Aus internationalen Studien ist belegt, dass Asylsuchende und Flüchtlinge eine höhere Krankheitslast aufweisen und häufiger an psychischen, Infektions- und nicht übertragbaren chronischen Erkrankungen leiden [14]. Die Gesundheit und medizinische Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen ist daher in besonderem Maße von zielgruppenspezifischen Angeboten abhängig. In Deutschland fehlt jedoch eine solide Datenbasis, auf deren Grundlage Planung, Evaluation, Monitoring oder Surveillance erfolgen kann [5].

Somit bleiben gesundheitliche Auswirkungen unerkannt, die mit potenziellen Gesundheitsdeterminanten verschiedener Migrationsphasen (Prä-, Peri- und Postmigration) einhergehen. Dies gilt insbesondere für die Postmigrationsphase mit Beginn der Ankunft in Deutschland: Die mit dem Asylverfahren verbundenen Lebensumstände in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Sammelunterkünften, häufige Relokationen zwischen Bundesländern, Landkreisen und Kommunen sowie die generell unsichere Zukunftsperspektive aufgrund eines prekären Aufenthaltsstatus sind allesamt potenziell belastende Faktoren, die sich negativ auf die Gesundheit auswirken können.

Die seit dem 1.11.1993 eingeführten rechtlichen Regelungen des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) sehen einen eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung für Asylsuchende vor. Diese Regelungen werden seit den 1990er-Jahren immer wieder kritisiert, so zum Beispiel durch Einzelfallberichte aus den Medien [6, 7] oder Erfahrungsberichte aus der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen und Versorger [8, 9]. Die möglichen systemischen Auswirkungen der Regelungen des AsylbLG auf Versorgungsaspekte wie Zugang, Qualität oder Kosten bleiben aber aufgrund fehlender Routinestatistiken weitgehend verborgen.

Umso wichtiger ist daher der Beitrag empirischer Studien, die den Gesundheitszustand bzw. die medizinische Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen beleuchten. Damit der Beitrag der Wissenschaft seine größtmögliche Wirkung entfalten kann, ist es wichtig, bestehendes Wissen zusammenzutragen, Redundanz zu vermeiden und Forschungslücken zu identifizieren, die für die heterogene Bevölkerungsgruppe der Asylsuchenden und Flüchtlinge und/oder für Entscheidungsträger und Versorger relevant sind. Um zielgerichtete Forschungsanstrengungen zu ermöglichen, ist eine Übersicht der Forschungslandschaft unerlässlich.

Im Jahr 2014 nahmen wir das 20-jährige Bestehen des AsylbLG als Anlass, diese Lücke zu schließen und eine systematische Übersicht der Forschungslandschaft zur Gesundheit und Gesundheitsversorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen zu erstellen. Ziel dieser systematischen Übersichtsarbeit ist es anhand eines evidence mappings darzulegen, welche Aspekte der Gesundheitsversorgung und des Gesundheitszustands von Asylsuchenden die Forschung bereits abdeckt, was aus diesen Forschungsergebnissen bekannt ist und wo ungedeckter, prioritärer Forschungsbedarf besteht.

Methoden

Studiendesign

Bei der vorliegenden Arbeit haben wir das klassische Vorgehen der systematischen Literaturrecherche um den Ansatz des evidence mappings ergänzt [10]. Hierbei ist der Anspruch, eher die Forschung zu einem spezifischen Bereich in ihrer ganzen Breite abzubilden im Gegensatz zur Darstellung von Befunden zu einem spezifischen Teilaspekt. Vor Beginn der Recherche wurde ein Review-Protokoll erstellt, in einem prospektiven Register registriert (PROSPERO 2014:CRD42014013043) und in einer Peer-Review Zeitschrift publiziert [11]. An dieser Stelle werden daher nur die wichtigsten Angaben der PRISMA-Guidelines aufgeführt.

Suchstrategien

Es wurden drei Suchstrategien verfolgt:

  1. 1.

    die Suche in insgesamt elf bibliografischen Datenbanken (PubMed/MEDLINE; ISI Web of Science; International Bibliography of Social Sciences; Sociological Abstracts; Social Science Citation Index; Worldwide Political Science Abstracts; CINAHL; Sowiport; ASSIA; Medpilot; Deutsche Nationalbibliothek) sowie im Internet (über Google) zur Identifizierung grauer Literatur. Die Suche in den jeweiligen Datenbanken fand im August bzw. September 2014 statt (Web of Science, Medpilot: 22/08/14; SSCI, ASSIA: 24/08/14; Sowiport: 25/08/14; PubMed, IBSS, Sociological Abstracts, WPolScA: 09/09/14; CINAHL, DNB: 30/09/14; Google: 02/09/14)

  2. 2.

    Durchsicht der Referenzlisten eingeschlossener Artikel

  3. 3.

    Anfrage bei 47 Experten aus 31 Organisationen nach grauer Literatur

Retrospektiv gab es bei der Suche keine zeitliche Beschränkung. Erst während des Volltextscreenings wurde differenziert zwischen Studien, die vor 1990 bzw. seit 1990 publiziert wurden.

Suchbegriffe

Internationale Datenbanken wurden mit den Suchbegriffen ((refugee* OR asylum*) AND (health* OR access OR utilization) AND german*), deutschsprachige mit den Begriffen (Flüchtling OR asyl* AND gesundheit*) durchsucht. Die Suchen erfolgten in Titeln, Abstracts und Schlüsselbegriffen ohne Einschränkungen bzgl. Zeitraum oder Sprache. Für die Internetsuche wurden unterschiedliche Suchbegriffkombinationen verwendet (s. Review-Protokoll [11]).

Ein- und Ausschlusskriterien

Eingeschlossen wurden Artikel, die (i) empirisch waren (d. h. quantitative oder qualitative Primärstudien unabhängig von ihrer Datenquelle sowie Reviews empirischer Studien), (ii) Asylsuchende oder Flüchtlinge in Deutschland als differenzierbare Studienpopulation angaben, (iii) einen Gesundheits- oder Versorgungsparameter als Zielgröße berichteten und (iv) auf Deutsch oder Englisch verfasst waren.

In die Evidenzsynthese und das „Mapping“ wurden nur Artikel eingeschlossen, die im Jahr 1990 oder später publiziert wurden. Die Art der jeweils untersuchten Zielgröße stellte kein Einschluss-/Ausschlusskriterium dar, sofern sie mindestens einen Bereich der Gesundheit (körperliches, seelisches, soziales Wohlbefinden) und/oder der medizinischen Versorgung adressierte (s. Review-Protokoll [11]).

Ausschlusskriterien: unklare Studienpopulationen (z. B. MigrantenFootnote 1 ohne genauere Angaben; fehlende stratifizierte Ergebnisse für Asylsuchende/Flüchtlinge als Teil genereller Migrantenpopulationen); undokumentierte/illegalisierte Migranten sowie Artikeltypen, die nicht der empirischen Literatur zuzuordnen waren (Kommentare, Diskussionspapiere, journalistische Interviews, Policy Berichte, Bücher, Tagungsbände, Kongress-Abstracts ohne verfügbare Volltexte). Im Laufe des Auswahlprozesses (siehe nachfolgend) wurden die Ausschlusskriterien ergänzt um Studien, die ausschließlich Aussiedler, Binnenflüchtlinge im Rahmen des zweiten Weltkriegs oder Flüchtlinge aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als Studienpopulation angaben.

Weiterhin wurde eine Residualkategorie für jene Studien erstellt, die formell die Einschlusskriterien erfüllten, jedoch vor 1990 publiziert wurden und bereits historischen Charakter hatten, die internationale Studien ohne stratifizierte Daten für Deutschland oder Sekundärliteratur darstellten, die nicht ausschließlich auf empirischem Material beruhte.

Studienauswahl

Die Studienauswahl erfolgte in zwei Schritten: 1.) unabhängiges Screening von Titeln und Abstracts gefundener Treffer durch jeweils zwei Reviewer (50 %: Christine Schneider [CS], Kayvan Bozorgmehr [KB]; 50 %: Amir Mohsenpour [AM], Stefanie Joos [SJ]), 2.) unabhängiges Screenen der Volltexte aller im ersten Schritt als geeignet bewerteten Treffer durch zwei Reviewer (CS, AM). In beiden Schritten wurden diskrepante Ratings in Konsensusmeetings mit mindestens drei Reviewern des Kernteams (KB, SJ, AM, CS) diskutiert und einvernehmlich ein- oder ausgeschlossen.

Gütekriterien der Suchstrategie

Als Gütekriterien der Suchstrategie wurden die Spezifität (Anteil geeigneter Artikel an allen Treffern) sowie anhand eines (vom Studienprotokoll abweichenden) Test-Sets [1217] die Sensitivität errechnet (Anteil geeigneter Artikel an allen richtig positiven).

Datenextraktion

Auf Grundlage international empfohlener Reporting-Items für Beobachtungsstudien (STROBE) und qualitative Studien (COREQ) wurden Extraktionsformulare entwickelt, pilotiert und auf die eingeschlossenen Artikel angewendet, um relevante Angaben systematisch zu extrahieren (Fragestellungen, Studienpopulationen, Gesundheitsparameter, Versorgungsdomänen, Zielgrößen in quantitativen Studien bzw. Haupt- und Nebenkategorien in qualitativen Studien, berichtete Limitationen, Angaben über Verallgemeinerbarkeit). Nach Pilotierung, Adaptierung und Konsentierung der Extraktionstools wurden 50 % der eingeschlossenen Artikel durch CS, die andere Hälfte durch AM extrahiert. Die extrahierten Angaben aller eingeschlossenen Artikel wurden durch den Erstautor (KB) unter Heranziehen der Volltexte überprüft.

Bewertung der Gütekriterien eingeschlossener Artikel

Abweichend vom Review-Protokoll [11] wurde keine Bewertung der Gütekriterien (d. h. critical appraisal) der eingeschlossenen Artikel vorgenommen. Hauptgründe waren die Heterogenität der Studientypen und die daraus resultierende Problematik mangelnder Anwendbarkeit und Vergleichbarkeit gängiger Scoring-Systeme. Stattdessen erfolgte bei quantitativen Studien eine Einordnung der „Evidenzstärke“ anhand der Levels of Evidence (LoE) des Oxford Centre for Evidence-based Medicine nach den jeweils vorliegenden Studientypen der Primärartikel [18]. Weiterhin wurden in den Extraktionsformularen bei allen Studien zusätzliche Limitationen, d. h. über die in den Artikeln genannten hinaus, von den Reviewern vermerkt und zur finalen Einschätzung der externen Validität herangezogen. Auf Grundlage der berichteten Limitationen, der berichteten externen Validität sowie der von den Reviewern vermerkten zusätzlichen Limitationen haben wir die quantitativen Studien nach ihrer externen Validität beurteilt und aufgeführt, ob in den Studien Generalisierbarkeit lokal, regional, überregional oder nicht gegeben ist. Lokal beschreibt dabei die vorhandene Verallgemeinerbarkeit für die Population einer Asylunterkunft, regional die Generalisierbarkeit auf eine Stadt/Region eines Bundeslands, überregional die Verallgemeinerbarkeit über mehr als ein Bundesland hinaus. Die externe Validität wurde als nicht gegeben gewertet, wenn diese laut Angaben der Autoren der Primärstudien nicht vorlag und/oder schwerwiegende Limitationen seitens der Reviewer vermerkt wurden und/oder Gefälligkeitsstichproben, unbekannte Grundgesamtheit oder unklare Sampling-Verfahren vorlagen.

Evidenz-Map

Um die Forschungslandschaft thematisch und konzeptionell abzubilden, wurden die Artikel einer quantitativ deskriptiven Auswertung anhand ihres Studiendesigns, der untersuchten Zielgrößen bzw. Gesundheits- und Versorgungsdomänen, des Evidenzgrads, der Studienpopulation (populations- vs. institutionsbasierte Samples), des Settings der Rekrutierung (Erstaufnahmeeinrichtung, Kommune/Gemeinde, Klinik) sowie der Verallgemeinerbarkeit (lokale, regionale oder überregionale externe Validität) unterzogen.

Evidenz-Synthese

Die Synthese der in den Artikeln berichteten Evidenz erfolgt aufgrund der großen Heterogenität narrativ und separat für quantitative bzw. qualitative Studien. Für die Zielgröße „Prävalenz der posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS) lag eine hohe Anzahl an Studien vor. Daher wurden die Prävalenzen in einem vereinfachten Forest-Plot visualisiert (s. Ergebnisse) zusammen mit den entsprechenden 95 %-Konfidenzintervallen, die nach der Methode von Clopper und Pearson [19] berechnet wurden.

Ergebnisse

Die Suche in Datenbanken ergab nach Entfernung von Duplikaten insgesamt 1160 Treffer. Weitere 30 Artikel erhielten wir über die Durchsicht von Referenzlisten und Anfrage bei Experten (Abb. 1). Von diesen insgesamt n = 1190 Artikel wurden im Rahmen des Screenings der Titel und Abstracts insgesamt 988 (83,0 %) ausgeschlossen. Die verbleibenden 202 Artikel wurden im Volltext auf die Einschlusskriterien hin geprüft. Dabei wurden weitere 132 (65,3 % der im Volltext geprüften Artikel) ausgeschlossen. Von den 70 verbleibenden Artikeln wurden 18 der o. g. Residualkategorie zugewiesen, sodass insgesamt 52 Artikel in das mapping sowie in die Synthese eingeschlossen wurden. Dies entspricht (wie bei einer breiten Suche zu erwarten war) einer Spezifität von 4,4 %. Die Sensitivität bezogen auf die Artikel im Test-Set [1217] lag hingegen bei 98,1 %, für die Artikel aus Peer-Review-Zeitschriften [14, 16, 17] bei 100 %.

Abb. 1
figure 1

Flowchart des Screeningprozesses. (Nach dem Modell von Moher et al. [70])

Unter den 52 eingeschlossenen Artikeln (Tab. 1) befanden sich 41 (78,9 %) quantitative Studien [1417, 2056], 10 (19,2 %) qualitative Studien [12, 5765] und ein systematisches Review (1,9 %) [66]. Die überwiegende Anzahl der quantitativen Studien beruhte auf Querschnittsdesigns. Weiteren neun lag ein prospektives Design zugrunde [22, 2628, 35, 37, 39, 55, 56]. Ein experimentelles Design mit Randomisierung lag bei einer Studie vor ([34]; Tab. 1). Die Stichprobengrößen der quantitativen Studien lagen im Schnitt bei n = 1053 (SD: 2552) bzw. im Median bei n = 181.

Tab. 1 Übersicht der eingeschlossenen Primärstudien (n = 51) und der adressierten Gesundheits-/Versorgungsdomäne, der Designs sowie der Settings der Studien

In den qualitativen Designs waren Ethnografien und Fallstudien am häufigsten vertreten, gefolgt von Tiefeninterviews und Fokusgruppen (Tab. 2). Insgesamt reichten die Stichprobengrößen der qualitativen Studien von n = 1 bis n = 52.

Tab. 2 Absolute und relative Häufigkeiten angetroffener Evidenzgrade, Samples und Settings der eingeschlossenen Primärstudien

Evidenz-Map

Studiendesigns und Zielgrößen

Von den 51 Primärstudien untersuchten mehr als die Hälfte (n = 30; 58,8 %) eine oder mehrere Zielgrößen im Bereich psychischer Gesundheit [14, 15, 2023, 25, 30, 33, 34, 36, 37, 39, 41, 4446, 4851, 5664, 66]. Die am häufigsten untersuchte Zielgröße war die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die in insgesamt 24 Primärstudien (davon fünf qualitative Designs) untersucht wurde (Abb. 2; [14, 15, 22, 23, 25, 30, 33, 34, 36, 37, 39, 41, 4446, 4851, 57, 6164]).

Abb. 2
figure 2

Adressierte Domänen der Gesundheit und Gesundheitsversorgung der eingeschlossenen Primärstudien (n = 51) (PTBS Posttraumatische Belastungsstörung, NCDs nicht übertragbare chronisch körperliche Erkrankungen)

Von den 26 Studien, die sich mit Zielgrößen im Bereich der körperlichen Gesundheit beschäftigten, untersuchten 12 Studien Infektionserkrankungen [1517, 2629, 32, 35, 38, 40, 60]. Nur in 3 Studien (5,8 % aller Studien) gab es einen expliziten Bezug zu nicht übertragbaren chronischen Erkrankungen (NCDs) [15, 40, 60], in einer Studie (1,9 %) einen Bezug zur Müttergesundheit bei Asylsuchenden bzw. Flüchtlingen [45]. 6 Studien, davon eine qualitative [58], wiesen einen direkten Bezug zur Kindergesundheit auf (11,5 % aller Studien) [31, 33, 39, 44, 45, 58].

Mit sozialem Wohlbefinden als Aspekt der Gesundheit beschäftigen sich 10 Studien, denen unter anderem Zielgrößen wie Lebensqualität, Lebensbedingungen oder der allgemeine Gesundheitszustand als „globales“ Gesundheitsmaß zugrunde lagen [12, 14, 20, 21, 50, 51, 5861].

Insgesamt 22 Studien untersuchten Zielgrößen im Bereich der medizinischen Versorgung, davon drei mit einem qualitativen Design [12, 59, 60]. Die am häufigsten untersuchten Versorgungsdimensionen waren Aspekte des Zugangs (n = 13) sowie die Qualität der Versorgung (n = 13). Untersuchte Zugangsdimensionen waren Akzeptanz (n = 8) [12, 15, 21, 25, 40, 56, 59, 60], Verfügbarkeit (n = 7) [12, 15, 21, 40, 52, 59, 60] sowie (seltener) Kosten spezifischer Versorgungsmaßnahmen (n = 5) [15, 17, 24, 46, 53].

Lediglich 7 Studien wiesen einen Bezug zu Ungleichheiten auf (n = 7), d. h. zogen eine Vergleichsgruppe nicht Geflüchteter heran, um Ungleichheiten zwischen dieser und Asylsuchenden oder Flüchtlingen in der Gesundheit bzw. der Versorgung zu quantifizieren [21, 2628, 31, 46, 56].

Evidenzgrade und Studienpopulationen

Von den 41 quantitativen Primärstudien waren 43,9 % einem hohen Evidenzgrad (LoE 2) zuzuordnen. 4 Studien (9,8 %) [17, 27, 28, 34] lagen Designs zugrunde, die im jeweiligen Bereich dem höchsten Evidenzgrad (LoE 1) zuzuordnen waren (Tab. 2).

Ungefähr zwei Drittel aller quantitativen Studien hatten ein populationsbasiertes Sample, wohingegen fast allen qualitativen Studien (naturgemäß) entweder institutionsbasierte Samples zugrunde lagen oder Studienpopulationen, die sich nicht entsprechend kategorisieren ließen ([63]; Tab. 2).

Bei insgesamt acht (15,7 %) der 51 Primärstudien lagen Studienpopulationen aus zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen vor [15, 16, 25, 30, 40, 41, 47, 60]. Der Anteil der Studien mit Populationen aus Gemeinschaftsunterkünften bzw. Einrichtungen der Folgeunterbringung in Gemeinden sowie klinischen bzw. therapeutischen Settings war mit jeweils einem Drittel gleich hoch (Tab. 2). Bei 18 Studien lagen andere Settings oder keine näheren Angaben zu den Settings vor, aus denen die Studienpopulationen rekrutiert wurden. In 32 Studien (62,7 % aller Primärstudien) wurden die Teilnehmer an einem einzigen Standort oder in einer einzigen Stadt rekrutiert [12, 1517, 20, 2325, 2729, 31, 33, 34, 37, 3941, 43, 44, 48, 49, 5255, 5861, 6365]. In 6 Studien (11,8 %) setzte sich die Studienpopulation aus Asylsuchenden mehrerer Standorte in einem Bundesland zusammen [32, 35, 38, 42, 44, 45]. Eine aus mehreren Bundesländern rekrutierte Studienpopulation fand sich in 7 Studien (13,7 %) [14, 21, 22, 30, 36, 50, 51]. Keine detaillierten Angaben zum Setting waren in 6 Studien (11,8 %) gegeben [26, 46, 47, 56, 57, 62].

Bei 28 der quantitativen Studien (68,3 %) zeigte sich anhand der genannten Kriterien keine externe Validität [14, 16, 2226, 3034, 36, 37, 3943, 45, 46, 4851, 5456]. Bei 10 Studien (26,8 %) sind die Ergebnisse regional generalisierbar [15, 21, 2729, 35, 38, 44, 47, 52, 53], eine Studie macht repräsentative Aussagen zu einer lokalen Unterkunft [20]. Lediglich Takla [17] und Baron [21] führen quantitative Ergebnisse auf, die eine überregionale Generalisierbarkeit für Asylsuchende in Deutschland ermöglichen.

Evidenz-Synthese

Infektionserkrankungen

Die Gesundheitsdomäne im Bereich physischer Gesundheit, über die am häufigsten berichtet wurde, waren Infektionserkrankungen. 6 der 12 Studien, in denen Infektionserkrankungen bei Asylsuchenden thematisiert wurden, beschäftigten sich u. a. mit der Prävalenz, den Risikofaktoren oder Kontrollmaßnahmen der Tuberkulose [26, 28, 29, 35, 38, 40].

Kesseler et al. [35] berichten unter 4058 Asylsuchenden (1992–1994) eine Prävalenz behandlungsbedürftiger Tuberkulose von 48 Fällen (1,2 %), entsprechend einer Rate von 1183 pro 100.000. Mohammadzadeh [40] berichtet als Teil eines breiteren Krankheitsspektrums unter 1077 Asylsuchenden in Bremen (1993–1994) eine Inzidenzrate von 0,557 % (entsprechend 557/100.000).

Diel et al. untersuchen die Charakteristika der Tuberkulose bei im Ausland geborenen Einwohnern Hamburgs (1997–2002) und berichten 334 Fälle, davon 108 (32,3 %) bei Asylsuchenden. Von diesen wurden 31 Fälle (28,7 %) bei der Gesundheitsuntersuchung (nach §62 Asylverfahrensgesetz) bzw. dem Tuberkulose-Screening durch Röntgen der Lunge bei 12.176 Asylsuchenden identifiziert (entsprechend 255/100.000). Der Anteil der identifizierten Fälle im Rahmen des Tuberkulose-Screenings lag somit bei 0,25 %. Der Großteil der Fälle (67,7 %) innerhalb der Population der Asylsuchenden manifestierte sich erst nach längerem Aufenthalt (2,4 ± 3,8 Jahre) in Deutschland. Die Diagnosestellung fand in 82 % der Fälle aufgrund von Symptomen statt. Die Zeit vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Inanspruchnahme medizinischer Untersuchungen war bei Asylsuchenden signifikant länger (6,5 ± 5,2 Wochen) als bei anderen Migranten (4,9 ± 3,1 Wochen) [28].

Loytved et al. [38] berichten in ihrer Analyse vom Stellenwert der aktiven Fallfindung sowie den Behandlungsergebnissen der Tuberkulose. Im Vergleich zu Diel et al. [28] berichten sie einen höheren Anteil der Fälle, die im Rahmen der aktiven Fallsuche bei Röntgenreihenuntersuchungen bei Asylsuchenden in Unterfranken (1995–2001) ermittelt wurden (58,4 % bzw. 52 von 89 Fällen ohne Angaben zu der Gesamtzahl der in den sechs Jahren gescreenten Asylsuchenden). Hinsichtlich der Behandlungsergebnisse berichten Loytved et al. über einen, im Vergleich zu in Deutschland geborenen Patienten, höheren Anteil eines ungünstigen Verlaufs der Ergebnisqualität (Behandlungsabbrüche durch Wegzug, Abschiebung oder Unauffindbarkeit).

Dreweck et al. [29] berichten in ihrem deskriptiven epidemiologischen Bericht zur Tuberkulose in München über 24 Fälle, die bei der Röntgenreihenuntersuchung von 4000 Personen im Jahr 2012 identifiziert wurden, entsprechend einer Prävalenz von 0,6 % bzw. 600/100.000.

Casal et al. [26] untersuchen in einer internationalen Fall-Kontroll-Studie die Risikofaktoren für eine multiresistente Lungentuberkulose. Sie geben für die Stichprobe aus Deutschland (n = 153) eine fünffach höhere Infektionswahrscheinlichkeit (Odds Ratio, OR = 5,10) mit multiresistenten Erregern bei Personen an, die als Einkommensquelle „Asylbewerberleistungen“ nannten.

Sechs quantitative Studien befassten sich mit weiteren Infektionserkrankungen [1517, 27, 32, 40]: Gauert et al. [32] untersuchten die Prävalenz pathogener bzw. fakultativ pathogener enteraler Erreger unter 517 Asylsuchenden aus dem südosteuropäischen, dem afrikanischen sowie dem südostasiatischen Raum. Aufgrund der berichteten Prävalenz pathogener und fakultativ pathogener enteraler Erreger (23,79 %) plädierten sie für die Ausweitung der mikrobiologischen Pflichtuntersuchungen bei Asylsuchenden auf alle Enterobacteriaceae. Dudareva et al. [16] führten nach Auftreten einer Hautinfektion durch einen ambulant erworbenen multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) in einer zentralen Erstaufnahmestelle eine aktive Fallsuche unter allen 427 asylsuchenden Bewohnern der Einrichtung durch und berichten drei weitere Fälle, die jedoch mit jeweils unterschiedlichen Erregerstämmen infiziert waren und von vorangegangenen Krankenhausaufenthalten berichteten. Jung [15] berichtet eine Prävalenz von 3,1 % bei Infektionserkrankungen, die im Rahmen des Bremer Gesundheitsprogramms (2001–2008) bei 2341 Asylsuchenden auf Ebene der ICD-10 Kapitel (A00–B99) diagnostiziert wurden. Mohammadzadeh [40] berichtet aus dem Krankheitsspektrum von 1077 Asylsuchenden im Rahmen des Bremer Gesundheitsprogramms Inzidenzraten der Hepatitis (0,650 %), Gonorrhoe (0,186 %) sowie der Meningitis (0,0935 %).

Lediglich 2 Studien gingen über einen deskriptiven Charakter hinaus: Diel et al. [27] untersuchten in ihrer prospektiven Studie Risikofaktoren der Hepatitis B (HBV)-Infektion in Hamburg (1998–2002) und berichten über 73 akute HBV-Fälle, die im Rahmen von Screening-Maßnahmen unter 10.770 Asylsuchenden identifiziert wurden (entsprechend 0,67 % bzw. 678/100.000). Diese machten 13,9 % aller insgesamt 524 HBV-Fälle aus, die im selben Zeitraum der Gesundheitsbehörde gemeldet wurden. Die für verschiedene Einflussfaktoren adjustierte Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer HBV-Infektion bei Asylsuchenden war somit um das 6,93-Fache [1,210 bis 39,8] erhöht, im Vergleich zu nicht Asylsuchenden.

Takla et al. [17] vergleichen in einer Kosten-Nutzen-Analyse anhand eines Masernausbruchs in einer Gemeinschaftsunterkunft mit 427 Asylsuchenden das konventionelle Vorgehen einer Riegelungsimpfung nach serologischer Immuntiterbestimmung mit einer hypothetischen Strategie, bei der alle Asylsuchenden unmittelbar eine Reihenimpfung erhalten (ohne vorherige Serologie). Unter Berücksichtigung potenziell vermiedener Masernfälle der hypothetischen Alternativstrategie (n = 3), des logistischen Aufwands der konventionellen Strategie sowie der damit verbundenen doppelt so hohen Kosten (90.000 €) plädieren sie für eine Reihenimpfung bei Masernausbrüchen sowie für eine Verbesserung der Immunisierung bei Erstaufnahme, um das Risiko für Ausbrüche zu minimieren.

Nicht übertragbare chronisch körperliche Erkrankungen (NCDs)

Lediglich 2 Studien lassen sich Kennzahlen zu NCDs bei Asylsuchenden entnehmen [15, 40]. Diese stammen aus dem Gesundheitsprogramm des Bremer Modells aus den 1990er-Jahren [40] bzw. aus dem Zeitraum 2001–2008 [15]. In beiden Studien, die deskriptiv die Häufigkeit der Diagnosen des Gesundheitsprogramms auswerten, zeigt sich ein vorwiegend primärmedizinisches Spektrum an Versorgungsbedarfen bei Asylsuchenden: Erkrankungen der Atemwege/des HNO-Trakts (21,8 %), Hauterkrankungen (18,8 %), Zahnprobleme (12,4 %), Gastrointestinalbeschwerden (11,1 %), Schmerzen/Neuralgien (10 %), Unfälle (6,2 %), psychosomatische Beschwerden (9 %) sowie andere einschließlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen (<5 %) bei Mohammadzadeh [40] bzw. Atemwegserkrankungen (J00–J99: 19,6 %), Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (M00–M99: 8,9 %), Erkrankungen des Verdauungssystems (K00–K93: 7,1 %), andere (<5 %: Hauterkrankungen L00–L99, Herz-Kreislauf-Erkrankungen (I00–I99), Verletzungen/Unfälle (S00–T98)) bei Jung [15]. Auffallend ist mit 25,4 % die hohe Prävalenz unspezifischer Symptome (R00–R99), die bei Jung als Hinweis auf eine hohe psychische Belastung bzw. hohe Somatisierungstendenz bei Asylsuchenden berichtet wird. Weiterhin zeigt sich ein hoher Bedarf an (nicht medizinischer) psychosozialer Unterstützung als Grund der Inanspruchnahme des Versorgungsangebotes (Z00–Z99: 14,1 %). Darüber hinaus gehende Aspekte in dieser Gesundheitsdomäne werden ausschließlich als Kasuistik berichtet [60].

Physische Gesundheit bei (werdenden) Müttern

Keine empirische Studie adressierte den physischen Gesundheitszustand von Frauen im Asylverfahren im Kontext Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett oder Stillzeit.

Physische Gesundheit bei Kindern

Im Bereich der Kindergesundheit lag lediglich eine Studie vor, die physische Gesundheitsaspekte bzw. im Wesentlichen Versorgungsaspekte bei Kindern adressierte. In dieser Studie untersuchten Gardemann et al. [31] die Versorgungssituation bei allen Kindern asylsuchender Familien unter 15 Jahren (n = 178 Kinder, davon 118 mit Duldung, die im Beobachtungszeitraum in Münster in Gemeinschaftsunterkünften wohnten) hinsichtlich der Inanspruchnahme von pädiatrischen Vorsorgeuntersuchungen (U1–U9), Immunisierungsraten, Verfügbarkeit von Impfdokumenten und Hospitalisierungen, im Vergleich zu einer Referenzpopulation von Kindern mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Inanspruchnahme von U‑Untersuchungen bei Kindern asylsuchender Familien niedriger ist, die Wahrscheinlichkeit keinen Impfpass zu haben höher ist, die Immunisierungsraten niedriger sind und die Hospitalisierungsrate hoch ist. Keine empirische Studie berichtete repräsentative Kennzahlen zum physischen Gesundheitszustand von Kindern.

Zahngesundheit

Drei Studien konnten dem Bereich der Zahngesundheit [5355] zugeordnet werden. Davon ließen sich aus zweien Angaben zur Zahngesundheit bei tamilischen Asylsuchenden entnehmen. Bis auf die bei Mohammadzadeh [40] genannten Kennzahlen zu Zahnproblemen (12,4 % der Diagnosen des Bremer Gesundheitsprogramms aus den 1990er-Jahren) lagen keine Studien vor, aus denen umfassende Angaben über Indikatoren der Zahngesundheit gemacht werden konnten. Im Bereich der zahnärztlichen Versorgung untersuchte Wolf [53] in einer deskriptiven Auswertung amtsärztlicher Begutachtungen bei 293 Asylsuchenden (davon 195 in der Personengruppe nach §2 AsylbLG) die Auswirkungen der Einführung des AsylbLG hinsichtlich des Zugangs zu und der Kosten der zahnärztlichen Versorgung anhand von Therapieplänen. Während in den drei Jahren vor Einführung des AsylbLG (1990–1993) die Kosten stagnierten, berichtet Wolf einen Anstieg der Kosten pro bewilligtem Heilplan um 893 DM im Jahr 1994 (entsprechend einem 100 %igen Kostenanstieg gegenüber dem Vorjahr). Bei insgesamt 73 Personen, d. h. ca. 25 % der Stichprobe, wurde eine Behandlung abgelehnt. Davon entfielen (nach eigenen Berechnungen) 75 % auf die Personengruppe, die nicht bereits durch §2 AsylbLG Anspruch auf Regelversorgung hatte, sondern den Regelungen des AsylbLG §4 unterlag. Wolf kritisiert dabei die Tendenz zu einer Zweiklassenmedizin innerhalb der Asylsuchenden (Personengruppe nach §2 bzw. §4 AsylbLG) und schlussfolgert, dass das Ziel der Kostenreduktion ein Jahr nach Einführung des AsylbLG nicht erreicht wurde [53].

Psychische Gesundheit

Von den 30 Primärstudien im Bereich psychischer Gesundheit (Tab. 1) adressierten 19 quantitative Studien (ausschließlich oder unter anderem) Aspekte der Epidemiologie oder Therapie der PTBS. Davon berichteten 14 Studien Prävalenzschätzer der PTBS, die in Abb. 3 exemplarisch aufgeführt sind. In Studien mit institutionsbasierten Stichproben war sowohl die Prävalenz als auch die Varianz der Schätzer (6,65–76,66 %) höher als in populationsbasierten Studien (16,36–54,90 %). Die Fallzahlen der Studien variierten stark (n = 40–376) und lagen im Median bei n = 125 Asylsuchenden bzw. Flüchtlingen. Es lag eine große Heterogenität der Studienpopulationen vor hinsichtlich der Herkunftsländer (viele Länder vs. länderspezifische Analysen), des Geschlechts (Männer, Frauen oder beide), des Alters (Kinder vs. Erwachsene) und der zugrunde liegenden Sampling-Verfahren (kein Sampling/Selbstzuweiser/Gefälligkeitsstichproben vs. Zufallsstichproben). Ebenso variierten die eingesetzten Instrumente und Methoden zur Diagnosestellung der PTBS sowie die Datengrundlagen (Primär- vs. Sekundärdaten). Von einer quantitativen Synthese (Metaanalyse) wurde daher nach eingehender Prüfung (durch Christian Stock, DS, AL) abgesehen. Trotz der zugrunde liegenden Heterogenität zeigt sich, dass die PTBS eine äußert relevante Krankheitsgröße darstellt: Mit Ausnahme der Publikation von Koch et al. [36] lagen die Prävalenzschätzer bei mindestens 22 % in institutionsbasierten bzw. mindestens 16 % in populationsbasierten Samples.

Abb. 3
figure 3

Forest-Plot der berichteten Prävalenz der posttraumatischen Belastungsstörung aus 14 Primärstudien (Alter: Mittelwert ± Standardabweichung bzw. leer, wenn nicht berichtet. Besonderheiten der Studienpopulationen: ausschließlich Kinder: Gavranidou [33], Ruf [44]; ausschließlich Frauen: Ruf-Leuschner [45]. Niklewski a: Zufallsstichprobe; Niklewski b: Gefälligkeitsstichprobe/Selbstzuweiser. Sabues-Figuera/Bogic: selbe Studienpopulation, unterschiedliche Fragestellungen, daher nicht als klassisches Duplikat gewertet und in das Mapping eingeschlossen. Instrumente: DSM-IV Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 4. Auflage; PDS Posttraumatic Stress Diagnostic Scale, HTQ Harvard Trauma Questionnaire, ICD-10 International Classification of Disease, ETI Essener Trauma-Inventar, MINI Mini International Neuropsychiatric Interview, SCAS-RADS-D Screen for Child Anxiety Related Emotional Disorders)

Diese Heterogenität ist exemplarisch hervorgehoben, da sie auch für die zahlreichen weiteren psychischen Erkrankungsbilder gilt, die in den identifizierten Studien untersucht wurden – allen voran Depressionen (13 Studien [14, 20, 22, 23, 25, 34, 39, 41, 44, 45, 49, 51, 56]), Angststörungen (11 Studien [14, 20, 22, 25, 39, 41, 4446, 51, 56]) sowie Suizidalität (7 Studien [14, 21, 41, 44, 45, 49, 51]). Angaben zu erfolgten Suiziden fanden sich lediglich in einer retrospektiven Studie [49]. Exemplarisch sind auch die Limitationen der Studien: Keine der Studien in diesem Bereich wies eine externe Validität auf, die über lokale Populationen hinausging (auch wenn dies teilweise berichtet wurde).

Angesichts der Bedeutung zentraler Erstaufnahmeeinrichtungen gab es nur 4 Studien [15, 25, 30, 41], die psychische Bedarfe in diesem Kontext untersuchten. Dabei erscheinen insbesondere die Erfahrungen von Butollo et al. [25] sowie Nikleweski et al. [41] im Rahmen der Einrichtung einer zentralen klinischen Gutachterstelle von übergeordneter Bedeutung hinsichtlich der Identifizierung psychischer Versorgungsbedarfe und der Einleitung adäquater Versorgung. In diesem Zusammenhang zeichnet sich, neben der frühen Identifikation von Bedarfen, die Bedeutung niedrigschwelliger Versorgungsstrukturen [15, 25, 40, 41] zur kurzfristigen psychosozialen Stabilisierung sowie spezialisierter Versorgungsstrukturen zur mittel- bis langfristigen Versorgung der psychischen Bedarfe ab. Angesichts der öffentlich vielfach diskutierten Versorgungsproblematik in diesem Bereich [67] überrascht es, dass lediglich eine Studie, die der grauen Literatur zuzuordnen war, die Diskrepanz zwischen psychosozialen Versorgungsbedarfen und der Aufnahmekapazität existierender Strukturen quantitativ untersucht [21]. Weitere Bereiche, denen sich angesichts ihrer Bedeutung eher wenige Studien widmeten, betrafen Auswirkungen von Rückführungsprogrammen [14, 50].

Im Bereich der qualitativen Studien zeigen Bräutigam et al. [58] anhand einer Kasuistik auf, dass Familien mit Flüchtlingshintergrund eine schlechtere psychotherapeutische Versorgung zuteil wird, was zurückgeführt wird auf sprachliche und kulturelle Barrieren, aber auch auf mangelhafte Kenntnisse der Kinderärzte bzgl. psychischer Erkrankungen. Birck untersucht in einer qualitativ vergleichenden Analyse die Qualität der Diagnose psychischer Erkrankungen durch den polizeiärztlichen Dienst [57]. Verglichen mit klinischen Psychologen diagnostizieren Justizbeamte seltener posttraumatische Störungen (27 % der Fälle gegenüber 81 % der Fälle bei niedergelassenen Psychologen), bagatellisieren in ihren Berichten psychische Erkrankungen und bejahen in nur wenigen Fällen Behandlungsbedarf (19 % gegenüber 100 % bei klinischen Psychologen).

Drei Studien [37, 61, 64], davon 2 qualitative Fallstudien, untersuchen vorhandene oder mögliche Therapieformen zur Bewältigung traumatischer Erlebnisse.

Koch [61] kommt in einer Fallstudie mit Flüchtlingen, die an PTBS leiden, zu der Schlussfolgerung, dass Tanz- und Bewegungstherapien einen erfolgreichen Therapieansatz in Flüchtlingspopulationen darstellen können. Stellbrink-Kesy [64] beschreibt anhand einer Fallstudie den förderlichen Einfluss der Kunsttherapie zur Traumabewältigung. Kruse et al. [37] untersuchen in einer nicht randomisierten Interventionsstudie an 64 bosnischen Flüchtlingen mit PTBS-Symptomen den Einfluss von stabilisierenden Elementen der Psychotherapie und schlussfolgern, dass diese Behandlung zur Linderung von PTBS-Symptomen sowie somatoformen Störungen beiträgt.

Medizinische Versorgung

Empirische Belege für die Barrieren, die mit der Praxis der Krankenscheinausgabe sowie der eingeschränkten Versorgungsansprüche der Regelungen des AsylbLG einhergehen, erbringen Behrensen und Groß [12] in ihrer umfassenden und methodisch fundierten qualitativen Studie zum Einfluss der gesundheitlichen Auswirkungen der Lebensumstände von Asylsuchenden. Aus den quantitativen Studien im Bereich der medizinischen Versorgung lässt sich ableiten, dass eine niedrigschwellige Primärversorgung [15, 40] bei niedrigen Kosten eine gute Akzeptanz mit weniger Überweisungen zu spezialisierten Fachärzten erzielen kann. Der verbesserte, unbürokratische Zugang zur Versorgung, z. B. über eine Gesundheitskarte [24], erweist sich als kostensenkend im Bereich administrativer Kosten (1,6 Millionen Euro/Jahr in Hamburg) und kostenneutral hinsichtlich der Pro-Kopf-Ausgaben der medizinischen Behandlung bei Asylsuchenden. Aus international vergleichenden Versorgungsforschungsstudien [56] geht hervor, dass Asylsuchende die erhaltene Unterstützung in England als am besten organisiert bewerten, die Zufriedenheit mit der Primärversorgung jedoch in Deutschland am höchsten ist. Zwei Studien, die Versorgung von Asylsuchenden aus dem Balkan in verschiedenen Ländern (DE, GB, IT) gegenüberstellen [46, ], zeigen höhere Ausgaben für Gesundheitsdienste für Flüchtlinge in Deutschland. Es liegen keine Studien vor, die den Zugang zu medizinischer Versorgung von Asylsuchenden mit Bevölkerungsgruppen mit sicherem Aufenthaltsstatus vergleichen.

Soziales Wohlbefinden und soziale Determinanten der Gesundheit bzw. Gesundheitsversorgung

In 21 der 52 Studien (51,2 %) waren Aspekte des sozialen Wohlbefindens, soziale Determinanten bzw. die Lebens- und Unterbringungssituation von Asylsuchenden expliziter Ausgangspunkt der Analysen [12, 14, 17, 2023, 33, 37, 39, 4446, 4951, 56, 5861].

Drei qualitative Studien [12, 59, 63] betrachten den Gesundheitszustand und die medizinische Versorgung im Kontext der Lebensumstände und sehen darin sowohl einen Risikofaktor für Erkrankungen als auch für unzureichende medizinische Versorgung.

Im Rahmen einer Evaluation des Projekts „Selbsthilfe, Arbeitsmarktzugang und Gesundheit von Asylsuchenden (SAGA)“ betrachten Groß et al. [59] die Verbesserung der Gesundheit von 52 Flüchtlingen durch Maßnahmen, die der psychischen und sozialen Stabilisierung dienen, wie bspw. erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt. Ein weiterer Pfeiler des Projektes, die Optimierung der Strukturen in der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen durch Aufbau eines Traumanetzwerkes und Ausbildung in Traumatherapie, trug ebenfalls zu einer verbesserten Gesundheit der Flüchtlinge bei.

Behrensen et al. [12] explorieren anhand von teilnehmenden Beobachtungen und Interviews den Einfluss der Lebensumstände von Asylsuchenden auf deren Gesundheit. Das Leben in Gemeinschaftsunterkünften, Perspektivlosigkeit und auch eingeschränkte Möglichkeiten der Ernährung, als nur einige ausgewählte Aspekte des sozialen Wohlbefindens, wirken sich schädlich auf die Gesundheit aus. Erschwert wird diese Situation durch bürokratische Hürden zur Genehmigung eines Arztbesuches sowie durch kulturellspezifische Erwartungen an medizinische Versorgung. Diese Befunde sind konsistent mit quantitativen Studien: Albers [20] untersucht in ihrer Dissertation die Lebenssituation von 183 Asylsuchenden anhand von 21 selbst berichteten psychosozialen Stressoren sowie den Zusammenhang zwischen diesen und der Prävalenz psychischer Beschwerden, erhoben mit dem Gesundheitsfragebogen für Patienten (PHQ). Nijhawan [63] beschreibt in einer ethnografischen Studie unter Punjabi-Flüchtlingen, dass die Versorgung bereits kranker Personen unzureichend ist, aber ebenso die Lebensumstände in Gemeinschaftsunterkünften mit eingeschränkter Versorgung zu einer Verschlechterung der Gesundheitssituation beitragen. Die vorliegenden Studien bestätigen somit internationale Erkenntnisse, dass die Lebens- und Unterbringungssituation während des Asylverfahrens als psychisch belastend erfahren wird. Studien mit prospektivem Charakter und dem Versuch kausale Zusammenhänge (im quantitativen Sinne) zu beweisen, lagen nicht vor.

Weitere Details und Erkenntnisse aus den 52 eingeschlossenen Studien sind Tab. 3 zu entnehmen.

Tab. 3 Tabellarische Übersicht der Zielstellungen, Designs sowie Kernergebnissen der 52 eingeschlossenen Studien

Diskussion

Das Ziel dieser Übersichtsarbeit war es, anhand eines evidence mappings erstmalig für die deutsche Forschungslandschaft darzulegen, welche Aspekte der Gesundheitsversorgung und des Gesundheitszustands von Asylsuchenden wissenschaftlich untersucht worden sind, was aus diesen Forschungsergebnissen bekannt ist und wo ungedeckter, prioritärer Forschungsbedarf besteht.

Prioritärer Forschungsbedarf wird insbesondere ersichtlich im Bereich der Versorgungsbedarfe, -prozesse und -outcomes bzgl. NCDs, bei Schwangerschaft, Wochenbett und Geburt, im pädiatrischen Bereich sowie im Bereich der Zahngesundheit. Hier traten die größten Forschungslücken zutage.

Aus der Literatur der letzten 25 Jahre lässt sich eine „klassische“ Sicht auf die Untersuchung des Gesundheitszustands von Asylsuchenden ableiten: Diese ist vor allem „seuchenhygienisch“ und vorwiegend auf psychische Erkrankungen fokussiert. Trotz der zahlreichen und zumeist große Fallzahlen umfassenden Studien im Bereich der Infektionsepidemiologie bleibt der Erkenntnisgewinn jedoch (bis auf wenige Ausnahmen) tendenziell gering: Epidemiologische Kennzahlen unterliegen den Dynamiken und Entwicklungen der Herkunftsländer, sodass rein deskriptive, auf einzelne Bundesländer oder gar Regionen beschränkte Analysen als Grundlage für Versorgungsmaßnahmen eine kurze Halbwertszeit haben. Damit Erkenntnisse in diesem Bereich ihre Aktualität wahren, ist eine verbesserte Surveillance nötig, die nicht auf einzelnen Studien beruht.

Darüber hinaus waren viele der infektionsepidemiologischen Studien „losgelöst“ von sozialen Determinanten und Versorgungsaspekten: Asylsuchende waren zumeist konzipiert „als Risikofaktor“ (engl: as risk for) und nicht als „einem höheren Risiko ausgesetzt“ (engl: at risk of), z. B. aufgrund der Unterbringung in Sammelunterkünften. Studien, die neben der Epidemiologie einer Infektionserkrankung auch die relevanten Versorgungsaspekte (wie Zugang, Ergebnisqualität oder Kosten) mit adressierten, waren eher die Ausnahme [17, 28, 35].

Trotz der zahlenmäßig hohen Anzahl an Studien im Bereich psychischer Erkrankung bleibt auch hier der Erkenntnisgewinn moderat: Kleine, nicht repräsentative Samples gepaart mit starker Heterogenität in allen relevanten Bereichen der Studien (Settings, Sampling, Populationen, Instrumente, Klassifikationen) führen zu keiner Vergleichbarkeit der Ergebnisse hinsichtlich der psychischen Krankheitslast. Diese erscheint – kohärent mit der internationalen Literatur [1, 3] – zwar in allen Studien hoch (bis auf eine [15], bei der die Diagnosen nicht den Bedarf, sondern die Kodierungspraxis und das Versorgungsangebot abbilden). Dennoch lässt sich das Ausmaß der Erkrankungslast oder des Bedarfs kaum quantifizieren, da nur die wenigsten Studien in diesem Bereich [21, 46, 56] eine Referenzgruppe verwendeten, anhand derer die Zielparameter z. B. alters- und geschlechtsadjustiert verglichen werden konnten.

Weiterhin gilt es den Blick für die Relevanz der Versorgungsdimension zu stärken: Zwar adressierten insgesamt 23 der 51 Primärstudien (45,0 %) einen oder mehrere Versorgungsaspekte (Zugang, Qualität, Kosten). Bezogen auf die 25 Jahre, die das Review umschließt, und angesichts der Besonderheiten der Regelungen des AsylbLG erscheint jedoch nicht nur die Zahl gering. Auch inhaltlich ist ein Bedarf an rigoroseren Evaluationen geboten, um lokal entwickelte gute Praxis zu identifizieren (s. z. B. Beitrag von Brockmann in diesem Heft) und in die Fläche zu bringen.

Darüber hinaus kamen auch konzeptionelle Aspekte zutage: Nur 12 der 41 quantitativen Studien (29,3 %) erhoben den sozioökonomischen Status (SES) der Asylsuchenden [14, 20, 22, 25, 37, 41, 4648, 50, 51, 56]. Davon erhoben 4 Studien die erreichten Schulabschlüsse [20, 46, 48, 56], 5 Studien die Anzahl der Jahre des Schulbesuchs [14, 25, 41, 50, 51], 7 Studien die aktuelle Erwerbstätigkeit [22, 25, 37, 46, 47, 50, 56], eine Studie die frühere Erwerbstätigkeit im Herkunftsland [41] und eine Studie das Vorliegen einer Arbeitserlaubnis [50] bei Asylsuchenden. In den Studien war nicht eindeutig, ob es sich um den Bildungsstand vor oder nach Migration (z. B. im Aufnahmeland erworbener Abschluss) handelt. Ein noch geringerer Anteil ließ entsprechende Angaben in die Analysen einfließen, sodass Zusammenhänge zwischen dem Merkmal „Asylsuchende/Flüchtlinge“ und Zielparametern der Gesundheit/der Versorgung auch vielfach durch „omitted variable bias“ verzerrt sein könnten.

Schließlich ist auch das Merkmal selbst von einer konzeptionellen Schwäche betroffen: 29 der Studien (ca. 56,0 % aller Artikel) verwendeten keinerlei Definition für das Merkmal „Asylsuchende“ oder „Flüchtling“. Angesichts der zahlreichen Aufenthaltstitel in Deutschland, der Phasen des Asylverfahrens und der Implikationen für den Gesundheitszustand bzw. den Zugang zur Versorgung sowie mit den Titeln verbundenen Lebenslagen (z. B. vor der Registrierung, nach Erhalt der Aufenthaltsgestattung, bei Duldung, bei Kontingentflüchtlingen, bei der Personengruppe nach §2 AsylbLG, bei anerkannten Flüchtlingen) erweist sich mehr konzeptionelle Schärfe in zukünftigen Studien nicht nur als dringend erforderlich. Durch die zeitlichen Änderungen der Aufenthaltstitel, der Lebensumstände sowie der rechtlichen Ansprüche auf existenzielle Leistungen könnten mit rigoroseren, prospektiven Studien auch kausale Muster der Genese von Krankheit und Gesundheit während des Asylverfahrens nachgewiesen werden.

Stärken und Limitationen

Trotz einer breiten Suchstrategie kann nicht ausgeschlossen werden, dass potenziell relevante Studien durch die Suchstrategie nicht identifiziert wurden. Dies trifft insbesondere auf graue Literatur, Qualifikationsarbeiten sowie deutschsprachige, spezialisierte Fachzeitschriften zu, die in den von uns durchsuchten Datenbanken über keinen Index-Eintrag verfügen. Das trifft auch auf Arbeiten zu, die keine Angaben zum Setting der Studie in Titel oder Abstract gemacht haben und somit durch die Suchbegriffe (AND german*) nicht als Treffer angezeigt wurden. Weiterhin mussten einige potenziell relevante Studien, bei denen unklar war, ob es sich um Personen mit Fluchterfahrung handelt bzw. keine Angaben über den Aufenthaltsstatus gemacht wurden, ausgeschlossen werden [68].

Weitere Limitationen entstehen durch den Verzicht auf die Durchführung einer Qualitätsbewertung eingeschlossener Artikel. Aufgrund der hohen Heterogenität der Studien (in Studiendesigns und Outcomes) und der nicht immer gegebenen Anwendbarkeit existierender Instrumente auf die Primärstudien wurde von einer standardisierten Qualitätsbewertung Abstand genommen. Auch wenn es durchaus möglich ist, im Rahmen von systematischen Reviews nicht randomisierter Studien darauf zu verzichten [69], muss bei der zusammengetragenen Evidenz des Gesundheitszustands bzw. der -versorgung aus den Primärstudien bedacht werden, dass potenzielle Verzerrungen vorliegen können.

Dennoch glauben wir, dass wir mit dieser Übersichtsarbeit ein umfassendes Abbild der bestehenden Forschungslandschaft generiert haben, auf deren Grundlage zukünftige Forschung in diesem Bereich weiterentwickelt werden kann.

Damit die Forschungslandschaft zukünftig von Heterogenität und Lokalität zu vergleichbaren, versorgungsorientierten, regionenübergreifenden und systemischen Erkenntnissen kommt, ist ein stärkeres kollektives Handeln der in diesem Bereich tätigen Forscher sowie Praktiker notwendig.