Zusammenfassung
Kinderschutz muss aufgrund der heterogenen und komplexen Problemlagen interdisziplinär angelegt sein, da keine Disziplin allein den verschiedenen Fragestellungen gerecht werden kann. Damit diese Zusammenarbeit mit wenig Reibungsverlusten und unter maximaler Ausschöpfung potenzieller Synergieeffekte funktioniert, darf es keine Lücken im Netz der Helfer geben. Außerdem sollte jeder an der Position im Netzwerk stehen, an der er aufgrund seiner Kompetenzen und Funktionen am besten seine Rolle erfüllen kann. Einrichtungen oder Personen, die eine Verteilerfunktion haben, wie zum Beispiel Kinderärzte oder das Jugendamt, sollten an zentraler Schlüsselposition stehen. Ob und wie weit dies in den konkreten Verhältnissen vor Ort der Fall ist, kann mit einer Netzwerkanalyse festgestellt werden. Vorgestellt wird eine Pilotuntersuchung, die im Rahmen des Modellprojektes „Guter Start ins Kinderleben“ durchgeführt wurde. Anhand der exemplarisch dargestellten Vernetzungsanalyse einer Stadt konnte gezeigt werden, dass die Netzwerkanalyse ein geeignetes Instrument darstellt, um bestehende Vernetzungsstrukturen systematisch zu erfassen und Rückmeldungen zur Modifikation zu erarbeiten. Für künftige Untersuchungen wird empfohlen, zur Steigerung des Datenrücklaufs telefonische Befragungen durchzuführen.
Abstract
Child protection can only be successfully solved by interdisciplinary cooperation and networking. The individual, heterogeneous, and complex needs of families cannot be met sufficiently by one profession alone. To guarantee efficient interdisciplinary cooperation, there should not be any gaps in the network. In addition, each actor in the network should be placed at an optimal position regarding function, responsibilities, and skills. Actors that serve as allocators, such as pediatricians or youth welfare officers, should be in key player positions within the network. Furthermore, successful child protection is preventive and starts early. Social network analysis is an adequate technique to assess network structures and to plan interventions to improve networking. In addition, it is very useful to evaluate the effectiveness of interventions like round tables. We present data from our pilot project which was part of “Guter Start ins Kinderleben” (“a good start into a child’s life”). Exemplary network data from one community show that networking is already quite effective with a satisfactory mean density throughout the network. There is potential for improvement in cooperation, especially at the interface between the child welfare and health systems.
Notes
Das Projekt wurde in gemeinsamer Initiative der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen entwickelt und gemeinsam gefördert. Die Evaluation wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen im Rahmen des Aktionsprogramms „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ gefördert (http://www.uniklinik-ulm.de/ struktur/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatriepsychotherapie/home/forschung/guter-start-ins-kinderleben.html).
Am Modellprojekt nahmen insgesamt acht Standorte aus den vier beteiligten Bundesländern teil.
Das Forschungsvorhaben wurde vor Beginn der Datenerhebung von den Landesdatenschutzbeauftragten der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen geprüft. Nach mehrfachen Abstimmungsprozessen zwischen den Landesdatenschutzbeauftragten und dem Universitätsklinikum Ulm wurde ein Vorgehen gewählt und von den Landesdatenschutzbeauftragten genehmigt, das den ausfüllenden Personen absolute Anonymität gewährte. Es sollte verhindert werden, dass bei der Rückmeldung der Vernetzungsstruktur an die Kommunen im Rahmen der Runden Rückschlüssen auf die ausfüllenden Personen gezogen werden können.
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Interessenkonflikt
Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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___Hinweis_____
Das Modellprojekt wurde in gemeinsamer Initiative der Bundesländer Baden-Württemberg (Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren Baden-Württemberg), Bayern (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Frauen), Rheinland-Pfalz (Ministerium für Arbeit, Soziales Gesundheit, Familie und Frauen, Rheinland-Pfalz) und Thüringen (Thüringer Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit) entwickelt und gemeinsam gefördert.
Die Evaluation wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen im Rahmen des Aktionsprogramms „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ gefördert.
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A.K. Künster und C. Knorr haben gleichberechtigt an der Erstellung des Artikels mitgewirkt.
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Künster, A., Knorr, C., Fegert, J. et al. Soziale Netzwerkanalyse interdisziplinärer Kooperation und Vernetzung in den Frühen Hilfen. Bundesgesundheitsbl. 53, 1134–1142 (2010). https://doi.org/10.1007/s00103-010-1147-3
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