Zusammenfassung
Die Einbindung der Patientenperspektive in Entscheidungsfindungsprozesse im Gesundheitswesen wird heute insbesondere in Deutschland allgemein begrüßt. Dabei stellen Selbsthilfeverbände inzwischen den weitaus größten Teil der Patientenvertretungen in verschiedenen Gremien. Kernelement der Selbsthilfe ist die gegenseitige Unterstützung chronisch kranker und behinderter Menschen sowie ihrer Angehörigen in Selbsthilfegruppen.
Die Patientenbeteiligung scheint die Selbsthilfe aber in ein unauflösliches Dilemma zu führen: Entweder müssen traditionelle Arbeitsformen der Selbsthilfe aufgegeben werden, damit sie als professionell handelnder Player in den Diskursen der Gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen auftreten kann, oder aber man bleibt dem Austausch in der Selbsthilfe im ursprünglichen Sinne treu und ist dann mit der Patientenbeteiligung schlichtweg überfordert.
Begreift man aber die Selbsthilfe und die Gemeinsame Selbstverwaltung als soziale Systeme, dann wird deutlich, dass Patientenbeteiligung diese Systeme zwar zueinander in Bezug setzt, aber nicht zu einem Dominanz-Unterordnungs-Verhältnis führt. Selbsthilfe muss zwar die Anforderungen und Inputs der Selbstverwaltung, aber auch der Systeme „Wissenschaft“ und „Recht“ verarbeiten, ist aber ihrerseits auch als Aufgabe und Chance für die Selbstverwaltung zu verstehen, deren Systemziele besser zu erreichen.
Abstract
The involvement of the patient perspective in decision-making processes in the healthcare system is commonly welcome, especially in Germany, with self-help organizations currently providing the vast majority of patient representatives in the various committees. The central plank of organized self-help is the mutual support of chronically diseased and disabled people as well as their relatives in self-help groups.
Patient involvement, however, seems to lead organized self-help to an insoluble dilemma. Either organized self-help must give up their traditional working principles in order to be capable of acting as a professional player in the discourse of the joint self-government of doctors and healthcare funds, or they will simply be unable to cope with patient involvement if they remain true to their original way of mutual exchange and communication. But if organized self-help and joint self-government are considered as social systems, it becomes clear that though patient involvement relates these systems to each other, it does not give rise to a relation of dominance and subordination. Organized self-help may have to handle the requirements and inputs of self-government as well as of the systems of science and law, but also has to be considered a challenge to and an opportunity for the self-government to help them achieve their system-related goals.
Notes
Anm. des Autors: Als etwas zu vordergründig erscheint hingegen der Ansatz von Schultz-Nieswandt et al., die Situation theaterwissenschaftlich deuten zu wollen. Vgl. [9].
Vgl. das Zitat von Jänichen, zitiert in [13].
Anm. des Autors: Dies trifft natürlich nicht nur das System der Selbsthilfe, sondern viele weitere soziale Systeme in der Gesellschaft [19].
Anm. des Autors: Siehe hierzu „Theorien und Ansätze Sozialer Arbeit“, die mit der Frage beginnen: „Was ist Wissenschaft?“ [21].
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Danner, M., Schmacke, N. Patientenbeteiligung: Herausforderungen für die verbandliche Selbsthilfe und die Gemeinsame Selbstverwaltung. Bundesgesundheitsbl 62, 26–31 (2019). https://doi.org/10.1007/s00103-018-2858-0
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