der mittleren Blutdruckwerte (in mm Hg) zwischen verschiedenen Definitionen des Blutdruckwertes für wissenschaftliche Auswertungen (der 2. Wert entspricht dabei der Definition in NAKO und dient als Referenzwert) nach Geschlecht und Altersgruppe in 6 populationsbasierten Studien in Deutschland. Im Falle von DEGS1 handelt es sich um populationsgewichtete Messwerte, die zusätzlich für Geräteunterschiede korrigiert wurden, vgl. [24]

Die Ergebnisse in Abb. 3 und Abb. 4 zeigen, dass die Mittelwerte der NAKO und der DEGS1-Studie (die beiden aktuellsten Studien) insgesamt sehr ähnlich und niedriger im Vergleich zu den früheren Studien waren. Die Mittelwerte des SBP bei Frauen und Männern in der CARLA-Studie waren über alle Altersgruppen hinweg am höchsten.

Abb. 3
figure 3

Verteilung des systolischen Blutdrucks (NAKO: 2. Messung, übrige Studien: MW 2/3) nach Geschlecht und Altersgruppe (in mm Hg) in 6 populationsbasierten Studien in Deutschland. Bei DEGS1 handelt es sich um populationsgewichtete Messwerte, die zusätzlich für Geräteunterschiede korrigiert wurden, vgl. [24]

Abb. 4
figure 4

Verteilung des diastolischen Blutdrucks (NAKO: 2. Messung, übrige Studien: MW 2/3) nach Geschlecht und Altersgruppe (in mm Hg) in 6 populationsbasierten Studien in Deutschland. Bei DEGS1 handelt es sich um populationsgewichtete Messwerte, die zusätzlich für Geräteunterschiede korrigiert wurden (vgl. [24])

In den Studien zeigte sich zumeist ein altersgemäßer Verlauf der mittleren Blutdruckwerte, d. h., dass der systolische Blutdruck in den höheren Altersgruppen auch höher war. Verglichen über die drei in allen Studien vorhandenen Altersgruppen, 45–54 Jahre, 55–64 Jahre und 65–69 Jahre, trat der höchste Anstieg von 120,2 mm Hg auf 134,1 mm Hg bei den Frauen in HNR sowie von 131,4 mm Hg auf 145,3 mm Hg bei den Frauen in SHIP‑0 auf. Der kleinste Anstieg von 133,5 mm Hg auf 133,9 mm Hg trat bei den Männern in DEGS1 auf. Beim DBP ist in den Studien, die jüngere Altersgruppen eingeschlossen haben (NAKO, DEGS1, KORA-S4, SHIP-0), ein Anstieg bis in die mittleren Altersgruppen 45–54 Jahre bzw. 55–64 Jahre zu verzeichnen; in allen Studien sinkt der diastolische Blutdruck danach mit steigendem Alter ab (der stärkste Abfall innerhalb der drei Altersgruppen ist von 88,4 mm Hg auf 83,4 mm Hg bei den Männern in SHIP‑0 zu verzeichnen, der geringste von 84,4 mm Hg auf 84,0 mm Hg bei den Männern in HNR). In allen Studien zeigten sich bei Männern höhere Blutdruckwerte als bei Frauen.

Um zu analysieren, ob die Auswahl der verschiedenen Blutdruckwerte für die Berechnung der Mittelwerte eine Auswirkung auf die Schätzung der Hypertoniehäufigkeit in den zugrunde liegenden Bevölkerungen hat, wurden die aus den verschiedenen Mittelwertberechnungen resultierenden Häufigkeiten in den vorliegenden Studien miteinander verglichen. Die altersspezifischen sowie altersgruppenübergreifenden prozentualen Anteile der vier Hypertoniekategorien sind in Abb. 5 für Männer und in Abb. 6 für Frauen dargestellt. Die Häufigkeit der Hypertonie stieg mit zunehmendem Alter für beide Geschlechter in allen Studienpopulationen. Vor allem in den höheren Altersgruppen wussten Teilnehmende häufiger nicht von ihren erhöhten Blutdruckwerten. Für die Kategorie „bekannte, aber unkontrollierte Hypertonie“ war auch hier der Anteil bei den älteren Studienteilnehmenden am höchsten. Im Studienvergleich waren die Anteile der bekannten, unkontrollierten Hypertonie bei SHIP‑0 und bei CARLA am höchsten und bei HNR und NAKO am niedrigsten. Bezüglich des Vergleichs der Ausgangsmittelwerte (MW 1/2, 2. Wert, MW 2/3) zeigten sich lediglich geringe Unterschiede bei der Schätzung der Häufigkeiten der verschiedenen Hypertoniekategorien (0 % bis maximal 3 %).

Abb. 5
figure 5

Hypertoniestatus der männlichen Studienteilnehmer nach Altersgruppen anhand unterschiedlicher Definitionen des Blutdruckwertes für wissenschaftliche Auswertungen. HTN Hypertonie, MW Mittelwert. Normotonie: normotone Messwerte (SBP <140 mm Hg und DBP <90 mm Hg) und keine Hypertonie laut Selbstangabe. Bekannte, kontrollierte Hypertonie (HTN): normotone Messwerte (SBP <140 mm Hg und DBP <90 mm Hg), aber Hypertonie laut Selbstangabe. Bekannte, unkontrollierte Hypertonie: hypertensive Messwerte (SBP ≥140 mm Hg und/oder DBP ≥90 mm Hg) und auch Hypertonie laut Selbstangabe. Unbekannte, unkontrollierte Hypertonie: hypertensive Messwerte (SBP ≥140 mm Hg und/oder DBP ≥90 mm Hg), aber keine Hypertonie laut Selbstangabe

Abb. 6
figure 6

Hypertoniestatus der weiblichen Studienteilnehmerinnen nach Altersgruppen anhand unterschiedlicher Definitionen des Blutdruckwertes für wissenschaftliche Auswertungen. HTN Hypertonie, MW Mittelwert. Normotonie: normotone Messwerte (SBP <140 mm Hg und DBP <90 mm Hg) und keine Hypertonie laut Selbstangabe. Bekannte, kontrollierte Hypertonie (HTN): normotone Messwerte (SBP <140 mm Hg und DBP <90 mm Hg), aber Hypertonie laut Selbstangabe. Bekannte, unkontrollierte Hypertonie: hypertensive Messwerte (SBP ≥140 mm Hg und/oder DBP ≥90 mm Hg) und auch Hypertonie laut Selbstangabe. Unbekannte, unkontrollierte Hypertonie: hypertensive Messwerte (SBP ≥140 mm Hg und/oder DBP ≥90 mm Hg), aber keine Hypertonie laut Selbstangabe

Diskussion

In der vorliegenden Studie wurden die Messmethoden der Blutdruckuntersuchung und die Ableitung von Variablen für die wissenschaftliche Auswertung der NAKO mit verschiedenen populationsbasierten Kohortenstudien in Deutschland verglichen. Zum ersten Mal wurden hier Blutdruckmessdaten der ersten Hälfte der Teilnehmenden aus der deutschlandweiten NAKO Gesundheitsstudie dargestellt. In dieser wurden zur Schätzung der Blutdruckwerte der Studienteilnehmenden im Interesse kürzerer Gesamtuntersuchungszeiten lediglich zwei statt drei Blutdruckmessungen, zudem in einem engeren zeitlichen Abstand durchgeführt. Aufgrund dieses methodischen Unterschiedes war es nicht möglich, die übliche Definition für die Ableitung der Auswertungsvariable Blutdruck – Mittelwert aus dem 2. und 3. Messwert – in der NAKO anzuwenden. Bei der empfohlenen Durchführung von drei Messungen kann zum einen der 1. Messwert verworfen werden, zum anderen kann durch Mittelwertbildung aus 2. und 3. Messwert die Variabilität innerhalb einer Person besser erfasst werden als bei der Verwendung nur eines Messwertes für wissenschaftliche Analysen. Die Auswirkungen der methodischen Unterschiede der NAKO auf die Schätzung von Blutdruckkennzahlen und der Häufigkeit der Hypertonie wurden anhand eines Vergleichs zwischen der NAKO und fünf weiteren Kohortenstudien aus Deutschland analysiert.

Unsere Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass der zweite Messwert der üblichen Definition (Mittelwert 2./3. Messung) näherkommt als der Mittelwert 1./2. Messung. Obwohl das Fehlen der dritten Messung es nicht gestattete, den Mittelwert der 2./3. Messung zu bilden, legen unsere Ergebnisse nahe, dass die Auswirkungen auf die Schätzung der Blutdruckwerte der Studienpopulation gering sind. Falls nur zwei Messwerte verfügbar sind, ist auf Basis unserer Ergebnisse somit ein Verzicht auf den ersten Wert ratsam. Dies steht im Einklang mit Ergebnissen aus anderen Studien. So hat eine frühere Analyse der CARLA-Kohorte ebenfalls eine Überschätzung des Blutdrucks berichtet, wenn nur der erste Messwert verwendet wird [8]. Eine Studie mit Daten der US-amerikanischen bevölkerungsbasierten NHANES-Kohorte hat zudem gezeigt, dass die Einstufung des Blutdrucks als hyper- oder normoton anhand des ersten Messwerts zu Überschätzung führen kann, wenn die Probanden einen erhöhten Blutdruck haben oder älter sind [25]. Eine Auswertung aus der EPIC-Potsdam-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) zeigte zudem, dass die Überschätzung des Blutdrucks mit dem ersten Blutdruckmesswert abhängig von Alter, Gewicht, Höhe des Blutdrucks sowie Medikation war [26].

Da die Unterschiede des geschätzten Blutdrucks zwischen der Durchführung von nur zwei im Vergleich zu drei Messungen gering waren, ist ein Vergleich der aus der NAKO gewonnenen Blutdruckwerte mit anderen Studien, die drei Messungen durchgeführt haben, legitim. Die Verwendung des 2. Messwerts statt des Mittelwerts aus 2. und 3. Messung für die Definition der Hypertonie kann jedoch zu einer leichten Überschätzung des Anteils an Studienteilnehmenden mit Hypertonie führen.

Die Untersuchungen bieten auch eine umfassende Darstellung des Blutdrucks über verschiedene Altersstufen. Die Blutdruckwerte in der NAKO zeigten die erwarteten altersspezifischen Trends, ähnlich wie in den anderen betrachteten Studien. Der systolische Blutdruck stieg mit dem Alter an, während der diastolische Blutdruck einen invertierten u‑förmigen Verlauf zeigte, vermutlich altersbedingt durch den Anstieg der arteriellen Steifigkeit [27]. Der Vergleich der aktuellsten Studien NAKO und DEGS1 mit den früheren Kohorten zeigte einen niedrigeren mittleren Blutdruck bzw. eine bessere Kontrolle der Hypertonie und die hier untersuchte Teilstichprobe der NAKO aus der ersten Rekrutierungshälfte wies insgesamt niedrigere Hypertoniehäufigkeiten auf als die früher durchgeführten Studien.

Vorläufige Auswertungen der Response in der NAKO zeigten eine niedrigere Teilnahmebereitschaft als in früheren Studien. Inwiefern die niedrigeren Blutdruckwerte und Hypertoniehäufigkeiten daher auf eine mögliche Selektion der Studienteilnehmenden und Unterschiede der Response zurückzuführen sein könnten, lässt sich jedoch in der aktuellen Analyse nicht eruieren, da hier nur eine Unterstichprobe der NAKO-Teilnehmenden untersucht wurde und Aussagen zur Response und zu möglichen Selektionseffekten erst nach Abschluss der Basisrekrutierung und nach Auswertung wichtiger Charakteristika der Non-Responder im Vergleich zu NAKO-Teilnehmenden möglich sein werden.

Die Auswertung der verschiedenen Kohortenstudien zeigte, dass der Anteil der unbekannten Hypertonie hoch war und sich auch in der NAKO als aktuellster Studie insbesondere bei Männern mit 12 % bis 20 % immer noch auf hohem Niveau befand. Zudem war auch der Anteil der Teilnehmenden mit bekannter, aber unkontrollierter Hypertonie hoch und erreichte in einigen Studienpopulationen und Altersgruppen über 40 %. Beide Beobachtungen werfen die Frage nach geeigneten Maßnahmen auf, um diesen Missstand zu beheben.

Stärken und Schwächen

Die Stärke unserer Studie ist der Einschluss von mehreren populationsbasierten Studien aus Deutschland, die alle ein ähnliches Studienkonzept hatten und hinsichtlich Alter und Geschlecht sehr ähnlich aufgebaut waren. Bis auf die beschriebenen Abweichungen bei der NAKO und ein anderes Blutdruckmessgerät bei DEGS1 wurden die Blutdruckmessungen in allen Studien nach den identischen standardisierten Methoden durchgeführt. Die Daten wurden alle zentral mit gleicher Syntax analysiert. Nach unserem Wissen ist dies die erste Studie, welche die Auswirkung der Auswahl des finalen Blutdruckmesswertes auf die Blutdruck- und Hypertonieverteilung in mehreren Kohorten gleichzeitig untersucht hat.

Eine Schwäche der vorliegenden Analyse ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Medikamentendaten in die Analysen einbezogen werden konnten, da die ATC-Codes (anatomisch-therapeutisch-chemisches Klassifikationssystem) für die NAKO noch in Bearbeitung sind. Dies limitierte die Möglichkeit, die Hypertonie analog zu DEGS1 zu klassifizieren. Weiterhin lassen sich die vorliegenden Ergebnisse der Häufigkeitsschätzung nicht auf die Allgemeinbevölkerung beziehen, da lediglich DEGS1 ein bundesweit repräsentatives Sampling- und Wichtungsverfahren eingesetzt hat. Eine weitere Limitation ist die in NAKO gegenüber den anderen Studien verkürzte Wartezeit zwischen den Messungen (2 min statt 3 min Pause), deren Auswirkungen wir nicht analysieren können. Obwohl es Hinweise gibt, dass die Wartezeit zwischen den Messungen keine große Auswirkung auf die Blutdruckwerte hat [28], sind individuelle Unterschiede in der Zeit zur Stabilisierung der Blutdruckwerte bekannt [29].

Fazit

Grundsätzlich ist es wünschenswert, für die Schätzung des mittleren Blutdrucks der Bevölkerung den Mittelwert aus der zweiten und dritten Messung zu verwenden und den ersten Messwert zu verwerfen. Bei Vorhandensein von nur zwei Messwerten befindet man sich im Dilemma, entweder den ersten Wert nicht verwerfen zu können oder sich nur auf den zweiten Einzelmesswert stützen zu müssen. Die Ergebnisse der vorliegenden Analyse weisen darauf hin, dass bei Vorliegen von nur zwei konsekutiven Blutdruckmesswerten die Verwendung des Mittelwerts aus beiden Messungen zu höheren Blutdruckschätzungen führt als die Verwendung nur des zweiten Messwertes. Der zweite Messwert ist daher, obwohl er in der Regel höher als der Mittelwert aus zweitem und drittem Messwert ist, ein valideres Maß für den zugrunde liegenden Blutdruck als der Mittelwert aus erstem und zweitem Blutdruckmesswert. Die Verwendung des alleinigen zweiten Messwerts kann jedoch dennoch zu einer leichten Überschätzung der Hypertoniehäufigkeit in der Bevölkerung in Vergleich zur bisher gebräuchlichen Berechnung auf Basis des Mittelwerts aus zweiter und dritter Messung führen. Die Ergebnisse mit der ersten Hälfte der Teilnehmenden der NAKO zeigen, dass – sofern das Studiendesign nicht die Erhebung von mehr als zwei Blutdruckwerten erlaubt – für die wissenschaftliche Auswertung die Verwendung des zweiten Blutdruckmesswerts nach Verwerfen des ersten Messwertes zu empfehlen ist.